Entschlossenheit
"Tygran!"
Dani beugte sich besorgt über seinen Freund, als dieser seine Augen öffnete und ihn leicht desorientiert anblinzelte.
"Alles in Ordnung?", fragte er und Tygran nickte langsam, als er sich auf dem Sofa aufsetzte und auf den Boden starrte.
"Hey... Scheiße, das Ganze hätte nicht passieren dürfen." Dani legte einen Arm um Tygran und zog ihn vorsichtig an sich.
"Es tut mir leid, ich hätte besser aufpassen müssen, ich hätte es wissen müssen...", flüsterte er und presste sein Gesicht in Tygrans Haare.
"Es war nicht deine Schuld, Dani", antwortete Tygran langsam.
"Der Fehler liegt bei mir allein."
"Hey, sag sowas nicht, das ist Bullshit! Deine Reaktion war nur natürlich!" Dani strich ihm über den Rücken und drückte Tygrans Kopf in seine Schulter.
"Ich liebe dich so sehr, Dani... Und trotzdem... habe ich dich einfach nicht gesehen..." Seine Stimme war brüchig und Dani hatte für einen Moment Angst, dass er einen Rückfall erlitt.
"Das macht mir Angst... Was, wenn ich dich irgendwann-..." Bevor Tygran weiterreden konnte, legte Dani ihm seinen Finger auf die Lippen.
"Shhh, nichts irgendwann. Ich verspreche dir, dass du niemals wieder daran erinnert wirst, was damals passiert ist, okay? Nie wieder." Es war still, doch Dani spürte, wie Tygran ihn fester an sich drückte.
"Ich dachte wirklich, ich wäre wieder dort. Es war so echt...", wisperte er und kniff seine Augen zusammen.
"Es wird alles gut, Tygran. Ich werde auf dich aufpassen, du musst nie wieder zurück."
"Nichts wird gut... Ich habe dich angegriffen, der Direktor wird mich von der Schule verweisen und selbst wenn nicht, wird niemand jemals wieder etwas mit mir zu tun haben wollen."
Daran hatte Dani gar nicht gedacht, für einen Moment hatte er die anderen vergessen. Er wollte es nicht einsehen, doch Tygran hatte Recht. Die beiden waren vom Schuldirektor verwarnt, wenn dieser wollte, könnte er Tygran ohne weiteres von der Schule werfen.
Dani kannte die Geschichte seines Freundes, er warf ihm nichts vor, genauso wenig wie Sam. Aber für die anderen musste es ausgesehen haben, als hätte Tygran komplett den Verstand verloren.
"Huch? Warum seid ihr denn schon hier?"
Dani zuckte zusammen, er hatte seine Mutter nicht ins Wohnzimmer kommen hören. Auch Tygrans Augen wurden groß, bevor er hektisch seinen Kopf von Danis Schulter nahm und Abstand zwischen sie brachte.
"Hey, hey, ist schon okay, ich weiß es doch eh", lachte sie beschwichtigend, woraufhin Tygrans Augen noch größer wurden.
"Aber solltet ihr nicht in der Schule sein...?", fragte Danis Mutter mit einem Blick auf die Uhr.
"Es... gab... einen kleinen Vorfall...?", räusperte Dani sich und rückte wieder näher an Tygran.
"Was habt ihr diesmal ausgefressen?", seufzte sie und verschränkte ihre Arme. Dann fiel ihr Blick auf Tygran, der wie eingefroren mit starrem Blick dasaß.
"Oh... Also Tygran bekommt auf jeden Fall einen Beruhigungstee und Kekse." Auf dem Weg in die Küche wurde sie von dem Klingeln des Haustelefons unterbrochen.
"Und das ist dann wahrscheinlich die Schule..."
Stumm lauschte Dani, wie seine Mutter den Wasserkocher einschaltete, bevor sie den Hörer abnahm und die Küchentür schloss.
"Ähm... Deine Mutter weiß, dass wir... ähm... du weißt schon...", hüstelte Tygran auf einmal und Dani stellte fest, dass sein Gesicht rot angelaufen war. Immerhin schien er abgelenkt.
"Ja... Also, wir waren wohl doch nicht ganz so unauffällig?", grinste er.
"Und sie findet das gar nicht schlimm??" Wie machte Tygran nur diese Rehaugen...?
"Schätze nicht... Solange wir glücklich sind und uns nicht in Stücke reißen."
Das schockierte Gesicht seines Freundes brachte Dani zum Lachen.
"Wollen deine Eltern denn keine Enkelkinder?! Und... ist das alles nicht voll komisch für sie? Ich meine... du bist ein großer Kerl und der Schwarm der Schule... und ich bin... ein noch größerer Kerl und wir sind... ein Paar? Ergibt das Sinn...?"
"Für mich schon!", grinste Dani und platzierte einen Kuss auf seiner Schläfe.
"Es ist wie es ist, daran ändern die Meinungen anderer auch nichts. Die Reaktion meines Vaters bleibt allerdings abzuwarten, ich glaube ich werde seine Großvater-Fantasie zerstören... Und er rechnet definitiv mit einer zierlichen Schwiegertochter, aber aus dir lässt sich bestimmt auch was machen!" Er klopfte Tygran auf den Rücken, letzterer sah ein wenig verzweifelt aus.
"Meinst du wirklich?"
"Na klar, er mag dich, auch wenn du ihn im Schach kaputt machst!"
"Sollte ich ihn vielleicht gewinnen lassen?"
"Keine schlechte Idee!", prustete Dani.
"Dani? Kommst du kurz?", ertönte es aus der Küche und Dani rollte die Augen.
"Ruh dich aus", flüsterte er und konnte nicht widerstehen, Tygran einen kurzen Kuss auf die Lippen zu drücken, bevor er sich entfernte.
"Und? Was hat sich das Sekretariat zusammengedichtet?", fragte Dani, als er die Tür hinter sich schloss und sich auf einen Stuhl fallen ließ.
"Naja, sie haben mir schon erzählt, dass Tygran eine negative Reaktion auf ein Unterrichtsvideo gezeigt hat, aber die Schulleitung will mit dir dringend darüber sprechen." Seine Mutter setzte sich ihm gegenüber und stellte einen Teller Kekse auf den Tisch.
"Nichts davon ist Tygrans Schuld! Er hatte keine Ahnung, was er zu sehen bekommt, aber ich hätte es besser wissen müssen!", verteidigte Dani ihn sofort.
"Dani, das Ganze ist niemandes Schuld. Es ist einfach passiert und du kannst es nicht rückgängig machen." Sie tätschelte mitfühlend seine Hand.
"Tygran bleibt morgen hier und du kannst das Ganze aufklären."
"Nein, ich bleibe auch! Er braucht mich, ich lasse ihn nicht allein!", protestierte Dani.
"Dani, ich verspreche dir, ich passe auf ihn auf, bis du wieder da bist. Du musst beim Direktor ein gutes Wort für Tygran einlegen, so wie das klang sehen sie ihn als Risiko für andere Schüler an."
"Diese Idioten wissen gar nichts...", knurrte Dani und ballte seine Hand zur Faust.
"Und ich scheinbar auch nicht", seufzte seine Mutter.
"Tygran leidet unter einem wirklich heftigen Trauma und ich kann mir nicht vorstellen, dass sein Onkel allein Schuld daran ist. Du musst mir nicht sagen was ihm passiert ist, aber du musst dir wirklich sicher sein worauf du dich einlässt."
"Was... meinst du damit?" Dani runzelte die Stirn, der mitleidende Blick seiner Mutter machte ihn unruhig.
"Tygran ist ein wirklich liebenswerter Junge und ich sehe wie glücklich er dich macht. Ich habe dich noch nie so häufig lächeln sehen wie in letzter Zeit, und dass ihr zusammen seid ändert nichts daran. Am Telefon meinten sie, er hätte dich gewürgt... Stimmt das wirklich?"
Es war still für einen Moment, bevor Dani antwortete. Es klang alles so gegensätzlich...
"Es... tut nicht mehr weh. Das war nichts, er konnte mich in diesem Moment nicht sehen! Aber er hat wieder rausgefunden, weil er mich erkannt hat! Nur deswegen geht es ihm jetzt wieder besser!", rief er verzweifelt.
"Ich verstehe... Ich bin mir sicher ihr schafft das, Dani." Sie drückte seine Hand und lächelte, bevor sie Dani den Kekstekler und eine Tasse Tee in die Hand drückte. Leicht verwirrt ging er zurück ins Wohnzimmer. Er war sich ziemlich sicher, dass wenn er anders geantwortet hätte, der nächste Satz seiner Mutter gewesen wäre, dass Tygran zu unberechenbar sei und dass er sich besser fernhalten solle. Doch stattdessen glaubte sie an ihn.
Dani fläzte sich neben Tygran aufs Sofa und attackierte die Kekse, bevor sein Freund eine Chance hatte, sie zu vernichten.
"Hey!", beschwerte er sich, als Dani den Teller außer Reichweite hielt und sich die Backen voll stopfte. Kein Wunder, dass Tygran irgendwann genug hatte und blitzschnell in einen Keks biss, den Dani sich gerade genommen hatte.
"Au!" Er schüttelte gespielt seine Hand und warf seinem Freund einen bösen Blick zu. Ob er den Keks oder Danis Finger erwischt hatte, war Tygran wohl egal gewesen. Letzterer schlürfte grinsend seinen Tee.
Sie würden das schaffen.
Ganz sicher.
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