3 | shot on goal
ISLA
„Nein, Mom, das ist kein Doppeldate!"
„Sieht er denn gut aus?"
Ich verdrehe die Augen, obwohl sie das durch das Telefon leider nicht sehen kann.
„Ich weiß nicht mal, wer kommt. Woher soll ich wissen, wie er aussieht?"
„Blind Dates können auch sehr aufregend sein."
„Da bin ich mir sicher", antworte ich trocken.
„Ach, Isla", kommt es nur lachend von meiner Mutter zurück.
Um vom Thema abzulenken, frage ich sie: „Wann holt Tim dich ab?"
„Er wird jede Minute hier sein. Er will mir nicht sagen, wohin wir gehen."
„Sei nicht so ungeduldig", erwidere ich gespielt tadelnd. „Er hat sich bestimmt etwas Tolles überlegt und will dich überraschen."
„Ja, ja ... ich hoffe nur, ich bin richtig angezogen. Er–"
Sie bricht ab und ich kann im Hintergrund das Geräusch der Türklingel hören.
„Da ist er. Hab ganz viel Spaß heute Abend, Isla. Wenn er heiß ist, will ich ein Foto!"
„Klar", erwidere ich amüsiert. „Sollte er es sein, werde ich ihn einfach kurz bitten, stillzuhalten, damit ich ein Foto für meine Mutter schießen kann."
„Du bist ein Engel!"
„Viel Spaß, Mom", rufe ich lachend in mein Handy, bevor ich auflege.
Sie wirkt glücklich, was toll ist. Ich hoffe, es hält noch eine Weile an.
Ich greife nach meiner Jacke, um mich auf den Weg zu Asher zu machen. Es ist zwar nicht gerade um die Ecke, aber trotzdem noch so, dass man den Weg gut zu Fuß laufen kann. Ich genieße die frische Luft. Sie riecht nach Frühling und ein leichter Wind weht durch meine langen dunkelbraunen Haare.
Am Haus angekommen, klingle ich und Emmy lässt mich kurz darauf rein. Nachdem sie mich umarmt hat, führt sie mich zu dem großen Sofa, das sich im Gemeinschaftsraum der Jungs befindet. Dort sitzen bereits Asher und sein Kumpel. Ich erkenne ihn von den Spielen. Sein Name ist Kade. Dass ich das weiß, hat ganz sicher nichts damit zu tun, dass er nicht nur unglaublich gut auf dem Eis ist, sondern auch noch unglaublich gut aussieht.
Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass die Spieler auf dem Campus allgemein ziemlich beliebt sind. Selbst wenn man mit Eishockey nichts am Hut hat, kann man sich dem nicht ganz entziehen.
Seine blonden Haare fallen ihm in die Stirn, darunter strahlen seine blauen Augen, die mich an das Meer erinnern. Er hat seinen Hoodie an den Armen hochgeschoben, sodass seine vom Sport muskulösen Unterarme zum Vorschein kommen.
Als er mich zur Begrüßung anlächelt, muss ich mich wirklich zusammenreißen, ihn nicht anzustarren. Denn er hat genau diese Art Lächeln, in dem man sich so leicht verlieren kann. Aber das ist es nicht nur. Da ist noch etwas Trauriges an ihm, dass man sich gleichzeitig fragt, was er für eine Geschichte hat.
Innerlich ermahne ich mich selbst, mich zusammenzureißen. Es wäre einfach nur ultrapeinlich, wenn er mich beim Starren erwischt oder noch schlimmer mir meine Gedanken ansieht.
Asher stellt uns vor und fügt noch hinzu: „Isla begleitet Emmy häufig zu unseren Spielen."
„Ja, ich erinnere mich, dich dort gesehen zu haben", erwidert Kade an mich gerichtet.
Etwas überrumpelt antworte ich: „Oh ... uh, ich mich auch."
Okay, dämliche Antwort. Er ist einer der Stammspieler, der bei jedem verdammten Spiel auf dem Eis steht. Natürlich habe ich ihn gesehen.
Wenn ihm das auch aufgefallen ist, zeigt er es nicht. Er schenkt mir ein Lächeln und ich bemühe mich, es so normal wie möglich zu erwidern. Dieser Abend läuft schon furchtbar schief, bevor er überhaupt angefangen hat.
Zum Glück lotst uns Asher daraufhin zur Couch. Wenn ich sitze, kann ich ihn wenigstens nicht die ganze Zeit anstarren. Blöd nur, dass er genau neben mir landet und mir sein Duft in die Nase steigt. Er riecht frisch nach einer Mischung aus Zitrusfrüchten und etwas Schärfe. Ich verstehe nicht, was mit mir los ist. Ich verhalte mich lächerlich. Wenn er wüsste, was in meinem Kopf vorgeht, würde er vermutlich, so schnell er kann Reißaus nehmen.
Die anderen drei unterhalten sich, ich bleibe jedoch relativ still. Während ich mich bei Josh noch über zu wenig Anziehungskraft beschwert habe, erhalte ich jetzt meine Quittung. Ich wollte Anziehungskraft? Jetzt habe ich sie und es gefällt mir überhaupt nicht. Zumindest nicht bei ihm. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Es sollte jemand sein, der ... keine Ahnung in Frage kommt – erreichbar ist. Definitiv kein heißer Eishockeyspieler, bei dem man sich irgendwo hinten in der Schlange einreihen darf.
Von daher wird es Zeit, diese Gedanken abzulegen und sich normal zu verhalten. Ich kann das. Alles, was ich tun muss, ist mit ihm reden, wie ich es mit jedem anderen auch tun würde.
„Kade", platze ich daher heraus und seine blauen Augen richten sich auf mich. „Ich ..."
Ja, vielleicht hätte ich das noch etwas mehr durchdenken sollen ...
„Ich uh, habe mich gefragt, ob du von hier kommst?"
Ich verdrehe die Augen über mich selbst. Sehr kreativ, Isla.
Kade schüttelt den Kopf. „Nein, ich komme aus Boston."
Jetzt, wo er es sagt, hätte sein Dialekt ein Hinweis sein können. Er ist nicht super ausgeprägt, aber er hat diese typische Bostoner Art, das R auszusprechen.
„Ach, wirklich?", erwidere ich. „Mein Bruder wohnt in New York."
„Bist du häufiger dort?"
„Nicht so oft, wie ich es gerne hätte, aber ich versuche es immer in den Sommerferien, zumindest für ein paar Wochen."
So unkreativ ich dieses Gespräch auch gestartet habe, fließt es von diesem Moment an wie von selbst. Auch die nächste Zeit lande ich, ohne es beabsichtigt zu haben, immer häufiger in einem Zweiergespräch mit ihm. Inzwischen sind Emmy und Asher ... okay, ich habe keine Ahnung, was sie tun, da ich meine Umgebung auszublenden scheine, wenn ich mit Kade spreche.
Wir sind gerade dabei, uns auf einen Film zu einigen, da erhalte ich eine Nachricht von meiner Mutter und kann mich gerade noch zusammenreißen, nicht zu offensichtlich mit den Augen zu rollen.
Mom
Und?
Isla
Du bekommst kein Foto!
Ich hätte wissen müssen, dass sie nicht locker lässt. Ich weiß, was sie vorhat. Sie will mich aus der Reserve locken, weil sie der Meinung ist, ich würde meine Collegezeit zu wenig genießen. Aber was denkt sie sich? Dass sie mich bloß lange genug nerven muss, und ich ihn dann bespringe?
Um dem vorzubeugen, dass ich mich von ihren Nachrichten ablenken lasse, schalte ich die Vibration an meinem Handy aus und stecke es zurück in meine Tasche. Wenn ich es erst gar nicht mitbekomme, lese ich sie auch nicht.
Ich habe die Diskussion um den Film nicht weiter verfolgt, aber scheinbar haben sich die anderen drei auf irgendeine Actionkomödie geeinigt.
Mir ist alles recht, solange es kein Horrorfilm ist. Aber da Emmy genau so eine Abneigung gegen solche Filme hat wie ich, hatte ich auch nicht wirklich Sorge darum.
Als der Film startet, kuschelt sich Emmy an Asher, der seinen Arm um sie legt. Ohne dass eigentlich irgendetwas passiert ist, fühlt sich das Ganze auf einmal doch gehörig nach einem Doppeldate an.
Ich versuche mich mit aller Kraft auf das zu konzentrieren, was vor mir auf dem Bildschirm passiert. Kade sitzt immer noch neben mir, seine Körperhaltung entspannt, die Beine von sich gestreckt. Im Gegensatz zu mir scheint er den Film wirklich zu verfolgen.
Egal, wie sehr ich mich bemühe, dass es nicht so ist, seine Nähe ist mir nur allzu präsent. Da hilft es auch nicht, dass ich mich mehrfach ermahne, nicht an ihn zu denken und dass er bloß ein Fremder ist. Das, was seine Anwesenheit mit mir macht, will einfach nicht verschwinden.
***
Nach dem Film entscheide ich mich, aufzubrechen. Die harte Woche nagt an mir und dieser Abend war zusätzlich überraschend nervenaufreibend. Allerdings nur für einen von uns, denn ich scheine ihn vollkommen kalt zu lassen. Er ist zwar nichts anderes als nett zu mir, aber mehr eben auch nicht. Warum sollte er auch? Ich bin die beste Freundin von der Freundin seines Kumpels. Wahrscheinlich erinnert er sich nächste Woche nicht mal mehr an mich.
Es wird eindeutig Zeit, sich zu verabschieden und nach Hause zu gehen.
„Wir bringen dich zum Wohnheim", sagt Emmy zu mir und auch Asher steht auf.
„Das ist nicht nötig. Bleibt hier und macht euch einen schönen Abend."
Asher will gerade etwas sagen, als Kade ihm zuvorkommt. „Ich kann Isla zum Wohnheim bringen."
Mein Herz macht einen kleinen Satz und mein Kopf schnellt in seine Richtung. Er hat mir vorhin erzählt, in welchem Wohnheim er lebt und es liegt nicht einmal annähernd auf dem Weg. Er sagt das nur, weil er genauso wenig will, dass Emmy und Asher noch einmal rausmüssen.
Emmy wohnt zwar im gleichen Gebäude wie ich, sie hat jedoch ein Doppelzimmer, was nicht unbedingt der beste Ort ist, um Zeit mit seinem Freund zu verbringen.
„Ist das okay für dich, Isla?", fragt Emmy mich und ich nicke.
Wenn ich ablehne, würde sie darauf bestehen, mich zurückzubringen, und das will ich nicht. Ich werde Kade draußen einfach sagen, dass es unnötig ist, mich zu begleiten. Vielleicht lässt er sich ja besser abwimmeln. Er hat sicherlich auch keine Lust, länger als notwendig durch die Nacht zu spazieren.
Kade und ich verabschieden uns von den beiden und treten durch die Tür. Während es vorhin noch nach Frühling gerochen hat, schlägt uns jetzt die kühle Nachtluft entgegen. Obwohl die Tage langsam wieder länger werden und die Temperaturen steigen, ist es um diese nächtliche Zeit immer noch kalt, was ich völlig unterschätzt habe. Prompt beginne ich zu frösteln.
Sobald ich sicher bin, dass wir außer Hörweite sind, sage ich zu Kade: „Du musst mich nicht nach Hause bringen. Es ist ein ziemlicher Umweg für dich."
„Ich mag die Bewegung."
Zweifelnd sehe ich ihn an. „Bekommst du davon nicht sowieso genug?"
Ein kleines Grinsen erscheint um seine Mundwinkel. „Wenn du nicht vorhast, mich anzubrüllen und mir anschließend Liegestütze aufbrummst, würde ich das nicht unbedingt vergleichen."
Amüsiert sage ich: „Mal sehen. Der Weg ist noch ein Stück."
„Ich denke, ich gehe das Risiko ein", erwidert er trocken.
Damit hat er auch meinen Widerstand gebrochen, der sowieso von Anfang an nicht besonders stark war. Denn die Wahrheit ist: Eigentlich will ich gar nicht weg von ihm.
„Bevor ich hierher gekommen bin, war ich noch nie beim Eishockey", erzähle ich ihm.
„Dann wurde es ja höchste Zeit. Und magst du es?"
„Das tue ich. Am Anfang bin ich nur wegen Emmy mitgegangen. Aber möglicherweise bin ich selbst mittlerweile ein bisschen Fan. Bei mir an der Highschool war Schwimmen eine große Sache. Ich habe es selbst probiert, war aber nicht wirklich gut. Trotzdem habe ich es zum Spaß weitergemacht. Es hat etwas Entspannendes und ich mag es, wie sich mein Körper danach anfühlt."
Ich sehe wieder zu ihm und seine blauen Augen ruhen auf mir. Unsere Blicke treffen sich und ich weiß, ich sollte wegsehen, aber ich kann nicht. Es ist, als würde er mich gefangen halten.
Ich weiß nicht, wie lange ich in diese Augen gesehen habe, aber schließlich ist es Kade, der unseren Blickkontakt unterbricht.
Er räuspert sich und reibt sich mit einer Hand über den Nacken. Keiner von uns beiden scheint zu wissen, was er sagen soll. Gänsehaut bildet sich auf meinen Armen, doch dieses Mal kommt sie nicht von der Kälte. Ich schüttle mich leicht, was Kade aus seiner Starre löst.
Mit zwei schnellen Bewegungen streift er sich seine Jacke ab und hält sie mir hin.
„Oh, das geht schon."
„Dir ist kalt."
Es ist wirklich kalt. Aber ich kann ihm schlecht sagen, dass diese Gänsehaut gerade von ihm ausgelöst wurde.
„Was ist mit dir?"
„Ich bin okay."
Zögerlich greife ich nach der Jacke und meine Finger vergraben sich in den Daunen. Mir ist wirklich kalt und wie sehr, merke ich erst, als ich die Jacke überziehe, die noch von ihm aufgewärmt ist. Ich spüre seine Körperwärme an dem Stoff und werde von seinem angenehmen Duft eingehüllt. Ich ziehe sie noch etwas fester um mich und ertappe mich dabei, wie ich tief einatme. Ich kann nur hoffen, dass er es nicht gesehen hat.
„Danke", murmle ich ihm zu, doch er macht nur eine abwehrende Handbewegung.
In der Ferne taucht bereits mein Wohnheim auf und wir laufen schweigend darauf zu. Was auch immer in diesem einen Moment vor ein paar Minuten geschehen ist, es schwebt noch immer zwischen uns.
Vor der Tür angekommen, sage ich zu ihm: „Du musst mich nicht bis zu meinem Zimmer bringen."
Amüsiert erwidert er: „Hm, ich überlege, ob ich beleidigt sein sollte, dass du mich zum zweiten Mal unbedingt loswerden willst."
„Was?", frage ich entsetzt. „Nein! Ich will nur nicht, dass du Umstände hast."
„Habe ich nicht. Ich liefere dich vor deiner Tür ab und dann bin ich weg, keine Sorge."
Nicht, dass das in irgendeiner Weise meine Sorge gewesen wäre. Meine Probleme liegen ganz woanders – nämlich darin, dass ich ihn nicht loswerden will.
Er folgt mir die Treppen nach oben, bis ich vor der dritten Tür stehen bleibe, hinter der sich mein Zimmer befindet. Er ist jetzt so dicht vor mir, dass ich meine Arme nur ein wenig ausstrecken müsste, um ihn zu berühren. Da er mich um einiges überragt, muss ich meinen Kopf in den Nacken legen, um ihn noch ansehen zu können. Und dann ist der Moment wieder da.
Seine Augen sind auf mich gerichtet, und dieses Mal, im Licht des Flurs, kann ich jeden einzelnen Blauton darin erkennen. Einmal mehr erinnert es mich an das Meer. Mein Herz hämmert in meiner Brust und mir ist heiß. Viel zu heiß. Ich trage noch immer seine Jacke, eingehüllt in seinen Duft. Vermutlich wäre jetzt der Moment, sie ihm zurückzugeben.
Doch statt mich zu bewegen, wandert mein Blick von seinen Augen zu seinen Lippen. Sie sind voll und stehen leicht geöffnet. Alles, woran ich noch denken kann, ist, wie sie sich wohl anfühlen und wie es wäre, ihn zu küssen.
Ich beiße mir auf die Unterlippe und ohne es abgesprochen zu haben, machen wir beide einen Schritt aufeinander zu. Er nimmt mein Gesicht in seine Hände und ich schlinge meine Arme um seinen Nacken, als sich unsere Lippen treffen.
Der Kuss ist weder vorsichtig noch herantastend, sondern er zeigt genau das, was ich schon die ganze Zeit wollte – ihn. Ich wollte ihn spüren, wollte wissen, wie es sich anfühlt, wenn dieser Mund auf meinem liegt und wie er schmeckt, wenn seine Zunge meine umkreist.
Ich stoße mit dem Rücken gegen meine Zimmertür. Kades fester Körper drückt gegen meinen und ich kann seine harten Muskeln durch die Schichten unserer Kleidung spüren. Seine Hand wandert in mein Haar, mit der anderen stützt er sich neben meinem Kopf an der Tür ab.
Ein Kichern ertönt und ich erstarre. Ich habe vollkommen ausgeblendet, dass wir mitten auf dem Gang im Wohnheim stehen. Gott, ich habe meine Umgebung so vergessen, dass ich noch viel mehr getan hätte, als das gerade.
Kade lässt mich los und tritt einen Schritt zurück. Sein Brustkorb hebt und senkt sich im schnellen Rhythmus, seine blauen Augen sind aufgewühlt und ich kann meinen eigenen rasenden Herzschlag spüren.
„Oh mein Gott", nuschle ich verlegen.
Ich habe keine Ahnung, wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Ich kann nicht gerade behaupten, dass es etwas ist, das ich von mir kenne.
Hektisch wühle ich in meiner Tasche und ziehe meinen Schlüssel hervor, um die Tür aufzuschließen.
Als das Schloss knackt und sich die Tür öffnet, flüchte ich schnell in mein Zimmer. Kade hingegen steht noch immer da, wo ich ihn zurückgelassen habe.
Verwundert sehe ich ihn an: „Kommst du nicht rein?"
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shot on goal – ein Schuss, der ins Tor geht, wenn er nicht vom Torwart gestoppt wird
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