1.09
~●~ Chapter NINE ~○~
》Der Feuervogel?《
Edmund hatte den Westlichen Wald, samt dem Biberdamm weit hinter sich gelassen, während er die Brücke überquerte, geradewegs auf den gigantischen Eispalast hinzu. Das Schloss lag auf einer Insel, inmitten eines riesigen Bergsees. Die zwei Berge, die sich rechts und links davon auftaten, bildeten die Grenze zum nördlich anliegenden Ettinsmoor - das Land, wo die Riesen hausten.
Fröstelnd schlang der Schwarzhaarige die Arme um seinen Oberkörper. Den hässlichen Pelzmantel aus dem Schrank des Professors hatte er im Biberbau zurückgelassen, was sich nun bitterlich rächte. Der eisige Nordwind peitschte dem Jungen erbarmungslos ins Gesicht. Seine Lippen waren bereits blau angelaufen und er fürchtete, dass seine Fingerkuppen brechen würden, sobald er die Hände bewegte.
Mit enormer Kraft versuchte Ed sich gegen die dicken Schneemassen am Boden zu behaupten, doch das Laufen bei diesen Bedingungen gestaltete sich schwieriger als zuvor angenommen. Mit jedem weiteren Schritt setzte ihm die Kälte mehr zu.
Erst als sich das riesige Eingangstor des Schlosses vor ihm auftat, atmete Edmund erleichtert auf, wobei seinem trockenen Mund weiße Atemwölkchen entwichen. Er hatte es tatsächlich geschafft - er hatte das Schloss der Königin erreicht! Es würde nicht mehr lange dauern und er konnte sich den Bauch mit Türkischem Honig vollschlagen. Und seine Geschwister... pff... denen war es nicht einmal aufgefallen, wie sich der Schwarzhaarige aus dem Bau der Biberfamilie geschlichen hatte! Zu beschäftigt waren sie mit Geschichten über mystische Kreaturen, erfundene Prophezeiungen und einem Friedenskämpfer, der um den Thron rebellieren wollte. In Edmunds Augen - absoluter Quatsch!
Vorsichtig schlüpfte der Junge durch das große Tor und fand sich auf dem verschneiten Vorhof des Palastes wieder. Es herrschte eine zunehmend düstere Atmosphäre, denn die Eiswände waren so dick, dass kaum ein Lichtstrahl den Weg hindurch fand. Doch es war nicht das fehlende Tageslicht, das Edmund einen Schauer versetzte, sondern die geradezu lebendig wirkenden Statuen aus Stein, die den Vorhof zierten.
Langsam und mit Bedacht kein Geräusch zu erzeugen, das in den leeren Weiten des gigantischen Palastes sicherlich widerhallen würde, schritt Edmund über den Hof. Das Bild des alten Friedhofs in Finchley schoss ihm plötzlich durch den Kopf und allmählich wurde der Junge das zunehmende Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.
Argwöhnisch musterte Ed die Figuren. Er erkannte Waldtiere und Raubkatzen, wie Füchse, Hirsche und Leoparden. Sogar ein riesiges Nashorn weilte unter ihnen. Aber auch merkwürdig aussehende Geschöpfe - halb Mensch, halb Pferd, riesige Ungeheuer mit verschrumpelten Gesichtern und großgewachsene Ziegenböcke auf zwei Beinen.
Das Szenario erinnerte schwer an ein Schlachtfeld. In ihren Händen hielten sie Äxte, Schwerter und gespannte Bögen. Würde Ed es nicht besser wissen, dass er leblose Figuren aus Stein vor seiner Nase hatte, würde er aufgrund ihrer Körperhaltung glauben, die Wesen könnten sich jeden Augenblick auf ihn stürzen.
Edmund riskierte einen letzten Blick über seine Schulter, bevor er die lange Treppe erklomm, die hinauf zum Thronsaal führte.
Hier oben herrschte derselbe triste Hauch, wie zuvor im Schlosshof. Die Eiswände reflektierten das Licht der untergehenden Wintersonne und tauchten den Thronsaal in ein kühles Blau.
Trotz der eisigen Temperaturen, die noch immer an Edmunds Knochen zogen, war er so fasziniert von der überdimensionalen Ausdehnung des Palastes, dass es ihn momentan nicht im Geringsten kümmerte. Ihm wurde beinahe schwindelig, als er den Kopf in den Nacken legte, um die imposante und hochgelegene Decke des Thronsaals zu bestaunen, die von acht wuchtigen, rauen Granitsäulen gestemmt wurde.
Edmund versuchte sich daran zu erinnern, wann er das letzte Mal ein so gigantisches Bauwerk zu Gesicht bekommen hatte... oder, ob es überhaupt ein vergleichbares Objekt auf der Welt gab, dass es mit dem Eispalast der Königin aufnehmen konnte. Im Gegensatz hierzu erschien ihm das Anwesen des Professors Kirk plötzlich, wie ein kleines Häuschen auf dem Land. Nicht einmal die St. Mary Church in Finchley, die er vor den Bombenangriffen so oft mit seiner Familie besucht hatte, konnte mit diesem Ansehen mithalten.
Doch noch mehr imponierte ihm der Thron am Ende des Saals. Seine Arm - und Rückenlehnen waren mit verschnörkelten Gravuren verziert, während Felle und Pelze die Sitzfläche des Königsstuhls, der, wie fast alles andere in diesem Schloss, aus Eis bestand, auspolsterten.
Edmund sah sich um. Der Thronsaal war leer. Er war alleine.
Langsam bestieg er die wenigen Stufen, hinauf zum Thron. Als der Junge die Hand ausstreckte, um sachte mit den Fingern über die Armlehne zu fahren, ertappte er sich bei dem Gedanken, der ihm bereits bei seiner ersten Begegnung mit der Königin durch den Kopf geschossen war, jedoch Ed damals so lächerlich und unmöglich erschien:
,Wie es sich wohl anfühlte, auf so einem Stuhl Platz zu nehmen?'
Doch ehe Edmund seinen Gedankengang in die Tat umsetzen konnte, nahm etwas seine Aufmerksamkeit gefangen - Etwas, das absolut nicht in die Szenerie aus Eis und Kälte passte!
Keine zwanzig Schritte vom Thron entfernt, stand ein kleines Podest aus Eis, auf dem sich eine Glasglocke befand.
Darunter schimmerte das strahlende Rot einer Vogelfeder.
Dem Jungen wurde Schlag auf Schlag ganz warm ums Herz, als er von dem Thron abließ und auf die Glasglocke zu lief.
Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen und für kurze Zeit vergaß er sogar, weshalb er hier war.
Nie hatte er etwas Schöneres gesehen. Die knallige Farbe der Feder, erinnerte ihn an ein prasselndes Feuer im Kamin und ließ ihn augenblicklich ganz dösig werden. Edmund glaubte sogar, in der hintersten Ecke seines Kopfes eine friedvolle Melodie wahrzunehmen... doch das war schier unmöglich... oder?
„Bist du beeindruckt?", schreckte ihn eine kalte Stimme aus seinen Träumereien, woraufhin Edmunds schweifender Blick auf die Königin von Narnia fiel. Wie schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen im Wald trug sie ein Kleid ganz aus Pelz. Ihre blonden Haare hatte sie am Hinterkopf zusammengezwirbelt und in ihrer rechten Hand hielt sie ein langes Zepter, dessen Ende mit einem funkelnden Eiskristall verziert war.
Edmund konnte es sich nicht erklären, doch der Ausdruck in ihrem blassen Gesicht gefiel ihm nicht. Schwerschluckend trat er einen Schritt rückwärts, während er gerade so ein stotterfreies „Ja, Majestät." hervorbrachte.
„Das habe ich mir beinahe gedacht." Die Andeutung eines kleinen Lächelns zog an den Mundwinkeln der Königin, das jedoch die Düsternis in ihren Augen nicht überwinden konnte. Nachdenklich starrte sie auf die rotleuchtende Feder unter der Glasglocke.
„Ist das eine Adlerfeder?", fasste Edmund neuen Mut und erntete sogleich einen undefinierbaren Seitenblick der Frau in Weiß.
„Diese Feder gehörte jemand ganz Besonderem.", entgegnete sie, bevor sie sich schließlich von der Glasglocke abwandte und auf ihrem Thron niederließ. ,,Dieser jemand hat mir in der Vergangenheit unheimlich viel Leid zugefügt und damit hat er sich revangiert."
Mit einem Kopfnicken in Richtung Feder beendete die Königin ihre Erzählung und legte ihr gesamtes Augenmerk auf den Adamssohn.
„Sag mir, Edmund, hören deine Schwestern schlecht?"
Ein fragender Ausdruck spiegelte sich auf Edmunds Gesicht wider. Er verstand nicht, worauf die Königin hinauswollte, weshalb er nur mit einem knappen und zögerlichen „Nein" antwortete.
„Und dein Bruder,", fuhr sie fort, wobei sie den Schwarzhaarigen förmlich mit ihrem stechenden Blick durchbohrte, „fehlt es ihm etwa an Intelligenz?"
Jetzt musste der Junge kess grinsen.
„Ich finde schon, aber unsere Mum sagt..."
Prompt zuckte Edmund zusammen, als die Frau in Weiß vor ihm aufsprang und herrisch die Stimme erhob: „UND WARUM, WAGST DU ES DANN HIER ALLEINE ZU ERSCHEINEN!?!?!?!"
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„AU!"
„Halt still!", ermahnte Frau Biber den Fuchs, während sie die Bisswunde an seinem Rücken reinigte. „Du bist ja noch schlimmer, als Herr Biber am Badetag."
„Der schlimmste Tag des Jahres!", bestätigte Herr Biber und schüttelte sich.
Nur haarscharf waren die Pevensies und das Biberpärchen dem Wolfsrudel entkommen.
Nachdem es zu spät war und Edmund in die Falle der Weißen Hexe getappt war, dauerte es keine zehn Minuten, als sich das Wolfsgeheul dem Biberdamm näherte. Ohne zu zögern hatten Susan und Frau Biber den Proviant geschnappt und waren mit den übrigen Freunden durch einen Geheimtunnel nach draußen geflüchtet - noch immer mit den Wölfen im Nacken. Dank eines trickreichen Fuchses, konnten sie die Tiere überlisten und Maugrim und sein Rudel auf eine falsche Fährte locken.
„Tut es sehr weh?", fragte die kleine Lucy mitfühlend und deutete auf die nässende Wunde, die die Reißzähne eines bissigen Wolfes zu verantworten hatten.
Doch der Fuchs wirkte tapfer und zwinkerte schelmisch in Lucys Richtung: „Naja, ich würde nur allzu gerne sagen, Hunde, die bellen, beißen nicht... AHHH!" Schließlich heulte er schmerzhaft auf, als Frau Biber sich erneut an der Verletzung zu schaffen machte.
„So, das war's."
„Danke."
Der Fuchs erhob sich von dem kleinen Lagerfeuer, dessen glühende Funken in die unendliche Weite des Nachthimmels emporstiegen, und verneigte sich vor der Jüngsten der Pevensies.
„Es war mir eine Freude und eine Ehre, meine Königin, aber die Zeit drängt. Ich werde Euch nun verlassen."
„Wieso?", wollte Lucy wissen.
„Aslan hat mich gebeten unsere Armee zusammen zu trommeln."
Heern Biber klappte die Kinnlade nach unten, als er fassungslos fragte: „Du hast Aslan gesehen?!"
Und auch seine Frau wurde plötzlich ganz zappelig. „Und? Wie ist er so???"
Der Fuchs lächelte geheimnisvoll.
„Genauso, wie ihr ihn euch vorstellt. Wir können uns glücklich schätzen, dass er uns in diesem Kampf beisteht."
„Aber wir haben überhaupt nicht vor gegen irgendjemanden zu kämpfen!", widersprach Susan und blickte hilfesuchend in Richtung ihres Bruders. Doch da kam ihm der Fuchs zuvor: „Aber, König Peter, die Prophezeiung... Der Benu hat es vor langer Zeit vorhergesehen."
„Ohne euch kann sich die Prophezeiung nicht erfüllen.", pflichtete Herr Biber dem Fuchs bei.
Susan, die normalerweise auf alles eine Antwort wusste, schüttelte wirr den Kopf: „Was hat es damit auf sich?"
„Und wer ist der Benu?", fügte Peter hinzu und stellte somit dieselbe Frage, auf die er Stunden zuvor im Biberbau keine Antwort erhalten hatte.
„Der Feuervogel? Eine alte Legende, die ihren Ursprung in Narnias Blütezeit nahm.", klärte der Herr Biber die Pevensie-Geschwister auf. „Man erzählt sich, er sei aus seiner eigenen Asche auferstanden, als die Sonne zum ersten Mal ihre Strahlen auf narnianischen Boden warf. Seitdem gilt der Benu als Schutzpatron unseres Volkes."
„Sowie Aslan?" Lucy hatte aufmerksam den Worten des Bibers gelauscht und war von der Erzählung gänzlich begeistert.
„Ja, so ähnlich... bis auf, dass Aslan wirklich existiert."
Susan hingegen stand dem Ganzen eher skeptisch gegenüber, was ihr misstrauischer Unterton, neben der gekräuselten Stirn nur allzu gut verdeutlichte: „Aber, wenn es doch eine Legende ist, wie Sie sagen, warum vertrauen Sie darauf, dass die Prophezeiung wirklich wahr ist?"
„Naja... Aslan tut es jedenfalls..."
„Ihr müsst wissen,", begann die Biberfrau, „wir Narnianen sind ein abergläubisches Volk. Zu viele Sagen und Legenden kreisen um unsere Welt. Dennoch glauben die Meisten, der Benu sei nichts weiter, als eine Kindergeschichte. Andere sagen, dass der Feuervogel im Ewigen Winter keine Macht hat und Narnia daher nicht retten kann und wiederum andere gehen davon aus, dass der Benu noch irgendwo da draußen ist. Er weilt unter uns, hält sich versteckt und wartet auf den richtigen Zeitpunkt um zuzuschlagen."
„Und was glauben Sie?", fragte Peter an den Fuchs und das Biberpärchen gewandt, woraufhin die beiden Nager nur mit den Schultern zuckten und die Köpfe senkten.
„Es geht nicht darum, was wir glauben,", seufzte der Fuchs schwer, „denn die Wahrheit ist, dass kein Lebender jemals ein Wesen dieser Art zu Gesicht bekommen hat..."
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