[70] This time I'm ready to run
Je näher Ende Mai rückte, desto mehr schien ich Hailee zu vermissen und doch brachte ich noch immer nicht den Mut auf, sie anzurufen.
Vermutlich lag es an der Angst Fehler zu machen, die uns wieder zurückwarfen. Unser Verhältnis war so verdammt kompliziert, dass ich schon selbst den Überblick über all das verloren hatte.
Gerade als ich mal wieder auf der Couch lag und Fernseher schaute, um mich von meinen Gedanken und der Verpflichtung mich melden zu müssen abzulenken, klingelte auf einmal mein Handy. Völlig unvorbereitet leuchtete es neben mir auf.
Schnell schluckte ich das Pizzastück herunter, welches ich mir in den Mund geschoben hatte und griff mit noch immer fettigen Fingern nach dem kleinen Gerät.
Mein Herz raste, als wäre ich gerade einen Maraton gelaufen.
Es dauerte nur Sekunden, bis meine Laune umschlug und zur Enttäuschung überging. Liam, nicht Hailee. Was wollte Liam denn jetzt?
„Ja?“, fragte ich nach, ehe ich frustriert weiter aß und den Pizzakarton auf meinen Schoß zurechtrückte. Aus irgendeinen Grund wäre ich erleichtert gewesen, wenn Hailee sich zuerst gemeldet hätte.
Vielleicht brauchte ich einfach diese Bestätigung nach den ganzen Ereignissen der vergangenen Jahre.
„Kommst du heute mit ins Fitnessstudio?“, fragte Liam in diesem Moment nach.
Ein ironisches Lachen entfuhr meinen Lippen. „Lass mich überlegen“
Mein Blick wanderte von dem Pizzakarton zu meinen Beinen, die auf dem Couchtisch lagen und schließlich hoch zur Treppen, die zu meinem Schlafzimmer führte, in welchem sich irgendwo meine Sportsachen versteckten. „Nein!“
„Ach komm schon“, ließ Liam nicht locker. Mit vollen Mund nuschelte ich: „Frage doch Louis!“
„Der ist mit El unterwegs. Seit die beiden wissen, dass sie Eltern werden, benehmen sie sich wie frisch verliebt und weichen nicht mehr von der Seite des anderen. Und bevor du fragst: Harry geht nichts an Telefon!“
„Heißt das jetzt, dass ich der letzte Ausweg bin?“, grummelte ich und schaltete den Fernseher aus, da ich das Spiel mit einem Liam am Ohr sowieso nicht mehr verfolgen konnte.
Meine Motivation das Haus zu verlassen hielt sich wirklich in Grenzen, noch dazu kam das Sporttreiben. Da würde ich doch lieber den Golfplatz bevorzugen.
„Ich wusste ja, dass du nicht begeistert sein wirst. Aber Sport ist gut für Körper und Geist und fürs Selbstbewusstsein“, erklärte mir mein Kumpel und schien bereits hektisch hin und her zu laufen, um seine Sportsachen zusammenzupacken.
„Mhm...“, murmelte ich leise und sah nachdenklich zu dem Pappkarton.
„Ich bin in circa einer Stunde da. Vergiss dein Trinken nicht. Ich will ja nicht, dass du umkippst“
Bevor ich auch nur den Mund aufbekommen konnte, hatte Liam schon aufgelegt. Das nächste Mal würden wir golfen gehen, so viel war klar.
Noch immer nörgelnd erhob ich mich und sah herunter zu meiner Jogginghose. Seufzend machte ich mich auf den Weg nach oben und begann meine Sportsachen ausfindig zu machen.
Es dauerte geschlagene zwanzig Minuten, die mir wirklich zu Denken gaben. War es wirklich so lange her, dass ich Sport getrieben hatte?
Auf die Minute pünktlich stand Liam vor meiner Tür. Er hatte eine kurze Sporthose an, die seine trainierten Beine hervorhob und sein Shirt, das seine Armmuskeln betonte.
Dazu ein Handtuch locker über die Schulter gelegt und eine Wasserflasche in den Händen. Augenblicklich war mir die Lust auf Sport noch mehr vergangen. Gegen Liam sah ich mit diesen schlabbrigen Klamotten noch unsportlicher aus.
„Na komm schon“, ermutigte er mich da und nickte Richtung Auto, in welchen sich durch das warme Wetter sicherlich eine Schwüle angesammelt hatte.
„Schön, dass du wenigstens Zeit für mich hast“, grinste Liam schließlich und gewährte mir elegant das Eintreten. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sein Motiv nicht das Sporttreiben war, sondern mit Jemanden ins Gespräch zu kommen. Und wenigstens den Gefallen konnte ich ihm ja tun.
Eine halbe Stunde später erreichten wir das Fitnessstudio, in welchen Liam schon so oft seine Wut und seine Gefühle ausgelassen hatte.
Überall wimmelte es von durchtrainierten Körpern. „Wollen wir nicht einfach nach Hause und uns gemütlich...“ Doch weiter kam ich nicht, da Liam mich bereits an den Kabinen vorbei zu einem großen Raum gezogen hatte. Überall standen verteilt Sportgeräte, die nur darauf warteten, benutzt zu werden und an den Wänden waren allerlei Regale und Fächer für Handtücher und Wertsachen.
„Möchtest du dich eher auf Krafttraining spezialisieren oder eher Ausdauer?“, fragte Liam da nach und sah sich suchend um. Bevor ich ihm eine Antwort gegeben hatte, lief er bereits zu zwei der Laufbänder. Die anderen waren von etlichen Männern und Frauen besetzt, die diese Folter anscheinend Alltag nannten.
„Fangen wir am besten hier an“ Liam nahm sein Handtuch und seine Trinkflasche und verstaute sie in eines der vielen Fächer. Ich machte es ihm widerwillig nach. Ich bereute es jetzt schon mit gekommen zu sein, noch dazu kam, dass ich das Spiel nicht zu Ende schauen konnte.
„Weißt du, Niall“, fing Liam an, als er mit seinen Laufschuhen auf das schwarze Band trat und dieses sich, nachdem er die Geschwindigkeit eingestellt hatte, in Bewegung setzte. „Ich habe überlegt mal wieder ans Meer zu fahren. Mal ein bisschen rauszukommen und die Sonne auf der Haut zu spüren, ohne Konzerte und Verpflichtungen“
„Das klingt doch gut“, murmelte ich und kämpfte mit den Einstellungen meines eigenen Laufbands. Es war nicht so, dass ich nie Sport machte.
Doch verstand ich nicht, warum man auf dieser Maschine herum rannte, wenn es doch draußen in der Natur genauso oder sogar besser funktionierte. Von Fitnessstudios hatte ich nie viel gehalten.
„Aber wie stellst du dir das mit der Band vor?“, forschte ich schließlich nach, nachdem ich endlich ebenfalls auf dem Laufband begann in einem langsamen Tempo zu joggen, um warm zu werden.
„Natürlich verreise ich erst nach der Tour. Wir werden doch nicht so wie damals gleich neue Songs schreiben und ins Studio stürzen“, meinte Liam, ohne das seine Stimme von den Bewegungen beeinträchtigt wurde.
„Ja, das wäre wohl ziemlich dumm von uns“, bestätigte ich und versuchte mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Man sagte immer, dass Sport einen ablenkte, dies schien bei mir nicht ganz aufzugehen.
Denn während Liam noch von weiteren Plänen sprach, kehrte ich in Gedanken zurück zu Hailee. Ich musste mir vorstellen, wie wir ebenfalls ans Meer fuhren. Vielleicht nach Frankreich, sowie in ihrem Musikvideo von Capital Letters.
„Findest du nicht auch?“, riss mich Liam aus den Gedanken, während ich schon langsam ins Schwitzen geriet.
„Was?“, fragte ich irritiert nach und unterdrückte ein Keuchen. „Na, dass ich mal mit Bear wegfahren könnte. Der Kleine hat doch bestimmt Spaß am Strand und freut sich raus zu kommen. Außerdem... Außerdem“, Liam geriet ins Stocken.
„Außerdem...?“, hakte ich nach und stellte das Gerät eine Stufe höher. Obwohl ich mich völlig erschöpft fühlte, hatte ich langsam gefallen an der Sache des
Auspowerns gefunden.
„Ich möchte endlich abschließen und neu anfangen. Früher habe ich festgehalten und du losgelassen und heute ist plötzlich alles verdreht. Cheryl ist eine tolle Frau, hübsch, stark und alles was ich immer wollte, aber sie ist nun mal nur die Mutter meines Sohnes. Nicht mehr und nicht weniger. Und ich glaube, dass ich mir immer selbst im Wege stand, weißt du Niall. Denn eines muss ich lernen...“, doch weiter kam er nicht mit seiner Rede, die ich offen gesagt ziemlich beeindruckend und reflektiert fand. Denn da spürte ich seine besorgten Blicke auf mir ruhen.
„Niall!“, rief Liam alarmiert, während ich immer schneller rannte und ins Keuchen geriet. „Alles gut“, nuschelte ich und winkte ab. Ich wollte noch nicht aufgeben. Nicht vor diesen ganzen Angebern um mich herum.
Im nächsten Moment wurde das Laufband so schnell langsamer gestellt, dass ich um ein Haar nach vorne gefallen wäre.
„Überanstrenge dich nicht. Du musst erst mal warm werden“, riet mir Liam und stellte auch sein eigenes Gerät einen Gang runter. „Ja ja“, nuschelte ich und fuhr mir über die verschwitzte Stirn.
„Also was musst du jetzt lernen?“ Ich war froh von mir ablenken zu können. Liam wartete einen Moment, ehe er sich langsam mir zuwandte und antwortete: „Alleinsein!“
Eine Weile war es still. Ich wusste nicht, was oder wer Liams Meinung so geändert hatte. Aber abermals suchte mich Stolz auf. Denn noch vor Kurzem hatte ich ihn im Tourbus völlig niedergeschlagen gesehen, dauernd hatte er am Handy gehangen und dauernd hatte er sich auf Cheryl erneut eingelassen. Ihr war wohl nichts anderes übrig geblieben, als ihm irgendwann die kalte Schulter zu zeigen, andererseits hätte Liam wohl nicht so schnell lernen können.
Und trotz der Freude, kam ein Hauch von Angst in mir auf. Liam konnte viele Phasen und Meinungsänderungen haben. Zwischen zum Himmel hoch jauchzend und zu Tode betrübt lagen manchmal nur Minuten. Doch diese Gedanken hielt ich für mich, denn wenn er es wirklich durchzog und mit seinem Sohn wegfuhr, schien er den besten Weg gefunden zu haben.
Ich wollte es nicht zu geben, aber der Tag hatte mehr als gut getan. Zum einen konnte ich Liam zu hören und in seinen Vorhaben unterstützten und zum anderen suchte mich gleich, nachdem wir das Gebäude nach dem Krafttraining verlassen hatten, eine unerklärlich gute Laune auf. So gut, dass ich ohne groß nachzudenken mein Handy herauszog. Liam hatte recht behalten: Sport machte Selbstbewusst.
Das Auto stand etwas abseits, obwohl hier so oder so nicht allzu viel los war. Und so liefen Liam und ich den schmalen Bürgersteig lang, während ich Hailees Nummer wählte.
„Na los“ Liam sah mich lächelnd an. Scheinbar hatte er mein kurzes Zögern mitbekommen. „Jetzt oder nie!“
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