Kapitel 4
"Oh nein, verzeihen Sie bitte! Das tut mir unendlich Leid!", entschuldigte ich mich bei einem Gast, dem ich soeben einfach mal sein Weinglas über das Hemd geschüttet hatte. Bei meinem Glück war es natürlich Rotwein.
Ich spürte die Hitze in meinen Wangen, die mir vor lauter Scham in den Kopf stieg. So ungeschickt hatte ich mich noch nie angestellt! Und das auch noch gleich an meinem ersten Abend in einem neuen Job. Es war zum Verzweifeln!
Und das alles nur, weil Fabio aufgetaucht und mich einfach komplett durcheinander gebracht hatte.
Ich holte schnell ein Tuch, um den überschüssigen Wein aufzuwischen und zu retten, was noch zu retten war – auch wenn das kaum noch möglich war.
"Ich bezahle Ihnen selbstverständlich die Reinigung", bot ich dem Gast an, der ein wenig genervt, aber zum Glück noch nicht stocksauer schien.
"Lassen Sie mal gut sein. Das kann ja mal passieren. Aber ein neues Glas Wein hätte ich gerne", sagte er, während er sich das Unglück auf seinem Hemd ansah.
"Selbstverständlich. Einen Moment bitte." Ich eilte in die Küche und nahm aus dem Augenwinkel Francescas Blick auf mir wahr. Stirnrunzelnd sah sie zu mir.
Als ich mit dem Glas Wein zurück an den Tisch kam, stand sie bereits daneben und sprach mit dem Pärchen.
"Verzeihen Sie bitte vielmals. Der Abend geht selbstverständlich auf unsere Kosten", hörte ich Francesca in dem Moment sagen. Was wohl so viel hieß, wie, dass er auf meine Kosten ging.
Ich stellte das Glas vorsichtig ab, um ja nicht wieder etwas zu verschütten, entschuldigte mich noch einmal und eilte dann zurück in die Küche, um die Bestellung für den nächsten Tisch zu holen. Auf dem Weg zurück stolperte ich natürlich über ein Stuhlbein, fing mich aber gerade noch, bevor ich die so liebevoll gestalteten Teller samt Essen auf den Boden fallen ließ.
Das durfte doch verdammt nochmal nicht wahr sein!
Jetzt, wo ich wusste, dass das Bella Casa Fabio gehörte, sah ich seine Präsenz in jedem kleinen Detail. Ob es das Essen war, das ich servierte, die Einrichtung, die Hintergrundmusik. Alles schrie 'Fabio' und trug nicht gerade dazu bei, dass ich mich in irgendeiner Weise beruhigte.
Als ich das Essen serviert hatte, nahm ich ein paar leere Gläser vom Nachbartisch mit. Ich trug sie zur Bar und schon flutschte mir das eine Glas aus der Hand. Zwar fiel es nur in das Waschbecken, zerbrach aber trotzdem in eine Million Teile. Ich senkte den Kopf und schloss kurz die Augen. Ich war doch im falschen Film?
"Ceil?", hörte ich plötzliche eine Stimme hinter mir und erschrak so sehr, dass ich sogar einen kleinen Hüpfer machte. Ich drehte mich um und blickte in Francescas besorgtes Gesicht.
"Ist alles in Ordnung mit dir? Wenn dir das doch zu viel wird..."
"Nein! Nein, ich... Es tut mir Leid. Ich krieg das hin!", versicherte ich ihr und sah sie fast flehentlich an. Sie durfte mich einfach nicht an meinem ersten Abend raus schmeißen!
Plötzlich trat so etwas wie Verständnis in ihren Blick und sie lächelte leicht. Sie konnte zwar überhaupt nicht wissen und erst recht nicht verstehen, was gerade in mir vorging, aber ein Lächeln war besser als der Arschtritt nach draußen.
"Warte kurz", sagte sie und schnappte sich eines der Weingläser. Dann holte sie aus einem Schrank unterm Tresen eine Flasche Rotwein hervor, entkorkte sie und schenkte mir ein halbes Glas ein.
"Trink", schmunzelte sie. "Und atme einmal tief durch. Ich weiß, dass du heute aus irgendeinem Grund nicht du selber bist."
Ich lächelte dankbar, als sie mir das Glas in die Hand drückte. Francesca meinte es wirklich gut mit mir. Trotzdem zweifelte ich keine Sekunde daran, dass sie mich rausschmeißen würde, wenn ich so weitermachte.
Ob Rotwein da die beste Lösung war, wusste ich nicht. Aber wenn ich meine Nerven wenigstens ein klein wenig beruhigen könnte, dann war es doch einen Versuch wert.
Ich nahm einen kräftigen Schluck und ließ ihn langsam meine Kehle hinuntergleiten.
Ich musste mich einfach unter Kontrolle bringen. Das hier war nicht ich. Obwohl, ich war ja schon immer so unglaublich tollpatschig gewesen. Aber das hier war auf keinen Fall die Ceil, die ich sein und zeigen wollte. Das hier war eine einzige Katastrophe.
Aber damit wäre jetzt Schluss.
Ich trank das Glas aus, atmete noch einmal tief ein und sah Francesca an.
"Besser?", fragte sie mich lächelnd und ich nickte.
"Ja. Du wirst den ganzen Abend nichts mehr an mir auszusetzen haben. Das verspreche ich dir."
"Das kann ich in deinen Augen sehen", antwortete sie lächelnd. "Dann ab nach draußen mit dir! Da warten Gäste auf dich", scheuchte sie mich lächelnd wieder an die Arbeit.
Ich grinste und schnappte mir die nächsten Gerichte, die nach draußen gebracht werden mussten.
Mit Francesca hatte Fabio als Geschäftsführerin eindeutig einen Glücksgriff gemacht.
___
Stunden später stand ich müde im Mitarbeiterraum und rieb mir den Nacken. Paolo und Antonia waren vor wenigen Minuten gegangen, nachdem wir das Restaurant ganz aufgeräumt und für den morgigen Tag vorbereitet hatten. Sie hatten mir noch einmal Mut zugesprochen, da sie natürlich auch mitbekommen hatten, wie fürchterlich meine erste Schicht verlaufen war.
Paolo hatte mir sogar zugezwinkert, aber seine charmante Art und Weise hatte mich nicht die Bohne gerührt.
Und mir war durchaus bewusst, woran das lag.
Ich zog meine Bluse aus und schmiss sie in den Wäschekorb. Einmal die Woche wurden alle benutzten Hemden und Blusen in die Reinigung gebracht, gewaschen und gebügelt. So einen Luxus war ich von meinen früheren Stellen nicht gewohnt.
Ich hatte mir gerade mein T-Shirt über den Kopf gezogen, als ich hörte, wie die Tür zum Mitarbeiterraum aufging und kurz darauf wieder geschlossen wurde. Und sofort wusste ich, wer gerade gekommen war.
"Ceil?" Fabio kam mit langsamen Schritten in den Umkleidebereich geschlendert und lehnte sich an die Schrankreihe. Er hatte seine Kochuniform ausgezogen und sah jetzt wieder wie der 'richtige' Fabio aus.
Ich ignorierte seine Blicke und zog mir auch meine Jacke über. Ich wusste wirklich nicht, wie ich mich verhalten sollte.
"Ceil, schau mich bitte an", sagte er leise und mein Herz verkrampfte sich dabei.
Langsam hob ich den Kopf und sah ihn an.
Es fühlte sich an, als wäre er nie weg gewesen, aber gleichzeitig lagen Meilen zwischen uns.
"Was willst du, Fabio?"
Er sah mich an, ohne mir zu antworten. Dann schien es, als wolle er etwas sagen, aber blieb dann doch still.
Ich seufzte. Er wusste selber nicht, was er wollte.
"Wie lange bist du schon wieder zurück?", fragte ich dann, obwohl ich es gar nicht wissen wollte. Er hatte sich nicht bei mir gemeldet. Je länger er schon wieder zurück wäre, desto schmerzhafter wäre diese Tatsache.
"Ein paar Monate."
Ich lachte freudlos auf. Monate.
Ruhig nahm ich meine Tasche, quetschte mich an ihm vorbei, was mein Herz einen Schlag aussetzen ließ, und wandte mich zur Tür. Sein vertrauter Duft stieg mir in die Nase. Er benutzte immer noch das gleiche Aftershave. Das ich so sehr liebte.
Was sollte ich noch weiter hier? Wenn er wirklich mit mir hätte reden wollen, dann hätte er sich ja wohl früher gemeldet. Es war ja nicht so, als hätte sich meine Nummer geändert. Ich wohnte noch immer in der selben Wohnung, in die ich relativ bald nach dem Abi gezogen war. Und dann wäre da noch Robyn gewesen.
Robyn.
"Warum hast du dich noch nicht mal bei Robyn gemeldet?", fragte ich dann doch noch und drehte mich noch einmal um. Ich zweifelte nämlich keine Sekunde daran, dass Robyn keine Ahnung davon hatte, dass Fabio wieder zurück aus Italien war. Das hätte sie mir erzählt.
Wieder rang er nach Worten. Konnte er es nicht einfach ausspucken? Einfach sagen, dass er uns nicht sehen wollte oder was auch immer sein Grund gewesen sein mochte?
Als ich dachte, dass ich keine Antwort mehr bekommen würde, drehte ich mich kopfschüttelnd weg und war wieder im Begriff zu gehen.
"Ich wollte dich anrufen. Aber ich wusste nicht, ob du mich sehen willst." Fabio klang reuig. Aber das änderte nichts an den Fakten.
"Weißt du, wie platt das klingt?", antwortete ich ihm ein wenig gelangweilt. "Außerdem hättest du das ganz einfach herausfinden können, indem du den Hörer in die Hand nimmst und einfach anrufst", fügte ich zuckersüß hinzu. Ich konnte einfach nicht anders. Ich konnte nicht einfach so tun, als wäre nichts zwischen uns passiert.
Das wäre heuchlerisch gewesen. Und das war ich noch nie.
"Das weiß ich jetzt auch", antwortete mir Fabio. Er schien seine Ruhe wieder gefunden zu haben.
"Jetzt ist es aber ein bisschen spät, findest du nicht?" Der sarkastische Unterton, der sich in meine Stimme geschlichen hatte, tat mir fast selbst weh.
Tief in mir wollte ich Fabio nicht so schroff zurückweisen. Aber ich war einfach zu verletzt, um mich anders zu verhalten. Ich wusste, dass ich im Grunde nicht das Recht hatte, so wütend zu sein. Wir hatten damals vor drei Jahren einen Schlussstrich gezogen. Er war mir nichts mehr schuldig. Und trotzdem würde ich jetzt gerade am liebsten in Tränen ausbrechen.
Außerdem war ich verdammt müde. Es war ein langer Tag und ein noch längerer Abend gewesen. Es war mitten in der Nacht, alles war schon still und ich wollte nur noch in mein Bett und alle heutigen Katastrophen vergessen.
"Ich werde jetzt gehen, Fabio. Gute Nacht." Ohne auf seine Antwort zu warten, ging ich dieses Mal wirklich. Aber ich wusste genau, was er mir früher geantwortet hätte und seine Worte hallten in meinem Kopf, als hätte er sie tatsächlich ausgesprochen.
Schlaf gut, bella.
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Die arme Ceil ist ein bisschen überfordert mit dem Abend xD
Hättet ihr euch an Fabios Stelle gemeldet? ;)
Tyskerfie & HeyGuys77
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