Das Buch Halrons - Alachit
Die Kunde von Celairons Erscheinen verbreitete sich im Lager wie ein Lauffeuer und Bainon berichtete, was er ungläubig entdeckt hatte. Eine majestätisch aufragende Stadt mit einem großen Hafen und allerlei ungewöhnlichen Vorrichtungen, die auf mechanische Weise Erleichterung bei schweren Arbeiten boten. So zum Beispiel ein überdimensionales Rad, welches sich der Kraft des Wassers bediente, um einen Kran zu bewegen, der schwere Lasten heben konnte. Dem Kundschafter blieb jedoch nicht lange Zeit, um von allem zu erzählen, denn Halron trat hocherhobenen Hauptes, Hand in Hand mit seiner Frau, aus ihrem Zelt und ließ sich von ihm zu seinem Gast führen. Dieser saß mit dem Rücken zum Zelteingang und drehte sich beim Eintreten des Königs und seiner Gemahlin erwartungsvoll um.
„Werter Celairon, bringt uns in eure Stadt und erzählt uns auf dem Weg dorthin den genauen Wortlaut der Prophezeiung. Ich schlage vor, dass wir auf unseren Schiffen reisen, denn diese müssen ohnehin an einen geschützten Ankerplatz", sprach Halron.
Celairon neigte ergeben seinen Kopf und antwortete:
„Es ist mir eine Ehre, euch und euer Gefolge nach Alachit zu geleiten. In der Tat wäre es sinnvoll, den Weg übers Wasser zu nehmen. Dieser führt uns schneller dorthin. Und was die Ankerplätze angeht, so sollen eure Schiffe auf ewig in unserem Hafen willkommen sein."
Alle Kundschafter hatten den Weg zurück ins Lager gefunden und so wurden nur noch eilig die Zelte abgebaut und in die Boote verladen. Nachdem die Ladungen zu den vor der Küste ankernden Schiffen gebracht worden waren, setzten die Elfen dorthin über. Celairon wurde an Bord des königlichen Schiffes gebracht, wo er zusammen mit dem Regentenpaar am Bug verweilte und dem Steuermann den Kurs zurief, welchen dieser einschlagen sollte. Der Wind stand günstig und so segelten sie rasch dahin und erreichten bereits nach zwei Stunden die Mündung eines breiten Flusses, der in sanften Windungen ins Landesinnere führte.
Jeora ergötzte sich an der Schönheit der Landschaft, die an ihnen vorbeiglitt. Sie atmete immer wieder tief ein, um all die neuen Gerüche, die von den üppig bewachsenen Ufern, welche steil zu beiden Seiten des Wassers aufragten, in sich aufzunehmen. Hier war es warm, ja schon fast schwül und exotische Blütendüfte überlagerten die Gerüche des Meeres, das sie zwar immer noch hören, aber nicht mehr sehen konnte. Halron hingegen achtete kaum auf die Umgebung. Er war völlig in das Gespräch mit Celairon vertieft. Dieser erklärte ihm, dass er der Stadthalter von Alachit war und somit den höchsten Posten der Stadt bekleidete. Als Halron sich nach einem Monarchen des Landes erkundigte, wurde er von der Antwort seines Gegenübers überrascht.
„Wir haben hier zwar einige adlige Familien, denen Fürsten und Fürstinnen entstammen, doch keiner von ihnen regiert das Reich. Sie alle fürchten sich vor der Aufgabe, die mit der Ernennung zum Herrscher über Melith einhergehen würde...dem Kampf gegen die Schatten", sagte der Stadthalter mit einem spöttischen Unterton.
Der König schüttelte den Kopf und versuchte sich auszumalen, was derart schrecklich sein konnte, dass man es vorzog auf den Thron zu verzichten, obwohl dieser zum Greifen nah war. Er würde sich nicht abschrecken lassen und seine Chance ergreifen. Und wenn es stimmte, dass alle Elfen hier an die Prophezeiung des Königs, welcher über das Meer zu ihnen kommen würde, glaubten, so würden sie ihn sicher mit Freuden auf den Thron setzen.
Neben seinem Bestreben, die Seinen in Sicherheit zu bringen, war auch sein Ehrgeiz entflammt. Er war der geborene Herrscher. Stark, entschlossen, edel, zielstrebig und mitfühlend und nur manchmal etwas unbeherrscht, was seine Frau jedoch mit sanftem Nachdruck immer wieder aufs Neue in richtige Bahnen lenkte.
Plötzlich zuckte Halron zusammen und ließ den letzten Satz Celairons noch einmal in seinen Gedanken erklingen. Und dann erinnerte er sich daran, dass dieser bereits bei ihrem ersten Zusammentreffen im Zelt etwas gesagt hatte, dass ihn befremdlich streifte. Doch in jenem Augenblick war er zu aufgewühlt gewesen, um es richtig zu begreifen.
„Sagtet ihr gerade ‚Herrscher über Melith'?", fragte er verwundert.
„Ja, ganz richtig. So heißt das Reich, in dem ihr euch nun befindet", bestätigte der Elf aus Alachit.
In Halrons Kopf begannen sich die Bilder aus seinen Träumen und das, was er um sich herum erblickte, zusammenzufügen. Es konnte kein Zufall sein, dass das Land bereits den Namen trug, den er ersonnen hatte.
„Sagt, gibt es im Landesinneren eine Stadt umgeben von Bergen, die Shanduril genannt wird?", hakte er weiter nach.
„Die gibt es in der Tat. Dort kommen die Fürstenhäuser zusammen, wenn es wichtige Dinge zu besprechen gibt, die über die Belange der einzelnen Ländereien hinausreichen. Woher wisst ihr das?"
Halron blickte ihn triumphierend an und sagte mit fester Stimme:
„Weil ich es in meinen Visionen gesehen habe. Welch andere Erklärung kann es dafür geben, als dass ich tatsächlich der Auserwählte bin? Ich sah ein blühendes Land mit zufriedenen Bewohnern und ohne Anzeichen einer Bedrohung. Das kann nur bedeuten, dass ich dieser Herr werden und Melith in eine strahlende Zukunft führen werde. Und Shanduril werde ich zu meinem Wohnsitz und zur Hauptstadt des Reiches machen."
Jeder Zweifel war von ihm abgefallen und mit stolzgeschwellter Brust ließ er nun auch den Blick schweifen, um sein neues Reich gebührend zu betrachten. Es war wild und urtümlich und schien auf wundersame Weise von Magie durchdrungen zu sein. Er spürte sie wie eine leichte Vibration in der Luft. Wie hatte ihm das anfangs entgehen können? Die Magie harmonierte wundervoll mit der, die in seinem Inneren ruhte, so als würde sie ihm entspringen. Vielleicht hatte er es deshalb nicht wahrgenommen, weil sie ihm so vertraut war. Er verliebte sich mit jedem Moment mehr in dieses Land und fühlte sich ihm verbunden. Ja, dies würde wahrlich seine neue Heimat werden.
Celairon nickte stumm. Auch er konnte sich das Wissen des Königs nicht anders erklären. Und er dankte dem Himmel, dass sich die Prophezeiung tatsächlich erfüllen würde. Eine Weile fuhren sie schweigend dahin und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Doch dann rief Celairon erfreut aus:
„Schaut, dort vorne könnt ihr schon die Oberstadt erkennen."
Es war ein majestätischer Anblick. Die Stadt schmiegte sich an den Hang, der hoch über dem Wasser aufragte. Auf großzügigen Terrassen erhoben sich filigrane Türme und mit Bogenfenstern und Balkonen durchzogene Häuser, die in makellosem Weiß erstrahlten. Überdachte Brücken verbanden einige der Türme in schwindelerregender Höhe miteinander. Doch am beeindruckendsten war nicht die Baukunst dieser Stadt, sondern wie die Naturgewalten eine Symbiose mit ihr bildeten.
An mehreren Stellen stürzten tosende Wasserfälle von den Bergwänden mitten durch die Stadt hindurch. Die feinen Sprühnebel, die durch das fallende Wasser über der Stadt lagerten, wurden von der Sonne beschienen und ließen dadurch unzählige kleine Regenbögen entstehen, die die Luft in zarte Pastelltöne hüllten.
Als sie um die letzte Flussbiegung schifften und in den großen Hafen einliefen, wurden sie dort bereits von hunderten von Elfen in festlichen Gewändern erwartet. Sie alle blickten erwartungsvoll auf die Schiffe, welche langsam Richtung der zentralen Anleger steuerten.
„Willkommen in Alachit, mein König und meine Königin", sagte Celairon und ein stolzes Lächeln umspielte seine Lippen.
Er konnte sehen, wie sehr Halron gefiel, was er erblickte. Alachit war ein Meisterwerk der Baukunst, aber auch eines der Natur. Hier lebte die Seele der Elfen in jedem Stein, der sich harmonisch ins Umfeld einfügte. Nirgends hatte man künstlich etwas angepflanzt, denn die Natur hatte alles bereits so gestaltet, dass es ästhetischer nicht hätte sein können. Ja, er war stolz auf seine Stadt und er war stolz darauf, den Retter des Reiches hierher geführt zu haben.
Er wandte sich Halron zu und flüsterte:
„Ihr solltet eine kleine Ansprache halten, bevor ihr von Bord geht. Sie haben lange auf euch gewartet und sich ausgemalt, wie ihr König hier einst eintreffen würde. Gebt ihnen etwas, das sie euch von Herzen gewogen macht und nicht nur aus der Not heraus!"
Halron verstand und nickte unmerklich. Celairon hatte Recht. Sie würden ihn als Herrscher akzeptieren, doch ihre Zuneigung musste er erst noch erringen. Also hob er würdevoll die Hand und brachte die tuschelnde Menge damit zum Schweigen.
„Brüder und Schwestern, es erfüllt mich mit Freude und Ehrfurcht, jetzt vor euch zu stehen und dieses Wunderwerk zu sehen, welches ihr erschaffen habt", sprach er und deute mit einer weiten Geste über die Stadt, die sich majestätisch vor ihm erhob. „Genau wie ihr einst, bin auch ich mit meinem Volk über das Meer gekommen, um ihnen ein friedliches Leben zu ermöglichen. Und es erfüllt mich mit Trauer und Zorn, dass dies anscheinend auch hier nicht möglich ist, da Schattenwesen dieses wunderbare Land bedrohen. Aber ich versichere euch, dass dies bald ein Ende haben wird. Visionen haben mich nach Melith geführt, die der Prophezeiung des Retters eures Reiches entsprungen sein müssen. Und hier bin ich nun und verspreche euch, dass ich jeden Feind vernichten werde, der dieses Land bedroht, um den Völkern von Melith und auch dem meinen, eine Zukunft im Licht zu schenken. Nehmt mich als euren König an und ich werde uns alle zum Sieg über die Schatten führen, dass schwöre ich, so wahr ich hier stehe, Halron der Herrscher im Lichte."
Er blickte über die Menge edler Gestalten, die ihm gebannt gelauscht hatten. Für einen Moment war es so still, dass außer den fallenden Wassern nichts zu hören war. Doch dann brandete ein tosender Beifall auf. Die Elfen jubelten ihm zu und riefen seinen Namen.
„Gut gemacht, mein König", raunte ihm Celairon zu und trat ein Stück beiseite, um den Fokus ganz auf den zu legen, der soeben sein Schicksal besiegelt hatte.
Hätte Halron gewusst, was in den nächsten Jahren geschehen würde, so hätte er sein Schiff wenden lassen und wäre lieber wieder über die endlosen Weiten des Ozeans geirrt, als an diesem scheinbar harmonischsten aller Orte zu verweilen. Doch er war ahnungslos und überwältigt von den sich überschlagenden Ereignissen. Und so nahm er glücklich die zarte Hand seiner Frau und ging an Land, bahnte sich lächelnd einen Weg durch die Menge, die ihn überschwänglich feierte und folgte Celairon in den Anfang vom Ende.
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