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Der Wald lag still da, zumindest auf den ersten Blick. Wenn man näher hinsah und hörte, bemerkte man den nächtlichen Trubel.
In der Nähe plätscherte ein Bach, ein Uhu schrie und ein Tier schlich über den mit Herbstblättern bedeckten Boden.
Die Laubkronen der Bäume rauschten im Wind und selbst die dicken Stämme schaukelten hin und her.
Das alles machte einen äußerst friedlichen Eindruck...
... Nur die Silhouette des Mädchens am Boden störte den heiligen Schein.
Sie lag auf dem Boden, unter einigen Wurzeln verborgen. Ihren Atemzüge waren lang und unregelmäßig, als wäre sie gerade gerannt und trotzdem versuchte sie eindeutig so leise zu sein wie nur möglich.
Ihr ganzer Körper war angespannt bis zum letzten Muskel, bis zum letzten Nerv. Langsam und leise hob sie ihren Kopf. Als ein Ast in ihrer Nähe brach und somit knackte, zuckte sie zusammen.
Sie sah nichts, es war zu Dunkel, kein Mondlicht drang durch die dichten Kronen der monströsen Bäume.
"Abby!", schrie eine Stimme und brach die eisige Stille. "Abby hier ist die Polizei, komm zu uns", erklärte ein Stimme. Das Mädchen presste sich eine Hand auf den Mund um nicht zu schreien, er war hier. Er war ihr näher als die Polizei, trotz all ihrer Mühen würde sie sterben. Tränen brannten auf ihren Wangen, hinterließen eine salzige Linie, während neue Tränen folgten. Wenn es regnen würde, wäre der Geräuschpegel lauter, ihre Chancen würden größer sein.
"Abby", flüsterte hämisch eine Stimme in ihrem Kopf, "Abbylein, siehst du es? Ich will dir wehtun und ich werde dir wehtun?! Ich hab dir doch gesagt, dass flüchten nichts bringt" Dann folgte ein Lachen. Das Mädchen rammte ihr Gesicht in den Boden vor ihr, wollte das es alles aufhörte.
"Abby Kreisler, du musst zu uns kommen, sie tun dir nichts mehr", es war die Stimme des Polizisten, es klang als wäre er ihr näher gekommen. "Wir werden Unterstützung brauchen Nils", flüsterte die zweite, eindeutig weibliche Stimme, "Ich gehe nur schnell zum Auto und bin in drei Minuten wieder hier"
Wieder knackte es, leider aus der entgegengesetzten Richtung. Die Polizisten waren nicht die einzigen hier. "Wir sind immer da", kicherte wieder diese Stimme in Abbys Kopf. Die Tränen liefen weiter, durchnässten sie und den Boden. Laub und Erde kleben an ihrem Gesicht, als sie es endlich anhob um wieder zu atmen.
"Komm zu uns Abby", hauchte jemand. Es war diese hässliche kratzige Stimme, die Stimme ihrer Alpträume und die Stimme die sie seit ganzen 28 Tagen verfolgte. "Ist da jemand?", schrie der Polizist. Es war der Männliche, der den die Frau Nils genannt hatte.
Abby war das Ziel, der guten aber auch der bösen Seite. Auf der einen Seite lag ihr Tod, auf der anderen die Scherben ihren bisherigen Lebens.
Jegliche Aktion konnte ihr Leben retten... Oder auch beenden. "Abby!", zischte wieder die Alptraum Stimme. Ihr Entführer war ganz nah, vielleicht nur wenige Meter. Mit all ihrer verbleibenden Kraft presste sie ihr Gesicht in die weiche Erde. "Abby Kreisler, ab jetzt wird alles gut", die Polizistin, sie war wieder da.
Jemand lud eine Waffe.
Leben oder Tod
Ihr Leben oder ihr Tod
Und trotzdem lag sie schweigend auf dem Boden, unter den herrausgewachsenen Wurzeln eines Ahorns, presste ihr nasses Gesicht in den Boden und heulte.
Sie war keine Superheldin, niemand der aufstand und Richtung Polizei rannte um zu überleben und schon gar niemand der auf den Feind zurannte und ihn umhaute.
Wieder musste sie Luft holen, sie hob ihr Gesicht ein wenig.
Licht
Der Schein einer Taschenlampe durchschnitt die Dunkelheit und verriet den Aufenthalt der Polizistin. Warum sollte der Feind sich zeigen? So dumm war er nicht, leider.
Man würde sie hier nicht sehen, bestimmt. Beinahe ihr gesamter Körper war vom Dreck überseht, frisch gefallene Blätter lagen auf und um sie herum.
Noch war das Licht sehr schwach, viel zu weit.
"Abby, antworte uns", forderte dieser Nils.
Sie mochte ihn sofort, ihren baldigen Retter.
"Du blöde Göre, komm her sonst mach ich dir dein restliches Leben zum Alptraum", knurrte er, der Bösewicht.
Ihr Leben war in den letzten 28 Tagen kein Zuckerschlecken, gewiss nicht, aber die Aussicht auf das was er versprach, gruselte Abby.
Sie würden sie verfolgen.
Es gäbe immer einen Schatten hinter ihr und wenn doch nicht, würde sie es sich einbilden.
Sie durfte nicht aufgeben.
Es musste etwas besseres, etwas schöneres auf dieser Welt geben und Abby hatte es sich verdient.
"Man muss sich auch mal was gönnen", hatte ihre Mutter immer gesagt.
Jetzt!
Der Lichtstrahl traf auf den Baum über ihr.
Das Glück hatte gewonnen und die suchenden Schreie nach ihr würden endlich aufhören.
Sie schüttelte sich.
"Hier! Hier bin ich", schluchzte sie laut und schnappte nach Luft, "Ich bin hier"
Endlich war es soweit, nach mehr als sechshundert Stunden überlebens, würde sie endlich leben.
Endlich konnte sie die beiden Polizisten sehen.
Die Frau, älter als fünfzig, mit graublonden Haaren packte ihren Kollegen am Arm und deutete mit der anderen Hand in ihre Richtung.
Sie schnappte nach Luft.
Ihr Kollege schnellte mit der Taschenlampe herum, schien Abby direkt ins Gesicht. Er blendete sie, mehrmals blinzelte das Mädchen um wieder etwas zu sehen.
Er war bestimmt zwanzig, wenn nicht dreißig Jahre jünger als die Frau, braune Locken umrahmten sein Gesicht.
In der Ferne hörte sie die Sirenen, laute Stimmen.
Wie in einer unendlich langen Zeitlupe rannten die beiden auf sie zu.
Die Taschenlampe strauchelte, das Licht schien in alle Richtungen. Die Füße berührten den Boden, Staubkörnchen flogen auf.
Noch immer weinte Abby, sie lag auf dem Boden während der Wasserspiegel in ihr bestimmt auf fünfzig Prozent sank. Ihr ganzer Körper fühlte sich so trocken an und trotzdem weinte sie.
Immer lautere Stimmen, das Knacken von Ästen über ihr von Vögeln die man aufgeschreckt hatte.
Nils und seine Kollegin sanken neben ihr zu Boden, fegten die Blätter von ihr, wischte mit ihren Handflächen über ihr Gesicht. Wischten schmerzhaft über ihr sowieso schon verschrammtes Gesicht um den Dreck zu beseitigen.
Die Polizistin zog sie in eine herzhafte Umarmung.
Das würde jetzt jeder tun. Sie bemitleiden, ihr über die Wangen streicheln und sie umarmen.
Sie hasste es jetzt schon.
Mehr Männer und Frauen in grau blauen Uniformen näherten sich, sie trampelten über den Waldboden.
Das Plätschern des Baches war kaum mehr zu hören, keine Eule schrie.
Man zog sie aus ihrem Versteck...
Sie sind immer noch hier... Und sie werden mich holen. Abby drückte ihr Gesicht in die warmen Klamotten eines Polizisten. Sie war nicht in Sicherheit, sie war noch nicht gerettet.
Ein lauter Knall durchbrach die Gespräche der Polizisten, ein Schuss.
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