Gesellschafterinnen - Teil 2
Kapitel 98
Lilyanna
"Eure Familie hat Repressalien erlitten", stellte ich fest, legte das Buch beiseite und kraulte Fünkchens Nase, als diese ihren Kopf in meinen Schoß legte.
Die Frauen schienen den riesigen Klagewolf jetzt erst zu bemerken, aber wenn sie erkannten, um was es sich bei Fünkchen handelte, dann reagierten sie nicht darauf. Offensichtlich hielten sie sie lediglich für einen etwas zu groß geratenen Hund und ich beschloss, es dabei erst einmal zu belassen.
Xenias Hände umfassten eine Falte ihres grauen Kleides so fest, bis sie weiß hervortreten und Tränen schwammen ihr in den Augen.
"Repressalien? Mein Vater und meine Brüder starben am selben Tag, an dem auch Eure Mutter hingerichtet worden ist. Meine Mutter gelang die Flucht aus der Hauptstadt, aber die Wege waren unsicher. Plünderer haben die Chance genutzt und die Flüchtenden, um ihr letztes Hab und Gut zu bringen. Sie wurde von einem Banditen geschändet und dann getötet", brach es aus ihr heraus und auch wenn dieses Verhalten mir gegenüber absolut unangemessen war, hatte sie sofort mein Mitgefühl.
Ich ahnte, in welche Richtung ihre Wut ging. Ihre Familie war ausgelöscht worden und anstatt dieses Opfer zu würdigen, hatte ich mich feige aus dem Staub gemacht. Obwohl sie für mich gestorben waren.
Der Kloß, der sich in meiner Kehle bildete, fühlte sich an wie ein überdimensionaler Kieselstein, den ich einfach nicht los bekam. Wie viele der Sommerlandsbewohner hatten ähnliche Geschichte zu beklagen und glaubten nun, dass ich sie im Stich gelassen hatte?
"Xenia!", ermahnte die Mittlere wieder und legte eine ihrer Hände auf den Schoß der offensichtlich immer noch trauernden Xenia. Diese Mädchen waren Freundinnen, das bemerkte man sofort. Kein Wunder. Sie hatten ein Schicksal geteilt.
"Was? Es ist nur die Wahrheit. Dein Vater kämpft noch immer in ihrem Namen, aber das ist vergebens, nicht wahr? Ihr habt vor, den König der Winterlande zu heiraten und damit den Thron diesem Bastard zu überlassen! Ihr habt vor, die letzten Verbündeten Eurer Eltern den Rücken zuzudrehen, ihren jahrelangen Widerstand ad absurdum zu führen!", schimpfte Xenia. Und diese Sichtweise auf die Dinge war mir bis eben noch nicht klar gewesen.
Jeder, der sich jetzt noch gegen meinen Onkel stellte, hatte niemanden mehr, für den sie kämpfen konnte, wenn ich den Thron der Sommerlande verschmähte. Dass meine Leiche nie gefunden wurde und mein Tod nie offiziell bestätigt worden war, war für sie besser gewesen, als die Situation jetzt. Sie hatten Hoffnung gehabt, aber die Gewissheit, dass ich hier war, könnte den Widerstand abebben lassen und meinen Onkel sogar in die Hände spielen. Für die Rebellion war die für eine verschollene Prinzessin zu kämpfen besser als für eine, die scheinbar den Thron gar nicht will.
"Ich bitte Euch Hoheit, Ihr müsst meine Cousine entschuldigen, sie ist aufgebracht und..."
"Hat Recht.", unterbrach ich die Mittlere schnell, damit diese sich nicht für etwas entschuldigte, wofür sie absolut nichts konnte.
"Lady Xenia hat jedes Recht, sich verraten zu fühlen, aber was soll ich Eurer Meinung nach tun? Die Verlobung lösen, die meiner Zustimmung nicht bedurfte und dann ohne jegliche Unterstützung in meine Heimat zurückkehren, um mich dort umbringen zu lassen? Denn seid nicht naiv, genau das würde geschehen! Selbst wenn es mir und allen, die hinter mir stünden, wie durch ein Wunder gelänge, den Thron zurückzuerobern, wie ginge es dann weiter? Die Winterlande wären ganz sicher nicht erfreut und die Sommerlande hätten sich wieder den Bruch eines Vertrages schuldig gemacht. Zudem ist mein Thronanspruch bestenfalls theoretischer Natur. Ich war nie als Erbin vorgesehen, seit meinem ersten Atemzug ist es mein Schicksal den König der Winterlande zu heiraten und das werde ich auch tun, weil dies das beste für beide Länder ist", sagte ich und sah, dass es wieder aus Xenia hervorbrechen wollte und ließ es auch zu.
Sie brauchte das. Ich brauchte das. Ihre Wut war berechtigt und mir war unverblümte Ehrlichkeit lieber als vorgespielte Treue.
"Also überlasst ihr eurem mörderischen Onkel den Thron?", fragte Xenia immer noch erbost, aber ich lächelte lediglich kalt. Es war ironisch, dass ich angesichts Xenias Reaktion endlich wirklich einsah, dass Duncans Plan, so riskant er auch sein möge und so wenig er mir gefiel, genau eines tun würde: Menschen helfen. Denn das war unsere Aufgabe als Herrscher. Persönliches Glück, ein Sicherheitsgefühl und alles andere waren zweitrangig. Es gefiel mir nicht.
Die verspätete Krönung, damit ich ein Kind mit Anspruch auf den Sommerthron zur Welt bringen konnte, würde meine Kinder einer unfassbaren Gefahr aussetzen. Aber als Ducan unsere zukünftigen Kinder als politisches Pfand betrachtete, hatte er wie ein König gehandelt. Und ich? Ich hatte einmal mehr nur meine eigenen Belange im Kopf gehabt. Ich wollte nicht, dass meine Kinder das durchleben mussten, was ich durchlebte. Mein Herz brach bei dem Gedanken, aber ich würde es ertragen müssen. Weil genau das meine Aufgabe war. Zum Wohle beider Länder.
Entscheidungen treffen, die in erster Linie gut für das Land und die Menschen darin waren, waren Duncans Pflicht und letztendlich auch die meine..
"Das habe ich nie behauptet, Lady Xenia, aber sieht mir nach, wenn ich Euch nicht in hochpolitische Verwicklungen einweihe, die Eure Position weit übersteigen", begann ich, weil ich Duncans Plan den Sommerlanden eben doch einen Thronfolger zu liefern, nicht vor diesen Frauen erläutern würde. Aber ich konnte, bei allem Verständnis, nicht darüber hinwegsehen, dass sie mich nur als Prinzessin sahen. Ich war auch ein Mensch, auch nur ein Mädchen, das mit acht Jahren ihre Eltern verlor.
"Es tut mir leid, welche Verluste Ihr erlitten habt, aber vergesst nicht, dass Ihr nicht die Einzige seid, für die an diesem Tag eine Welt zusammengebrochen ist. Mein Überleben habe ich mir hart erkämpfen müssen, während ihr hier sicher im Schoß Eurer anderen Verwandten verweilt habt und Gelegenheit dazu bekommen habt Eure Familie zu betrauern. Ich habe dafür ziemlich genau zwei Tage erhalten, bevor mir gesagt worden ist, dass ich mich zusammenreißen und nach vorne sehen soll. Diesen Ratschlag gebe ich nun Euch, Lady Xenia. Günstigerweise Jahre nach Eurem Verlust. Ich wünschte, ich hätte diesen Luxus erfahren!", fuhr ich sie ebenso unerbittlich an, um die Fronten einmal abzuklären. Ich verstand ihre Wut, hatte Mitleid für ihren Verlust und so wie ich ihr dieses Verständnis entgegenbrachte, würde ich dieses auch von ihr verlangen.
Daraufhin war es still im Raum. Lady Xenia biss die Lippen aufeinander, dachte scheinbar über meine Worte nach und nickte dann. Sie akzeptierte diesen Patt. Aber im Gegensatz zu ihr konnte ich es mir nicht erlauben, deswegen zu schmollen.
Mein Blick glitt zu den anderen Ladys. Ihrer Cousine, die immer noch sanft Xenias Hand tätschelte und die andere, die sich bis jetzt aus allem herausgehalten hatten.
"Erzählt mir von Euch", bat ich die Stille und ihr leichtes Überbiss rieb kurz hin und her, bevor sie sich ein Lächeln abrang.
"Ich bin Lady Charlotte, meine Familie hat den Putsch unbeschadet überstanden. Wir leben seit zwei Jahren in der Hauptstadt der Winterlande, meine Brüder dienen in der Armee des Königs. Meine jüngere Schwester ist verheiratet. Mehr gibt es über mich nicht zu wissen, fürchte ich, Hoheit", sagte sie und wirkte immer noch distanziert, auch wenn ihre Worte ausnehmend höflich waren.
Ich beließ es dabei und blickte zu Xenias Cousine. Lady Holly. Diese lächelte etwas gequält und entschied sich dafür, lieber nicht ihre Familie zu erwähnen, die sich offensichtlich der Rebellion gegen meinen Onkel angeschlossen hatte und beschloss, sich auf ihre Position als Gesellschafterin zu konzentrieren.
"Ich bin Lady Holly, Euer Gnaden. Ich kann nicht so gut singen, wie Xenia und bin sicher auch nicht gewandt in Dichtungen wie Lady Charlotte. Meine Fähigkeiten sind eher praktischer Natur. Ich kann sticken und Karten spielen, um Euch die Tage zu verkürzen." sagte sie und erinnerte mich daran, dass absolut jeder davon ausging, dass mich als Königin ein Schicksal innerhalb dieses Schlosses erwarten sollte, wo ich Kinder für Ducan austrug und ansonsten meinen Tag mit Unsinnigem verschwendete.
Nur leider war ich absolut nicht von Cedric dazu erzogen worden, untätig zu bleiben.
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