Das leere Zimmer
"Что ты здесь делаешь?"
Erschrocken blickte Dani den älteren Mann vor sich an. Es handelte sich ohne Zweifel um Tygrans Onkel. Er war zwar nicht so groß wie Tygran, aber immerhin auf Augenhöhe mit Dani. Er klang alles andere als freundlich, seine Augen waren misstrauisch zusammengekniffen und seine Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst.
"I'm sorry, I don't understand...", versuchte Dani es und hob entschuldigend die Hände. Tygrans Onkel sagte nichts und starrte ihn weiterhin finster an. Dani lief es kalt den Rücken herunter, er fürchtete, dass der Mann ihn am Arm packte, sollte er versuchen an ihm vorbeizugehen. Außerdem schien der Onkel durch und durch ein Fan der Sowjetunion zu sein, denn er trug, soweit Dani das erkennen konnte, die russische Uniform aus dem zweiten Weltkrieg, inklusive Offiziersmütze. Auf seiner Brust prangten einige der Abzeichen, die Dani hinten im Arbeitszimmer gesehen hatte. Es verwunderte ihn jedoch. Tygrans Onkel hätte viel älter sein müssen um im zweiten Weltkrieg mitgekämpft zu haben. Was ging hier vor sich?
"Убирайся отсюда сейчас же!"
Die Stimme des Mannes war lauter als vorher und er trat bedrohlich einen Schritt auf Dani zu.
"I'm sorry, I-..."
"Дядя!" Dani wurde von Tygran unterbrochen, der hinter ihm die Treppe herunter kam und auf sie zueilte. Der Mann wandte sich an seinen Neffen und die beiden unterhielten sich weiter auf russisch, während Dani daneben wartete und kein einziges Wort verstand. Doch er bemerkte etwas Eigenartiges. Tygrans Körper versteifte als er mit seinem Onkel redete und er nahm eine beinahe unterwürfige Haltung ein. Als ob der Mann nicht zu seinem Neffen, sondern zu einem Angestellten sprechen würde. Wie es aussah versuchte Tygran auf ihn einzureden, jedoch wurde er von seinem Onkel ständig unterbrochen, als ob er nicht mal das Recht besäße, mit ihm zu sprechen. Schließlich nahm Tygran Dani am Arm und verließ mit ihm eilig den Flur.
"Tut mir leid", murmelte Dani, als sie wieder im Wohnzimmer waren. Er wusste, dass er Tygran wohl Ärger bereitet hatte.
"Schon okay. Merk's dir einfach fürs nächste Mal", antwortete Tygran als er sich gegen die Tür lehnte. Er sah erschöpft aus, und irgendwie... ängstlich.
"Dein Onkel-..."
"Der ist immer so, mach dir keine Sorgen", unterbrach Tygran ihn, bevor Dani seine Frage stellen konnte. Doch er verstand, dass Tygran nicht über ihn reden wollte.
"Wo ward ihr denn die ganze Zeit?", rief Sam vom Sofa und gähnte einmal.
"Entschuldigung! Ich bringe euch kurz zu euren Zimmern und dann zeige ich euch das Grundstück", bot Tygran an, auf seinem Gesicht war bereits wieder ein Lächeln zu sehen. Dani und Sam folgten ihm mit ihren Rucksäcken in die zweite Etage, während Tygran vorausging.
"Hier ist das Badezimmer. Am anderen Ende des Flurs befindet sich auch noch eins", informierte er sie und öffnete die Tür. Das Badezimmer war groß mit einer Dusche, einer Toilette und einer Badewanne und einem großen Fenster an der Wand.
"Hier sind eure Zimmer, direkt nebeneinander."
Dani öffnete die Tür zu dem Zimmer, in dem er heute Nacht schlafen sollte. Es war geräumig und hatte eine schöne Ausstattung. Es war zwar ein wenig leer, aber ein Bett und ein Nachttisch war alles, was er brauchte.
"Und wo ist dein Zimmer?", fragte Sam und Tygran lächelte nervös.
"Auch hier nebenan. Es ist aber nichts Besonderes", antwortete er und ging ein paar Türen weiter. Dani hätte mit allem gerechnet, aber nicht, dass Tygran so Recht behielt.
Sein Zimmer war leer. Beinahe leerer als die Gästezimmer. Es war riesig, es gab genug Platz um noch mindestens zehn weitere Betten mit Abstand aufzubauen, man könnte sogar ohne Probleme einen Korb an die Wand hängen und Basketball spielen.
Doch in Tygrans Zimmer war nichts. Es gab ein schmales, schlichtes Bett, einen Kleiderschrank und einen alten Schreibtisch mit Stuhl. Aber ansonsten... nichts. Keine Poster an den leeren Wänden, keine Fotos, keine Klamotten auf dem Boden, keine Bücher. Tygran hatte scheinbar nichts, mit dem er das Zimmer hätte ausfüllen können.
"Ich verbringe hier nicht viel Zeit, deswegen ist es ein bisschen staubig", lachte er ein wenig unbeholfen.
"Aber... hast du denn nichts, mit dem du dieses Zimmer... ich weiß nicht, gestalten könntest?", fragte Sam mitleidig.
"Gestalten? Was meinst du?"
Dani blendete Sams und Tygrans Gespräch kurz aus, als er doch etwas entdeckte. An der Wand neben dem Schrank hing der gleiche Glaskasten wie im Arbeitszimmer von Tygrans Onkel. Und auch dieser Kasten war gefüllt mit Abzeichen. Er trat näher heran um sie genauer zu betrachten. Die Orden waren schlicht und klein, Dani konnte sie nicht zuordnen, denn sollten es Tygrans sein, konnten es unmöglich militärische Auszeichnungen sein. Auf jeder Plakette befand sich ein russischer Schriftzug und Dani hätte alles gegeben um herauszufinden, was auf den Abzeichen stand.
"Hey, Tygran, woher hast du die?", fragte er und zeigte auf den Glaskasten.
"Ah, Reitmedaillen. In Eyik kommt man am schnellsten mit dem Pferd voran und ich war im Reiten ganz gut, ein paar Tuniere hab ich gewonnen", sagte er, doch Dani wusste, dass da etwas faul war. Warum sollte sein Onkel ähnlich aussehende Abzeichen an seiner Uniform tragen?
"Wow, das ist doch schon mal was", sagte Sam erstaunt.
"Eigentlich mag ich sie gar nicht." Tygran blickte zu Boden.
"Mein Onkel zwingt mich, die Auszeichnungen im Zimmer zu behalten."
Aha...
"Wenn er dir sonst nichts erlaubt", sagte Dani schulterzuckend.
"Ach, es ist so leer hier drin, du bist bestimmt einsam, Tygran. Hey Dani, wie wär's wenn wir die Matratzen einfach neben Tygrans Bett legen und bei ihm im Zimmer schlafen?"
"Das würdet ihr tun?" Tygran sah sie mit großen Augen an. Und je länger Dani hinstarrte...
"Na gut", seufzte er.
"Aber wehe du schnarchst!"
"Ich schnarche nicht!", bestritt Tygran.
"Ich meinte Sam", grinste Dani.
"Hey!!" Im nächsten Moment fühlte er auch schon eine Hand in seinen Rippen.
"Na kommt, ich zeig euch die Pferde", lachte Tygran.
"Ja!" Sam klatschte aufgeregt in die Hände als sie Tygran aus dem Zimmer folgte. Dani blieb noch kurz. Er zückte sein Handy und machte schnell ein Foto von den Auszeichnungen, er fokussierte die Kamera vor allem auf die russischen Buchstaben. Die Fotos würde er sich nachher im Google-Übersetzer ansehen.
"Dani, kommst du?", hörte er Tygran rufen.
"Bin unterwegs!" Dani verließ den Raum und stieß zu seinen Freunden.
"Manchmal verlaufe ich mich selbst noch hier drin", sagte Tygran als er die Doppeltür zum Hof öffnete.
"Wir sind schließlich erst vor ein paar Wochen hergezogen. Es dauert, sich an ein so großes Haus zu gewöhnen."
"Das glaub ich", pflichtete Sam ihm bei. Die drei gingen rüber zur Koppel, wo Tygran das Tor öffnete und sie hineinließ. Nachdem er den Riegel wieder vorgelegt hatte pfiff er einmal laut durch die Zähne. Beinahe augenblicklich erschien ein Pferd mit weißem Fell und weißer Mähne, das vom anderen Ende der Koppel auf sie zutrabte. Dani konnte sehen, wie Sams Augen beim Anblick des Tieres glitzterten. Er selber war nicht so angetan von Pferden, für ihn war es immer Mädchenkram gewesen.
"Es ist so schön!", schwärmte sie als Tygran das Pferd am Halfter heranzog. Es war ziemlich groß und sogar Dani konnte erkennen, dass es sich wohl um ein teures Tier handelte.
"Das ist Anastasia, unser bestes Rennpferd. Sie bekommt in ungefähr zehn Monaten ein Fohlen", sagte Tygran und klopfte der Stute auf den Hals.
"Ein Fohlen?? Du musst mir unbedingt Bescheid sagen, wenn es soweit ist!" Es sah so aus als würde Sam in Ohnmacht fallen vor lauter Aufregung. Tygran lachte.
"Klar. Wir haben auch ein paar Fohlen hier, aber sie sind ziemlich scheu und lassen sich noch nicht streicheln. Aber Anastasia ist eher neugierig, wenn du willst, kannst du sie striegeln."
"Das ist wie Weihnachten", flüsterte Sam als sie sich dem Pferd langsam näherte und begann es zu streicheln. Das Tier schnaubte durch die Nüstern und Dani wich einen Schritt zurück als die Stute ihn mit der Schnauze anstupste.
"Wie gesagt, Anastasia ist sehr neugierig", lachte Tygran wieder als er in einer Box neben dem Zaun kramte und Sam einen Striegel überreichte. Dani wusste, dass sie sich den Rest des Tages mit dem Pferd beschäftigen könnte.
"Einen Moment, ich bin gleich wieder da!" Tygran eilte in den anliegenden Stall und kam wenige Minuten später mit einem deutlich kräftigeren Pferd wieder heraus. Es war breiter und größer als die anderen auf der Koppel, ein Kaltblüter.
"Das ist Waron. Das einzige Pferd, auf dem ich reiten darf. Ist wahrscheinlich auch richtig so, mein Gewicht ist nicht unbedingt gut für jedes Pferd", grinste Tygran als er mit dem riesigen Pferd auf sie zukam. Die Fellfarbe des Kaltblüters war glänzend schwarz, genau wie seine Mähne, die ihm in die Augen fiel.
"Komm mal her, Dani!"
Dani starrte das Pferd an und Tygran, der ihn rüberwinkte. Na toll, es mochte ja sein, dass sie sich in Sams Traumland befanden, aber er und Pferde?
Großartig...
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