Kapitel 3: Das Dorf & Der Müller
1214, Spätsommertag
Dorf
Markus Lykanon
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Der Karren knarzte bei jedem Meter, den er über ausgefahrenen Pfad holperte. Die wenigen Niederschläge der letzten Monate hatten die braune Erde, die verriet, dass öfters mal ein Fuhrwerk den alten Erdweg entlang polterte, ausgedorrt und Hart wie Stein geformt. Sogar die Riefen, die einst mal diesen Weg geziert hatten, waren inzwischen eben. Doch die Schlaglöcher und Wellen in der Erde ließen jedes Mal die hölzerne Achse leidig stöhnen, wenn der Wagen in eine der Unebenheiten sank.
Es war Stunden her, dass Markus seine Hütte verlassen hatte um den alten, braunen Ochsen einzuspannen, ehe er die wenigen Säcke Korn auf das kleine Fuhrwerk lud und sich auf den Weg in Richtung des Dorfes machte. Immer wieder musste er an dem Strick zerren, der um den Hals seines treuen, aber deutlich in die Jahre gekommenen Wegbegleiters lag. Nicht selten stemmte das störrische Tier seine Beine wie ein Esel in den harten Boden und weigerte sich auch nur einen Schritt weiter zu gehen, weshalb der eh schon aufwendige und lange Weg sich unnötig in die Länge zog. Ein ums andere Mal, hatte sich Markus schon verzweifelt die Haare gerauft. War fluchend um den Karren getobt und hatte ernsthaft in Erwägung gezogen, statt gutem Zureden und einem bestimmten Zug am Strick, doch einmal seine Hand in eine fahrigen Bewegung zu heben und es auf das knochige Hinterteil des alten Ochsen zu schlagen, damit er lief. Allerdings schien das schlaue Tier den Umschwung seines sonst so ruhigen Gemüts zu spüren und setzte sich, bevor die Gedanken des Bauern in die Tat umgesetzt werden konnten, röhrend vor Entrüstung wieder in Bewegung.
Nun war es fast Mittag, was der hohe Stand der Sonne vermuten ließ, als der Karren durch die erste Hausreihe holperte. Anders als seine Hütte, waren die meisten der kleinen Behausungen hier aus grauem Stein erbaut worden und das Stroh auf ihren Dächern noch nicht ergraut, sondern leuchtete jungfräulich golden. Die Fenster waren nicht milchig vergilbt sondern längten in dem hellen Schein wie Spiegel. Die Türen waren dicker und hingen gerade in den Angeln, schmiegten sich eng an das Gemäuer, sodass es den Wind zweifellos schwerfiel, durch die Ritzen zu pfeifen. Einige Frauen und junge Männer tummelten sich auf dem Weg, der nun einer alten steinigen Straße gewichen war. Viele von ihnen hielten in ihrem Werken inne, als sie den Karren über die Steine holpern hörten. Blicke richteten sich auf ihn. Folgten ihm seinen Pfad hinauf. Doch kaum einer war ihm freundlich gesinnt. Die meisten Gesichter verfinsterten sich, in dem Moment, wo sie ihn erkannten. Nicht selten trat einer der jungen Männer einen Schritt nach vorn, verschränkte die kräftigen Arme vor der Brust, ehe er ihm direkt vor die Füße spuckte.
Markus war diese Art von Begrüßung bereits gewohnt. Wenn er ehrlich war, war er tatsächlich froh, dass es sich dieses Mal nur um Spucke und verachtende Blicke handelte. Es hatte schon viel schlimmere Zeiten gegeben, in denen statt Spucke verfaultes Obst und Gemüse, in den schlimmsten Fällen sogar Kot auf ihn geworfen wurde. Es war schwer vorstellbar, dass er vor vielen, sehr vielen Jahren einmal hier gelebt hatte. Allerdings hatte man in ihm schon immer eine unreine Seele gesehen, eine Ausgeburt der Hölle, nachdem seine Mutter bei seiner Geburt verstorben war. Wäre sein Vater, ein Angesehener Krieger nicht gewesen, hätte man ihn wohl schon damals im nächsten Brunnen ersäuft. So allerdings, nahm sein Vater sich seiner an und riskierte damit nicht nur sein Ansehen. Schon als Knabe hatten die Menschen seinem Rücken getuschelt. Und als der Krieger dann im 5 Winter seines Lebens verschied nahm sich niemand dem Waisen an. Seines Hauses beraubt, schlief er damals in den Ställen, stahl um zu überleben. Es war klar, dass man ihn früher oder später davon jagen würde. Und genauso geschah es. Glücklicher Weise war da ein alter Einsiedler, der in eben jener Hütte, die er nun sein eigen nannte, hauste, der den Knaben aufnahm. Ihm das Handwerk eines Bauern sowie die Grundlagen der Jagd und des Kampfes lehrte. Ein Mann der auf den Namen Balian hörte, doch ebenfalls zeitig verschied.
-🐺-
Die Mühle lag am Anderen Rand des Dorfes. Langsam drehten sich die großen Jalousieflügel, brachten den Mühlstein im Inneren zum Mahlen. Elena, welche die Tochter des alten Müllers war, hatte ihn schon Mal versucht, zu erklären welche Mechanismen. Doch ihre Bemühungen waren stets erfolglos gewesen. Nicht weil Markus es nicht verstand, vielmehr war es ihm doch irgendwo gleich, weil er zum ersten eh nicht hierher gehörte.
Den Ochsen noch einmal auf seinen Kräftigen Hals klopfend, trat der Schwarzhaarige schließlich an die verschlossene Tür der alten Mühle. Im Inneren hörte er das gleichmäßige, laute Scharben des Mühlsteines. Ein Krach, der alles andere als Angenehm war. Die wenigen Male, die er im Jahr hierher kam, sah er immer schleunigst zu, dass er wieder an Land gewann. Allerdings änderte es nichts an der Tatsache, dass er jedes Mal mit quälenden Kopfschmerzen ging. Er war diesen Ohrenbetäubenden Lärm einfach nicht gewohnt und konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen auch nur einen Tag hier zu werken. Die Hand hebend, atmete er noch einmal tief durch, hoffte, dass der alte Müller nicht da war, sondern dessen Sohn – Elenas Bruder Johann. Anders als der alte Greis, der Markus nur liebend gern von seinem Grund und Boden jagte, war Elenas Bruder einer der wenigen, die ihm mit Freundlichkeit begegnete, man konnte fast behaupten, dass die beiden jungen Männer befreundet waren.
Krachend hämmerte der Schwarzhaarige seine Faust an die hölzerne Tür um den Lärm im Inneren zu übertönen. Die durchaus in die Jahre gekommene Tür der Mühle klapperte in den Angeln, bei jedem seiner harten Schläge. Doch sein Ruf blieb allen Anschein nach unbeantwortet, als die Tür selbst nach Minuten noch verschlossen blieb. Mürrisch das Gesicht verziehend, hob der Schwarzhaarige Bauer erneut die Hand um gegen die Tür zu schlagen, als ein raues Knurren aus dem Inneren erklang. Die Tür schwang einen Spalt breit auf und Markus Hoffnung verlor sich wie Rauch im Wind, als er in das eingefallene, von weißem Mehlstaub bedeckte, faltige Gesicht eines alten Mannes blickte, der leicht nach vorn gebückt dastand. Es war ein wunder, dass der Greis noch keinen Krückstock brauchte, soweit neigte sich sein Körper bereits dem Boden entgegen. Dennoch blitzen die Haselnussbraunen Augen noch immer aufmerksam unter den buschigen weißen Brauen hervor. Musterten ihnen einen Momentlang, eh sich seine Hackennase graus zog und er rümpfend die frische Luft einzog.
„Was willst du..." knurrte die krächzende Stimme des alten Müllers, der ihn voller Ablehnung und Abscheu eingehend betrachtete. Vor 3 Jahren noch, hatte dieser Mann ihn noch vom Hof gejagt, als er ihn um die Hand seiner Tochter gebeten hatte. Doch jetzt, war die Gestalt deutlich eingefallener, sosehr, dass Markus tatsächlich bezweifelte, dass der Mann den Winter überstehen würde.
In seinem Rücken schnaubte der braune, sture Ochse und stieß ein weiteres Röhren aus. Nur flüchtig war Markus ein Blick zurück auf sein Zugtier, das nun schnaubend mit dem rechten Vorderlauf auf dem Stein scharrte. Ein wenig musste er sein Schmunzeln unterdrücken. Es war immer dasselbe, wenn er hierher kam. Einst hatte er den Bullen dem Müller abgekauft, bevor jener ihn an den Schlachter geben konnte, weil das Biest wie der Müller ihn geschimpft hatte, zu nichts zu gebrauchen war und nur Chaos und Zerstörung hinterließ. Es musste wohl an der schlechten Behandlung des Müllern gelegen haben, denn Markus stellte schnell fest, dass dieses Tier alles andere als Wild und unzähmbar war. Es besaß lediglich einen eigenen Willen und manchmal brauchte es eben etwas mehr Geduld um sein Ziel zu erreichen – auch wenn der Ochse sogar die des Bauern verstand auf die Probe zu stellen.
„Willst du Betteln? Zum Teufel mit dir, es ist schlimm genug, dass du mir meine Tochter geraubt hast du ungehobelter Flegel." Knurrte es nun ungeduldig aus der Kehle des Greises und Zwang Markus seine Aufmerksamkeit wieder auf den Alten zu richten. Es kostete ihn mehr Überwindung als all die Male davor, ein ruhiges Lächeln auf seine Mundwinkel zu ziehen, ehe er langsam den Kopf schüttelte. „Nein Constantin..."
„Ich habe dir nie meinen Vornamen angeboten!" wurde er barsch unterbrochen und sah wie flammender Zorn in den Augen des alten aufblitzte. Sein Lächeln rutschte ein wenig zu einer schrägen Grimasse ab. „Scher dich von meinem Hof!" wetterte der Alte weiter, bevor Markus beschwichtigend die Hände heben konnte.
„Bitte, ich will doch nur..." versuchte er es dennoch.
„VERSCHWINDE!" bluffte es erneut und Markus glaubte, dass die Tür in jedem Augenblick krachend ins Schloss fallen würde. Doch bevor das Geschah, griff eine weitere, vom Mehlstaub, bleich gemalte Hand in die Tür. Ein etwas größerer, blonder Mann trat hinter dem Greis in die Tür und wischte sich gerade die Andere, linke an seinem Beinkleid ab. Grüne Augen huschten kurz über Markus und man sah wie ein erfreutes Leuchten durch die Seelenspiegel wanderte, ehe es schnell wieder verschwand.
„Was ist denn hier für ein Tumult...." Erklang eine tiefe Baritonstimme. Der junge Mann, der dazu getreten war, war Johann, Elenas Bruder. Constantin wandte seinem Sohn den Kopf zu, schnaubte übertrieben, ehe er den Mund öffnete um etwas zu erwiedern. Allerdings war der jüngere um einiges schneller. „Geh wieder nach drin Vater. Ich kümmere mich darum."
Der Mund des alten Müllers klappte wieder zu. Einen Moment sah er zwischen seinem Sohn und Markus umher, ehe er etwas in seinen Bart murmelte und mit einem letzten giftigen Blick in Richtung seines Schwiegersohns verschwand. Kopfschüttelnd das die zweite, jüngere, geistgleiche Gestalt dem Alten nach ehe er seufzend nach draußen trat. Schnell erschien ein Lächeln auf dem weißen Gesicht.
„Markus, schön dich zu sehen." Sprach der jüngere Müller nun mit überraschend freundlicher und warmer Stimme. „Entschuldige mein Vater, du weißt... er ist immer noch nicht darüber hinweg, dass Elena sich für dich entschieden hat."
Auch das Lächeln von Markus wurde nun ehrlicher und seine verkrampfte Haltung lockerte sich. „Es ist schon Zwei Jahre her..." meinte er mit einem leichten Schmunzeln. „Und trotzdem..."
„Alte Männer sind anscheinend Nachtragend." Erwiderte Johann nur mit einem Schultern zucken, ehe er auch seine Rechte an seinem Beinkleid abklopfte und dabei sich eine Mehlstaubwolke sich von den Beinkleidern löste und feine, unsichtbare Tupfen auf das Gestein fielen, welches auf den weißen Fugen alles andere als auffiel.
„Nun, was führt dich an einem so schönen Tag hierher. Normal würdest du doch jetzt auf deinen Feldern stehen und den Weizen schlagen." Verlangte der Blonde dann zu wissen, ehe Sorge in seinen grünen Augen aufflackerte. „Ist etwas mit meiner Schwester? Dem Kind?"
Schnell schüttelte Markus erneut den Kopf. „Nein." Beruhigte er schnell den besorgten Bruder. „Elena geht es gut. Ihr Starrsinn treibt mich wohl irgendwann in den Wahnsinn. Ich bin hier, weil ich ein Paar Besorgungen erledigen muss. Bei der Gelegenheit bot es sich an, dir den ersten Teil der Ernte zu bringen.
„Das hat sie von ihrer Mutter." Pustete Johann, nach einem herzlichen Rauen lachen auf den ersten Teil seiner Antwort. „Aber das ist gut so. Immerhin jemand der dich so im Griff hat." Die Worte ließen Markus Mundwinkel ebenfalls zucken, ehe er in einer stummen Geste, fragend die Augenbraue hochzog. Anscheinend war diese Grimasse sehr erheiternd, denn Johann lachte noch einmal laut auf, ehe er Geschlagen die Hände hob.
„Ok, Ok... Was brauchst du aus dem Dorf? Ich schicke Luca los um es zu besorgen, während wir uns um das Geschäftliche kümmern."
„Nur etwas Brot."
Kritisch fiel der Blick des Blonden erneut musternd auf ihn. „Ein neues Beinkleid, Wams und ein Mantel wären auch nicht schlecht. Deine Sachen sind ziemlich Dünn und der Winter naht." Gab er schließlich zu bedenken. Man konnte beinahe zusehen, wie das Gesicht des Schwarzhaarigen sich daraufhin verfinsterte. Er wusste, dass Johann recht hatte.
„Nein... das geht nicht." Brummte er ohne weiter auf die angespannte Finanzielle Situation einzugehen. Doch Johann durchschaute ihn. Der Bruder seiner Frau kannte ihn einfach zu gut.
„Verstehe... ist schon in Ordnung." Bevor Markus wiedersprechen konnte, rief der Blonde nach einem seiner Lehrknaben. Ein Bursche, von vielleicht 13 Jahren streckte kurzdarauf seinen Kopf scheu aus der Tür der Mühle. Sein braunes Haar konnte man unter dem ganzen Mehlstaub kaum noch erkennen. Einen Blick von unten auf den Schwarzhaarigen werfend, eilte er schließlich schnell zu seinem Meister, der ihm einen kleinen Lederbeutel in die Hand drückte und ihn aufzählte was der Junge besorgen sollte, ehe dieser schnell nickte und dann mit eiligen Schritten in Richtung Dorf verschwand.
„Johann..." versuchte Markus erneut zu protestieren. „Ich kann das..."
Doch die breite Hand des Blonden fuhr in einer unmissverständlichen Geste durch die Luft und ließ den Protest in seiner Kehle verstummen. „Gib es mir einfach wieder, wenn du das Geld übrig hast Markus. Es eilt nicht. Außerdem würde mich meine Schwester erwürgen, wenn ich zulassen würde, dass ihr Mann erkrankt."
„Danke..."
„Hrm..." nachdenklich rollte Johann das Korn in seiner Hand und betrachte es eingehend. Leise rieselten die meisten der Körner in seiner Hand zurück in den ergrauten Sack, sodass nur wenige in seiner Hand zurückblieben die er ein wenig zwischen den Fingern zerdrückte. Nachdenklich mahlte der Kiefer des Müllers während sich die Brauen weiter zusammenzogen. Sich eines der Körner in den Mund schiebend, kaute er kurz darauf herum, ehe er es wieder ausspuckte. Markus stand daneben, den Blick auf seinen Freund und Schwager gerichtete, während er Gedankenverloren den braunen Bullen zwischen den Hörnern kraulte.
„Nun... es ist besser als das Korn der letzten zwei Jahre..." brummte Johann schließlich ernst, als er sich an den Wagen lehnte. „Aber es ist trotzdem klein und wird sich nicht gut mahlen lassen. Geschweige denn viel Ertrag bringen."
„Das weiß ich schon." Murrte Markus, wenig erfreut.
„Tut mir Leid Markus..." die Hand des Müllers schloss sich kurz in einer freundschaftlichen Geste um seine Schulter, ehe er in seiner Tasche zu kramen begann. Er zog ein weiteres kleines, braunes Ledersäckchen hervor und öffnete die Lederschnürre und ließ einige der blitzend silbernen Münzen in seine Hand fallen. Begann diese abzuzählen und ließ dann einige wieder zurück in das Säckchen fallen, ehe er es ihm reichte.
Einige Minuten standen sie schweigend an dem Karren,Johann hatte den Kopf leicht gesenkt und hing seinen eigenen Gedanken nach,während Markus weiter den Ochsen kraulte. Schließlich kam Lucas, vollbeladenden Pfad herauf gelaufen und legte die Sachen vor Johann ab, der dem Knabendanach auftrug die Kornsäcke in die Mühle zu tragen und zu den übrigen zustellen, ehe er seinem Vater weiter helfen sollte. Bei dem Namen desAltmeisters zuckte der Knabe ein wenig zusammen und Markus erriet, dass derKnabe auch nicht sonderlich gut auf den Greis zu sprechen war, sich vor ihmvermutlich fürchtete. Allerdings war Constantin auch ein Mann der seinekomplett eigenen Methoden und Angewohnheiten besaß, anders als der um Längenruhigere Johann. Als der Knabe schließlich den letzten Sack ins Innere getragenhatte, verstauten Johann und Markus die gekaufen Sachen auf dem Karren undMarkus verstaute den kleinen Beutel mit Münzen in der Tasche seines dünnenMantels. Die Hand ausstreckend, wollte er sich von seinem Schwager verabschieden,doch der Gesichtsausdruck des Blonden verriet, dass er noch etwas auf demHerzen trug. Etwas, dass Markus gar nicht gefallen würde...
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