Kapitel 12
Eine Woche ist vergangen. Eine ganze Woche lang hat er sich mit der deutschen Geschichte befasst und er muss sogar zugeben, dass er es teilweise sehr interessant fand.
Die Kriege und Aufstände, lauter mutige Rebellen, ein bisschen wie er. Vor allem hat er gelernt, dass es wichtig ist, auch ein paar Menschen zu haben, die eine andere Meinung haben als die Masse. Ohne solche Menschen gäbe es sonst immer noch das deutsche Kaiserreich.
Voller Vorfreude sitzt Adrian an seinem Platz und die Geschichtslehrerin betritt den Raum.
Das allgemeine Gemurmel wird eingestellt.
Er kann es gar nicht abwarten, endlich die Arbeit zu bekommen und sein ganzes, neu gelerntes Wissen preiszugeben.
Als die Lehrerin die Blätter austeilt, bleibt sie vor seinem Tisch kurz stehen, schaut Adrian an und geht wortlos weiter.
Adrians Hand wandert zum noch umgedrehten Blatt vor ihm. Er will es ihr zeigen. Er will es allen zeigen. Jetzt!
Der Startschuss ertönt: "Ihr könnt das Blatt jetzt umdrehen."
Und das lässt sich Adrian nicht zweimal sagen.
Er kritzelt seinen Namen oben auf das Blatt und liest sich die erste Aufgabe durch.
"Erkläre, welche Aufgabe Bismarck unter Kaiser Wilhelm II hatte."
Das ist ja einfach. Adrian fängt sofort an zu schreiben.
Auch die nächste Aufgabe kann er beantworten und die übernächste.
Noch nie hatte er eine Arbeit vor sich und konnte dazu so viel schreiben. Noch nie hat er die Fragen so verstanden wie jetzt.
Sein Puls steigt, innerliche Freude kommt auf.
Erst die letzte Aufgabe hemmt seine Euphorie.
"Analysiere die Karikatur."
Was ist denn jetzt 'analysieren'? Was muss man da schreiben?
Adrian beginnt einfach das Bild zu beschreiben.
Allerdings ist er sich sicher, dass das nicht ausreicht, um in dieser Aufgabe die volle Punktzahl zu erlangen.
Trotzdem gibt er am Ende der Stunde, vollkommen zufrieden, seine Arbeit ab.
Am Nachmittag trifft er sich wieder mit Josh und Luc in der Laube.
Als Josh den Raum betritt strahlt er spielerisch über das ganze Gesicht: "Bro, bist wieder da? Wir haben dich vermisst. Was war denn wichtiger als wir?"
Grinsend lässt er sich auf das Sofa neben Adrian fallen.
Adrian zögert einen Moment: "Ich musste lernen."
Für den Bruchteil einer Sekunde herrscht Stille, dann prustet Josh los: "Lernen?"
Auch Luc muss lachen: "Alles okay, bei dir?"
Adrian nickt und muss selbst ein wenig grinsen: "Ihr glaubt gar nicht, wie einfach die Fragen in einer Arbeit sein können, wenn man gelernt hat."
Doch Josh und Luc können sich kaum halten: "Wer hat denn dir den Kopf gewaschen?"
Adrian weiß es. Luna. Aber er will es nicht sagen.
"Ich will das Jahr schaffen. Kein Bock noch ein Jahr dran zu hängen."
Luc lächelt, fast geheimnisvoll: "Wir werden ja sehen, ob sich das Lernen gelohnt hat."
Adrian nickt: "Das glaube ich schon. Jungs ich hab mich noch nie so gut nach einer Arbeit gefühlt."
Josh widerspricht ihm: "Also nach Mathe fühl ich mich immer gut. Wieder eine Arbeit rumgebracht und die anderen wussten zu 90% genauso wenig wie ich. Da fühlt man sich gut, wenn man fast mit dem Durchschnitt mithalten kann. Letztes Mal war meine Note nur 1,3 vom Durchschnitt entfernt. Das ist doch eine Leistung."
Stolz schwellt er seine Brust.
"Wie viel war der Durchschnitt?", fragt Luc, um Josh wieder auf den Boden der Tatsachen zurück zu bringen.
Kleinlaut antwortet dieser: "4,4."
Luc lacht. Adrian lacht. "Nein, im Ernst, ich will mich das restliche Jahr wirklich bisschen anstrengen und dann kann ich auch eine Ausbildung machen."
Josh verschluckt sich an ein paar Chips, die er sich gerade besorgt hat: "Was? Du willst 'ne Ausbildung machen? Nicht erstmal chillen und mit dem Motorrad um die Welt fahren? Das haben wir doch schon seit Jahren geplant."
"Ja, schon", gibt Adrian zu, "aber ich will auch mein eigenes Geld verdienen."
Luc steht auf: "Okay, ihr quatscht mir ein bisschen zu viel über die Zukunft. Ich geh mal 'ne Runde um den See fahren. Was dann kommt, weiß ich noch nicht."
Josh springt auch auf: "Warte, ich komm mit. Das macht immer gigantischen Spaß, die Fußgänger zu erschrecken."
Die beiden verlassen die Laube. Doch nur nach wenigen Sekunden kommt Luc wieder zurück: "Willst du nicht mitkommen, Adrian? Das hat doch immer Spaß gemacht."
Adrian schüttelt den Kopf: "Ne, ich fahr gleich nach Hause."
Luc nickt und geht wieder.
Adrian schaut ihm nach.
Dann starrt er auf den kleinen Tisch vor sich. Er ist dreckig und übersät mit Chips und Colaflecken.
Den Jungs ist das egal, aber Adrian schaut auf seine Uhr.
Er hat noch etwas Zeit und will zumindest den Tisch abwischen und ein bisschen fegen.
Fest entschlossen steht er auf, nimmt sich einen Lappen und wischt über den Tisch.
Anschließend fegt er noch ein bisschen die Laube aus.
Ein kleiner Aufwand und schon sieht die Laube um einiges besser aus.
Zufrieden geht er durch die Tür und wirft noch einen letzten Blick zurück. Er kann sich das selbst nicht erklären, aber es fühlte sich an, als hätte er die Verantwortung übernehmen müssen.
Entschlossen schließt er die Tür und macht sich auf den Weg zur Lichtung.
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