Nachdem Dani und Tygran es geschafft hatten Sam von Anastasia zu trennen, führte Tygran sie weiter herum. Die drei verbrachten den ganzen Nachmittag damit sich die verschiedenen Tiere anzusehen, dass sie beinahe vergaßen zu Mittag zu essen. Zum Glück hatte Tygran bereits vorgesorgt und kochte Spaghetti Bolognese, etwas das Dani ihm nicht zugetraut hätte. Er und Sam sahen zu wie er das Fleisch und das Gemüse für die Soße zubereitete. Es sah beinahe lustig aus wie ein viel zu großes Muskelpaket mit einer Schürze vor dem Gasherd stand. Nach dem Essen ging es auch schon wieder raus, denn Tygran hatte anscheinend noch etwas, dass er den Freunden zeigen wollte.

"Jetzt kommt eine Überraschung für dich, Dani", verkündete er breit grinsend als er auf eine kleine Scheune zusteuerte. Er entriegelte vorsichtig die Tür bevor er sie einen Spalt weit aufmachte und so gut es ging hindurchschlüpfte.

"Kommt rein, aber macht schnell die Tür hinter euch zu", sagte Tygran. Als die Tür ins Schloss fiel und Dani sich in der mäßig belichteten Scheune umsah, fiel sein Blick sofort auf die Katzen. Es waren viele, ganz viele winzige Kätzchen und eine größere. Sam und Tygran blickten ihn wissend an.

"Babuschka hat vor zwei Wochen Jungkatzen bekommen. Sie haben noch keine Namen, deswegen dürft ihr welche aussuchen", sagte Tygran und beobachtete Dani wie er wie angewurzelt vor den Kätzchen stehengeblieben war.

"Was, wirklich?", fragte Sam mit großen Augen.

"Aber klar."

"Hör auf dich zurückzuhalten, Dani", kicherte Sam. Ohne ein Wort hockte sich Dani hin und streckte die Hand raus. Er wartete bis einer der Katzenjunges zögerlich auf ihn zukam und an seinen Fingern schnupperte.

"So winzig...", murmelte er überrascht. Ein paar der anderen Jungtiere kamen dazu bevor sie wieder abdrehten und versuchten auf die Heuballen zu klettern. Das Kätzchen rieb sein Gesicht an Danis Zeigefinger, er konnte nicht aufhören, das kleine Wesen anzustarren. Langsam und vorsichtig machte er eine hohle Hand. Die Jungkatze patschte mit seinen Pfoten verspielt nach Danis Finger und kletterte schließlich auf seine Hand. Dani zuckte als er auf einmal ein Fauchen hinter sich hörte.

"Aber Babuschka, ist doch alles in Ordnung. Komm her..." Er hörte wie Tygran die große Katze auf den Arm nahm und sie beruhigend streichelte. Das Kätzchen auf Danis Hand begann zu schnurren und er hob es näher an sein Gesicht. Sein Fell war flauschig und zerzaust, die Farbe hellgrau. Die großen schwarzen Augen blickten Dani neugierig an.

"Vergiss nicht zu atmen, Dani", neckte Sam ihn, doch er hörte kaum hin. Das Katzenjunges legte sich in seine Hand bevor es wieder aufstand und mit Danis Daumen spielte.

"Wir können ihn nach dir benennen." Er hatte gar nicht gemerkt, wie Tygran hinter ihm auftauchte. Als Dani sich umdrehte war sein Gesicht ganz nah vor seinem, seine Augen strahlten als er das Kätzchen ansah.

"Nach mir benennen...?", murmelte Dani langsam.

"Na klar. Der kleine Kerl heißt ab jetzt Dani", lachte Tygran leise und strich dem winzigen Kater mit dem Zeigefinger über den Kopf. Dani Nr. 2 begann erneut zu schnurren und streckte eine Pfote aus, die Danis Nase streifte. Beide lachten, als sie das energiegeladene Kätzchen beobachteten.

"Ich will ihn mit nach Hause nehmen...", murmelte Dani zu sich selbst, obwohl er wusste, dass sein Vater eine Katzenhaarallergie hatte.

"Ich werde sehen, was ich tun kann", antwortete Tygran leise und Dani blickte erneut hoch um ihm in die Augen zu sehen. Tygran sah zurück und etwas rührte sich in Dani, ein leichtes Kribbeln in seinem Bauch. Aber nur für einen kurzen Moment.

"Ihr beide seid so süß! Warum hab ich mein Handy nur oben gelassen?", seufzte Sam und unterbrach den eigenartigen Moment.

"Es wird schon dunkel." Tygran stand auf und klopfte seine Hose ab.

"Wir können morgen wiederkommen", fügte er mit einem Lächeln hinzu. Etwas wehmütig setzte Dani sein kleines zweites Ich wieder auf den Boden.
Zum Abendessen aßen die drei den Rest der Spaghetti und pflanzten sich vor den kleinen Fernseher.

"Na ob sich das lohnt, da nen Film drauf zu sehen...", sagte Dani ein wenig misstrauisch, während Tygran eine verstaubte Filmbox hervorholte.

"Sucht euch schon mal was aus, ich bin gleich wieder da", sagte er und verschwand aus dem Wohnzimmer. Er ging wahrscheinlich zu seinem Onkel, Dani hätte das nicht freiwillig getan...

"Hast du seinen Onkel schon gesehen?", fragte er Sam, die den Kopf schüttelte.

"Nein, wieso? Ist irgendwie eigenartig, dass er sich nicht blicken lässt."

"Der Typ tickt nicht ganz richtig. Einer dieser Stalin-Verehrer... Und er geht total komisch mit Tygran um...", grummelte er.

"Aha..." Sam sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, aber bevor sie eine weitere Frage stellen konnte, kam Tygran zurück.

"Und? Für welchen Film habt ihr euch entschieden?" Er fläzte sich neben Dani aufs Sofa und nahm beinahe allein die Hälfte des Platzes ein, sein Körper dicht an dicht mit Danis. Erneut konnte Dani die Wärme seiner Haut spüren, er roch nach Duschgel und Deo, ein wenig nach Schweiß. Und da war noch was anderes, etwas das Dani tief einatmen ließ.

"Äh... Die neuesten Filme hier drin sind von 1980...", stellte Sam stirnrunzelnd fest, als sie die Kiste durchwühlte.

"Hey, aber wie wär's mit Shining?", fragte sie aufgeregt, als sie den entsprechenden Film hervorzog.

"W-wirklich? Ihr wollt Shining sehen?" Dani merkte wie Tygran leicht erblasste.

"Was los? Hast du Schiss?", ärgerte er ihn.

"N-nein! Ich mag nur keine Horrorfilme...", grummelte er ungelenk.

"Echt jetzt?", lachte Dani.

"Ich bitte dich, den Typen mit der Axt könntest du unbewaffnet niedermetzeln, wenn jemand vor gar nichts Angst haben muss, dann doch wohl du."

"Das ist es nicht, Dani..." Tygran sah ihn todernst an.

"Da ist etwas Böses in diesem Hotel. Das kann man nicht besiegen...", flüsterte er.

"Ihr regt euch schon wieder auf...", seufzte Sam und schob die Disk in den alten DVD-Player, bevor sie sich wieder aufs Sofa warf.

Der Film war genau so, wie Dani ihn in Erinnerung behalten hatte. Langatmig mit wenigen Gruselszenen und langsamen Gesprächen. Damals mochte das vielleicht noch gruselig gewesen sein, aber Dani stand eher auf modernere Horror-Filme. Tygran schien das jedoch komplett anders zu sehen. Er guckte den Film wahrscheinlich nur mit, weil Sam und Dani ihn ausgewählt hatten. Er begann ab der Hälfte des Films zu zittern und als Jack seinen Sohn mit einer Axt durch das verschneite Labyrinth folgte, griff Tygran auf einmal nach Danis Arm. Seine Hand war ganz schweißig und er sah gar nicht gut aus.

"Au!", beschwerte Dani sich als Tygran ihm beinahe die Pulsader abquetschte.

"T-Tschuldigung...", flüsterte er heiser und zwang sich seine Hand wegzunehmen. Nach einer Weile hatte Dani Mitleid mit ihm. Er hatte ihn noch nie so verängstigt gesehen und vor allem nicht so verletzlich. Seine Augen waren geweitet und er zitterte immer noch. Mit einem leichten Seufzer nahm Dani seine Hand und platzierte sie wieder auf seinem Arm. Er würde das schon aushalten. Wäre ja gelacht wenn Tygran seinen Arm ernsthaft zerquetschen könnte...