Kapitel 15
Kapitel 15
Am nächsten Abend fuhren Luca und Toni zu dem mit den Yakuza vereinbarten Treffpunkt. Toni fuhr seinen Porsche und Luca den gestohlenen Wagen. Der Sturm hatte zum Glück nachgelassen, aber die Straßen waren nass und überall gab es große Pfützen. Es war dunkel als sie das Lagerhaus im Meat District erreichten, wo sie den Wagen zurückgeben sollten. Toni hatte sich gewundert, warum sie den Wagen nicht einfach zu einem der Büros brachten, die die japanische Mafia nutzte, oder eines der Restaurants oder der Wäschereien, aber die Yakuza hatten auf diesem Treffpunkt bestanden.
Als Toni jetzt den Motor abstellte und die Gebäude um sich herum betrachtete, bekam er ein ganz schlechtes Gefühl. Hier war außer ihnen keine Menschenseele. Wenn die Yakuza etwas vorhatten, war dies ein perfekter Ort um eine Leiche loszuwerden. Als Luca neben ihm hielt stieg Toni aus. Seine Glock war ein beruhigendes Gewicht in seinem Rücken. Luca trat an seine Seite und leckte sich über die Lippen. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Sind wir hier richtig?"
Bevor Toni antworten konnte ertönte ein lautes metallisches Scheppern, dann öffnete sich das Tor des Lagerhauses vor ihnen. In der beleuchten Lagerhalle standen zwei große schwarze SUVs, mehrere Kisten und Paletten, sowie fünf Männer. Einer davon, größer als die anderen, winkte sie heran. „Anscheinend. Ganz ruhig jetzt", flüsterte Toni Luca zu, bevor sie zu den Männern in die Lagerhalle traten.
Als sie näher kamen sahen sie, dass der Mann, der sie heran gewunken hatte, niemand anders als Ben Lee war. Toni erkannte ihn an dem Tattoo, das sich um seinen Hals wandte. Es zeigte einen Drachen mit langen Krallen und scharfen Zähnen. Der Schwanz des Drachen wand sich um den Hals herum und verschwand unter dem Kragen des Hemdes, das Ben Lee trug. Die anderen Männer trugen alle Schwarz und standen in respektvollem Abstand zu ihrem Anführer.
Als Ben Lee nichts sagte und auch Luca den Yakuza nur mit großen Augen ansah, übernahm Toni die Begrüßung. Er setzte sein Pokerface auf und neigte kurz den Kopf in der Andeutung einer Verbeugung. „Mr. Lee, vielen Dank, dass Sie uns heute Abend hier treffen. Mein Name ist Anthony Garibaldi, dass hier ist mein Mitarbeiter Mr. Rossi. Wir bringen Ihnen ihren Wagen zurück. Unbeschädigt, frisch gewaschen und poliert." Als Ben Lee immer noch nichts sagte und ihn nur anstarrte, fügte Toni noch hinzu: „Ich bedaure es sehr, dass es zu diesem Missverständnis gekommen ist. Wie mein Vater sicher schon erklärt hat, war es nie die Absicht von Mr. Rossi, Ihren Wagen zu entwenden. Es war ein Zufall, ein Missgeschick."
Die kalten Augen des Yakuza wanderten von Toni zu Luca. Er sah Luca an, wie man etwas Ekliges ansah, dass einem unter dem Schuh klebte. Seine Augen waren nach wie vor auf Luca gerichtet als er sprach. „Der Don hat mir gesagt, dass der Dieb alleine kommen würde."
„Nun", sagte Toni und versuchte, seine Nerven zu beruhigen. „Mr. Rossi ist mein Mitarbeiter. Also bin ich für alles verantwortlich, was er tut. Ich hielt es für meine Pflicht, mich persönlich bei Ihnen zu entschuldigen."
Als der Yakuza seine Hand ausstreckte, ließ Luca den Autoschlüssel in die offene Handfläche fallen. Dann schluckte er, sichtlich nervös. „Mr. Lee, ich ....ich entschuldige mich ehrlich dafür, dass ich Ihren Wagen entwendet habe. Wenn ich gewusst hätte, dass es Ihr Wagen ist, dann hätte ich ihn nie gestohlen. Das war keine Absicht, ehrlich nicht." Toni stöhnte innerlich. Vielleicht hätte er die Entschuldigung mit Luca üben sollen. Wenn Luca nervös war, neigte er zum brabbeln. Um den Redefluss seines Freundes zu unterbrechen, räusperte Toni sich ganz leicht. Luca unterbrach sich, neigte tief den Kopf und sagte: „Mr. Lee, es tut mir wirklich leid."
Damit sollte die Sache sich erledigt haben, dachte Toni. Hoffte er. Doch Ben Lee hatte andere Pläne. Er sah Toni an, als er sprach. „Der Don hat mir versichert, dass es keine Absicht war, mein Auto zu stehlen. Und ich habe keinen Streit mit Mr. Vincenzo Garibaldi oder unseren italienischen Geschäftspartnern." Toni wollte gerade erleichtert aufatmen, als der Yakuza die Augen verengte. „Aber der Don hat mir auch versichert, dass ich mit dem Dieb tun kann, was ich will. Als Entschädigung für meine Unannehmlichkeiten, sozusagen. Er hat mir nicht gesagt, dass der Dieb in Ihren Diensten steht, Mr. Garibaldi."
Scheiße, dachte Toni und seine Gedanken fingen an zu rasen. Hatte sein Vater Luca tatsächlich den Löwen zum Fraß vorgeworfen? Hatte er Ben Lee gesagt, dass er Luca für den Diebstahl bestrafen konnte, wie er wollte? Sein Vater war ein Monster, dachte Toni, während er mehr fühlte als sah, wie Luca neben ihm zu zittern anfing. Jetzt musste er sich etwas einfallen lassen, und zwar schnell.
„Nun", sagte er, um Zeit zu gewinnen, „Mr. Rossi arbeitet schon länger für mich, als Soldat unserer Organisation." Gut, dachte, damit hatte er deutlich gemacht, dass Luca nur ein kleines Licht war, keine hohe Position einnahm und daher auch nicht verantwortlich war, wenn etwas schief ging. Da hatte Toni eine Idee und er sagte: „Daher bin ich verantwortlich für alle Fehler, die Mr. Rossi begangen hat. Eine Strafe sollte daher mich treffen, nicht ihn."
Ben Lee würde es nicht wagen, Toni etwas anzutun. Das hoffte er zumindest. Wenn er Toni verletzten würde, würde das einen Krieg mit der Cosa Nostra auslösen und Toni konnte sich nicht vorstellen, dass die Yakuza das riskieren würden. Als Ben Lee wütend den Mund verzog, wusste Toni, dass er das Richtige gesagt hatte. Der Mann sagte etwas auf Japanisch was Toni nicht verstand und einer der Männer trat zu ihm, nahm den Autoschlüssel und verschwand dann in der Dunkelheit. Einen Moment später hörte Toni den Motor des entwendeten Sportwagens aufheulen, dann schwenkten zwei Scheinwerfer durch die Halle, bevor das Motorengeräusch leiser wurde. Anscheinend hatte Ben Lee einen seiner Männer damit beauftragt, den Wagen wegzufahren.
Dann trat der Yakuza zurück und rief wieder etwas auf Japanisch, woraufhin einer seiner Männer eine der Kisten zu ihnen trug und vor ihm hinstellte. Dann griff er hinter sich und holte ein großes Messer hervor. Er reichte es Ben Lee. Der besah sich die Klinge, dann wanderte sein Blick zu Toni.
„Mr. Garibaldi, wissen Sie, wie wir bei den Yakuza mit Dieben umgehen?"
Toni fühlte, wie ihm kalt wurde. Das meinte der Yakuza doch nicht ernst? Neben ihm atmete Luca schwer, er kämpfte ganz offensichtlich gegen seinen Fluchtreflex an. Ganz ruhig jetzt, dachte Toni. Du bist der Sohn des Don, du bist ein Mitglied der Cosa Nostra. Du kriegst das hier hin. Nach außen gelassen, oder zumindest so gelassen wie es ihm möglich war, schüttelte Toni den Kopf. „Nein, ich muss gestehen, das ist mir nicht bekannt."
Der Yakuza grinste. „Für uns sind unsere Traditionen sehr wichtig. Geschichte, Kultur, unsere Vergangenheit zeigt uns, wie wir uns heute verhalten müssen." Er trat einen Schritt näher und hielt das Messer hoch. Es hatte eine messerscharfe, gezackte Klinge. „Daher haben wir die alte Tradition beibehalten, dass wir Dieben die Hand abschneiden."
Neben ihm entwich Luca ein überraschter Laut und er trat einen Schritt zurück. Toni streckte ohne nachzudenken die Hand aus und griff ihn am Arm, um ihn aufzuhalten. Wenn Luca jetzt wegrannte, wäre alles aus. Das wäre für die Yakuza nur ein Grund mehr, ihn zu verfolgen und zu bestrafen. Dies mussten sie auf andere Art lösen. Diplomatisch.
„Ich bin mir sicher", sagte Toni und versuchte, langsam und tief zu atmen, „dass wir eine andere Lösung finden."
„So, sind Sie das, Mr. Garibaldi?" Der Yakuza kam noch einen Schritt näher. „Nun, Ihr Vater hat mir versichert, dass ich mit dem Dieb machen kann, was ich will. Jetzt haben Sie mir gesagt, dass jede Strafe, die den Dieb trifft, Sie treffen sollte. Und Sie sind ja nicht irgendwer, oder, Mr. Garibaldi? Ihr Wort hat Gewicht. Ihr Vater wird es mir sicherlich nicht übel nehmen, wenn ich das tue, was Sie mir sagen, nicht wahr?"
Tonis Mund wurde trocken. Wollte dieser Yakuza ihm tatsächlich die Hand abschneiden? War er irre geworden? Sie lebten im einundzwanzigsten Jahrhundert, sie waren Geschäftsmänner, das organisierte Verbrechen Herrgott nochmal. Wer schnitt denn heute noch Leuten die Hand ab?
Aus dem Augenwinkel sah er, wie die verbliebenen Yakuza langsam um sie herum gingen, als ob sie ihnen den Ausgang abschneiden wollten. Luca wurde neben ihm immer zappeliger. Er hatte wohl auch gemerkt, dass Ben Lee es ernst meinte. Toni wusste nicht was er sagen sollte, um sie beide da raus zu bringen. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Mr. Lee, ich denke, Sie unterschätzen meinen Vater. Ich denke nicht, dass er sehr erbaut wäre, wenn Sie mir hier die Hand abschneiden."
„Huhm", machte der Yakuza nur, dann schien er zu überlegen. „Sie kennen Ihren Vater sicherlich besser als ich." Mit dem Messer in der Hand trat er zurück an die Kiste, die offensichtlich als Metzgerblock dienen sollte. „Aber einen Finger können Sie sicherlich entbehren, nicht wahr?"
Die Yakuza standen nun in ihrem Rücken und für Toni und Luca gab es keine Möglichkeit mehr, zu fliehen. Verdammt, verdammt, verdammt! Toni sah nach links und rechts, aber er sah keinen Fluchtweg. Was würde sein Vater nur sagen, wenn er ohne Finger zurückkäme? Vermutlich, dass es dir recht geschieht, sagte eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf. Wer geht denn schon mit einem Soldaten zu den Yakuza? Sein Vater hatte keine Freunde und würde nie verstehen, warum Toni Luca begleitet hatte und auch noch für ihn eingestanden war.
Die zwei Männer in ihrem Rücken kamen bedrohlich näher, aber diese Genugtuung wollte Toni dem Yakuza nicht geben. Wenn er schon keinen Ausweg finden konnte, dann würde er das ganze eben so tapfer durchziehen wie er konnte.
„Nun gut, Mr. Lee", sagte er und trat vor. „Wie Sie möchten."
„Toni", zischte Luca neben ihm, seine Stimme überschlug sich fast. „Was machst du?"
„Luca, geh raus und warte am Wagen."
„Was? Nein!"
„Luca...", sagte Toni warnend, doch ein Blick zu seinem Freund zeigte ihm, dass Luca nicht von seiner Seite weichen würde. Loyaler Idiot...
„Wie rührend", sagte der Yakuza kaltherzig. „Sie scheinen wohl mehr als Boss und Soldat zu sein." Dann riss er die Augen auf und tat ganz überrascht. „Sagen Sie mir nicht, Sie sind befreundet? Ich wusste nicht, dass es das in diesem Geschäft noch gibt." Er lachte auf. „Wie süß."
„Nun, wie es sich gibt, kennen Mr. Rossi und ich uns schon sehr lange", sagte Toni, bemüht, seine Stimme unter Kontrolle zu halten.
„Sehr lange, ja?" Ben Lee lachte. „Sie sind doch noch ein Welpe, Mr. Garibaldi. Kaum aus den Windeln. So lange kann es ja nicht sein."
Bei diesen Worten regte sich Zorn in Toni. Zorn war besser als Angst. Aber er zuckte nur die Schultern. Er wollte das hier so schnell wie möglich hinter sich bringen. Dann bedeutete ihm Ben Lee vorzutreten und seine Hand auf die Kiste zu legen. Als Luca neben ihm anfing nach seiner Waffe zu greifen, hielt Toni ihn wieder am Arm fest. „Luca, ganz ruhig." Zischte er, und Luca, dessen Augen wild hin und her fuhren, zitterte leicht. Dann richteten sich seine Augen auf Toni, der leicht den Kopf schüttelte. Langsam ließ Luca die Hand sinken und nickte. Dann trat Toni vor und legte seine linke Hand auf die Kiste.
Die Kälte in seinem Magen hatte sich in Feuer verwandelt das durch seine Adern raste. Seine Knie wurden weich und Toni hoffte, dass er sich nicht übergeben würde. Er hatte sich diesen Abend ganz anders vorgestellt, aber wenn es das war, was die Yakuza wollten, damit Frieden herrschte, dann würde er es tun. Und ganz kurz zuckte die Frage durch seinen Kopf, ob sein Vater wohl stolz auf ihn wäre, wenn er hörte, was er heute getan hatte. Aber genauso schnell durchzuckte ihn die Antwort. Auf keinen Fall wäre sein Vater stolz, im Gegenteil. Vermutlich würde er toben und rasen und ihm zur Strafe die ganze Hand abhacken.
Er versuchte sich von dem abzulenken, was gleich kommen würde. Ohne dass er bewusst darüber nachdachte, sah er Henrys Gesicht vor sich. Seine blauen Augen, die Wangenknochen, die Sommersprossen, die man nur bei Sonnenlicht sah und das entwaffnende Lächeln. Augenblicklich beruhigten sich seine wilden Gedanken. Toni war so in seine Gedanken an Henry versunken, dass er die nächsten Worte von Ben Lee fast verpasst hätte.
„Wie überaus mutig von Ihnen, Mr. Garibaldi." Dann hob der Yakuza das Messer. Mit einem lauten Schrei ließ er die Klinge herabsausen. Toni schloss die Augen und hielt den Atem an. Sein ganzer Körper spannte sich an, Schweiß bildete sich unter seinen Achseln und seine Knie wurden weich. Er spürte den Wind als das Messer durch die Luft zischte, dann gab es ein „Tschok", als die Klinge ins Holz der Kiste fuhr.
Aber kein Schmerz durchfuhr ihn. Toni wartete mit angehaltenem Atem, aber als er keinen Schmerz spürte, öffnete er die Augen. Das Messer steckte nur wenige Millimeter neben seiner Hand im Holz. Die Klinge hatte sich tief eingegraben. Seine Hand aber war unverletzt. Verblüfft stieß Toni die Luft aus und sah in die Augen des Yakuza. Der lächelte grimmig.
„Mr. Garibaldi, ich denke, Ihr Vater wäre in der Tat nicht sehr erfreut, wenn ich seinen einzigen Sohn ohne Finger zurückschicke. Aber lassen Sie sich dies eine Warnung sein." Er beugte sich vor, sodass sein Gesicht nur weniger Zentimeter von Tonis entfernt war. „Halten Sie sich von den Yakuza fern, Mr. Garibaldi. Das nächste Mal werden wir nicht so entgegenkommend sein." Damit zog Ben Lee das Messer aus der Holzkiste drehte sich um und rief etwas auf Japanisch. Auf seinen Befehl hin gingen die anderen Männer auf die schwarzen SUVs zu.
Das wars, dachte Toni erleichtert. In ein paar Minuten ist alles vorbei. Er nahm seine Hand von der Holzkiste. Sie zitterte leicht. Die Männer stiegen in die Fahrzeuge, dann fuhr das erste davon. Ben Lee stand an der Tür zur Beifahrerseite des zweiten SUV, doch bevor er einstieg, drehte er sich noch einmal um. „Ach, bevor ich es vergesse", sagte er, griff unter seine Jacke, zog eine Waffe und schoss damit ohne Vorwarnung auf Luca. Es ging so schnell, dass weder Toni noch Luca begriffen, was geschah. Mit einem Jaulen ging Luca zu Boden und griff sich an seine Seite. Blut, hell und rot, sickerte zwischen seinen Händen hervor. Geschockt sah Toni zu dem Yakuza. Der lächelte nur, steckte seine Waffe weg und nickte ihm zu. „Grüßen Sie Ihren Vater von mir, Mr. Garibaldi." Dann öffnete er die Tür, stieg ein und der SUV fuhr davon.
„Luca!" Toni schrie auf und kniete sich neben seinen Freund. Blut breitete sich unter ihm aus, die Lache wurde immer größer.
„Toni, Mann, tut das weh!" presste Luca hervor. Sein Gesicht war aschfahl, Schweiß bildete sich auf seiner Stirn.
„Lass mich sehen", sagte Toni und versuchte, Lucas Hände von der Wunde zu ziehen. Als er die Wunde sah, atmete er tief ein. Da war ein Loch in Lucas Seite, direkt unter den Rippen. Einfach ein Loch, aus dem Blut herausfloss, wie Wasser aus einer Quelle. Für einen Moment wusste er nicht, was er tun sollte und Panik drohte ihn zu übermannen. Luca war angeschossen worden. Luca blutete. Scheiße, Scheiße, Scheiße!
„Toni, ich will nicht sterben, Mann!" Luca hatte seine Hände wieder auf die Wunde gepresst, doch das Blut quoll immer noch zwischen seinen Fingern hervor. Es war so rot, so flüssig und es war so viel...
„Du wirst nicht sterben, Luca." Toni zog sein Jackett aus, dann schlüpfte er aus dem Hemd. Er knüllte es zusammen und presste es auf die Wunde. Luca schrie vor Schmerz und seine Beine zuckten auf dem Betonboden. „Press das Hemd auf die Wunde, Luca, ja? Immer schön pressen."
Dann sprang Toni auf und rannte zu seinem Porsche. Noch im Laufen holte er sein Handy hervor. Er rief die Nummer von Doc Johnson auf. Es klingelte und klingelte. Toni schwang sich hinters Steuer, startete den Motor und fuhr den Porsche in die Lagerhalle, direkt neben Luca. Es klingelte immer noch. Als die Mailbox ansprang legte Toni wütend auf. Dann öffnete er den Kofferraum und holte die Erste Hilfe Box heraus, die er immer dabei hatte. Er kniete sich wieder neben Luca, der noch weißer im Gesicht geworden war. Toni holte Verbandszeug und Mull heraus nahm sein Hemd weg und versuchte, eine provisorische Kompresse anzulegen, genau wie Henry es bei seiner Schnittwunde gemacht hatte. Henry..., dachte Toni. Der wüsste, was ich jetzt tun muss. Doch Henry war nicht da, deshalb presste Toni die Mullbinden noch stärker auf die Wunde. Unter seinen Händen schrie Luca wieder auf und Tränen rannen ihm über die Wangen.
„Komm schon, Luca, das wird wieder. Sieht schlimmer aus als es ist." Toni versuchte, seinen Freund zu beruhigen. Dabei pochte sein Herz heftig gegen seine Rippen und ihm war übel.
„Ach ja? Woher willst du das wissen?" stöhnte Luca durch zusammengepresste Zähne hervor.
„Naja, du bist doch Luca „Lucky" Rossi, oder nicht? Das muss doch was bedeuten", versuchte er zu scherzen. Wurde die Blutung besser oder schlimmer? Toni konnte es nicht sagen und er hatte Angst, seine Hände wegzunehmen, um nachzusehen. Bei seinen Worten schnaufte Luca nur schmerzerfüllt, dann ergriff er Tonis Hand. „Ich will hier nicht sterben, Toni. Nicht so."
„Das wirst du nicht, Luca, ich verspreche es dir." Er sah Luca in die Augen und versuchte, seinen Worten mit seinem Blick Nachdruck zu verleihen. Doch er wusste nicht, ob er die Wahrheit sagte. Da war so viel Blut...Was Toni aber wusste war, dass Luca einen Arzt brauchte und zwar schnell. Daher nahm er Lucas Hand in seine und presste sie auf die Wunde. „Wir stehen jetzt auf, Luca, in Ordnung? Du musst deine Hand auf die Wunde pressen, so fest du kannst."
Luca grunzte nur, anscheinend nicht in der Lage zu sprechen. Aber er presste seine Hand auf die Wunde.
„Gut, ich helfe dir jetzt auf und dann gehen wir zum Auto. Auf drei", sagte Toni, dann schob er seine Arme unter Lucas Schultern, zählte bis drei und hob seinen Freund hoch. Sie brauchten zwei Versuche, bis Luca endlich auf den Beinen stand und selbst dann trug Toni Luca mehr zu seinem Porsche als sie gingen. Doch endlich saß Luca im Auto und Toni raste mit quietschenden Reifen davon. Sobald er im Auto war, versuchte er wieder Doc Johnson anzurufen. Endlich, beim fünften Klingeln, nahm er ab.
„Jaaaa?"
„Anthony Garibaldi. Wir brauchen Sie, machen Sie alles bereit für eine Schusswunde. Wir sind in fünfzehn Minuten da."
„Was?"
„Machen Sie alles bereit, Sie müssen arbeiten!" rief Toni in sein Handy, dann legte er auf und beschleunigte den Wagen.
Luca saß zusammengesunken auf den Beifahrersitz, sein Gesicht grau. „Luca, du musst auf die Wunde pressen, hörst du?"
„Mach ich ja, Mann", murmelte dieser, dann stöhnte er. „Das Blut kriegst du nie mehr aus dem Leder."
„Scheiß auf das Leder!" sagte Toni und bog so schnell um eine Ecke, dass er für einen Moment befürchtete, die Reifen würden von der Straße abheben.
„Du hättest dir für mich wirklich einen Finger abschneiden lassen?" Lucas Stimme war leise und Toni hörte den Schmerz darin. Aber wenigstens war er bei Bewusstsein. Das war gut, oder? Er sah kurz zu seinem Freund, dann wieder auf die Straße. „Du bist mein Freund, Luca. Und du bist nur in diesem Schlamassel gelandet, weil mein Onkel es auf mich abgesehen hat. Also, ja, ich hätte das durchgezogen."
„Idiot", sagte Luca und lachte leise, kurz bevor er vor Schmerz stöhnte. „Ich bin doch nur ein Soldat, Mann."
„Du bist mein Freund, Luca. Freunde sind für einander da."
Es war kurz still und Toni befürchtete schon, dass Luca das Bewusstsein verloren hatte, doch dann sagte dieser: „Danke, Toni."
„Immer doch", erwiderte er, dann griff er hinüber und presste Lucas Hand wieder auf die Wunde. „Und jetzt drück auf die verdammte Wunde, sonst erschieß ich dich selber." Luca lachte lautlos, doch dann schienen der Schmerz und der Blutverlust zu viel zu sein, denn er sackte noch mehr in seinem Sitz zusammen und rührte sich nicht mehr.
„Scheiße!" Toni fluchte laut und gab noch mehr Gas. Der Porsche schoss durch die Straßen und Toni hoffte, dass sie nicht angehalten werden würden. Eine Polizeistreife konnten sie jetzt gar nicht gebrauchen. Als Toni durch New York raste wünschte er, er könnte Luca einfach im nächsten Krankenhaus abliefern. Aber Krankenhäuser mussten Schussverletzungen melden und dann würden noch mehr Cops auftauchen und noch mehr FBI und sein Vater war ganz klar, was dieses Thema betraf. Man ging nicht ins Krankenhaus, sondern zum Arzt der Organisation. Sein Vater war ausgerastet, als Toni seine Schnittverletzung im Krankenhaus hatte behandeln lassen. Wenn er jetzt Luca mit einer Schusswunde ins Krankenhaus bringen würde, nachdem sein Vater den Yakuza im Grunde erlaubt hatte, Luca zu töten...Nein, das ging gar nicht. Auch wenn Luca die Schusswunde überleben würde, würde ihn sein Vater aus dem Weg räumen, nur um ihm eine Lektion zu erteilen. Da half es auch nicht, dass Lucas Vater ein Capo war.
Als Toni endlich das Gebäude erreicht hatte, in dem der Mafia Arzt praktizierte, waren seine Hände schweißnass. „Luca? Luca!" Doch sein Freund reagierte nicht. Toni sprang aus dem Wagen und lief zur Eingangstür der Praxis. Er klingelte Sturm, doch als niemand öffnete, schlug er mit der Faust gegen die Tür. „Doc, aufmachen!"
Nach gefühlt einer Ewigkeit wurde die Tür geöffnet. Dahinter stand der Arzt, doch Toni brauchte nur einen Blick um zu sehen, dass er sturzbetrunken war. Er griff den Arzt bei seinen Schultern und schüttelte ihn. „Johnson, ich habe einen Freund im Auto der angeschossen wurde, Sie müssen ihm helfen."
„Wa-as?" Der Arzt stieß auf und Toni stieß ihn wütend weg. Johnson stolperte gegen die Wand und glitt dann daran herunter. „Bring ihn rein...mach ihn wieder heil..." murmelte er, bevor nochmal rülpste und dann einfach einschlief.
„Verdammt!" grollte Toni und hatte in diesem Moment gar kein Mitleid mehr mit dem alten Arzt, wenn sein Vater ihn beseitigen wollte. Aber das half ihm im Moment auch nicht. Was sollte er jetzt tun? Das Krankenhaus, das war die einzige Lösung. Aber dann könnte er Luca auch genauso gut in seinem Auto verbluten lassen, das wäre vermutlich der angenehmere Tod. Er brauchte einen Arzt, Herrgott nochmal. Vielleicht konnte Juri helfen, die Bratva hatte auch Ärzte in ihren Diensten. Ohne lange zu überlegen holte Toni sein Handy aus der Tasche und rief Juri an. Doch hier sprang nur die Mailbox an. Verdammt!
Was sollte er tun, was? Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und sah sich hektisch um. Luca brauchte Hilfe, jetzt sofort. Und dann kam Toni die einzige Lösung in den Sinn, die nicht damit enden würde, dass Luca starb.
Henry.
Henry war zwar kein Arzt, aber er hatte sein Studium fast abgeschlossen. Er arbeitete im Krankenhaus, er kannte sich aus, zumindest mehr, als Toni oder irgendjemand anders in der Familie. Aber Henry hatte keine Instrumente, kein Material, das hatte er selber gesagt. Aber Doc Johnson hatte alles, was sie brauchten. Ohne lange zu Zögern rannte Toni in die Wohnung und stopfte alles was er an medizinischem Material finden konnte in eine große Tasche, die der Arzt immer mit sich herumschleppte. Dann warf er die Tasche in den Porsche und gab Gas.
Auf dem Weg zu Henry versuchte Toni noch einmal Juri zu erreichen, aber wieder antwortete nur die Mailbox. Wie würde Henry reagieren, wenn er mit Luca vor seiner Tür stand? Was würde er Henry sagen? Eines wusste Toni mit Sicherheit: nach dieser Nacht würde zwischen ihm und Henry alles anders werden.
Auf der Fahrt ertappte sich Toni dabei, wie er immer wieder dieselben Gesten ausführte. Er berührte den Schaltknüppel, dann das Lenkrad, dann das Radio und wieder von Vorne. Seine Zwangsneurose meldete sich zum wirklich unpassendsten Zeitpunkt. Er zwang sich ein paar Mal tief durchzuatmen und dann die Hand am Lenkrad zu lassen. Luca brauchte ihn, er durfte jetzt keine Schwäche zeigen.
Als er Henrys Wohnung erreichte war Luca nicht wieder bei Bewusstsein. Toni überlegte kurz, ob er Luca einfach ins Haus tragen sollte, doch er hatte Angst, seinen Freund fallen zu lassen. Toni war stark, aber nicht so stark. Daher klingelte er Sturm und als der Buzzer ging sprintete er ins Haus, die paar Stockwerke hoch zu Henrys Wohnung und klopfte mehrfach. Wenigstens begegneten ihm auf dem Weg nach oben keine anderen Bewohner. Als Henry die Tür aufmachte schlug er die Hand vor den Mund. Toni wusste nicht, was Henry sah, aber konnte es sich vorstellen. Er trug nur Hose und T-shirt, das von Lucas Blut rot gefleckt war.
„Toni, was ist passiert?" Seine Augen waren groß und er sah an Toni herab, als ob er nicht glauben konnte, was er sah.
„Henry, bitte, kommt mit. Ich brauche deine Hilfe."
„Aber was..."
„Bitte", sagte Toni, griff Henrys Hand und zog ihn in Richtung Treppe. „Henry, komm einfach mit, ich erkläre es dir später."
„Na gut", Henry lief hinter Toni die Treppen hinunter und auf die Straße. Als er Luca im Porsche erblickte, wurde er blass. „Was ist denn passiert?"
„Er wurde angeschossen. Du musst ihm helfen." Toni sah von links nach rechts, aber die Straße war leer. Es waren keine Passanten zu sehen. Henry ging in die Hocke um sich Luca besser ansehen zu können. Als er Lucas Hand von der Wunde zog, stöhnte Luca und blinzelte.
Auch Henry war blass geworden. „Toni, er muss ins Krankenhaus." Henry stand auf und zog sein Handy hervor. Er wollte gerade die 911 wählen, doch Toni nahm ihm das Telefon ab.
„Henry, vertrau mir, bitte. Das geht nicht."
„Aber wieso?" Henrys fuhr sich durch die Haare und deutete auf Luca. „Er blutet stark und die Wunde muss versorgt werden."
„Eben, und deshalb hilfst du mir jetzt, ihn hochzutragen."
„Aber", versuchte Henry es erneut, doch Toni schüttelte den Kopf. „Wir haben keine Zeit!"
Henry sah Luca unschlüssig an, dann nickte er zweifelnd. „Na gut."
Zusammen hievten sie den halb bewusstlosen Luca aus dem Auto und in den Fahrstuhl. In der Wohnung legten sie ihn auf der Couch ab. Luca gab einen kleinen Schmerzenslaut von sich, doch dann war er wieder still. Die schwere Arzttasche ließ Toni auf den Boden fallen. „Henry, du musst mir jetzt zuhören." Toni sah Henry an, dass er geschockt und verwirrt war, und das war kein Wunder. Er trat zu Henry, hielt ihn an den Schultern und sah ihm in die Augen.
„Luca wurde angeschossen und wir können nicht ins Krankenhaus gehen." Henry wollte etwas erwidern, doch Toni unterbrach ihn. „Henry, ich verspreche dir, ich werde dir alles erklären, aber zuerst musst du ihm helfen. Bitte."
Verwirrt sah Henry auf Luca hinab. „Aber, ich kann das nicht, ich hab gar keine Erfahrung mit Schusswunden und auch kein Material."
Toni stieß mit dem Fuß an die Tasche. „Ich habe hier alles was du brauchst. Bitte Henry, bitte, ich schwöre, ich werde dir alles erklären."
Henry sah von Toni zu Luca, dann wieder zurück. Er schien mit sich zu ringen, doch dann traf er eine Entscheidung. „In Ordnung, ich brauche Handtücher, warmes Wasser, jede Menge Licht und zeig mir Mal die Tasche."
Henry besah sich die Wunde und nach ein paar Minuten konnte er Toni beruhigen. Die Kugel war glatt durchgegangen und hatte keine Organe verletzt. Er säuberte die Wunde, desinfizierte sie und nähte sie zusammen. Danach spritzte er Luca ein Antibiotikum und Schmerzmittel. Gegen eine mögliche Infektion durch Reste der Kleidung, die die Kugel in die Wunde gebracht hatte, konnte er im Moment nicht mehr tun. Henry konnte die Menge an Blut, die Luca verloren hatte, nicht einschätzen, aber da sich Toni weigerte, Luca in ein Krankenhaus zu bringen, konnten sie im Moment nicht viel mehr tun als abzuwarten. Als er die Wunde verbunden hatte stand Henry auf und ging ins Badezimmer. Toni folgte ihm. Henry schrubbte sich das Blut ab, dann sah er ihn auf eine Weise an, die Toni nicht an Henry kannte.
„Also? Erklärs mir."
Er ist wütend, dachte Toni, und mit gutem Grund.
„Erklär mir, warum Luca angeschossen wurde und warum du ihn hergebracht hast. Erklär mir, bitte schön, warum ich gerade meine ganze Zukunft aufs Spiel gesetzt habe, indem ich in meinem Wohnzimmer eine verdammte Schusswunde behandelt habe." Als Henry seinen Satz beendete, schrie er fast. Toni wollte gerade antworten, aber Henry war noch nicht fertig. „Hast du eigentlich eine Ahnung, was du gerade von mir verlangt hast? Wusstest du, dass ich hierdurch mein Studium und meine Zulassung als Arzt gefährde? Wenn das hier irgendjemand herausbekommt, kann ich auf meine Zulassung pfeifen. Die würden sie mir nie geben, niemals."
„Henry, ich weiß du bist wütend", versuchte Toni zu beschwichtigen.
„Ja verdammt, ich bin wütend." Henry ging im Schlafzimmer auf und ab, dann zeigte er anklagend auf das Wohnzimmer. „Also, erklär es mir."
Wo sollte er anfangen? Wie viel der Wahrheit sollte er Henry erzählen? Als er nicht wusste, wo er anfangen sollte, deutete Henry auf ihn. „Vielleicht fängst du damit an, warum du deine Waffe trägst. Und Luca eine trägt. Ich meine, ich weiß ja, dass ihr Schusswaffen habt, aber das ist doch nicht im Club passiert, oder? Und wie er angeschossen wurde."
Toni atmete tief durch. „Luca wurde heute angeschossen, weil er ein Auto gestohlen hat, dass er nicht hätte stehlen sollen. Wir haben es zurückgebracht, aber der Eigentümer war nicht sehr glücklich über die Situation."
Henry blieb stehen. „Wieso hat er ein Auto gestohlen? Er fährt einen BMW, du einen Porsche."
„Es war ein Missgeschick", sagte Toni in der Hoffnung, nicht die ganze Wahrheit erzählen zu müssen. Doch Henry war nicht dumm. Er holte tief Luft, wie um sich zu beruhigen.
„Toni, wenn es nur ein Missgeschick gewesen ist, warum wurde dann geschossen? Und warum konntet ihr nicht ins Krankenhaus? Weißt du, wer mit Schusswunden nicht ins Krankenhaus geht? Kriminelle. Ach ja, und es sind auch Kriminelle de Autos klauen." Henry sah Toni an, dann weiteten sich seine Augen. „Deine Waffe, dein Geld, wie du den Mann im Club angegriffen hast. Die ganzen Verletzungen, die du hattest."
„Henry, bitte", sagte Toni und trat einen Schritt näher zu ihm. „Lass es mich erklären."
Henry trat einen Schritt zurück und stieß an das Bett. „Bist du ein Krimineller? Ein Drogenboss oder so?"
„Henry, ich bin kein Drogenboss." Obwohl das vielleicht nicht ganz der Wahrheit entsprach, denn Toni handelte mit Drogen und würde bald einen sehr großen Deal abwickeln. Aber er leitete kein Kartell, was man normalerweise mit Drogenboss meinte. Toni gab sich innerlich eine Ohrfeige, weil er diese Dinge dachte, obwohl er sich auf Henry konzentrieren sollte. Er räusperte sich, dann nahm er langsam seine Waffe und legte sie auf das Bett. Henry sah ihm zu, doch er kam nicht näher.
„Henry, ich bin kein Drogenboss", sagte er noch einmal, dann fuhr er sich übers Kinn und traf eine Entscheidung. Nein, er würde Henry auf keinen Fall die Wahrheit sagen. Auf gar keinen Fall. Also sagte er ihm eine Version der Wahrheit, die Henry verkraften konnte. Das hoffte Toni zumindest.
„Ich leite das Corleone, meine Familie ist reich, deshalb fahre ich den Porsche. Und Luca ist mein Freund und manchmal arbeitet er für mich. Und Luca hat ein Auto gestohlen, ja. Das war dumm von ihm. Aber wir wussten, wem das Auto gehört. Es war eine Art Versehen. Also haben wir vereinbart, dass Luca es heute Abend zurückbringt. Ich habe ihn begleitet. Wir haben das Auto dem Eigentümer zurückgegeben, aber der ist wütend geworden, hat eine Waffe gezogen und auf Luca geschossen." Toni fuhr sich durch die Haare, dann seufzte er. „Wir konnte nicht ins Krankenhaus, weil Luca das Auto gestohlen hat. Die Cops hätten ihn verhaftet."
„Na und?" fragte Henry aufgebracht. „Er hat ein Auto gestohlen."
„Juristisch gesehen eher geliehen, da er es zurückbringen wollte."
„Toni! Verflucht nochmal! Das ist doch Wortklauberei." Henry warf die Arme in die Luft und fuhr sich ebenfalls durchs Haar. „Und dafür setze ich meine Karriere aufs Spiel? Alles wofür ich so hart gearbeitet habe?"
„Es tut mir leid, Henry. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Da war so viel Blut, die ganze Aufregung, und Luca..." Toni ließ den Satz unvollendet, stütze die Hände in die Hüften und ließ den Kopf sinken, als die letzten paar Stunden wieder vor seinen Augen abliefen. Die Yakuza, das Messer, der Schuss, dass ganze Blut...er hatte nicht gewusst, dass Blut so rot war. So hell. Ein Schauder durchlief ihn und er atmete tief ein. Er brauchte gar nicht zu schauspielern, er war einfach fertig mit den Nerven. Er zuckte zusammen, als sich eine kühle Hand auf seine Wange legte.
„Komm, Toni, wasch dich erst mal", sagte Henry und deutete auf das Badezimmer. Toni sah an sich herab. Sein T-Shirt war blutbefleckt, ebenso seine Arme und Hände. Jetzt wo er das Blut ansah, fühlte er, wie es klebte und spannte, wo es bereits getrocknet war. Das T-Shirt klebte an seiner Haut und auf einmal roch er das Blut. Es roch metallisch, wie Kupfermünzen. Er verzog das Gesicht, dann ging er ins Bad und wusch das Blut ab. Sein T-Shirt warf er kurzerhand in den Mülleimer. Als er wieder ins Schlafzimmer kam, hatte Henry ihm bereits ein frisches T-Shirt hingelegt.
Als Toni ins Wohnzimmer trat kontrollierte Henry gerade den Verband. „Alles in Ordnung, es blutet kaum noch", sagte er, dann ging er in die kleine Küchenzeile und machte Kaffee. Toni setzte sich auf den Barhocker an der Theke.
„Sobald Luca wach ist, sind wir hier weg."
„Huhm", machte Henry nur, bevor er unter die Spüle griff und eine Flasche Rum hervorholte. Sobald der Kaffee fertig war, goss er zwei Becher ein und in einen Becher einen guten Schuss Alkohol. „Den kannst du jetzt brauchen", sagte er und nahm einen Schluck von seinen Kaffee. Toni tat es ihm gleich. Der Alkohol beruhigte ihn tatsächlich etwas, obwohl es vermutlich nur der Placeboeffekt war. Aber es tat gut. Obwohl Luca bewusstlos war, sprachen sie leise, als ob sie ihn nicht aufwecken wollten.
„Es tut mir wirklich leid, dass ich dich da mit hineingezogen habe."
Henry zuckte mit den Schultern. „Glaub nicht, dass ich nicht mehr wütend bin. Aber, ich hätte mich ja weigern können. Ich könnte immer noch die Cops rufen. Ich meine, ich erzähle denen dann einfach, dass ich zuerst die Wunde versorgen wollte, bevor ich sie rufe."
Toni hielt den Kaffeebecher mit beiden Händen. „Und wirst du das tun?"
Was sollte er tun, wenn Henry wirklich die Cops rief? Ihn davon abhalten? Ihn bedrohen? Nein, das könnte er nicht und würde er nicht tun. Er würde sich vermutlich Luca schnappen und so schnell wie möglich verschwinden. Dann gäbe es keine Beweise. Doch zu seiner Erleichterung schüttelte Henry den Kopf. „Nein, werde ich nicht. Ich sollte es tun, aber ich werde es nicht tun."
„Warum nicht?"
Henry stieß die Luft aus. „Frag mich was Leichteres. Ich weiß es nicht, es...ach, ich sollte es tun!" Er sah Toni an, dann nahm er noch einen großen Schluck Kaffee. „Nein, ich werde es nicht tun. Aber Toni, das ist doch nicht normal, dass einfach auf euch geschossen wird. Wegen einem Auto, das ihr zurückbringen wolltet."
„Nein, ganz sicher nicht." Toni fuhr sich mit der Hand übers Kinn, dann seufzte er. „Ich weiß ja auch nicht, wieso das so schiefgelaufen ist."
Henry trat an die andere Seite der Küchentheke und stellte seinen Becher auf die Theke. „Vielleicht solltet ihr doch die Cops rufen, Anzeige erstatten. Der Autodiebstahl wiegt doch nicht gegen versuchten Mord auf."
Doch Toni schüttelte den Kopf. Er hatte sich schon eine weitere Lüge zurechtgelegt. „Das geht nicht. Luca hat Vorstrafen. Wenn er den Autodiebstahl gesteht, wandert er in den Knast."
Henry seufzte tief, dann sah er einen Moment an die Decke. „Habt ihr zurückgeschossen? Du trägst deine Waffe, und Luca trägt auch eine, ich hab sie gesehen. Mache ich mich gerade der Beihilfe zu.....was weiß ich schuldig?"
Toni legte seine Hand auf Henrys und schüttelte abermals den Kopf. „Nein, Henry, das verspreche ich dir. Es ging alles so schnell, Luca und ich hatten unsere Waffen nicht einmal gezogen. Die hatten wir nur für alle Fälle dabei." Er stieß ein abgehaktes Lachen aus. „Hat uns ja nicht viel gebracht."
„Es hätte auch schlimmer ausgehen können", sagte Henry. „Zumindest lebt ihr noch und Luca wird wieder gesund. In ein paar Tagen ist er wieder ganz der Alte."
Der Tag war anstrengend gewesen und Toni merkte, wie das Adrenalin der vergangenen Stunden ihn verließ. Er rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. Ihm war kalt. „Ja, vermutlich hast du Recht."
„Klar hab ich Recht", erwiderte Henry und dann merkte Toni, wie Henry seine Hand ergriff. „Komm, lass uns schlafen gehen. Heute können wir nichts mehr machen." Müde und von den Ereignissen des Tages traumatisiert ließ sich Toni von Henry ins Schlafzimmer führen. Sie legten sich angezogen wie sie waren aufs Bett und Toni hatte kaum die Augen geschlossen, als er auch schon tief und fest schlief.
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Anmerkung: Owww, armer Luca! Zum Glück war Henry da, um zu helfen. Oh Mann....
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