
An Wunder - Wincent Weiss
Diverse Namen schlagen mir auf dem Klingelbrett entgegen. Eilig hüpfen meine Augäpfel hin und her. Das Bild in ihrem Portemonnaie hat sich in meinem Gehirn eingebrannt. Bezeichnete sie Eliot als ihr eigenes Kind?
Ich hatte Katja noch nichts von unserem aufeinandertreffen im Supermarkt erzählt. Aber aus vergangenen Gesprächen wusste ich, dass Anna ihren Sohn öfter sehen durfte. Nur mit welchem Recht?
Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten. Ich wollte mich nicht aus der Verantwortung ziehen. Ihre Eltern schuldeten zwar nicht mir, aber immerhin Katja eine Rechtfertigung. Und Anna stellte die erste vermeidliche Bürde dar, um an den Kern des Problems am Schopf packen zu können.
Ein surrendes Geräusch verriet mir, dass Anne zu Hause war. Mein Blick schnellte zu meiner Rolex, welche mir anzeigte, dass es Viertel vor zehn war. Mit Schwung glitt die Glastür auf, die einen Sprung auf Augenhöhe verzeichnete. Der Geruch von Gras schlug mir augenblicklich bei betreten des Treppenhauses entgegen. Darunter mischte sich der Geruch von frisch aufgebrühten Kaffee. Angewidert rümpfe ich die Nase.
Ähnlich wie bei meiner ersten Begegnung mit Katja erwartete ich ein unaufgeräumtes Zuhause. Alte Badezimmerarmaturen in einem Moosgrün aus dem 70 Jahren, dunkle Holzdielen und muffige, klein geschnittene Räume. Dinge, die man von einem Altbau eben erwarten durfte. Nur das dieser Plattenbau zusätzlich von Junkies und Familien, die keine besseren Aussichten besaßen, vereinnahmt wurde.
Eine hagere Gestalt erwartete mich im Türrahmen des ersten Stockwerkes. Die Augen zu schmalen Schlitzen verzogen. Ich versuchte meine Zunge zu zügeln. Wahrscheinlich verbargen die Papierwände nicht einen Laut vor den Nachbarn. Um die Etikette zur wahren, erwarte ich von ihr, dass sie mich hineinbittet. Ungerne würde ich den sich anbahnenden Streit zwischen Tür und Angel abfertigen.
Je näher ich ihr kam, desto bewusster wurde mir, das ich sie dem Schlaf entrissen haben musste und ihre Augen vor Müdigkeit verengt waren. Meine Wut flaut ein stückweit von mir ab. Sie wirkte in ihrem Pyjama mit den bedruckten Köpfen der Disney Figur Stitch und den zerzausten Haaren irgendwie anders-verletzlich.
„Kann ich rein kommen?“ , höre ich mich fragen und hätte mich im selben Moment liebend gerne selbst geohrfeigt. Nicht einmal eine Begrüßung hatte ich für sie übrig und wollte im Gegenzug Höflichkeitsfloskeln erwarten?
Ihr Blick wandert über ihre Schulter hinweg. „Ich hab nicht aufgeräumt“ , gibt sie zu und meine Wut verpufft endgültig. Ich hätte nicht ungebeten aufkreuzen sollen. Dunkle Ringe, die auf eine schlaflose Nacht hindeuteten, zeichneten sich unter ihren leeren Blick ab. Wie immer knicke ich zu früh ein und greife nach dem Portemonnaie in der Innenseite meiner Jackentasche. ich wollte es vor ihr verbergen bis ich meine nötigen antworten bekommen habe. Einen flüchtigen Moment zuvor habe ich im Auto sogar noch darüber nachgedacht es als Druckmittel zu verwenden. Aber so tollkühn wie mein Cousin war ich nicht. Ich war der gute. Meine Mutter hatte mir anstand und Respekt gegenüber anderer Menschen beigebracht. „Das hast du im Auto liegen lassen.“
Überrascht weiten sich ihre Augen. „Danke, ich wusste nicht einmal, dass ich es verloren hatte.“ Sie starrte verlegen zu Boden, während sie einen Schritt zur Seite machte.
Wie ferngesteuert trat ich über die Türschwelle in einen kleinen Flur ein. Warmes Licht strahlte von einer Glühbirne auf unsere Köpfe herab. Ich streifte den Mantel von meinen Schultern und begann mich augenblicklich zu schütteln. In dieser Wohnung war es nicht ein Grad wärmer als auf den Straßen. Nachdem ich in das anliegende Wohnzimmer eintrete, fiel mir gleich darauf der Grund ins Augenmerk. Anne schien mit offenem Fenstern zu schlafen. Sie huschte an mir vorbei und zog die Vorhänge, die nur bedürftig das Tageslicht abschirmten, zur Seite und schloss gleich darauf die Fenster. Ein gleichmäßiges Surren entstand, als sie den Heizkörper aufdrehte und dieser sofort eine trockene Hitze im Raum verströmte.
„Musst du nicht arbeiten?“ , rutscht es aus mir heraus. Selbst in meinen Ohren klang es wie ein Vorwurf.
Anna unterbrach nicht eine Sekunde das Unterfangen, das Schlafsofa herzurichten. Sie verstaute gerade die Decken und das Kissen in den dafür vorgesehenen Hohlraum unter der Couch, als sie mir erklärte: „Diese Woche arbeite ich in der Nachtschicht. Immer im Wechsel. Erst Früh, dann Nacht und dann spät.“
Verständnisvoll beginne ich zu nicken und biete ihr an zu gehen, doch sie verneint mein wohlwollendes Angebot. Neugierig blicke ich mich um. Sie lebte offensichtlich in einer kleinen Einzimmerwohnung. Anders als im Treppenhaus wirkte alles in diesen einem Raum stimmig und heimelig. Weiße Kalaxregale standen dicht an den Wänden. Große schmale Spiegel, die aneinandergereiht worden waren, ließen den Raum optisch größer wirken. Ein kleiner Tisch und zwei Stühle standen direkt unter dem Fenster. Kleine Topfpflanzen brachten Leben in die vier Wände. Jeweils rechts und Links flankierten eine Kokospalme und Monstera das Schlafsofa. Der krümelige Teller und die Tasse mit dem Teebeutel verschwinden in Windeseile in die anliegende Küche.
„Willst du einen Kaffee? Ich habe wohl nur löslichen oder Cappuccino.“ Ihr Blick glitt um den Türrahmen zu mir hinüber. Sie hatte wohl nur einige Sekunden gebraucht, um wach zu werden, den langsam finden ihre Augen wieder zu einem natürlichen Glanz. „Du kannst auch einen Kakao haben. Tut mir leid, etwas anderes habe ich nicht da.“
„Einen Cappuccino, bitte.“
Mit fallen die Gemälde an der Wand auf. Bei einem abstrakten Kunstwerk verweile ich. Gastfreundlich beginnt sie den Tisch zu decken und auch wenn ich schon gefrühstückt habe, ermahne ich mich, einen Anstandshappen mit zu essen. „Hast du das gemacht?“
Verlegen versteckt sie ihr Gesicht hinter der dampfenden Tasse Cappuccino. „Ja, ab und an halte ich mich für Picasso.“
Ein Schnauben entfährt mir, als ich ihre Anspielung verarbeitet habe und kleine Spritzer fallen auf die weiße Tischdecke. Ich entschuldige mich schnell. Kaffeeflecken können hartnäckig sein, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Doch Anna spielt die Situation hinunter. Die Tischdecke sei bereits alt. Jedenfalls schimpft sie nicht wie erwartet, sondern holt einen Lappen, mit dem ich das Gröbste versuche, aus dem Stoff zu reiben. Meine Augen weiten sich, als ich feststelle, dass auch die Tischdecke selbst gemacht ist.
„Und das ist nicht alles. Wenn man wenig hat, lernt man das Beste aus allem zu machen. Ich habe nicht einmal Gardinenstangen. Das sind Bambusstäbe, die ich mit Kabelbinder festgezogen habe.“
Erstaunt wandert mein Blick hinauf. „Wow, ich weiß nicht, ob ich so leben könnte“ , gestand ich ihr ein.
Sie grinste verschmitzt. „Ich fühle mich ehrlich gesagt sehr wohl hier.“ Ein lauter rums ertönte von der Wohnung über uns. Dann folgte ein lauter Wortwechsel, Türen wurden zugeknallt und lautes Trampeln ertönte aus dem Hausflur. Anna stand auf, um die Tür zu ihrem Flur zuschließen. Die Geräusche werden leiser, verstummen aber erst, nachdem die Person wutentbrannt das Treppenhaus verlassen hat. „Meistens jedenfalls. Die dort oben sind die reinste Seifenoper.“ Sie deutete mit einem Kopfnicken hinauf zur Decke.
„Ach wirklich?“
„Der Typ hat sie wohl betrogen. Zumindest hat sie das einmal durch das ganze Haus geschrien.“
„Warum macht sie dann nicht einfach Schluss?“ Die Worte finden aus meinem Mund, obwohl ich ganz genau weiß wir schwer es sein kann, sich von einer Person zu lösen. Fortan seinen Alltag alleine zu Bewältigen ist etwas das viele Menschen nach gescheiterten Beziehungen neu erlernen müssen. Mich eingeschlossen.
„Sie sind verheiratet. Ich glaube, sie versucht zu retten, was eben noch zu retten ist. Dabei ist es hoffnungslos, wenn du mich fragst.“
„Du glaubst also nicht an die wahre Liebe?“ , beginne ich zu Scherzen und hoffe das mein aufgesetztes Lächeln, den Schmerz aus meinen zusammenfallenden Zügen wegwischt.
„Ganz ehrlich, wenn so meine Beziehung aussehen würde ...“ Sie beginnt ernsthaft darüber nachzudenken, zog scharf die Luft ein und vollendete ihren Satz mit einem tiefen Seufzer der mehr auszudrücken versuchte als Worte.
Eine ganze Zeit lang sagte niemand von uns beiden etwas und sie erhielt endlich die Chance, ein Paar bissen von ihren Aufbackbrötchen zu nehmen. Aus persönlichen Gründen will ich das Thema nicht erneut anschneiden und starre wie gebannt aus dem Fenster. Dabei driften meine Gedanken ab, bis sie zu dem Grund meines eigentlichen Erscheinens zurück finden.- Eliot.
„Er ist euch sehr wichtig“ , mutmaßte ich über ihre familiäre Situation. „Ich habe gewiss nicht vor, nur ein kleiner Bestandteil seines oder ihres Lebens zu sein. Wir gedenken einander zu heiraten und wollen die Fehler unserer Vergangenheit wieder ausbügeln. Ich weiß, das ist mit Risiken verbunden.“
„Aber ...?“
„Aber wir glauben daran, dass wir das zusammen schaffen können. Wir würden alles tun.“
„Alles?“ Sie sah mich herausfordernd an und entlockte mir ein Lächeln. Mein Ego machte einen Sprung. Hatte sie versucht, mit mir zu flirten oder schwebte ihr ein ganz anderer Plan im Sinne?
„Nein Spaß. Ich hab einen miesen Humor. Eine Spur zu sarkastisch in manchen Fällen.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wenn ihr euch beweisen wollt. Dann kommt doch einfach zum Essen vorbei.“
So leicht ging das? „Ja klar gern.“
„Dann lernst du auch Mama einmal besser kennen. Sie kann manchmal etwas engstirnig sein. Sie legt sehr viel Wert darauf, gesiezt zu werden. Sie findet ohnehin schon, das unsere Generation viel zu wenig Respekt vor den Älteren hat...“
Wie gebannt klebe ich an Annas Lippen und nicke ihre Aussagen eifrig ab. Schnell ziehe ich ein Fazit und blicke dem ersten aufeinander treffen Positiv entgegen. Wenn man Annes Worten glauben schenken konnte, dann schienen sich unsere beiden Mütter kaum voneinander zu unterscheiden.
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