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Was habe ich mir angetan?
Missmutig zwänge ich meine Füße in die geliehenen Schlittschuhe und stakse zusammen mit meiner besten Freundin Emilia und ihrem Date Jan zur Eisfläche. Der attraktive Blonde ist eine Internetbekanntschaft von ihr. Sie schreiben einander bereits seit einem halben Jahr, aber wir wollten trotzdem nichts riskieren, deshalb bin ich zur Sicherheit mitgekommen.
Dass sie sich das Eisstadion als Treffpunkt ausgesucht haben, war dann leider ein unglückliches Detail, das ich wohl oder übel in Kauf nehmen musste. Es ist nicht so, dass ich Eislaufen nicht schön finde. Ich finde nur mich nicht schön, wie ich unsicher über die Eisfläche wanke. Aber vielleicht ist heute der Anfang von dem Stadium, in dem ich in fließenden Bewegungen elegant über das Eis gleite, wer weiß...
Ich reiße mich zusammen und betrete zeitgleich mit den beiden die Fläche. Jan greift reflexartig nach mir, als ich wie immer erschrocken darüber, wie glatt es wirklich ist, schon beim ersten Schritt ins Schwanken komme. Das gibt definitiv Pluspunkte. Ich hätte wenig Lust gleich in den ersten Minuten unmittelbar Bekanntschaft mit dem Eis zu machen.
„Du bist noch nicht so oft gefahren, oder?", erkundigt er sich gutmütig. Mit einer Grimasse schüttele ich den Kopf.
„Nein, du hast mir mit der Gelegenheit zum Üben heute echt eine Freude gemacht."
Er lacht. „Die beste Freundin hab ich", witzelt er und schaut dann Emilia an, „muss ich nur noch dich in persona überzeugen."
Grinsend schaue ich zu, wie sie ziemlich rot wird. Zu süß. Ich weiß, wie wichtig ihr der Kontakt mit Jan seit der ersten Nachricht im Frühsommer ist, deswegen war ich ähnlich aufgeregt wie sie über das erste Treffen heute. Das hat sich mittlerweile gelegt, dieser Typ scheint ein ziemlicher Jackpot zu sein.
Während wir (wegen meinem fehlenden Können auf Kufen) schleichend Runden um die Eisfläche drehen, wird das Gespräch immer intensiver und ich mehr und mehr zum fünften Rad am Wagen. Jan erzählt gerade eine Geschichte aus seiner Kindheit, über seinen Vater, der von einem Sommerfest ohne seinen Bruder und ihn nach Hause gegangen war, als ich mich einklinke.
„Gehen,- das ist mein Stichwort. Ich lasse euch mal ein bisschen schneller voran, ich laufe einfach in meinem Tempo weiter, okay?" Emilia sieht mich fragend an. Sicher? Ihre Augen glänzen und ihre Wangen sind gerötet, so sehr geht sie in dem Gespräch auf. Was wäre ich für eine beste Freundin, wenn ich mich nicht zurückziehen würde?
„Klar."
Sie sind kaum ein paar Meter weiter, da nimmt Jan ihre behandschuhte Hand in seine und sie gleiten in deutlich schnelleren, aber immer noch entspannten Laufschritten weiter. Ich bleibe meinem Schneckentempo treu und gehe meine To-do-Liste für morgen durch. Die Weihnachtszeit in unserem Haus gleicht einem Wettlauf mit der Zeit und mir geht immer schon in den ersten Dezembertagen die Puste aus.
Apropos Wettlauf, wie manche Leute hier durch die Halle heizen, wundert es mich wirklich, dass der Notarzt nicht dauerhaft draußen bereit stehen muss. Sonst gibt es doch auch immer so viele Auflagen in Deutschland.... Andererseits können diese Menschen eben richtig gut Schlittschuhfahren und zeigen allerhand kreative Pirouetten beim Umfahren von langsamer Laufenden.
Die hübschen Drehungen ziehen mich so in den Bann, dass ich beinahe an einer kleinen Unebenheit im Eis hängen bleibe und mich gerade noch aufrecht halten kann. Ha! Ich. Werde. Heute. Nicht. hinfallen. Sehr zufrieden darüber, dass ich meinen Körper doch besser unter Kontrolle habe, als ich dachte, schaue ich hoch.
Eine der Gestalten, die im Affenzahn über das Eis sausen, kommt immer schneller in meine Richtung. Das ist nicht gut. Hallo? Sieht derjenige mich? Ich versuche, schneller vom Fleck zu kommen, kalkuliere aber die Geschwindigkeit der nahenden Person falsch. Sie kommt direkt aus einer komplizierten Sprungdrehung, als sie mich auch schon rammt.
Mein Oberkörper wird von einem weichen, definitiv männlichem Körper abgefedert, aber mein Steißbein kracht ungebremst aufs Eis. Ich unterdrücke ein Stöhnen. Heilige Scheiße, das tat weh.
Mühsam rappele ich mich hoch und begebe mich auf eine Ebene mit dem Typ, der mich umgefahren hat und schon wieder steht, als wäre nichts gewesen. Auf die Entschuldigung bin ich jetzt echt gespannt. Alles an ihm schreit Eisläufer, der athletische Körper, der dünne Pullover mit dem Vereinslogo und die Pirouetten, die er vor unserem Zusammenstoß absolviert hat. Es war also definitiv kein „Tut mir leid, ich konnte nicht mehr bremsen"-Zusammenprall mit einem Kerl, der wie ich auf wackeligen Beinen steht, sondern er war einfach in mich hineingefahren, weil er unbeirrt seine Pirouetten zu Ende bringen wollte, ohne die anderen Eisläufer im Blick zu behalten. Da hat er mich heute auf jeden Fall in der falschen Laune erwischt.
„Ist dir deine Zunge am Gaumen festgefroren oder wo bleibt deine Entschuldigung?", keife ich. Er skatet lässig zwei Schritte rückwärts, was mich noch rasender macht, setzt dann aber elegant die Spitzen seiner Kufen ein und bleibt ohne einen Wackler wieder stehen. Arroganter Angeber.
„Entschuldigen? Ich? Du standest doch hier wie festgewachsen." Ich beiße die Zähne zusammen. Die Gutaussehenden sind wirklich die unverschämtesten. Ich weiß nicht, warum mein Gehirn sein Aussehen überhaupt würdigt, aber bei großen Typen mit dunkelblonden Locken, wird das vermutlich als Standardprogramm abgespult und kann auch im Hintergrund ablaufen.
„Ich bin Anfänger", gebe ich finster von mir, „du offensichtlich nicht. Also liegt es in deiner Verantwortung Rücksicht zu nehmen."
Seine Augen gleiten an meinem dicken, weinroten Anorak hinab und taxieren ohne Eile meinen gesamten Aufzug, was wieder dermaßen überheblich ist und mich noch dazu total verlegen macht. Ich klopfe mir die winzigen Eissplitter von den Hosenbeinen meiner Jeans, um eine Beschäftigung zu haben. Außerdem sollte ich idealerweise noch nicht nach zehn Minuten völlig durchnässt sein. So wie es den Eindruck macht, läuft Emilias Date nämlich hervorragend. Die beiden unterhalten sich angeregt, während sie entspannt nebeneinander herfahren und mir schwant, dass wir hier sein werden, bis die Eishalle schließt.
Mein Blick kehrt zurück von Emilia und Jan und ich schenke dem unverfrorenen Unbekannten wieder meine ganze Aufmerksamkeit. Der ignoriert den Teil mit der Schuldzuweisung total und erwidert stattdessen:
„Vielleicht wäre so ein Lern-Schlitten was für dich. Den könntest du vor dir her schieben – für mehr Stabilität."
Er kurvt in Schlangenlinien um mich herum, während ich versuche ohne ein weiteres Mal gefällt zu werden, die Bande zu erreichen.
„Bitte?" Mir bleibt der Mund offen stehen bei so viel Dreistigkeit. „Vielleicht bist du hier fehl am Platz", fauche ich zurück, „Formel 1 trainiert wo anders."
Zu dem Spott in seinen Augen mischt sich Belustigung.
„Das ist genau der Grund, warum ich Eishallen hasse", echauffiere ich mich weiter. Der Schmerz an meinem Steißbein pocht und die Kälte vom Eis kriecht meine Beine hoch. Eindeutig keine mildernden Umstände. „Wegen Typen wie dir, die glauben die Eisfläche gehört ihnen und es als die Aufgabe der anderen ansehen, auszuweichen."
Mit einem Seufzer erreiche ich den Rand und kralle mich an die Begrenzung, die mit einer Sparkassen-Werbung tapeziert ist. Viel besser. Er grinst mich frech an.
„Schon möglich, dass ich das glaube." Chancenlos. Um bei dem Kerl noch auf eine Entschuldigung zu hoffen, muss man definitiv mehr Nerven haben, als ich gerade aufbringen kann. Ich setze meine Füße übervorsichtig vom Eis auf den trockenen Boden, der zu den Umkleiden führt.
„Und ich glaube, ich werde den Rest des Nachmittags im Café verbringen", ächze ich. Ohne einen weiteren Kommentar lasse ich ihn stehen und arbeite mich den Weg an den Tribünenrängen entlang voran. Aber selbst nach ein paar Schritten kann ich seinen Blick noch im Rücken spüren. Auch ohne Schlittschuhe bin ich nicht der grazilste Mensch, aber aktuell komme ich mir wie ein unbeholfenes Trampeltier vor.
Das kann dir doch egal sein. Seit wann machst du dir Gedanken über die Meinung eines völlig Fremden? – Eines extrem schnuckeligen Fremden in deinem Alter... Ich rolle innerlich über mich selbst die Augen. Okay Single-Hirn, ich hab's verstanden.
Energisch nehme ich im Gehen meine Mütze ab und befreie meine lockigen braunen Haare aus dem Dutt, zu dem ich sie im Nacken zusammengefasst hatte. Der straffe Knoten begann mir bereits Kopfschmerzen zu bescheren. Knapp vor den Umkleiden holt mich plötzlich der unhöfliche Kerl ein.
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