3. Venedig
~Junia
Wenn ich ein Bild von dem Maler ersteigere, dann suche ich nach der Hoffnung. Nach der Vergangenheit, dem Schmerz und den Gefühle im Bild.
Ich fühle die Emotionen. Auf sinnlicher Ebene fahre ich die Pinselstriche nach. Ich kann einschätzen wieviel Kraft dem Künstler das Bild gekostet hat.
Ich brauche den Augenblick der Freiheit und der Anonymität.
~♡~
Mit meiner Mum war ich einmal auf einer Kunstausstellung in Venedig.
Die Bienale war wunderschön. Moderne Kunst voller Einheit, Farbe und kreativen Gedanken.
Ein großes, rundes, dunkelblaues Becken, in dem halbe Geigen und Celli drin lagen.
Der Pavillon, wo alles gelb und voller Penisse war. Skurill!
Den schönsten Pavillion haben japanische Künstler gemacht.
Ein kleines Boot und rundherum hundertmillionen von Schlüsseln an roten Fäden alle miteinander verbunden. Dadurch entstand ein Netz das prachtvoller nicht sein konnte.
Wenn ich mir diese Kunst ansehe, dann erkenne ich, das tief in den Menschen drin noch etwas sein muss. Ein Gefühl, ein Reflex oder eine Tätigkeit die einfach erst erfunden werden muss und doch schon da ist.
Am Abend waren meine Mutter und ich Essen. Es war eine schöne Zeit und wir lachten viel. Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen und wir redeten bis in die dunkle Nacht. Später liefen wir über die Seufzerbrücke Richtung Appartement, bis meiner Mutter einfiel, dass sie ihre Schlüssel im Restaurant liegen gelassen hatte.
Sie wies mich an, schon einmal weiter zu gehen und machte sich auf dem Weg zurück. Es war ein bisschen gruselig alleine in der Nacht durch Venedig zugehen. Ich fröstelte und schlang die Arme um meinen Körper. Meine Hände zitterten. Der Wind pfiff durch die Gassen. Meine Schritte quitschten unter dem Steinboden. Leises Paddeln eines Bootes waren zu hören. Doch keine Menschenseele schien um diese Uhrzeit noch unterwegs zu sein.
Ich blieb stehen.
Und dann war da ein Geräusch. Ein leises qualvolles Schreien gefolgt von einem lauten Platscher, der durch die Kanäle hallte. Dann Stille.
Ich zuckte zusammen. Was oder wer war das?
~♡~
Meine Mutter war tot. Das erfuhr ich am nächsten Tag.
In der Venedignacht kam sie nie mit den Schlüsseln zurück.
Ich konnte nur in unser Appartement weil ich einen Ersatzschlüssel bei mir trug.
Es war Selbstmord. Sie stürzte sich die Seufzerbrücke runter. Die Brücke die jene schon den Tod gebracht hatten.
Ich hatte das alles nicht realisiert. Ich redete mir lange Zeit ein, sie sei einfach nur auf einer langen Reise, wie sonst auch immer, wenn ich allein zuhause war.
Um mich zu beschäftigen schrieb ich Briefe:
Lieber Gott,
Wo ist der Himmel auf Erden? Wo ist die Glut im Feuer?
Wo ist die Liebe?
Ich möchte bitte sterben. Nimm mich mit und mach mich zu jemanden besseren.
-Junia
An meine Zwillingsschwester habe ich nie gedacht. Sie lebte bei unserem Vater.
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