Kapitel 13
Kapitel 13
Zwei Tage später traf sich Toni mit dem Mittelsmann der Kolumbianer in einem Hotel. Ihr Treffen verlief wie geplant, sie besprachen noch einige der Details des Deals, dann gingen sie wieder ihrer Wege. Der Austausch würde in der Woche von Weihnachten stattfinden, zumindest wenn alles lief wie geplant. Das Schiff „Corazon" würde zwei Tage vor Heiligabend im Hafen einlaufen. Dann würde zuerst die reguläre Ware gelöscht werden. Die besondere, versteckte Fracht würde dann kurz vor Heiligabend von den Kolumbianern vom Schiff gebracht werden, wenn die meisten Hafenarbeiter zu Hause bei ihren Familien waren. Am nächsten Abend könnte dann der Austausch stattfinden. Als Treffpunkt vereinbarten sie ein Lagerhaus am Hafen.
Zufrieden, dass alles geklärt war, arbeitete Toni wie gewohnt in seinem Club. Er hatte Luca noch zwei Aufträge verschaffen können, was diesem besonders gute Laune machte. Toni und Luca saßen zum Mittagessen im leeren Club, um diese Aufträge zu besprechen, eine große Pizza vor sich auf dem Bartresen, als Toni eine Nachricht von Henry bekam.
„Morgen? Selbe Zeit, selber Ort?" Dahinter ein Bild von einer dampfenden Kaffeetasse. Toni lächelte und bestätigte.
„Wer schreibt dir da eigentlich die ganze Zeit?" Luca wischte sich die Finger an einer Servierte ab und versuchte auf Tonis Handy zu schielen. Doch der steckte es schnell in seine Hosentasche.
„Niemand", sagte er nur, nicht gewillt, dieses Gespräch zu führen.
Doch so schnell ließ sich Luca nicht abwimmeln. „Komm schon Mann, seit Wochen kriegst du ständig Nachrichten, aber zu willst mir nicht sagen von wem. Außerdem hast du immer gute Laune, wenn du welche bekommst, und bist nicht dein übliches, grummeliges Selbst. Du lächelst dann richtig, das ist ziemlich beängstigen. So kenne ich dich gar nicht." Luca wackelte mit den Augenbrauen, eine Fähigkeit, auf die er sehr stolz war. „Sag schon, wie heißt sie?"
„Wie heißt wer?" Versuchte Toni abzulenken. Er nahm einen Stift und tat so, als würde er konzentriert etwas in den Unterlagen die vor ihm lagen lesen.
„Mann Toni, na die Frau, mit der du ständig schreibst." Luca grinste anzüglich und schnappte sich noch ein Stück Pizza. „Und jetzt sag mir nicht, dass du nicht verknallt bist, denn so was seh ich sofort. Ist es die Rothaarige von Neulich, als Juri hier war?"
Konnte man es ihm tatsächlich ansehen? fragte sich Toni beunruhigt. Das war nicht gut. Auf der anderen Seite kannte er Luca schon seit Kindertagen und Luca kannte ihn besser, als jeder andere Mensch. Für einen kurzen, winzigen Moment überlegte Toni, Luca einfach die Wahrheit zu sagen. Doch er unterdrückte den Impuls genauso schnell, wie er gekommen war. Auch Luca durfte nie die Wahrheit erfahren. Aber vielleicht wäre es wirklich einfacher, wenn er Luca eine Lüge auftischen würde. Dann müsste er nicht ständig Ausreden erfinden, wo er hinging und warum er nicht auf Nachrichten reagierte. In den letzten Wochen war Luca mehr als einmal sauer auf ihn gewesen, weil er ihn ignoriert hatte, wenn er mit Henry zusammen war. Daher holte Toni tief Luft und log – vielleicht zum ersten Mal überhaupt – seinen besten Freund an. Naja, mit Ausnahme von der großen Lüge seines Lebens.
„Na gut, du hast recht."
„Hab ich doch gewusst, Mann." Luca grinste über das ganze Gesicht und klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. „Wurde ja auch Zeit. Wie heißt sie?"
„Leonora", log Toni und sagte den ersten Namen der ihm einfiel.
„So, eine Leonora", sagte Luca, während er hinter die Bar schlüpfte und zwei Schnapsgläser auf den Tresen stellte. „Darauf trinken wir." Er goss ihnen ein und prostete Toni zu. „Auf Leonora, die Frau, die endlich das Herz von dir erobert hat." Sie tranken, dann stützte Luca die Hände auf den Tresen. „Und wie sieht sie aus? Ist es die Rothaarige? Hast du ein Foto?"
Doch Toni, dem diese Lüge schon jetzt keine gute Idee mehr schien, schüttelte den Kopf. „Kommt gar nicht in Frage, Luca. Und nein, es ist nicht die Rothaarige."
„Hast wohl Angst, dass ich sie dir ausspanne, was?"
Toni schüttelte genervt den Kopf, doch dann sah er seinen Freund eindringlich an. „Das bleibt unser Geheimnis, Luca, verstanden? Das ist für uns Omerta. Niemand darf hiervon erfahren." Er deutete mit seinem Zeigefinger von ihm zu Luca und zurück.
Verwirrt sah Luca ihn an. „Warum denn nicht? Es wird doch mal Zeit, dass du dich in eine verguckst."
„Nein, das ist top secret, Luca, versprich mir das."
„Ist sie verheiratet oder was?" Luca konnte sich wohl nicht vorstellen, weshalb Toni diese Frau geheim halten wollte. Eine der Regeln der Cosa Nostra besagte, dass die Frauen von anderen Mitgliedern tabu waren. Anscheinend dachte er in diese Richtung, obwohl es keine Frau mit dem Namen Leonora in der Familie gab. Da diese Erklärung Toni genauso gut wie eine andere erschien, nickte er. „So was in der Art."
Grinsend klopfte Luca ihm nochmal anerkennend auf die Schulter. „Mann, hätte ich dir gar nicht zugetraut. Respekt." Dann goss er ihnen noch einen Schnaps ein und sie tranken. Als Toni eine Weile später alleine in seinem Büro saß und nur zur Sicherheit Henrys Kontaktnamen in seinem Handy in „Leonora" änderte, dachte er einmal mehr, wie viel einfacher doch alles wäre, wenn er nicht Anthony Garibaldi wäre.
Die ganze nächste Woche waren sowohl Toni als auch Henry sehr beschäftigt, weswegen sie sich nur einmal kurz am Kaffeestand treffen konnten. Trotz der ganzen Arbeit und allen Vorbereitungen für den Deal dachte Toni fast ununterbrochen an Henry. An seine blauen Augen, das charmante Lächeln, seine starken Arme die ihn umfingen, als wollte Henry ihn vor allem Übel der Welt beschützen. Auf ihrem Motorradausflug hatten sie viel miteinander geredet und Toni hatte sich in Henrys Witz, seine Klugheit und seinen Ehrgeiz verliebt. Eines Tages würde Henry ein hervorragender Arzt werden, mit einem offenen Ohr für seine Patienten und deren Probleme.
Er lächelte, als er daran dachte, wie begeistert Henry ihm erzählt hatte, dass er in seiner letzten Schicht im Krankenhaus bei einer Reanimation helfen durfte. Normalerweise durften Aushilfen das nicht, aber es war niemand sonst da gewesen der hätte helfen können und der Arzt hatte ihn helfen lassen. Was viele Leute nicht wussten war, dass eine Reanimation nur sehr selten erfolgreich war. Im Fernsehen sah es so aus, als ob die meisten Patienten die wiederbelebt wurden, es auch schafften. Aber die Realität sah anders aus. Umso begeisterter war Henry gewesen, als sie den Patienten tatsächlich ins Leben zurückholen konnten. Er hatte überlebt und Henry hatte dabei geholfen. Henry hatte richtig gestrahlt, als er das erzählt hatte. Ja, dachte Toni, Henry war ein guter Mensch und würde ein sehr guter Arzt werden.
Und oh Gott, wie er Henry vermisste. Für sein Gefühl hatten sie sich schon seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen, auch wenn es in Wahrheit nur wenige Tage waren. Toni scrollte durch seinen Terminkalender. Seine Laune wurde immer schlechter als er sah, dass es kaum Tage oder Abende gab, an denen er frei hatte. Bis auf...Toni überlegte kurz, ob es eine gute Idee war, dann warf er alle Vorsicht in den Wind. Er wollte Henry sehen, so einfach war das. Also schickte er Henry eine Nachricht und lud ihn zu der Party ein, die er am nächsten Tag im Corleone schmeißen würde.
Es war eine der größten Partys des Monats, nämlich die „Halloween is over" Party. Kurz nach Halloween wollte niemand mehr schwarzen Lakritzlikör oder grüne Barcadi Breezers bestellen. Also schmiss Toni jedes Jahr eine Woche nach Halloween eine Party, bei der es alle von Halloween übrig gebliebenen Getränke umsonst gab, sofern man die Eintrittsgebühr zahlte. Die Party war vor allem unter Studenten sehr angesagt. Für dieses Jahr hatte Toni einige Tänzerinnen engagiert, die in sexy Hexen Kostümen auf dem Bartresen tanzen würden. Es würde voll werden, so richtig voll. Was würde es da schon machen, wenn Henry dabei war? Für Luca, der sich diese Party nie entgehen ließ, würde Toni sich eben eine Geschichte ausdenken, so einfach war das.
Einfach, dachte Toni und schüttelte über sich selber den Kopf. Seit wann war irgendetwas in seinem Leben einfach? Und seit wann traf er solche potentiell gefährlichen Entscheidungen? Seit du dich in Henry verliebt hast, sagte eine kleine Stimme in seinem Kopf, und Toni musste ihr recht geben. Seit Henry fühlte sich die Welt weniger gefährlich an, weniger darauf aus, ihn zu erdrücken. Das war sie aber nicht. Daher schickte er noch eine Nachricht und fragte Henry, ob er nicht Leonora mitbringen wolle. Auf die Weise wäre Henry mit einer Frau im Club, und es wäre weniger offensichtlich, dass er nicht hetero war. Kurze Zeit später schickte Henry eine Nachricht, dass er und Leonora sehr gerne zur Party kommen würden. Damit war die Sache beschlossen.
Schon früh am nächsten Abend hatte sich eine lange Schlange vor dem Eingang des Corleone gebildet. Auf der Tanzfläche ging es hoch her und alle Tische waren schnell besetzt. Die Leute feierten, tranken und hatten eine gute Zeit. Die Hexen, die Toni engagiert hatten, taten mit lila und schwarz gestreiften Strumpfhosen, kurzen Kleidern und sexy Make Up für ihr übriges. Toni hatte einen seiner Türsteher dazu abkommandiert, die Hexen vor zudringlichen Männern zu schützen, aber bisher benahmen sich alle.
Gegen elf erschienen Henry und Leonora im Club und Leonora staunte nicht schlecht. Natürlich war Henry schon einmal im Corleone gewesen, aber damals war es bei weitem nicht so voll oder so ausgelassen zugegangen. Toni begrüßte sie, dann führte er sie auf die Galerie, wo er einen Tisch reserviert hatte. Henry hatte sich wieder schick gemacht, mit engen Hosen und einem taillierten Hemd. Toni konnte seine Augen kaum von ihm lösen. Sie setzten sich, bestellten Getränke und schauten dann dem Treiben zu.
„Wow, das ist ja richtig voll hier", sagte Leonora und ließ ihren Blick über die Tanzfläche schweifen. Sie nahm einen Schluck von ihrem Cocktail und zog begeistert die Augenbrauen hoch. „Richtig lecker."
Toni schlug die Beine übereinander und prostete ihr mit seinem eigenen Drink zu. „Danke, ich werde es an das Barpersonal weitergeben."
Die Musik die aus den Lautsprechern dröhnte machte es schwer sich zu unterhalten, aber das schien Leonora nicht davon abzuhalten. „Ich war noch nie in so einem Nachtclub. Ist ja der Wahnsinn! Ich dachte immer da wird nur Techno oder so gespielt und fette Beats und dass da nur creepy guys rumhängen." Sie richtete sich auf und folgte mit den Augen einem großen schwarzhaarigen Mann der gerade an ihnen vorbeilief. Dann warf sie Henry einen Seitenblick zu und zog spielerisch an ihrem Strohhalm. „Wär der nicht was für dich?"
„Was?" Henry sah dem Mann hinterher, doch er zuckte nur die Schultern. „Hetero."
„Woher willst du das wissen?" Leonora lachte und boxte ihm spielerisch in die Seite. „Das kannst du gar nicht wissen."
„Hey", sagte Henry und schubste Leonora ebenso spielerisch von sich weg. „Doch das weiß ich, mein Gay-Radar hat nicht einen Millimeter ausgeschlagen."
„Spinner, so was gibt's nicht!"
„Woher willst du das denn wissen?" Henry lachte und legte seinen Arm um Leo. Doch diese wollte sich nicht geschlagen geben und piekte Henry mit dem Finger auf die Brust.
„Okay du Schlaumeier. Beweis es." Sie sah sich im Club um und deutete dann auf einen jungen Mann ein paar Tische weiter. „Der da."
Henry sah hinüber. „Der da was?"
Leo sah Henry an, als ob er ein Kleinkind wäre, dass nicht verstanden hatte das Eins plus Eins Zwei war. „Der da", sagte sie und deutete auf den anderen Tisch. „Hetero oder schwul?"
„Toni, hilf mir", sagte Henry, rollte die Augen und sah Toni hilfesuchend an.
Für einen kurzen Moment befürchtete Toni, dass Henry vergessen hatte, dass er offiziell hetero war, aber dann zwinkerte ihm Henry verschwörerisch zu, so dass Leo es nicht sehen konnte. Na gut, dachte Toni. Er drehte sich um und sah zu dem Tisch. Dann sah er Leo an und sagte trocken: „Hetero. Die blonde Dame zu seiner Linken hat ihre Hand in seinem Schritt."
„Was? No way!" Leo lachte auf, sah hinüber und würde dann rot. „Okay, na gut." Sie schlürfte an ihrem Cocktail und deutete dann auf einen anderen Mann. „Und der da?"
„Leo..." sagte Henry und legte den Kopf in den Nacken. „Bitte, ich nehme es zurück, es gibt kein Gaydar."
„Hab ich ja gesagt", erwiderte Leo zuckersüß und gab Henry einen Schmatzer auf die Wange. Dann wischte sie mit dem Daumen ihren Lippenstift von seiner Wange.
„Du kleine Hexe du...." lachte Henry und fing an, Leo zu kitzeln.
„Hen-ry!" lachte Leo und schlug nach ihm.
Toni beobachtete amüsiert wie sich Leo und Henry kabbelten. Sie waren fast wie Geschwister, dachte er und hob schnell seinen Drink vom Tisch als Leo so herzhaft lachte, dass sie mit den Beinen an die Tischplatte stieß und ihn zum wackeln brachte. Erst als Leo unter Japsen zugestand, dass Henry doch einen sechsten Sinn dafür hatte, ob jemand hetero war oder nicht, ließ er von ihr ab.
„Henry Moore, du Scheusal", sagte sie immer noch kichernd, dann lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter. Mittlerweile war es auf der Tanzfläche noch voller geworden. Als der DJ „Time Warp" anstimmte konnte Leonora nicht mehr stillsitzen. Sie ergriff Henrys Hand und zog ihn auf die Tanzfläche, was dieser gutmütig über sich ergehen ließ. Während Henry und Leonora tanzten, trat Luca an den Tisch und ließ sich ins weiche Leder der Sitzbank fallen.
„Den kenn ich doch, oder? Ist das nicht dieser Medizinstudent?" Luca roch nach einer ganzen Parfümerie und er hatte ein frisches Hemd angezogen, auf dem kleine Gitarren aufgedruckt waren. Anscheinend hatte er heute noch viel vor.
„Ja", sagte Toni kurz angebunden. Warum hätte Luca nicht noch ein wenig feiern können, bevor er vorbeischaute?
„Ich dachte, der ist tabu?" fragte Luca neugierig. Toni seufzte innerlich und war froh, dass er Henry vorgeschlagen hatte, auch Leonora einzuladen. Allerdings bereute er es jetzt zutiefst, dass er Luca gesagt hatte, seine imaginäre Freundin hieße ebenfalls Leonora. Das konnte ja nur schief gehen. An Luca gewandt sagte er: „War er auch, aber ich habe noch mal darüber nachgedacht, was du über Doc Johnson gesagt hast."
„Ach, ehrlich?" Luca grinste. „Der alte Mann geht also in Rente?"
„Vielleicht", sagte Toni und nahm einen Schluck von seinem Orangenlikör, dann verzog er das Gesicht. Das Zeug war widerlich. Als er sah, dass Luca noch mehr Informationen erwartete, erzählte er die Geschichte, die er sich vorher zurechtgelegt hatte. „Eigentlich wollte ich Henry, also den Medizinstudenten, dazu benutzen, einen Zugang zum Krankenhaus zu bekommen. Du weißt schon, wenn man einmal Medikamente oder Rezeptblöcke braucht. Aber er ist Medizinstudent, vielleicht ergibt sich die Möglichkeit, ihn irgendwann, wenn er mit der Ausbildung fertig ist, zu rekrutieren." Toni sagte dies zwar, doch in seinem Kopf dachte er nur: Nein, nein, nein, das würde niemals passieren. Nur über seine Leiche.
„Nicht schlecht", sagte Luca und sah hinunter auf die Tanzfläche, auf der Henry und Leonora zu „Monster Mash" tanzten. „Je früher man ihre Schwächen kennt, desto besser." Toni nickte nur, abgestoßen von dem Gedanken, dass dies in der Tat eine bewährte Masche der Mafia war. Je früher man die Schwächen und Leichen im Keller kannte, desto einfacher war es später, diese auszunutzen. Aber der Gedanke, so bei Henry vorzugehen, drehte ihm den Magen um. Was unterscheidet Henry denn von all den anderen, bei denen die Mafia so vorgeht, bei denen du so vorgehen würdest? sagte eine Stimme in Henrys Kopf. Er nahm noch einen Schluck. Heute war nicht der Tag, um über solche Dinge nachzudenken.
Er und Luca unterhielten sich noch eine Weile, wobei Toni Henry und Leonora unauffällig im Blick behielt. Als sich Luca verabschiedete, um sich ins Getümmel zu stürzen, atmete Toni erleichtert auf. Vielleicht, dachte er, würde es doch noch ein toller Abend werden. Und damit sollte er Recht behalten. Henry und Leonora amüsierten sich prächtig, sie tanzten, tranken und lachten viel miteinander. Toni tanzte ebenfalls mit Leonora, dann wollten ihn die Hexen auf den Bartresen zwingen, um mit ihnen zu tanzen, aber er weigerte sich vehement. Es gehörte sich nicht für den Sohn des Don, in einem Nachtclub auf dem Tresen zu tanzen. Als er, rot im Gesicht, wieder auf die Galerie kam, lachte Henry ausgelassen über ihn. „Du hättest dein Gesicht sehen sollen", sagte er und lachte erneut. „Als ob du auf den Scheiterhaufen gezogen werden würdest."
„Ja ja, lach du nur", sagte Toni pikiert, dann ließ er sich in das Leder fallen und griff nach einem Glas, das aussah wie Scotch. War es nicht, und Toni zog eine Grimasse. Er saß weit genug von Henry entfernt, dass sie sich nicht berührten, aber unter dem Tisch streckte er seine langen Beine aus, bis sein Fuß an Henrys stieß. Er zwinkerte, stieß noch einmal gegen Henrys Fuß und Henry prostete ihm zu. Toni ließ seinen Fuß, wo er war und Henry zog sein Bein nicht zurück. Es war fast wie Händchenhalten, nur privater.
„Wo ist Leo?" fragte Toni und sah sich um.
„Damentoilette", erwiderte Henry. Durch das Tanzen waren seine blonden Haare durcheinandergeraten, sie standen an der Seite ab. Toni dachte wie gerne er seine Finger durch den blonden Schopf gleiten lassen würde. Im schummrigen Licht des Clubs rückte er ein wenig näher an Henry heran. „Hast du einen schönen Abend?"
Henry sah ihn an und schenkte ihm ein Lächeln. „Ja, und wie. Es ist toll hier und Leo hat ihren Spaß." Er rückte ebenfalls ein ganz kleines Stück näher. Unter ihnen tanzte die Menge ausgelassen, auf dem Bartresen schwangen die Hexen die Beine in die Luft aber Toni hatte nur Augen für Henry. „Ich bin froh, dass du hier bist."
„Ja, das bin ich auch", sagte Henry und streckte unter dem Tisch seine Hand aus und drückte kurz Tonis. Toni verschränkte ihre Finger und ließ seinen Daumen über Henrys Handrücken kreisen. Es war dunkel im Club und nur das Licht von der Bühne und ein paar Deckenstrahler erleuchteten die Galerie. „Ich wünschte ich könnte dich jetzt küssen", sagte Henry leise und legte den Kopf schief.
„Das geht nicht", Toni schüttelte bedauernd den Kopf. „Luca ist hier, du weißt schon, mit der gebrochenen Nase. Und das Personal..." Er sprach den Satz nicht zu Ende, doch Henry verstand ihn auch so.
„Ich weiß, ich weiß", sagte Henry und ließ die Schultern sacken. „Es ist kompliziert."
„Bereust du es jetzt, dass du dich auf mich eingelassen hast?" Die Worte fielen von Tonis Lippen bevor er sich stoppen konnte.
Henry drückte unter dem Tisch seine Finger und sah ihm in die Augen. „Nein, keine Sekunde. Ich mag alles an dir, Toni, und ich kann warten."
„Und wenn ich nie soweit bin, dass ich in der Öffentlichkeit Zuneigung zu dir zeigen kann?" sagte er so leise, dass er sich fragte ob Henry es über die Musik überhaupt hören konnte.
„Dann eben nicht", erwiderte Henry und zuckte mit den Schultern. „So lange das nichts daran ändert, was du für mich empfindest."
Toni fühlte sein Herz heftig in seiner Brust pochen. Henry schien seine Worte ernst zu meinen, aber Toni fragte sich, ob er in ein paar Monaten oder sogar Jahren auch noch so denken würde. Er wollte gerade etwas erwidern, als er aus dem Augenwinkel etwas sah, was seine Laune schlagartig verschlechterte.
Am Nebentisch saß ein Mann über den Tisch gebeugt. In der Hand hielt er einen aufgerollten Geldschein und auf dem Tisch konnte Toni ein weißes Pulver sehen. Ärger stieg in ihm auf. In seinem Club nahm niemand so öffentlich Drogen und schon gar kein Kokain! Konnte der Mann nicht wie alle anderen auch einfach auf die Toilette verschwinden, wenn er eine Linie ziehen wollte? Wenn es eine Razzia geben oder jemand Fotos davon ins Netz stellen würde, hätte er sofort die Polizei im Haus. Und wenn sein Vater davon erfahren würde, würde es mächtig Ärger geben. Denn wenn man die Polizei erst einmal im Haus hatte, wurde man sie nur schwer wieder los. Alles was sie brauchte war ein Vorwand, um dann alles durchsuchen zu können. Dann würden sie schon etwas finden und wenn es nichts zu finden gab, würde sie dafür sorgen, dass man etwas fand. Er konnte nicht zulassen, dass dieser Mann vor seinen Augen – in seinem Club – harte Drogen konsumierte. Toni stand auf und trat an den Nachbartisch. Ohne ein Wort zu sagen wischte er die Drogen vom Tisch.
„Hey!" rief der Mann und sah wütend zu Toni auf. Er war groß und grobschlächtig, vermutlich ein Gelegenheits-Kokser. Tattoos zierten seinen Oberarm und lugten unter seinem schwarzen T-Shirt hervor.
„In meinem Club werden keine Drogen genommen. Wenn du konsumieren willst, geht raus auf die Straße", sagte Toni streng und wollte sich schon wieder abwenden. Aber er hatte nicht mit der Wut des Mannes gerechnet.
Der sprang vom Tisch auf, griff nach Tonis Jackettaufschlägen und stieß ihn mit dem Rücken gegen die Balustrade der Galerie.
„So nicht, Bürschchen, das war Koks im Wert von ein paar hundert Mäusen. Das zahlst du mir zurück!"
Toni spürte das Geländer schmerzhaft in seinem Rücken. Doch das verstärkte seinen eigenen Ärger nur noch. In einer fließenden Bewegung packte er das rechte Handgelenk des Mannes, drehte es so, dass der Mann ihn loslassen musste, riss den Arm nach links, verdrehte ihn auf dem Rücken des Mannes und presste ihn mit dem Gesicht voran auf den Tisch. Er harkte seinen Fuß hinter den des Mannes, wodurch dieser aus dem Gleichgewicht geriet und es für ihn unmöglich war, sich aufzurichten. Toni hörte einen spitzen Schrei und sah erst jetzt, dass eine junge Frau mit am Tisch gesessen hatte. Sie starrte Toni aus großen, drogenvernebelten Augen an. Na prima, dachte er.
Der Mann schrie ihm Obszönitäten zu, doch Toni verstärkte nur seinen Griff. Dann lehnte er sich hinunter, bis sein Gesicht nur weniger Zentimeter von dem des Mannes entfernt war.
„Das hier ist mein Nachtclub. Meine Regeln. Hier wird nicht gekokst. Wenn ich dich noch einmal hier drin sehe, werde ich mehr tun, als dir nur Hausverbot zu erteilen." Seine Stimme war eisig, befehlsgewohnt.
Der Türsteher der neben der Bar stand um die tanzenden Hexen zu schützen, hatte den Tumult auf der Galerie bemerkt. Als er Tonis Blick auffing, kam er auf sie zu, packte ohne ein Wort den Mann kräftig am Arm und bugsierte den sich heftig wehrenden Mann aus dem Club. Die Frau folgte ihnen schwankend.
Toni holte tief Luft, strich sich sein Jackett glatt und kam wieder an den Tisch zurück. Henry sah ihn mit großen Augen an. „Was war das denn?"
Toni setzte sich. Er konnte sehen, dass Henry von den Ereignissen schockiert war. Vielleicht hätte ich es einfach gut sein lassen sollen, dachte er. Henry hätte das nicht sehen müssen. An Henry gewandt sagte er: „Es geht nicht, dass in meinem Club öffentlich Drogen genommen werden. Da muss ich einschreiten."
„Aber du musstest ihm nicht gleich den Arm brechen", sagte Henry und schüttelte den Kopf. „Du hast ihm ja fast die Schulter ausgerenkt."
„Er hat mich angegriffen, Henry", sagte Toni und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „In einer solchen Situation hat man nur zwei Möglichkeiten. Flucht oder Kampf. Und ich habe mich für den Kampf entschieden." Henry schien nicht überzeugt, denn er blickte skeptisch. Toni lenkte ein und sagte: „Henry, so etwas passiert hier ständig. Die Security kann nicht überall sein. Wenn eine Situation zu gefährlich aussieht, greife ich nicht ein, aber dieser Typ war keine Gefahr."
Noch immer skeptisch rutsche Henry unruhig auf seinem Sitz hin und her. „Hast du deswegen deine Waffe? Passiert so was oft?"
„Ja, genau aus diesem Grund. Aber jetzt liegt sie im Büro." Er rückte ein Stück näher zu Henry und senkte die Stimme. „Das hier ist eine Ausnahme, Henry. So etwas passiert nicht oft. Aber heute sind die Getränke frei, da kann so was vorkommen."
„Und ich dachte, Clubbesitzer zu sein wäre einfach nur wie einen Laden zu haben. Mit Bestellungen und Buchhaltung und so. Ich dachte du übertreibst."
Tief durchatmend griff Toni über den Tisch und drückte kurz Henrys Schulter. Es war ihm in dem Moment egal, wer ihn sah. „Es ist eine Ausnahme. Alles gut?"
Henry zuckte mit einer Schulter, dann nickte er. „Ja, alles gut. Ich war nur überrascht."
„Das verstehe ich", sagte Toni, zog seine Hand zurück.
Henry presste die Lippen aufeinander. „So habe ich dich noch nie gesehen, Toni. So....kalt. Du warst fast ein anderer Mann. Jemanden, den ich nicht wiedererkannt habe."
Toni seufzte leise. Da hatte Henry vermutlich recht. Wenn er mit Henry zusammen war, dann war er ein anderer Mensch. Dann legte er die Rolle des Mafioso ab und wurde einfach nur Toni. Zumindest fühlte es sich für ihn so an. Aber das konnte er Henry nicht sagen. „Es tut mir leid, Henry, aber als ich die Drogen gesehen habe, sind mir einfach die Sicherungen durchgebrannt."
„Okay", sagte Henry nur und nickte. Toni winkte der Kellnerin. Er brauchte nun etwas Stärkeres als Orangenlikör. Wenige Minuten später kam Leonora zurück an den Tisch und weder Toni noch Henry erwähnten den Vorfall. Leonora, angetrunken und in Feierlaune, zog Henry wieder auf die Tanzfläche. Als Henry an den Tisch zurückkam, außer Atem und mit roten Wangen vom Tanzen, schien auch er den Vorfall ad acta gelegt zu haben. Sie redeten, scherzten und tanzten bis in die frühen Morgenstunden abwechselnd mit Leonora. Als sich der Club langsam leerte, setzten sie Leonora in ein Taxi nach Hause. Da sie in Brooklyn wohnte, konnten sie und Henry sich kein Taxi teilen, daher bot Toni an, Henry nach Hause zu fahren. Henry nahm das Angebot dankend an.
Sie verließen den Club durch die Hintertür. Toni hatte seinen Porsche wie üblich in der Gasse hinter dem Corleone geparkt. Kalte Luft schlug ihnen entgegen, gemischt mit dem Geruch nach Zigaretten und Bier. Toni hatte gerade seinen Schlüssel aus der Tasche gezogen, als ihn ein Geräusch den Kopf heben ließ. Eine leere Flasche rollte über den Boden.
„Hey Arschloch!" rief eine bedrohliche Stimme aus der Dunkelheit.
Toni wandte den Kopf, doch im diffusen Licht der Gasse konnte er wenig erkennen. Was er erkannte, war eine große Gestalt die auf ihn zukam.
„Henry, geh wieder rein", sagte Toni ruhig, dann trat er einen Schritt vor. Er war noch nie vor einer Konfrontation davongelaufen und würde es auch jetzt nicht tun.
„Was? Nein, wieso?" Henry, noch immer aufgeputscht von der Musik, sah Toni fragend an. Er schien den Schatten, der auf sie zukam, noch nicht bemerkt zu haben.
„Hey, ich rede mit dir, Bürschchen!" Die bedrohliche Stimme kam näher. Und dann sah Toni den Mann, der gesprochen hatte. Es war derselbe grobschlächtige Mann, der in seinem Club eine Linie Kokain schnupfen wollte und den Toni hinausgeworfen hatte. In der Hand hielt der Mann eine Bierflasche.
„Der Club ist geschlossen", sagte Toni und breitete die Arme aus. „Geh nach Hause."
„Ich geh nach Hause wenn ich das will", grunzte der Mann und kam näher. „Und von so einem Bürschchen wie dir lass ich mir schon gar nichts sagen." Der Mann trank von seinem Bier und hob den Zeigefinger in Tonis Richtung. „Ich werd dir jetzt mal zeigen, was ich mit Typen wie dir mache." Er schlug die Bierflasche gegen einen Müllcontainer. Sie zerbrach mit einem lauten Klirren und der Mann hielt nur noch den Flaschenhals mit schrecklich scharfen Glassplittern in der Hand.
Toni trat weiter in die Gasse, weg von seinem Porsche, damit er mehr Bewegungsfreiheit hatte. „Henry, geh rein." Doch Henry starrte nur den Mann mit der abgesplitterten Bierflasche an, offensichtlich unfähig, sich zu bewegen. Mist, dachte Toni. Er kannte Männer wie diesen rohen Kerl, der jetzt auf ihn zukam. Sie wollten Ärger und ließen es erst gut sein, wenn einer von ihnen am Boden lag. Er versuchte, die Situation zu entschärfen.
„Komm schon, Mann. Lass uns das wie Gentlemen regeln."
Doch der Mann grunzte nur...und griff dann an. Er schwang die zerbrochene Bierflasche wie ein Messer vor sich. Der Schlag war ungenau und grob und Toni sprang aus dem Weg. Automatisch griff er an seinen Hosenbund, doch als seine Finger ins Leere griffen, stieß er einen Fluch aus. Seine Waffe lag in seinem Büro. Er hatte sie abgenommen, als Henry in den Club gekommen war. Er sah sich nach etwas um, was er als Waffe benutzen konnte, doch es gab nichts. Wütend griff ihn der Mann wieder an. Er schwang die Bierflasche, Toni sprang wieder zurück, und diesmal versuchte er, ihm die Bierflasche aus der Hand zu schlagen. Doch er verfehlte den Mann um Millimeter.
„Toni!" Henry rief seinen Namen und Toni sah automatisch in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Für seinen Moment der Unaufmerksamkeit musste er bezahlen. Er sah gerade noch aus dem Augenwinkel wie der Mann die Bierflasche hoch über den Kopf hob und von oben herab auf ihn niederkrachen ließ. Toni hob den linken Arm um sein Gesicht zu schützen und spürte eine Sekunde später, wie das Glas in seinen Arm schnitt. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn und ließ ihn aufkeuchen. Warmes Blut lief ihm in den Ärmel, benetzte seine Finger. Wütend über seine eigene Dummheit und diesen unnötigen Kampf, tat Toni etwas womit der Angreifer nicht gerechnet hatte.
Anstelle zurückzuweichen, lief er auf den Mann zu und griff ihn an, ohne auf seine eigene Sicherheit zu achten. Völlig überrumpelt trat der Mann einen Schritt zurück. Das war alles was Toni brauchte. Mit einem gezielten Boxerschwung schlug er dem Mann seine Faust ins Gesicht. Dieser taumelte und Toni setzte nach. Er trat ihm gekonnt in die Kniekehle, dann boxte er ihm in die Seite. Der Mann fiel, versuchte sich mit den Händen abzustützen, doch Toni griff sich seine Haare und schlug sein Gesicht auf den Beton der Straße. Einmal, zweimal. Dann war Ruhe.
Das dachte Toni zumindest, doch kaum bewegte sich der Mann nicht mehr, als eine weitere Gestalt aus der Gasse trat.
„Was ist denn hier los? Jack?" Ein weiterer Mann kam aus dem Dunkel der Gasse und schloss gerade seinen Hosenschlitz; er hatte in der Gasse gepinkelt. Er sah Toni, dann hinunter auf den bewegungslosen Angreifer. Als er Toni wieder ansah, brüllte er wütend. „Ey Mann, was hast du gemacht?" Dieser zweite Mann war offensichtlich ein Kumpel des ersten und gar nicht zufrieden mit der Situation. „Du hast ihn umgebracht!"
Toni wollte gerade etwas antworten, als der zweite Mann ein Klappmesser aus seiner Jacke zog. „Ich mach dich fertig, Alter!" Er wollte gerade auf Toni zurennen, der automatisch eine abwehrende Kampfhaltung einnahm, als eine neue Stimme durch die Gasse hallte.
„Nicht so schnell, faccia di culo, Arschloch!" Luca war aus dem Club getreten und richtete seine Waffe auf den Angreifer. Der blieb schnaufend wie ein Ochse stehen, seine Augen auf die Waffe fixiert. Luca trat an Tonis Seite, besah sich den Mann auf dem Boden, der jetzt stöhnte und versuchte, auf die Beine zu kommen. Er trat ihm in die Seite, nicht heftig, aber so, dass der Mann wieder stürzte. Dann sah er zu Toni und sein Blick blieb an dessen Arm und dem Blut hängen, das langsam über seine Hand auf den Boden tropfte.
„Alles in Ordnung?" fragte Luca mit besorgter Stimme. Toni nickte, dann deutete er mit dem Kopf auf den Mann am Boden. „Der hat das Wort Hausverbot nicht verstanden."
„Ah, verstehe." Luca bedeutete dem zweiten Angreifer näher zu kommen. „Du da, du legst jetzt diesen Zahnstocher weg, und dann hebst du deinen Freund vom Boden auf und ihr verschwindet. Und wenn ich euch hier nochmal sehe, dann bin ich nicht mehr so freundlich." Als sich keiner der Männer bewegte, zielte Luca mit der Waffe auf den Mann am Boden. „Na wird's bald? Oder soll ich deinen Freund von seinem Elend erlösen?" Jetzt endlich steckte der zweite Mann das Messer weg. Er kam näher, half seinen Freund auf die Beine und zusammen humpelten sie aus der Gasse. Luca folgte ihnen, bis sie auf der Hauptstraße verschwunden waren. Dann kam er zurück gejoggt, die Waffe wieder im Hosenbund.
„Mann, Toni, was war das denn?" sagte er ärgerlich und griff nach Tonis Arm, den Tonis sich mittlerweile an die Brust gepresst hatte. Die Wunde schmerzte mehr, als er für möglich halten hätte. Doch Toni antwortete nicht sondern sah sich nach Henry um. Der stand noch immer am Porsche und sah mit großen Augen zu Toni.
„Alles in Ordnung, Henry?"
Das schien Henry aus seiner Starre zu lösen. „Was? Ja." Er fuhr sich durch die blonden Haare, dann trat er zu Toni und Luca. „Er wollte dich umbringen."
„Nein, nur ein wenig aufmischen." Toni redete beruhigend auf Henry ein, der aussah, als wollte er sich gleich übergeben. „Au!" fluchte Toni, als Luca sein Hemd aufriss, um die Schnittwunde besser sehen zu können. „Das war eins meiner Lieblingshemden. Armani...."
„Nur aufmischen", Luca schüttelte den Kopf und sah seinen Freund genervt an. „Das hätte ins Augen gehen können, Mann. Wo war deine Waffe, huh? Wie lautet die oberste Überlebensregel?" Luca klang wütend und Toni konnte es ihm nicht verdenken. Wenn dies ein richtiger Angriff auf sein Leben gewesen wäre, von einer rivalisierenden Familie, dann wäre Toni jetzt tot. Und Henry vermutlich auch.
Um die Situation nicht eskalieren zu lassen, zuckte Toni nur mit den Schultern. „Ist ja nochmal gut gegangen."
Luca grummelte etwas, was Toni nicht verstehen konnte, dann hatte er die Wunde freigelegt. „Merda, das sieht übel aus, Toni."
Toni besah sich die Schnitte, die pochten und brannten. Die Bierflasche hatte nicht nur einen Schnitt hinterlassen, sondern einige. Allerdings war nur einer davon richtig tief. Und lang. Er blutete stark und als Luca darauf herumdrückte verzog Toni vor Schmerz das Gesicht. Da griffen auf einmal lange, kühle Finger nach seinem Arm.
„Lass mich mal sehen", sagte Henry und besah sich weitaus sanfter als Luca den Schnitt. „Das muss genäht werden."
„Bist du dir sicher?"
„Ja, und dieser Schnitt wohl auch." Henry deutete auf einen der anderen Schnitte. Dann schlüpfte er aus seinem Hemd, faltete es zusammen und presste es auf die Wunde. „Habt ihr um Club einen Erste Hilfe Koffer?"
„Ja, unter der Bar." Toni sah Luca an. „Ach ja, Henry, das ist Luca, ich habe dir von ihm erzählt. Luca, das ist Henry, du hast ihn vor ein paar Monaten fast überfahren. Und ihr habt euch vor ein paar Wochen kurz im Club getroffen. Und im Krankenhaus, als du dir die Nase gebrochen hast."
„Ich würde nie jemanden überfahren", sagte Luca und streckte Henry die Hand hin, der sie schüttelte. „Freut mich, Mann." Dann verschwand Luca mit schnellen Schritten im Club. Als Toni und Henry alleine waren, legte Toni die Finger seiner unverletzten Hand unter Henrys Kinn und hob es an, bis er ihm in die Augen sehen konnte. Der Schreck stand Henry noch ins Gesicht geschrieben, aber er hatte sich beruhigt. „Alles in Ordnung, Henry?"
Henry nickte. „Das war nur...es war...ach Mist." Henry schüttelte den Kopf. „Ich weiß auch nicht, es ging alles so schnell. Ich hätte dir helfen sollen."
„Unsinn, du hättest nichts tun können." Toni ließ seinen Daumen über Henrys Wange gleiten. Es stimmte, was er gesagt hatte. Hätte Henry sich in den Kampf eingemischt, wäre er vielleicht ebenfalls verletzt worden.
„Ich hab gesehen, wie du nach deiner Waffe gegriffen hast", sagte Henry leise. Dann atmete er tief durch. „Aber du hattest sie nicht dabei."
„Nein", sagte Toni und unterdrückte einen Schmerzenslaut als Henry seinen Druck auf die Wunde verstärkte.
„Du hattest sie nicht dabei, weil ich damals so reagiert hab. Weil ich deine Waffe nicht mag." Es war keine Frage, und Toni antwortete auch nicht darauf. Er zuckte nur mit den Schultern. Mit großen Augen sah Henry Toni an. „Es tut mir leid."
„Was tut dir leid?" Toni war für einen Moment verwirrt, was Henry meinte.
„Dass du meinetwegen verletzt worden bist", sagte Henry. „Wegen mir hattest du deine Waffe nicht dabei und deshalb bist du verletzt worden."
„Henry, nein, das war nicht deine Schuld." Toni schüttelte den Kopf. „Selbst wenn ich meine Waffe dabei gehabt hätte, hätte der Kerl bestimmt einen Weg gefunden." Was war gelogen, aber Toni wollte, dass sich Henry besser fühlte. Es war wirklich nicht seine Schuld gewesen. Toni war einfach zu unvorsichtig gewesen. Es war leichtsinnig, Henry einzuladen und ebenso leichtsinnig, ohne seine Waffe herum zu laufen. Dafür trug er nun die Konsequenzen. Henry sah ihn an, und als Toni lächelte, schenkte Henry ihm ein kleines Lächeln zurück.
„Wo hast du gelernt, so zu kämpfen?"
„Ich boxe, da lernt man im Studio so einiges. Außerdem habe ich ein paar Selbstverteidigungskurse gemacht." Toni zuckte mit den Schultern und verzog vor Schmerz das Gesicht. Es stimmte, dass er Selbstverteidigungskurse absolviert hatte. In seinem Job konnte man nicht vorsichtig genug sein und er wollte nicht irgendwann draufgehen, nur weil er nicht wusste, wie man mit einem Angreifer umging.
„Sinnvoll, bei deinem Job", sagte Henry und sah Toni an. „Ich hätte nicht gedacht, dass du so was draufhast. Du warst so, so....abgebrüht. Als ob du gar keine Angst gehabt hast. Ich bin froh, dass es dir gut geht, Toni. Für einen Moment, da dachte ich schon...."
„Mir geht es gut, Henry. Mach dir keine Sorgen." Toni wollte sich gerade vorbeugen um Henry zu küssen, als die Hintertür des Clubs laut aufgestoßen wurde.
„Hier, der Erste Hilfe Koffer", sagte Luca und stellte die Verbandstasche auf der Haube des Porsche ab. Nun völlig in seinem Element öffnete Henry die Tasche, holte Mull und Verbandszeug heraus und legte eine provisorische Kompresse an. Als er fertig war fuhr er sich durch die Haare. Ein nervöser Tick, wie Toni festgestellt hatte.
„Du musst ins Krankenhaus damit die Wunde gesäubert, desinfiziert und genäht werden kann."
„Muss das sein?" Toni hasste Krankenhäuser genauso wie Luca. Dort wurden einfach zu viele Fragen gestellt. Vielleicht nicht bei einer gebrochenen Nase, wie Luca sie gehabt hatte, aber bei einer Schnittwunde wie dieser?
„Ja, das muss sein", sagte Henry. „Ich kann dich ins St. Elizabeth fahren, dann musst du nicht so lange in der Notaufnahme warten. Die kennen mich da ja."
Nun war es Luca der sich einbrachte. „Kannst du das nicht machen? Du bist doch Arzt." Er sah Henry an, doch der hob abwehrend die Hände. „Nein, ich bin noch Student."
„Aber du kannst nähen, oder?" erwiderte Luca.
„Ja, schon, aber das darf ich ohne Aufsicht gar nicht. Außerdem hab ich kein Material dafür."
„Das könnten wir schon besorgen", sagte Luca und zog eine Augenbraue hoch.
Doch Toni schüttelte den Kopf. Sein Arm tat weh und er wollte das so schnell wie möglich hinter sich bringen. „Nein, lass gut sein, Luca. Ich lass das schnell im Krankenhaus machen."
„Na gut, wie du meinst, du bist der Boss", sagte Luca, nahm den Erste Hilfe Koffer und ging zurück Richtung Club. „Ruf mich an, wenn du mich brauchst."
„Mache ich", rief Toni ihm hinterher. Er war erleichtert, dass Luca nicht darauf bestanden hatte, mit ins Krankenhaus zu kommen. Er wollte für eine Weile allein mit Henry sein, damit dieser nichts Dummes anstellte. Wie sich beispielsweise weiterhin die Schuld an der Verletzung zu geben.
„Kannst du denn noch fahren?" fragte Toni, den Arm an den Körper gepresst. Henry sah immer noch geschockt aus und Toni bezweifelte, dass er noch fahrtüchtig war. Doch Henry nickte nur. „Klar, kein Problem."
Toni wollte etwas erwidern, doch Henry ging zur Fahrerseite. Mit einem resignierten Seufzen warf Toni Henry seine Autoschlüssel zu. Der öffnete den Porsche und kletterte hinters Steuer. Sie erreichten das Krankenhaus ohne Probleme. Durch Henrys Beziehungen war Toni in der Tat schnell an der Reihe. Seine Schnitte wurden gereinigt und genäht, und er wurde mit einem dicken Verband und einem Rezept für Schmerzmittel nach Hause geschickt. Henry fuhr Toni nach Hause und als sie vor dem Apartmentkomplex standen, hatte Toni ein intensives Déjà-vu Gefühl. Nur saßen sie diesmal vor seiner Wohnung und nicht vor Henrys. Er wusste, dass es eine schlechte Idee war, eine ganz schlechte sogar. Bescheuert und gefährlich. Dennoch holte er tief Luft und fragte leise: „Willst du noch mit hochkommen?"
Henry sah ihn lange an, dann nickte er. „Ja, gerne."
Sobald sie in Tonis Apartment waren goss Toni sich einen Drink ein. Für die Nerven, wie er sagte. Er bot Henry einen Kaffee oder Wasser an, doch Henry lehnte ab. Danach half Henry Toni aus seinem ruinierten Hemd und der blutbefleckten Anzughose. Als Henry das Hemd in den Müll warf, zog Toni einen kleinen Schmollmund. Er hatte das Hemd wirklich gerne gemocht. Da die Wunde nicht nass werden durfte, nahm Toni einen Waschlappen und wollte sich das Blut abwaschen. Doch Henry entwand ihn ihm sanft und wusch sorgsam das Blut von Tonis Armen, Brust und Beinen, wo es durch den dünnen Hosenstoff gesickert war. Als er fertig war, half er Toni in eine Jogginghose. Danach stand er etwas verlegen herum, bevor er mit der Hand durch die Luft fuhr.
„Ich sollte mir ein Taxi schnappen", sagte Henry und sah auf die Uhr. „Es ist schon spät. Und du solltest die Schmerzmittel nehmen."
Toni trat auf ihn zu, seine Schritte fast lautlos. „Warum bleibst du heute nicht hier?"
Henry lächelte sanft, dann strich er Toni das Haar aus der Stirn. „Ich muss morgen arbeiten."
„Na und?"
Toni trat noch näher, sodass er nur eine Handbreit von Henry entfernt stand. Er konnte Henrys Aftershave riechen, gemischt mit diesem unverwechselbaren Duft, den nur Henry hatte. Er atmete ihn tief ein, bevor er Henry einen fast keuschen Kuss gab. Als Henry diesen erwiderte, ließ Toni seine unverletzte Hand zu Henrys Wange gleiten, dann zu seinem Nacken, sodass er Henry zu sich heranziehen konnte. Henry ließ es geschehen und Toni wunderte sich wieder einmal, warum dieser wunderbare Mann sich auf ihn eingelassen hatte. Doch als Henry seine Hände in seinem Haar vergrub und ihn leidenschaftlich küsste, vergaß Toni die Welt um sich herum. Henry war einfach wunderbar, einzigartig. Sie stolperten zum Bett, wo Toni Henry half, sich seiner Kleidung zu entledigen, bis dieser in Boxershorts neben ihm lag. Sie atmeten beide schwer, aufgeregt, erregt, die Lippen rot vom Küssen.
„Bist du sicher, dass wir weitermachen sollten?" fragte Henry und deutete auf Tonis verletzten Arm.
Zur Antwort kniete sich Toni über Henry und zog langsam, ganz langsam, die Boxershorts nach unten, bis Henry – alles von ihm - ihm entgegensprang. Das war Antwort genug. Er beugte sich hinunter und ließ seine Lippen über Henry Haut wandern. Als Henry unter ihm zitterte und anfing sich zu winden, löste sich Toni von ihm, was Henry zu einem enttäuschten Stöhnen veranlasste. Doch Toni griff nur schnell über Henry hinweg neben sein Bett zu seinem Nachttisch. Als er sich Henry wieder zuwandte, hielt er eine Tube Gleitgel und Kondome in der Hand.
Henry sah ihn mit großen Augen an, seine Wangen gerötet, schwer atmend. Toni konnte wieder nicht glauben, dass Henry ihn dies alles mit ihm machen ließ, dass Henry sich für ihn entschieden hatte. Doch bisher waren sie noch nicht so weit gegangen, wie Toni es jetzt gerne tun wollte. Er sah Henry an und sein Herz schien ihm aus der Brust zu springen. Doch als Henry nickte, sich hochbeugte und einen atemlosen Kuss auf seine Lippen presste, fühlte Toni wie sich die Hitze in seinem Bauch zu einer Supernova verdichtete. Es dauerte nicht lange, bis sie explodierte und Henry mit sich riss.
Am nächsten Morgen stand Toni schon früh auf, während Henry noch schlief. Er besorgte in einem Café um die Ecke Cappuccino, Croissants und Muffins. In seiner Küche briet er Rührei mit Speck, dann deckte er den Tisch, bevor er Henry mit einem Kuss auf die Wange weckte. „Guten Morgen", sagte er, bevor er Henry einen Klaps auf den Hintern gab. „Aufstehen, die Sonne scheint." Die Sonne schien zwar nicht, es war bewölkt und würde bald regnen, aber Toni hatte gute Laune, seit er neben Henry aufgewacht war. Henry grummelte, dann zog er sich die Decke über den Kopf. Toni lachte, dann zog er die Decke vom Bett. „Ich dachte, du musst arbeiten?"
Henry warf ihm einen vernichtenden Blick zu, der Tonis Grinsen nur breiter werden ließ, dann verschwand er im Badezimmer. Die letzte Nacht war für Toni unglaublich gewesen. Es war so lange her, seit er mit jemandem zusammen gewesen war und Henry war einfühlsam und zärtlich, aber ebenso stark, fordernd und unersättlich wie Toni. Sie waren erst kurz vor Morgengrauen eingeschlafen, und Toni hätte Henry nicht geweckt, wenn er nicht gewusst hätte, dass dieser arbeiten musste.
Als Toni Henry später bei seiner Wohnung absetzte, wünschte sich Toni, dass sein Leben immer so aussehen könnte. Eine leidenschaftliche Beziehung mit seinem Partner, gemeinsame Frühstücke, Abendessen, Partys. Einfach eine normale Beziehung. Als er in den Club fuhr drehte Toni das Radio laut auf und sang sogar einen oder zwei Songs mit.
Seine gute Laune hielt genau so lange wie er brauchte, den Porsche hinter dem Corleone abzustellen.
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Anmerkung: ENDLICH! haha
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