3 - Wieso gehst du
Kapitel 3
Fast absolute Stille umgab mich, als ich langsam einen Fuß vor dem anderen setzte. Der Wind wehte leicht und löste die letzten vertrockneten Blütenblätter einer Blume. In der Luft schaukelnd schwebten sie einige Meter weiter, um dann letztendlich auf den sandigen festgetretenen Boden zu fallen.
Seufzend setzte ich mich auf eine Bank in der Nähe und lehnte mich entspannt zurück, dabei betrachtete ich versunken den See, der sich vor mir erstreckte. Die Morgensonne spiegelte sich in der Wasseroberfläche und ließ jede kleine Welle funkelnd glitzern.
Meine Augen schlossen sich wie von selbst, als ich den zwitschernden Vögeln in der Ferne lauschte und auf das leise Geräusch der Wellen achtete, die gegen die Pfeiler des kleinen Holzsteges am Ufer schlugen.
Was war ich froh, dass unser Sportlehrer nicht alles mitbekam.
Wie immer am Schuljahresanfang mussten wir unsere Ausdauer trainieren und lange Laufrunden im Park drehen, der genau gegenüber von unserer Schule lag.
Obwohl ich Sport sonst nicht gerade so sehr mochte, freute ich mich auf diese Ausdauerstrecken am meisten. Das lag daran, dass der Park groß und sehr verwinkelt war und unsere Lehrer so nicht überall sein konnten. Wir hatten viel Freiraum und ich glaubte fest, sie wussten auch, dass viele Schüler in einer Doppelstunde an einem Freitagmorgen keine Lust auf Sport hatten.
Natürlich gab es auch die Hochmotivierten, die Runde um Runde zogen, aber diese Kursteilnehmer gab es ja immer.
Manche von uns gingen lieber außer Reichweite von den Argusaugen der Lehrer am weitläufigen Seeufer spazieren, wieder andere zogen sich zurück in den etwas blickdichteren Teilen des Parkes, um zu rauchen oder sonst was zu treiben.
Die meisten setzten sich auf irgendwelche Bänke am See, um die Aussicht zu genießen oder den neuesten Tratsch zu teilen. Jedoch entfernten sich wenige so weit wie ich von der eigentlichen Laufstrecke.
Allerdings hatte man nur so seine vollständige Ruhe vor allen und die brauchte ich dringend, denn der Schultag hatte leider erst begonnen und ich könnte heulen, wenn ich an meine noch bevorstehenden Fächer dachte.
Außerdem wusste ich auch, dass ich den Tag mehr oder weniger alleine überstehen musste, ohne jeglichen Schutz vor Josh.
Phoebe hatte sich im Laufe der Woche erkältet - bei ihren knappen Klamotten am Leib kein Wunder - und Briana, die andere meiner insgesamt zwei besten Freundinnen, hatte heute keinen einzigen Kurs mit mir.
Schön, schnaubte ich innerlich sarkastisch auf und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Wenigstens hatte ich jetzt noch ungefähr eine Stunde, bevor ich die Rückkehr antreten und mich mit dem Rest konfrontieren musste.
Es vergingen bestimmt noch gute zehn Minuten, in denen ich einfach nur mit geschlossenen Augen die Sonnenstrahlen genoss, als ich ein Rascheln aus der Ferne hörte. Als würde jemand durch altes trockenes Laub gehen.
Wenig später hörte man auch schon das dumpfe Geräusch von Schuhen, die sich einen Weg über den Rasen in meine Richtung bahnten - um dann doch auf wundersamer Weise in der gerade eben noch sichtlichen zielstrebigen Bewegung zu stoppen.
Langsam rappelte ich mich aus meiner gemütlichen Sitzhaltung hoch und warf einen vorsichtigen Blick über meine Schulter.
Was ich nun sah, ließ mir sofort das Blut in den Adern gefrieren.
Lorenz blickte mich in diesem Moment mindestens genauso überrascht an wie ich ihn. Die Ärmel seines langärmigen Sportshirts hatte er hochgekrempelt und zum Vorschein kam die gebräunte Haut seiner trainierten Unterarme. Seine Hände schoben sich in diesem Augenblick wieder zurück in die Hosentaschen seiner schwarzen Jogginghose, dabei kniff er jetzt die dunklen Augen leicht zusammen.
Mir fiel augenblicklich die Situation am Montag vor unserem Kursraum ein. Als er mich ohne Hemmungen von oben bis unten von der anderen Seite des Flures aus gemustert hatte, kurz nachdem Josh von uns weggegangen ist.
Ich schluckte angestrengt und mein Hals fühlte sich trotzdem trocken an.
Anstatt ihn anzumaulen, wie ich es sonst bei irgendjemanden sicherlich getan hätte, drehte ich mich nur geschockt mit schnell schlagendem Herzen um. Meine Hände klammerten sich an meinen Oberschenkel fest, während mir von Sekunde zu Sekunde unwohler wurde.
Geh wieder, hoffte ich im Stillen. Bitte geh einfach und lass mich alleine.
Eine Zeit lang hörte ich tatsächlich nichts. Entweder, er ist leise gegangen oder er ist an Ort und Stelle stehen geblieben.
Ersteres wäre mir natürlich am liebsten - doch wie es das Schicksal oder besser gesagt Lorenz nunmal wollte, sah ich ihn in meinem linken Augenwinkel an mir vorbeigehen und kurz vor dem Ufer stehenbleiben. Dann streifte er sich mit wenigen Bewegungen seine Sportschuhe und seine Socken ab, krempelte sich seine Hose ein Stück hoch und watete wie selbstverständlich in das flache klare Wasser hinein. Die Wellen umspülten sanft seine nackten Knöchel, als er dort einfach so stehenblieb und genauso wie ich schweigend den See betrachtete.
Na super, er hatte also nicht vor zu verschwinden.
Innerlich rang ich mit mir, ob ich stattdessen einfach das Weite suchen sollte. Schließlich hatte er mir jetzt meinen Rückzugsort genommen und an Entspannung war sowieso nicht mehr zu denken. Eher daran, meinen Blutdruck halbwegs wieder auf die richtige Bahn zu kriegen.
Also stand ich auf und war schon mit dem Rücken zu ihm einige Meter von der Bank entfernt, als mich seine tiefe Stimme erstarren ließ.
"Wieso gehst du?"
Die Frage klang nicht einfach nur wie eine ganz normale neutrale Frage. Es wirkte eher... lauernd. Es sollte unschuldig klingen und doch verbarg sich dahinter ein gewisses Interesse.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten und dass er das nicht sehen konnte, stopfte ich sie in meine Jackentaschen. Auf den Fersen drehte ich mich zu ihm herum.
Genau wie ich noch vor ein paar Minuten schaute er nun über seine etwas breiteren Schultern zu mir herüber, die Augen sahen noch düsterer und dunkler aus, weil er sie von der Sonne abgewandt hatte.
Um ihm gegenüber gleichgültig wirken, zuckte ich mit den Schultern. "Warum fragst du?", erwiderte ich eine Spur zu scharf und versuchte nebenbei seinem eindringlichen Blick standzuhalten.
Er hob darauf prompt eine Augenbraue an, ließ meine Gegenfrage jedoch einfach im Raum stehen und drehte seinen Kopf wieder zum See. Das war im Endeffekt nerviger, als hätte er jetzt etwas entgegnet.
Nun stand ich da so unentschlossen, öffnete und schloss meine Fäuste in den Jackentaschen und schaute wie ein bedröppeltes kleines Schulmädchen zu ihm herüber.
Schließlich war ihm das Wasser anscheinend zu kalt, weswegen er sich einen Weg zurück zum Ufer suchte. Mit einer Hand ging er sich durch die wieder mal locker fallenden Haare. Nach den Schuhen und den Socken angelnd, nahm er die Bank für sich ein, streckte seine Beine aus und ließ seinen Kopf in den Nacken fallen. In dem Sonnenlicht sahen seine welligen Haare sogar mehr nach einem dunklen Braun, statt nach einem Schwarz aus.
Ich begann in meinen Überlegungen zu versinken.
Einerseits war es irgendwie angenehm, dass er mir nicht so auf die Pelle rückte wie andere Jungs und teilweise sogar so tat, als würde ich jetzt gerade gar nicht für ihn existieren. Andererseits war es extrem ungewohnt.
Er war an sich als Person ungewohnt, denn ich hatte mit ihm noch nie etwas großartig zu schaffen gehabt.
Lorenz war ein eigenwilliger Mitschüler, der sabbernd von Mädchen umgarnt wurde und sich nebenbei für seine sportlichen Leistungen feiern ließ, mehr nicht.
Wie eine störrische Achtjährige rümpfte ich die Nase und verschränkte meine Arme vor der Brust. Was fiel diesem arroganten Kerl eigentlich auch ein, mir meinen Lieblingsentspannungsplatz zu stehlen? Diese Jungs machen sich eh schon überall breit und wollen von allen Seiten Beachtung und nun musste ich mir das auch noch an einem wunderschönen Freitagmorgen geben?!
Meine Empörung siegte in diesem Moment doch glatt gegenüber meiner Angst vor seiner Nähe.
"Du heißt doch Sofia, richtig?", kam es wieder von ihm. Noch immer hatte er den Kopf leicht in den Nacken gelegt.
Argwöhnisch zog ich meine Augenbrauen hoch, auch wenn er es nicht sehen konnte. "Und du Lorenz richtig?", antwortete ich mit einer Gegenfrage.
Meine Güte, er ging mir ja mal sowas von auf den Wecker. Klar, er war extrem heiß. Das musste selbst ich zugeben. Aber das brachte mir ja eh nichts. Erstens war er ein Sportler, zweitens hatte er nicht so nette Hintergedanken wie Josh und drittens würde ich vor Panik diesmal kollabieren, wenn er mir auch nur einen Meter zu Nahe kommen würde.
Also war und blieb er ein Mistkerl.
Lorenz ignorierte meine Frage genauso gekonnt wie ich davor und bohrte nur unerlässlich weiter nach. "Weißt du, dass die halbe Sportmannschaft gerade von dir redet?"
"Weißt du, dass mich das nicht sonderlich interessiert?", rutschte es mir mit der gleichen Betonung heraus, nur natürlich wieder etwas schnippiger.
Eigentlich wollte ich gar nicht so extrem unfreundlich sein, aber ich konnte einfach nicht anders, warum auch immer.
Er hingegen ließ sich nicht abschrecken und lachte leise auf, bevor er sich aufrichtete und sich zu mir umwandte. Die dunklen Augen waren nicht mehr so zusammengekniffen wie vorhin, dafür schien es so, als würde er mich nun mit völlig neuen Interesse anschauen. "Wow, mit dir macht es ja richtig Spaß sich zu unterhalten. Jetzt weiß ich auch, warum Josh dich so interessant findet. Dein Niedlichkeitsfaktor ist wohl nur Tarnung mhm?"
Ich lächelte ihn milde an. "Wer weiß."
Erneut wanderten mich plötzlich seine Augen von Kopf bis Fuß ab und ich hatte das Gefühl, meine Leggings saß viel zu eng an meinem Körper an, sodass seine wachsamen Augen meine Statur genauestens erforschen konnten.
Eine Gänsehaut überzog meine Haut und ich würde am liebsten seinem undeutbaren Blick entfliehen. Auch, weil mir heiße Schauer über den Rücken liefen und ich das bisher mit einem Jungen im Zusammenhang nicht kannte.
Wie auch? Ich bin bisher vor jeder erdenklichen Situation mit denen geflohen.
Er biss sich kurz nachdenklich auf die Lippe und wieder klebten meine Augen an diesem silbernen Piercing. "Bist du morgen Abend auch bei Josh?"
Ach stimmt, da war ja was. Phoebe versuchte mich schon seit Dienstag zu übereden, dass wir gemeinsam zu seiner Hausparty gehen könnten. Seine Eltern besaßen ein Haus mit einem riesigen Grundstück auf der anderen Seite des Sees und es würden demnach viele Leute kommen.
Auch Josh selbst hatte mich schon längst gefragt, aber ich hatte immer wieder nur ausweichend geantwortete mit Ich kann nicht, muss was helfen. Oder Ich schau mal, sicher bin ich mir nicht.
Dann ist Phoebe am Mittwoch richtig krank geworden und Zuhause geblieben, weshalb ich dann mehr mit Briana alleine war. Und sie hielt zum Glück nicht so viel von Josh und lag mir somit auch nicht in den Ohren, dass ich da unbedingt hingehen sollte.
Dafür schickte mir Phoebe immer wieder Nachrichten und wollte wissen, ob ich mich nicht doch umentschieden hätte.
Jetzt nach Lorenz Frage lautete meine Antwort erst recht nein.
Mein Gott, was wollte er eigentlich überhaupt aufeinmal?
Ich lenkte meine Augen von ihm weg und betrachtete lieber den Boden zu meinen Füßen, denn ich konnte seinem Blick echt langsam nicht mehr standhalten. Meine Gänsehaut wollte einfach nicht verschwinden und diese dämlichen Hitzeschauer auch nicht. "Ich hab da schon was vor."
"Ah du hast da schon was vor", hörte ich ihn mir leise nachmurmeln. "Wie sollte es auch anders sein." Ich blickte auf und bemerkte, dass er seine Schuhe wieder anzog, um dann aufzustehen und in meine Richtung zu laufen.
Zum Glück existierten immer noch ein paar Meter zwischen uns, da mein Herz schon wieder zu rasen begann.
Ängstlich nahm ich seine hochgewachsene und seine für dieses Alter schon ziemlich einschüchternde Statur in Augenschein.
Er neigte seinen Kopf leicht zur Seite und dieses Lächeln, das nun seine Lippen umspielte, war alles andere als beruhigend. Irgendwie ziemlich hintergründig. "Sehr interessant, dass du anscheinend so abgeneigt von Josh bist - aber du weißt schon, dass sich dein Gehabe herumspricht? Bald kannst du denen allen nicht mehr aus dem Weg gehen, es werden immer mehr werden, die sich auf dich einschießen", vertraute er mir mit merkwürdig gesenkter Stimme an und bewies mir genau das, wovor ich ohnehin Angst hatte.
Was machte ich nur, wenn es wirklich dazu kam? Man würde dann echt noch im letzten Jahr herausfinden, dass mit mir etwas nicht stimmte.
Ich würde zum vollkommenen Gespött werden.
Mein Körper verkrampfte sich. "Als ob das stimmen wird", versuchte ich unbekümmert gegenzuhalten, aber ich sah genau, dass er meine Angst bemerkte.
Meine Herren, dieser Typ suchte ja regelrecht nach Schwachstellen. Wenn ich mich vor einem hüten sollte, dann definitiv vor ihm.
"Mhm", machte er nur und senkte schmunzelnd den Blick auf meine Füße, bevor er mich wieder ansah. Dieses Dunkelbraun verschlang mich wie ein tiefes Loch, aus dem es kein Entkommen gab. "Deine Sache, wie du den Rat annimmst." Damit lief er in einem viel zu großen Bogen an mir vorbei, als wäre ich giftig oder sowas.
Auch das hätte ich nicht erwartete, deswegen schaute ich ihm verdattert hinterher.
"Man sieht sich, Sofia", rief er mir zu und ich hörte eindeutig heraus, dass er dabei verschlagen in sich hineingrinste, und es dauerte nicht lange, da war er in dem dichten Grün verschwunden.
Hier ein langes Kapitel und ich hoffe sehr, dass es euch gefallen hat.
Was denkt ihr so zu diesem Vorfall am See und ihrem zufälligen Aufeinandertreffen? Welche Hintergedanken hat Lorenz wohl?
Und was vermutet ihr? Geht sie nun doch zu dieser Party?
Freue mich auf eure Antworten und bis zum nächsten Kapitel. Bleibt bitte weiterhin gesund und genießt so gut wie es geht euer Wochende.
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