Kapitel 18
Kapitel 18
Wie erwartet war das Essen, das sein Vater von einem Sternerestaurant hatte kommen lassen, ausgezeichnet. Es gab Truthahn mit diversen Füllungen, Rosmarinkartoffeln, Gemüse, selbstgemachtes Brot und auch ein oder zwei traditionelle italienische Gerichte, die zwar nichts mit Thanksgiving zu tun hatten, die sein Vater aber jedes Jahr auftischte, weil sie ihn angeblich an seine Heimat erinnerten. Toni wusste, dass das Unsinn war. Sein Vater war genau wie er in New York geboren und aufgewachsen und war vielleicht drei Mal in Italien gewesen. Alles nur Show, dachte Toni, als er seine Servierte auf den Tisch legte und zusammen mit den anderen aufstand. Das Essen war vorbei und während das Servicepersonal abräumte, verteilten sich die Mitglieder der Cosa Nostra auf den Salon, den Flur und die Bibliothek.
Sein Vater würde in seinem Büro Hof halten, aber Toni hatte nicht vor, auch nur einen Fuß dort hinein zu setzen. Er nahm sich einen Drink vom Sideboard und stellte sich zu Marcus an den Kamin im Salon. Sie unterhielten sich eine Weile, bis einer der Capos sich dazu stellte und Marcus in ein Gespräch verwickelte. Toni entschuldigte sich, goss sich einen neuen Drink ein und wollte gerade zu Lucas Vater gehen, um ihn nach Luca zu fragen, als sein Onkel an seiner Seite auftauchte. Für einen Moment griff ein Fluchtreflex nach ihm und Tonis Augen suchten die nächste Tür, doch bevor er Reißaus nehmen konnte, fing sein Onkel auch schon ein Gespräch an.
„Da habt ihr euch ja ganz schön was geleistet, bei den Yakuza." Sein Onkel lachte gehässig und nahm einen Schluck Whiskey.
„Es ist vielleicht nicht ganz optimal verlaufen", sagte Toni und wünschte sich, er könnte seinen Onkel einfach stehen lassen.
„Das ist wohl die Untertreibung des Jahres. Dein Vater war richtig wütend, das kannst du mir glauben, Bursche."
Ich bin nicht dein Bursche, dachte Toni verärgert, doch er zuckte nur mit den Schultern. „Die Sache ist erledigt."
„Hmm", machte sein Onkel und sah ihn lange an. „Ich habe deinen Vater überredet, dich diesmal laufen zu lassen. Das hast du mir zu verdanken. Außerdem haben wir uns um Doc Johnson gekümmert. Nur, dass du es weißt."
Toni merkte, wie ein Schauder über seinen Rücken lief. Wenn sein Onkel sagte, man habe sich um den Arzt gekümmert, konnte das nur eines bedeuten. Er fragte lieber nicht nach Details. Wenigstens wusste er jetzt, warum ihn sein Vater nicht zu der Sache mit den Yakuza verhört hatte. Aber wenn sein Onkel nur eine Sekunde meinte, dass Toni ihm glaubte, dass Frank irgendetwas für ihn getan hatte, hatte er sich geschnitten. Warum auch immer sein Onkel für ihn interveniert hatte – wenn es denn so war – musste einen anderen Grund haben. Als er nicht antwortete, setzte sein Onkel das Gespräch fort. „Das war ja ziemliches Glück, dass du diesen anderen Arzt kanntest. Der, der den jungen Rossi dann zusammengeflickt hat."
Als sein Onkel Henry erwähnte, hielten seine Finger sein Glas so fest, dass es fast schmerzte. Toni würde nicht über Henry reden, sein Onkel sollte nicht einmal an ihn denken. Es war viel zu gefährlich. Um das Thema schnell abhaken zu können, nahm Toni einen Schluck und sagte lapidar: „Er ist nur Pfleger, kein Arzt, aber es hat gereicht."
„War das derselbe, der bei dir im Krankenhaus war, als dieses Arschloch dir den Arm aufgeschlitzt hat?"
Scheiße...Toni fühlte sich, als ob ihm ein Messer in den Magen gerammt worden war. Woher wusste sein Onkel, dass Henry bei ihm gewesen war, als seine Wunde im Krankenhaus genäht worden war? Außer Luca war niemand in der Gasse gewesen. Hatte Luca etwas erzählt? Nein, das glaubte er nicht. Luca redete nicht mit seinem Onkel, Luca hasste seinen Onkel, nach dem, was er ihm angetan hatte. Aber wie dann? Als er nicht sofort antwortete, verengten sich die Augen seines Onkels misstrauisch.
„Hat es dir die Sprache verschlagen?"
Toni riss sich zusammen. Seine Gedanken rasten, aber er versuchte, äußerlich gelassen zu erscheinen. Er steckte eine Hand in seine Hosentasche und zuckte mit der Schulter „Ich weiß nicht, was du meinst. Luca war in der Nacht da."
Ein gemeines Lächeln breitete sich auf dem Gesicht seines Onkels aus. Seine Wangen waren vom Alkohol gerötet und Toni fragte sich, wie viel sein Onkel schon getrunken hatte. Wenn sein Onkel betrunken war, wurde er erst richtig gefährlich. „Aha. Da habe ich aber etwas anderes gehört."
Toni wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Die einzige Möglichkeit, wie sein Onkel etwas davon wissen konnte war, dass jemand im Club ihn und Henry hatte hinausgehen und dann wegfahren sehen. Sein Onkel hatte sicherlich überall seine Leute, und wie Toni jetzt feststellen musste, anscheinend auch in seinem Club. Da es wohl keinen Zweck hatte, weiter zu lügen und eine Lüge seinen Onkel nur noch mehr anstacheln würde, zuckte Toni wieder nur die Schultern.
„Wir brauchen Ersatz für Doc Johnson. Aber dieser Pfleger ist ungeeignet, zu wenig Kenntnis von der Materie, zu rechtschaffen."
„Ach, ich weiß nicht. Wir haben Mittel und Wege, jeden rechtschaffenden Mann auf unsere Seite zu ziehen."
Bei diesen Worten knotete sich Tonis Magen zusammen. Nur über seine Leiche würde sein Onkel auch nur einen Finger an Henry legen. Innerlich brodelnd trat er an das Sideboard und schenkte sich einen neuen Drink ein. Seine Hände zitterten leicht und er verschüttete etwas. Hoffentlich hatte sein Onkel es nicht gesehen.
„Wenn du meinst, Onkel", sagte Toni so gelangweilt wie er nur konnte. Er musste das Gespräch auf ein anderes Thema lenken, und zwar schnell. Doch wieder kam ihm sein Onkel zuvor.
„Wenigstens haben die Cops und das FBI diesmal nichts von deinem kleinen Missgeschick erfahren. Dein Vater hätte dich den Yakuza vermutlich zum Fraß vor die Füße geworfen, wenn das FBI von der Schießerei erfahren hätte." Sein Onkel nahm einen großen Schluck, schmatzte und trank dann sein Glas leer. „Wenigstens hast du da im Club nichts Dummes zu McNamara gesagt." Dann drehte er sich um, schwankte leicht und goss sich einen neuen Drink ein.
McNamara, das war der Name des FBI Agenten gewesen, dachte Toni. Hatte er erzählt, wie der Agent geheißen hatte? Nein, ganz sicher nicht. Auch das hatte sein Onkel dann wohl von seinem Spitzel erfahren. Nein, Moment...Toni war alleine im Club gewesen. Ganz alleine, außer ihm und dem Agenten und dem Cop war bei dem Gespräch niemand im Corleone gewesen. Toni fühlte, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief. Wie konnte sein Onkel eigentlich davon wissen, dass es eine Befragung gegeben hatte? Von dem Cop natürlich, dachte Toni, ja genau. Der Cop stand auf der Gehaltsliste seines Vaters und hatte seinem Vater Bericht erstattet. Daher wusste sein Onkel davon. Auch wenn das logisch klang, schrie ihm sein Bauchgefühl zu, dass er etwas verpasst hatte, dass er gerade etwas gehört hatte, was er nicht ignorieren durfte. Aber was, was nur?
Toni war so in seine Gedanken vertieft, dass er die nächsten Worte seines Onkels fast nicht hörte.
„Na dann, Bursche. Frohes Thanksgiving." Sein Onkel drückte seine Schulter so, dass es schmerzte, dann wandte er sich ab und ging davon. Toni blieb noch eine ganze Weile in Gedanken verloren stehen. Irgendetwas was sein Onkel gesagt hatte, oder die Art, wie er es gesagt hatte, hatte eine Alarmglocke in ihm schrillen lassen. Er musste nachdenken, seine Gedanken ordnen. Dahinterkommen, warum sein Bauchgefühl ihn geradezu anschrie, dass er etwas Wichtiges nicht mitbekommen hatte. Er hatte gelernt, auf sein Bauchgefühl zu hören. Es verriet ihm, dass es etwas gab, was sein Gehirn noch nicht begriffen hatte und Tonis zweifelte nicht daran, dass es wichtig war.
Als er die Party endlich verlassen konnte, rannte er fast zu seinem Porsche. Als er durch das nächtliche New York nach Hause fuhr, wurden seine Gedanken ruhiger. Toni ging das Gespräch mit seinem Onkel Wort für Wort durch. Und dann durchzuckte es ihn. Der Gedanke den er gehabt hatte, nämlich wie das FBI von der Schlägerei erfahren hatte. Hatte vielleicht der Gast, den er zusammengeschlagen hatte, mit den Cops geredet? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen, warum sollte er das tun? Dann hätte er auch erzählen müssen, wie es überhaupt zu dem Hausverbot gekommen war. Nein, das war unwahrscheinlich.
Auch das Krankenhaus hatte nichts gemeldet. Wenn überhaupt hätte das Krankenhaus die Cops alarmiert, diese aber nicht das FBI. Denn Toni glaubte nicht eine Sekunde, dass Agent McNamara nur zufällig im Corleone gewesen war. Auf gar keinen Fall. Also wenn es nicht der Trunkenbold gewesen war und auch das Krankenhaus nicht, und er, Luca und Henry auch nicht, dann blieb nur..., dass es jemand aus der Organisation gewesen war. Sein Onkel hatte Spione im Corleone, die ihn über die Schlägerei informiert hatten. So hatten sein Onkel und sein Vater davon erfahren. Und von dem Cop auf der Gehaltsliste seines Vaters hatten sie von der Befragung erfahren. Aber wie, um alles in der Welt, hatten die Behörden von der Schlägerei erfahren? Wer hatte sie informiert? Woher wusste sie bzw. sein Onkel, dass Henry mit Toni ins Krankenhaus gefahren war? Warum fiel ihm das erst jetzt auf?
Wie Toni es auch drehte und wendete, er kam immer wieder zu demselben Schluss. Jemand aus der Familie hatte das FBI informiert und McNanamra hatte dann einen Cop mitgenommen, um der ganzen Sache den Anschein von Legitimität zu verschaffen. Aber wenn es der Spion aus dem Club gewesen war, welchen Grund hätte er dazu haben können? Toni konnte sich keinen Grund denken, warum ein Spion seines Onkels ein solches Risiko eingehen würde. Wenn sein Onkel herausfand, dass jemand auf der Gehaltsliste der Organisation mit dem FBI zusammenarbeitete, würde er blutige Rache schwören. Aber wenn es nicht der Spion gewesen war...Kälte breitete sich in Toni aus, als er den einzigen Schluss zog, der ihm logisch erschien.
Sobald er in seiner Wohnung angekommen war, groß er sich einen großen Drink ein. Dann nahm er sein Handy und trat hinaus auf den Balkon. Die eisige Luft schlug ihm entgegen und er fühlte, wie er langsam klarer im Kopf wurde. Das Eis in seinem Glas war schon lange geschmolzen, als er sich dazu durchgerungen hatte, eine wohlbekannte Nummer zu wählen. Es klingelte. Obwohl es schon weit nach Mitternacht war, wurde der Anruf entgegengenommen.
„Da?" fragte eine tiefe, vertraute Stimme.
„Juri, ich bin es, Toni."
„Toni, was verschafft mir die Ehre? Du hattest mich vor einer Weile schon mal angerufen, nicht wahr?" Juri klang leicht angetrunken, im Hintergrund konnte Toni Musik und Lachen hören. Anscheinend war Juris Thanksgiving Feier noch nicht vorbei.
„Du musst mir einen Gefallen tun, Juri. Können wir uns treffen?"
Am anderen Ende der Leitung war es einen Moment still. Als Juri wieder antwortete, war die Musik leiser und Juri klang fast nüchtern. „Du rufst mich geschäftlich an?"
„Ja." Toni wusste, dass sein Anliegen ungewöhnlich war. Er hatte bisher nie geschäftlich mit der Bratva zu tun gehabt und in seiner Beziehung zu Juri das Private vom Geschäftlichen strikt getrennt.
Wieder sagte Juri einen Moment nichts, dann sagte er: „Da, in Ordnung. Wann und wo?"
Toni nannte ihm eine Adresse am Stadtrand. Dort gab es eine große unbebaute Fläche wo sie ungestört würden reden können. Er schlug den nächsten Nachmittag vor.
„Toni, mein Freund, muss ich mir Sorgen machen? Steckst du in Schwierigkeiten?"
Da Toni seinen Freund nicht anlügen wollte, er brauchte schließlich seine Hilfe, sagte er: „Ich weiß es nicht. Es könnte sein."
„In Ordnung, Toni. Wir treffen uns morgen. Dann erzählst du mir alles."
Toni bedankte sich, dann beendete er das Gespräch. Als er auf das nächtliche New York hinaussah, fragte er sich, wie sein Leben in den letzten paar Wochen nur so kompliziert werden konnte. Er trank seinen Drink aus, dann ging er ins Bett. Es dauerte lange, bis er endlich in einen unruhigen Schlaf fiel.
Am nächsten Morgen schickte Toni Henry eine Nachricht, ob sie sich treffen konnten, doch Henry antwortete nicht. Je länger er auf sein Telefon starrte, dass einfach nicht klingeln wollte, desto irritierter wurde er. Er wollte Henry sehen und mit ihm sprechen. Henry hatte einfach diese ruhige Ausstrahlung, die das Chaos seiner Gedanken ordnen konnte. Und Toni konnte gerade eine beruhigende Hand brauchen. Je näher sein Treffen mit Juri rückte, desto nervöser wurde er. Als Henry seine Mitteilung bis zum frühen Mittag immer noch nicht gelesen hatte, versuchte er sich einzureden, dass Henry entweder lange schlief, weil er so viel hatte arbeiten müssen, oder er war schon wieder bei der Arbeit und las seine Nachrichten deshalb nicht.
Aber dafür rief ihn Luca an. Toni freute sich ehrlich, von ihm zu hören, denn er hatte sich Sorgen um seinen Freund gemacht. Luca hörte sich am Telefon gut gelaunt an und Toni und er verabredeten sich zum Lunch. Vielleicht, dachte Toni, würde ihn das Mittagessen mit seinem alten Freund die dringend gebrauchte Ablenkung verschaffen.
Toni war ein paar Minuten vor Luca im Café, in dem sie sich verabredet hatten. Er setzte sich an einen Fenstertisch, die Tür im Blick und holte sein Mobiltelefon aus der Tasche. Henry hatte seine Nachricht immer noch nicht gelesen. Ob er ihn einmal anrufen sollte? Oder vielleicht hatte Henry sein Telefon verloren? Es war doch merkwürdig, dass Henry so lange nicht auf sein Handy sah. Aber bevor er lange darüber nachdenken konnte, ging die Tür auf und Luca betrat das Café. Er sah aus wie immer und auch an seinem Gang konnte Toni nicht mehr erkennen, dass noch vor Kurzem auf ihn geschossen worden war. Allerdings schien ihn die Wunde nach wie vor zu schmerzen, denn er verzog leicht das Gesicht, als er sich auf den Stuhl Toni gegenüber fallen ließ.
„Toni, Mann. Haben uns ja ne ganze Weile nicht gesehen", sagte Luca und strich sich seine Haartolle aus der Stirn. „Wie war das Essen bei deinem Vater?"
„Wie jedes Jahr", sagte Toni zuckte mit den Schultern, „gutes Essen, schlechte Gesellschaft."
Luca lehnte sich zurück und legte einen Arm über die Stuhllehne. „Mein Vater hat gesagt, du bist früh gegangen, nachdem du mit deinem Onkel Frank geredet hast."
Toni schnitt eine Grimasse. Dann war es also aufgefallen; er hatte gedacht, er wäre lange genug geblieben, damit keine Gerüchte entstanden. Er seufzte tief. „Frank kann man nur in geringen Dosen aushalten und schon gar nicht im Zusammenhang mit zu viel Alkohol."
„Verstehe, Mann."
Die Kellnerin trat an ihren Tisch, reichte ihnen die Karten und nahm die Getränkebestellung auf. Als sie wieder gegangen war, deutete Toni mit dem Kinn auf Lucas Seite.
„Wie geht es dir? Ich habe dich die letzten Tage nicht erreichen können, weder telefonisch noch bei dir zu Hause. Ich habe mir Sorgen gemacht."
Luca winkte ab. „Mir geht's gut, Toni. War einfach beschäftigt, du weißt ja, wie das ist."
„Mit Geschäften für die Firma?"
„Ja auch, dies und das." Luca musterte die Karte und Toni hatte das unbestimmte Gefühl, dass sein Freund ihm auswich.
„Ich bin froh, dass es dir wieder gut geht."
„Ja, Mann." Luca sah ihn nicht an, als er antwortete, sondern hatte den Blick nach wie vor starr auf die Karte gerichtet. „Ich glaube, ich nehme das Black Friday Special, Truthahnsandwich mit Süßkartoffelpommes und mini Marshmallows."
Sollte Toni weiter nachhaken oder es gut sein lassen? Als er Luca so vor sich sitzen sah, gesund, gut gelaunt und hungrig, entschied er sich, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Vielleicht hatte Luca ja wirklich einfach nur viel zu tun gehabt. Er schlug die Karte zu und lehnte sich zurück.
„Nach gestern kann ich keinen Truthahn mehr sehen. Ich nehme den Ceasar's Salad."
Luca schnaubte. „Ein Frauengericht."
„Was soll das denn heißen?"
„Na ja, Mann, das bestellen immer nur die Weiber."
„Du meinst Frauen?" Toni runzelte die Augenbrauen. Das war so untypisch für Luca, er machte seine Wahl von Gerichten normalerweise nicht madig und er würdigte Frauen nicht herab. Und es war schließlich nicht das erste Mal, dass Toni einen Salat bestellte.
„Vergiss es", sagte Luca, als die Kellnerin an ihren Tisch trat, die Getränke brachte und die Bestellungen aufnahm.
Der Rest des Lunches verlief angespannt. Toni bemühte sich die Leichtigkeit und Ungezwungenheit herzustellen, die er immer empfand, wenn er mit Luca zusammen war, aber irgendetwas lag in der Luft. Toni konnte es nicht benennen. Es war nichts was Luca sagte oder tat, aber als das Essen vorbei war und sie sich voneinander verabschiedeten, ertappe sich Toni dabei, wie er erleichtert aufatmete. Noch eine Sache, um die er sich kümmern musste, dachte er düster als er seinen Porsche startete.
Er fuhr kurz ins Corleone um nach dem Rechten zu sehen, dann machte er sich auf den Weg zu seinem Treffen mit Juri. Je näher das Treffen kam, desto nervöser wurde er. Beinahe hätte er das Treffen wieder abgesagt. Der Gefallen, um den er Juri bitten wollte, lag ihm schwer im Magen. Konnte er Juri vertrauen? Würde Juri ihn verraten? Toni hoffte, dass er sich nicht in Juri getäuscht hatte, als er am vereinbarten Treffpunkt ankam. Das Gelände lag verlassen vor ihm, hier und da hatte der Regen der vergangenen Nacht Pfützen im Kies hinterlassen. Toni stellte seinen Porsche mitten auf dem leeren Platz ab, dann stieg er aus und lehnte sich an die Motorhaube.
Er zog seinen Mantel enger um die Schultern, als ihm der Wind um die Ohren pfiff. Wieder sah er auf sein Handy. Henry hatte seine Nachricht immer noch nicht gelesen. Vielleicht hat er sie nicht gesehen oder nicht bekommen, dachte er, und schickte eine zweite Nachricht hinterher.
„Hey Henry, alles in Ordnung bei dir? Hast du Thanksgiving gut überstanden? Ich vermisse dich und würde dich gerne sehen. Heute Abend vielleicht?"
Mit einem leisen Wusch zeigte sein Telefon an, dass die Nachricht verschickt worden war. Kurz darauf erschienen die zwei kleinen grauen Haken die ihm zeigten, dass Henrys Telefon die Nachricht erhalten hatte. Für eine Weile starte er auf sein Display, aber die Haken wurden nicht blau. Henry hatte seine Nachrichten nicht gelesen. Frustriert und immer mehr in Sorge steckte er sein Handy weg. Henry war ein erwachsener Mann, wenn etwas nicht in Ordnung wäre, würde er sich melden. So sehr Toni auch versuchte, sich mit diesem Gedanken zu beruhigen, desto mehr hatte er das unbestimmte Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Ging Henry ihm aus dem Weg? War es wegen der Schießerei? Aber er hatte Henry nach diesem Abend noch gesehen, sie hatten zusammen Fernsehen gesehen und alles schien in Ordnung zu sein. Gab es einen anderen Grund, warum Henry ihm aus dem Weg ging?
Toni konnte diesen Gedanken nicht weiter verfolgen, denn in dem Moment kam ein schwarzer Geländewagen die Straße herab. Toni richtete sich auf. Der Wagen hielt in einigen Metern Entfernung. Die Beifahrertür ging auf, Juri stieg aus und beugte sich dann ins Fahrzeug um etwas zu sagen. Danach schlug er die Tür zu und kam auf Toni zu.
„Mann Toni, hättest du dir keinen besseren Ort für ein geheimes Treffen aussuchen können? Einen Friedhof oder so?" Juri stapfte über eine der Pfützen und schüttelte den Kopf.
„Danke, dass du gekommen bist." Toni nickte zu dem Geländewagen. „Deine Entourage?"
Juri sah ebenfalls zu dem Wagen, dann zuckte er die Schultern. „Man kann nie vorsichtig genug sein, du weißt, wie es ist."
„Juri, ich habe dich nicht hier herausgebeten, um dich umzulegen." Toni schüttelte den Kopf und seufzte.
Juri schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Weiß ich doch, mein Freund. Aber wenn die Yakuza kommen und deinen Kopf wollen, habe ich lieber Verstärkung dabei."
„Du weißt davon?" Toni sah überrascht zu seinem Freund. Das hatte sich ja schnell herumgesprochen.
„Die Welt ist ein Dorf, Toni. Jeder weiß davon." Dann grinste Juri und hob den kleinen Finger seiner rechten Hand. „Hast du wirklich angeboten, dass sie dir einen Finger abschneiden dürfen, wenn sie deinen kleinen Soldaten in Ruhe lassen?"
Toni stöhnte und verdrehte die Augen. „Das weißt du auch? Ist denn in unserem Geschäft gar nichts mehr heilig?"
„Nein, mein Freund. Dies sind wertvolle Informationen." Dann wurde Juri ernst. „Solche Geschichten machen dich verwundbar, weiß du? Angreifbar."
Toni sah auf den kiesbestreuten Boden und grub seine Schuhspitze in den Sand. „Ich konnte nicht zulassen, dass sie seine Hand abschneiden. Mein Onkel hat Luca reingelegt, sonst wäre das alles nicht passiert. Wenn das eine Schwäche ist, bitte schön."
Für einen Moment sagte Juri nichts, dann lehnte er sich ebenfalls an den Porsche.
„Du hattest schon immer ein zu weiches Herz, Toni. Hoffentlich wird es in Las Vegas etwas härter."
Natürlich wusste Juri auch davon.
„Deine Quellen möchte ich haben, Juri", sagte Toni, wurde jedoch wieder ernst, denn damit waren sie genau beim Thema. Er sah über das leere Gelände. Der Wind hatte sich etwas gelegt, doch es war kalt und die Luft feucht. Sie kroch unter seine Kleidung und ließ ihn frösteln.
„Juri, ich habe dich heute hierher gebeten, weil ich dich um einen Gefallen bitten möchte. Ein Geschäft."
„Da?"
Toni sah Juri in die Augen. „Ich kann niemand anderen fragen, weil es sehr heikel ist. Wenn dies zu mir zurückverfolgt wird, bin ich so gut wie tot."
Andere hätten jetzt vielleicht gelacht und diese Bemerkung abgetan, doch in Juris Welt machte man solche Scherze nicht. Man meinte es ernst. Als Juri nickte, fuhr sich Toni übers Kinn. „Ich will dass du weißt, dass du Nein sagen kannst. Dies ist ein Geschäft, ich würde es dir nicht verübeln. Wenn diese Sache zu dir zurückverfolgt wird, könnte es Krieg geben."
„Hmm", machte Juri, dann griff er in seine Jacke und holte eine Packung Zigaretten heraus. Er bot Toni eine an, doch der lehnte ab. Juri nahm einen tiefen Zug, blies den Rauch in den Himmel und machte dann eine wegwerfende Handbewegung. „Das Leben ist zu kurz, um sich Sorgen zu machen. Und Kriege bedeuten Umschwung. Alt gegen neu, große Möglichkeiten für die Familie. Gut fürs Geschäft." Er grinste Toni an, dann nickte er. „Frag mich einfach. Wenn ich es nicht machen will, sage ich Nein. Worum geht es?"
Toni atmete tief durch und bevor er es sich anders überlegen konnte, stieß er hervor: „Ich vermute, dass mein Onkel Frank mit dem FBI zusammenarbeitet. Ich will, dass du ihn beschatten lässt, damit ich Beweise dafür habe."
Juri hustete. „Toni, mein Freund, verdammte Scheiße."
„Ja, das kannst du laut sagen."
Juri pfiff durch die Zähne. „Wenn das stimmt, wird dein Vater ihm Betonschuhe verpassen."
„Mindestens."
„Wie kommst du darauf? Hast du Anhaltspunkte dafür, dass dein Onkel ein FBI Spitzel ist?"
Toni schüttelte den Kopf. „Ich habe einfach ein komisches Bauchgefühl. Nenn es Intuition oder Instinkt. Aber irgendwas stimmt nicht und ich will wissen, ob ich Recht habe."
Juri schnippte die aufgerauchte Zigarette auf den Boden. „Wenn dein Vater herausfindet, dass die Bratva, insbesondere ich", er zeigte auf sich selber, „seinen Vize beschatten lassen, dann gibt das eine Menge Ärger. Ärger von der Sorte, bei der sich Leute Kugeln einfangen."
„Ich weiß", sagte Toni und trat mit der Schuhspitze einen Stein weg. „Aber ich kann es nicht selber machen und niemanden aus der Familie fragen. Mein Onkel hat überall seine Spitzel, selbst in meinem Club. Das kann ich nicht riskieren, ich kann zurzeit niemandem trauen."
„Sägt er an deinem Stuhl?" fragte Juri und Toni meinte leichte Sorge in seinem Blick zu sehen.
„Seitdem ich laufen kann", erwiderte er trocken, doch dann stieß er sich frustriert von seinem Porsche ab und ging ein paar Schritte. „Mein Onkel möchte meinen Platz einnehmen, das weiß jeder der Augen im Kopf hat. Aber in den letzten Monaten ist es schlimmer geworden. Er arbeitet aktiv gegen mich, benutzt meine eigenen Leute gegen mich. Die Sache mit den Yakuza? Das war sein Werk."
Wütend trat Toni gegen einen der Autoreifen. „Und wenn er wirklich mit dem FBI zusammenarbeitet, dann agiert er nicht nur gegen mich, sondern gegen die ganze Familie."
„Nun", sagte Juri und steckte sich eine neue Zigarette an. „Ganz objektiv gesehen wäre das für meine Familie von Vorteil. Während ihr euren kleinen Machtkampf ausfechtet, nehmen wir euch das Geschäft vor der Nase weg."
Toni dreht sich zu seinem Freund um. Seine Stimme war ganz geschäftlich, als er sagte. „Mit wem möchtest du in Zukunft lieber Geschäfte machen, wenn mein Vater nicht mehr der Don ist? Mit mir, oder mit meinem Onkel Frank?"
Für einen Moment sagte Juri nichts. Dann nickte er langsam. „Na gut. Aber wenn ich das mache, gehe ich ein großes Risiko ein. Das wird dich einiges kosten, mein Freund."
„Mir egal", sagte Toni und er meinte es so. „Nenn mir deinen Preis, ich bezahle."
Bei diesen Worten stahl sich ein breites Grinsen auf Juris Gesicht. „Ah, mein Freund. Das Feilschen musst du aber noch lernen." Und in der Tat, der Preis den Juri nannte, war ungeheuerlich. Aber Toni stimmte trotzdem zu. Welche Wahl hatte er auch? Sie gaben sich zum Zeichen der getroffenen Vereinbarung die Hand.
„Gut, ich werde meinen besten Mann auf die Sache ansetzen." Juri wandte sich um und ging ein paar Schritte auf den Geländewagen zu. „Sobald ich mehr weiß, melde ich mich."
„Danke, Juri. Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann. Aber sei bitte vorsichtig. Niemand darf hiervon erfahren."
„Ah, mein Freund." Juri legte sich die Hand aufs Herz. „Das ist rein geschäftlich. Und ich verstehe mein Geschäft." Er grinste. „Dein Onkel Frank ist ein Arsch und ich bin froh, wenn er weg ist." Er hatte den Geländewagen schon fast erreicht, als er sich noch einmal umdrehte. „Anthony?"
Toni sah auf. „Ja?"
„Pass auch dich auf, mein Freund. Es sind unruhige Zeiten da draußen."
Toni musste lächeln. „Man könnte fast meinen, du wärest wirklich um mich besorgt, Juri."
Juri grinste nur, tippte sich an die Stirn und stieg in den Geländewagen. In einer Wolke aus Staub und Sand fuhr er davon. Als auch Toni seinen Porsche von dem unbebauten Gelände fuhr, fragte er sich, ob er gerade sein Todesurteil unterschrieben hatte.
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Anmerkung: Also, ich mag Juri. :D
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