Prolog - Das Vermächtnis der Chronistin
Das Leben ist ein Fluss, in dessen Wasser unzählige Seelen treiben. Manche von ihnen werden einander nie begegnen. Sie fließen ahnungslos dahin, auf ihrem Weg zum Meer der Erinnerung. Andere treffen aufeinander und verbinden sich, sodass sie voneinander untrennbar werden. Doch eines haben sie alle gemeinsam. Sie alle haben eine Geschichte und ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, so viele von ihnen niederzuschreiben, wie ich kann.
Warum ich das tue? Nun, ich finde, dass jede Geschichte es wert ist, gehört zu werden, denn jedes Leben ist wertvoll und einzigartig und verändert den Lauf der Dinge auf die eine oder andere Weise. Und manchmal ergeben zwei Geschichten erst ein Ganzes, auch wenn keiner der beiden von dem anderen wusste. Das Leben gibt uns Rätsel auf, es lässt uns staunen und manchmal zweifeln. Doch wenn wir genau hinsehen und noch genauer zuhören, dann entwirren sich alle verschlungenen Pfade und liefern uns die Antworten auf all unsere Fragen.
Ich habe gelernt, mir nie vorschnell ein Urteil zu bilden. Es gibt immer mehr als eine Wahrheit und ich maße mir nicht an, die richtige zu kennen. Denn was ist schon richtig und was falsch? Liegt es nicht im Auge des Betrachters und in dessen Verständnis von der Welt? Deshalb verstehe ich mich nicht als Richterin oder Verfechterin der einen oder anderen Seite. Ich bin lediglich diejenige, die all die Geschichten niederschreibt, die im Fluss der Zeit an sie herangetragen werden. Ich lausche den Stimmen der Vergangenheit und der Gegenwart und bringe auch zu Papier, was die Zukunft noch bringen mag, sofern diese in Visionen der Seelen erschien, deren Weg ich für die Nachwelt festhalte. Das kleinste, noch so unbedeutsam wirkende Geschehnis vermag die Geschicke eines ganzen Volkes zu verändern, währenddessen vermeintlich große Taten manchmal nichts weiter sind, als ein Flüstern im Wind, welches davongetragen und vergessen wird.
Aber lest selbst, was ich erfahren habe, denn das ist es, was mich antreibt. Ich möchte die Geschichten derer, die den Fluss des Lebens befahren, unsterblich machen, denn genau das werden sie sein, solange jemand da ist, der sie wissbegierig liest und aus ihnen lernt.
Jetzt werdet ihr euch fragen wer ich denn bin, dass ich alle Lebensgeschichten zu Papier bringen möchte. Ich bin das, was man eine Chronistin nennt, doch ich bin noch mehr...bin eine Seele, der nach Erleuchtung dürstet, ein Wesen, das verstehen will, eine Elfe, die auf der Suche nach sich selbst ist und sich mit jeder niedergeschriebenen Zeile ein Stück weit findet. Mein Name ist Landorielle und sollten wir uns eines Tages begegnen, dann erzähle auch du mir die Geschichte deiner Reise und lass mich für eine Weile deine Weggefährtin sein, auf dass ich dich für die Nachwelt unsterblich werden lassen kann! Lass mich eintauchen in deine Welt und teilhaben an deinen Gefühlen!
Ich habe jedem, mit dem ich bisher gesprochen habe, ein eigenes Buch gewidmet. Und auch die Geschichten derer, die lange vor meiner Zeit von uns gingen, habe ich, so weit es mir möglich war, mithilfe von Erzählungen ihrer Nachkommen und Vertrauten und durch Recherchen in bereits vorhandenen Chroniken, zu Papier gebracht. Ich gebe nicht viel auf genaue Zeitangaben oder chronologische Anordnungen meiner Niederschriften, auch wenn euch dies ironisch erscheinen mag, da ich doch eine Chronistin bin. Doch viel mehr liegt mir daran, an die Auswirkungen zu erinnern, die Entscheidungen haben. An die guten und die schlechten und an alle Gefühle, die sich daraus ergaben.
So begebt euch nun auf die Reise zu den Leben der Elfen, die das meine berührten und durch kleine oder große Taten auf ewig mit mir verbunden sind! Auch ihr werdet dadurch ein Teil von ihnen werden und sie ein Teil von euch. Ich hoffe, dass auch ihr, so wie ich einst, aus den Geschichten lernen werdet. Mir waren sie zu weil ein Spiegel, vor dem ich mich bis dahin scheute. Es ist merkwürdig, sich in der Erzählung eines anderen wiederzuerkennen. Aber es ist auch tröstlich, zeigt es doch, dass man nicht alleine ist mit all seinem Sehnen, seinen Ängsten und seinen Abgründen.
Doch genug der Weisheiten. Ich lasse nun die zu euch sprechen, denen ich die folgenden Bücher gewidmet habe. Halron, den Herrscher im Lichte, der die seinen in die Dunkelheit stürzte. Idhril, die gütige Herrin des Lichtwaldreiches und deren Sohn Baradir, der ergeben wie kein Zweiter dem Fürsten Mandelion diente, welcher Melith mit Herz und Verstand regierte. Kalea, die als letzte Überlebende ihres Volkes eine Zuflucht jenseits von Raum und Zeit fand. Anduriel und Shanaria, die ihr Volk vor dem Untergang retteten, ohne es zu wissen. Nimiel, welche unfreiwillig zur Mörderin wurde und danach zur Lichtgestalt der Magiergilde aufstieg. Elomir, der ein scheinbar unspektakuläres Leben führte und doch maßgeblich daran beteiligt war, dass es Melith so gibt, wie wir es heute kennen. Und Dimion, der ein Opfer tragischer Umstände und dadurch selber zum Schrecken eines ganzen Reiches wurde und die Schatten aus uralter Zeit beschwor, um sich an denen zu rächen, die ihn dämonisiert hatten.
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