2 - Unter Beobachtung
Kapitel 2
"Sofia, hier drüben!"
Im selben Moment, in dem mir Phoebe quietschend und voller guter Laune zuwinkte, lagen auch schon die Blicke meiner anderen Mitschüler auf mir.
Verdammt, immer dieses Angestarre.
Ich hatte jedes Mal das Gefühl, sie könnten meine Gedanken lesen und meine Ängste fein säuberlich herausfiltern.
Und warum war die blöde Tür zum Raum noch nicht auf? Ich hatte mir schon extra Zeit gelassen, dass ich nicht wie die anderen vorhin in der Cafeteria dicht gedrängt sitzen musste und trotzdem musste ich mich nun in einer Menschenmenge aufhalten.
Angestrengt versuchte ich die anderen einfach auszublenden, um mich lächelnd dem hektisch winkenden Mädchen hinter der etwas größeren Schülertraube zu nähern. Auf dem Weg strich ich mir meine gewellten hellbraunen Haare zurück und zog beiläufig den Reißverschluss meiner Jacke auf.
Wir hatten es jetzt erst Ende September und draußen wehte schon eine ganz schön steife Brise, sodass ich nichtmal mehr meine heißgeliebte Jeansjacke tragen konnte.
Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich bei Phoebe ankam, erdrückte sie mich beinahe mit ihrer viel zu festen Umarmung, die ich lachend erwiderte. Beim Zurücktreten lächelte sie mich breit an. "Mensch, das hat aber lange gedauert."
Ich versuchte so normal wie möglich zu wirken, weil mir sofort das mit Josh und ihrer Sprachnachricht einfiel. "Äh ja. Ich habe einfach die Zeit vergessen und du weißt doch, meine Mutter ist gerade Zuhause und kocht jetzt immer Mittag. Und jedesmal versuche ich so lange wie möglich zu warten, um noch mit ihr zu essen, aber irgendwie schaffe ich das nicht."
Sie stimmte in mein Lachen ein. "Achsoo okay, die Erklärung wird akzeptiert", scherzte sie herum und knuffte mir in die Seite. "Dann müssen wir jetzt nach dem Unterricht nochmal etwas essen gehen. Ich habe gehört, es soll heute Pfannkuchen in der Cafeteria geben. Wie hört sich das an?"
Ich rieb mir begeistert die Hände und das Wasser lief mir schon im Mund zusammen. "Das hört sich grandios an." Prompt begann mein Magen wie auf Bestellung zu knurren und dieses Mal war es nicht die Stimme von Phoebe, die sich neben mir meldete.
"Oh wow, da hat aber jemand Hunger. Ich habe noch einen Müsliriegel in meiner Tasche, der könnte dir vielleicht über die Unterrichtszeit helfen."
Mir lief es kalt den Rücken herunter und nur langsam drehte ich meinen Kopf zur Seite. Wie erwartet stand Josh für meinen Geschmack viel zu dicht neben mir. Unauffällig versuchte ich mein Gewicht auf das andere Bein zu verlagern, um mich dadurch weiter von ihm wegzubewegen. "Oh, das ist sehr nett von dir. Aber ich mag leider keine Müsliriegel."
Zum Glück stimmte das, sonst hätte Phoebe mir spätestens jetzt einen empörten Blick zugeworfen. Aber auch so sah sie etwas angesäuert aus. Im Sinne von Wie kannst du nur ein Angebot von Josh ablehnen?
Von JOSH?
Tja, ich kann es.
Und ihn störte es wohl nicht, denn seine Lippen wurden weiterhin von einem charmanten Lächeln umspielt. Die Hände hatte er in den Taschen seiner weinroten Collegejacke vergraben. Die Art von Jacken, die extra für die Sportler der Schule angepasst waren und mit den Farben des Schullogos übereinstimmen.
Weinrot, gelb und schwarz.
Ich liebte dieses Weinrot irgendwie - aber was ich nicht so sehr liebte ist, dass Josh keine Anstalten machte zu seiner Gruppe zu gehen, die sich auf der anderen Seite des Flures lachend unterhielt.
Stattdessen versuchte er wohl weiter ein Gespräch mit mir aufzubauen, was mir nicht nur wegen seiner Nähe schwerfiel, sondern auch, weil wir langsam von allen Seiten beobachtet wurden.
Na super.
Ich registrierte, wie ich allmählich unkontrolliert anfing zu schwitzen.
"Was magst du denn dann? Mars? Snickers? Smarties? Gummibärchen?", hakte er interessiert nach, während seine Augen aufmerksam auf mich ruhten. Eines konnte ich nicht verleugnen, sie strahlten auf jeden Fall so viel Wärme aus, dass man sich in seinem Beisein wohlfühlen könnte.
Aber auch nur könnte.
Überfordert strich ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Ich mag Süßigkeiten an sich gar nicht so sehr. Eher solche Sachen wie... Eis oder Pfannkuchen mit Nutella", erwiderte ich schließlich und irgendwie war ich jetzt schon komplett ausgelaugt.
Einerseits war ich stolz darauf, dass ich es mithilfe meines Therapeuten soweit geschafft hatte, dass ich einen Jungen mit mehreren Metern Abstand zu mir ertragen konnte. Andererseits besaß ich noch nicht das größte Durchhaltevermögen, dass ich ausgerechnet jetzt mal brauchte.
"Oh, hätte ich nicht erwartet. Keine Smarties also?", ungläubig zog er die Augenbrauen nach oben, worauf ich nur verneinend den Kopf schüttelte. "Gut okay. Dafür fällt mir gerade ein, in der Cafeteria gibt es heute Pfannkuchen. Willst du nachher mit uns zusammen essen?"
Mit ihnen zusammen essen?
Mein Blick schoss sofort zurück zu der Jungsgruppe auf der anderen Seite. Und das war nichtmal die Hälfte der Sportler.
Mein Herz rutschte mir gewaltig in die Hose, bevor es wieder wild weiterschlug und mein Mund kam mir noch trockener vor, als ohnehin schon.
"Phoebe, du kannst natürlich auch gerne mitkommen", wandte sich Josh an meine Freundin. So als hätte er mein Stocken in der Sicht interpretiert, dass ich nicht ohne Phoebe irgendwo mit ihm hingehen wollte. Oder dass ich es unhöflich fand, dass er sie nicht gefragt hatte.
Aber es gab ja dafür nunmal eine ganz andere Erklärung.
Phoebes helle braune Augen leuchteten natürlich sofort begeistert los. Natürlich hatte sie auch schon den ein oder anderen Typen aus der Gruppe im Visier und nun hätte sie die Chance, denen allen näher zu kommen. "Klar gerne, wenn es nicht stört."
Stumm hilfesuchend versuchte ich Blickkontakt zwischen uns herzustellen und zum Glück bemerkte sie es. "Ähm wobei, da fällt mir ein, dass Sofia mir noch was in Mathe erklären wollte..."
"Ach stimmt", meldete ich mich mit einer etwas kratzigeren Stimme zu Wort. "Das hätte ich ja komplett vergessen. Du schreibst doch diesen Test heute."
Josh wirkte kurze Zeit deutlich niedergeschlagen, dass er mir sogar leid tat. Dann rappelte er sich wieder auf und schenkte mir ein ziemlich schiefes Grinsen. "Okay, nicht so schlimm. Helfen geht natürlich vor und ich habe ja glatt vergessen, wie gut du in Mathe bist", er zwinkerte mir zu. "Dann vielleicht ein anderes Mal. Man munkelt, es soll ja öfter Pfannkuchen geben."
Bei diesem Kommentar musste sogar ich schmunzeln, obwohl ich wusste, dass ich ihm hier nichts als leere Versprechungen machte.
Er nickte uns noch zu, dann machte er sich auf den Weg zu seiner Gruppe. Doch ich kam gar nicht dazu ihn weiter zu beobachten, da stieß mir Phoebe schmerzhaft in die Seite.
"Aua", murmelte ich und rieb mir die Stelle. "Wofür war das denn?"
"Dafür, dass du den süßesten Typen an unserer Schule vergraulst, der schon seit einiger Zeit nur Augen für dich hat. Und überhaupt, warum musste ich dir denn jetzt helfen? Gibt es einen Grund, warum du mit ihm nicht essen willst? Ich dachte, du findest ihn auch ganz sympathisch", etwas verwirrt musterte sie mich von der Seite.
Ja gut, das war ja auch nicht unbedingt von mir gelogen. Nur konnte ich ihr den Rest einfach nicht erzählen.
Ich versuchte einen zerknirschten Blick aufzusetzen, um schuldbewusst auszusehen. "Ich möchte doch nur überprüfen, ob ich nur so etwas flüchtiges für ihn bin oder ob er sich wirklich für mich interessiert", antwortete ich und war gleichzeitig stolz auf meine plausible Ausrede.
"Achsooo", sie grinste mich jetzt schelmisch an. "Playing hard to get also. Nicht schlecht, anscheinend hast du doch mehr Erfahrung mit Jungs, als du zugibst. Dabei sind wir doch schon so lange befreundet und trotzdem verheimlichst du mir das alles", schob sie schmollend hinterher.
Meine Mundwinkel zuckten. "Mensch Phoebe, ich hatte bisher nichts mit Jungs am Hut. Das musst du mir glauben", beschwichtigte ich sie. Beruhigt nahm ich zur Kenntnis, dass mein Herz langsam wieder im normalen Rhythmus schlug und auch die innerliche Hitze wieder verschwunden war.
Sehr gut. Ich konnte es nicht sonderlich gebrauchen, eine Panikattacke vor meinem gesamten Kurs zu bekommen.
Ich lenkte meine Aufmerksamkeit erneut auf Phoebe. Erst sah sie mich etwas misstrauisch an, dann schien sie mir offenbar doch zu glauben. "Ich hoffe", drohend hielt sie mir ihren Zeigefinger vor die Nase. "So und jetzt mach ich doch noch meine Hausaufgaben für Biologie." Damit stellte sie ihren Rucksack auf das Fensterbrett neben uns und kramte in aller Seelenruhe nach ihrem Hefter.
Ich beobachtete sie eine Weile kopfschüttelnd, ehe meine Augen wie von alleine zurück zum anderen Ende des Flures wanderten - und plötzlich auf einen stechenden Blick trafen.
Eine Gänsehaut bildete sich augenblicklich auf meiner Haut.
Während die anderen dieser Sportlergruppe mit Josh herumwitzelten, hatte sich einer von ihnen etwas abgewandt und den Kopf in meine Richtung gedreht. Seine pechschwarzen welligen Haare fielen ihm dabei teilweise auf die Stirn, als er seinen Kopf leicht zur Seite neigte. Sein Piercing in der Unterlippe blitzte bei der Bewegung kurz im Licht auf.
Mir fiel auf, dass er der einzige war, der in dieser Gruppe nicht diese Collegejacke trug. Nein, er hatte sich für eine ausgewaschene gefütterte Jeansjacke entschieden, unter der er einen schwarzen Kapuzenpullover trug. Die rechte Kordel drehte er beiläufig zwischen seinen Fingern hin und her, während er mich mit einem seltsamen und nachdenklich Ausdruck auf dem markanten Gesicht von Weitem skeptisch beäugte.
Lorenz Charles war sein Name, schoss es mir durch den Kopf.
Auch er war kein unbekannter Mitschüler und genauso beliebt wie Josh. Nur gehörte er eindeutig nicht in die Kategorie Sonnyboy oder zu diesen Jungs, die anscheinend auf die Art von Mädchen wie ich aus waren.
Zierlich, unscheinbare hellbraune Haare, Basic Style, gute Noten und jemand, der sich zwischen den vielen Mitläufern wohlfühlte.
Was ich immer so mitbekommen hatte oder hörte, hatte er eindeutig eine Schwäche für Zicken und hochgetakelte Cheerleaderinnen mit Diva Allüren und auffälligem Kleidungsstil. Mädchen, die vor Temperament und Überheblichkeit förmlich pulsierten. Der Rest der gesamten weiblichen Welt war ihm scheinbar absolut egal.
Gerade deswegen, weil er dadurch für viele so unerreichbar wirkte, himmelten ihn viele hinter vorgehaltener Hand an. Manche waren darüber ziemlich verlegen, so einen offentsichtlichen arroganten und launischen Typen wie ihn gut zu finden, dessen Gesicht viele Male Model vor Neid erblassen lassen würde.
Umso mehr irritierte es mich, dass er gerade seine Aufmerksamkeit ungehemmt auf mich lenkte und mich erst wieder links liegen ließ, als sich ein Lehrer zwischen unserem Blickfeld schob, um die Tür für uns aufzuschließen.
Ich atmete erleichtert auf.
Was zum Henker war denn das gerade?
Soo meine Lieben. Das zweite Kapitel und die erste indirekte Begegnung mit Lorenz... wie ist euer erster Eindruck? Und warum schaut er Sofia so lange an?
Wie findet ihr Josh und was denkt ihr so von Phoebe?
Lasst es mich alles wissen, ich würde mich sehr freuen.
😘💖
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