3. Kapitel
Mein Temperament brodelte noch immer, als ich endlich die Tür meines kleinen Zimmers unter dem Dach hinter mir ins Schloss drückte. Abgestandene Luft schlug mir entgegen und ich eilte zu der kleinen Dachluke hinüber, um sie mit dem rostigen Haken aufzuklappen. Dadurch, dass das Haus dieser Tage nach Kräften gegen die Kälte geheizt wurde, war es auch hier oben warm genug, um die klare Nachtluft mit einem tiefen Atemzug willkommen zu heißen.
Peggy hatte versucht, ihre Worte wiedergutzumachen, hatte mir sogar angeboten, die letzte Runde durchs Haus allein zu übernehmen, damit ich zu Bett gehen konnte.
Ich hatte abgelehnt. Nachtragend war ich nicht, aber es widerstrebte mir, sie etwas tun zu lassen, wofür ich nachher in ihrer Schuld stand. Meine Arbeit verrichtete ich selbst, immerhin erhielt ich Lohn dafür, ein Dach über dem Kopf und warme Mahlzeiten. So gesehen, hätten wir es wirklich schlechter treffen können.
Es war ein Glücksfall gewesen, der mir in der zunehmend klirrend werdenden Kälte vor vier Wochen das Rad meines Karrens hatte brechen lassen, mit dem ich Pferdemist von den Straßen gesammelt hatte, um mir ein paar Pence zusätzlich zu verdienen. Es war reine Knochenarbeit, für die ich mich unter anderen Umständen nicht gemeldet hätte. Doch Not schuf Bereitschaft und beides war in den vergangenen Wochen unaufhaltsam gewachsen.
Der Zwischenfall mit dem Karren war nur einer aus einer Reihe unglücklicher Umstände, die mir in den vorangegangenen Tagen den Lohn verwehrt hatten. Bettys Magenknurren hatte an diesem Morgen neue Ausmaße erreicht und ihr Zittern war selbst dann nicht abgeklungen, als ich sie dicht an meine Seite gezogen und in meinen fadenscheinigen Umhang gewickelt hatte. Ihre Schuhe waren längst durchgelaufen und ihre Strümpfe genau wie meine löchrig, was denkbar schlechte Bedingungen für den anstehenden Winter waren. So hatte ich die nächstbeste Arbeit aufgenommen, die sich mir bot. In diesem Moment vor dem umgestürzten Karren zu stehen, trieb mir vor Verzweiflung die Tränen in die Augen.
Ich wechselte hilflose Blicke mit dem jungen Mann, mit dem ich an diesem Tag zusammenarbeitete. Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben und ich brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass sie auch in meiner Miene zu lesen war. Ein gebrochenes Rad bedeutete für uns im schlimmsten Fall Schulden und diese, dass wir die Kosten des Karrens in den nächsten Tagen würden abarbeiten müssten. Was wiederum hieß, Betty würde weiterhin hungern. Dabei wäre die Kälte mit warmem Brei im Magen wesentlich besser zu ertragen.
»Was machen wir jetzt?«, formte er mit den Lippen und sah sich nach allen Seiten um. Die meisten Menschen beachteten uns überhaupt nicht. Dreckig und verschwitzt, wie wir trotz der eisigen Temperaturen nach den Stunden der harten Arbeit waren, fielen wir kaum auf.
»Schaufeln?«, schlug ich niedergeschlagen vor und griff bereits nach meinem Arbeitsgerät, das ich achtlos hatte fallen lassen, um den Schaden zu untersuchen. Pferdeäpfel hatten sich dampfend aus dem Karren quer über den Gehweg ergossen. Wenn wir uns beeilten, würden wir vielleicht nicht ganz so viel Ärger bekommen. Und besser, der Mist lag auf der Straße, statt den Passanten den Weg zu versperren.
Während Edward oder Edgar – wir hatten die meiste Zeit über schweigend nebeneinander gearbeitet, weshalb ich mir seinen Namen nicht gemerkt hatte – unschlüssig verharrte, stieg ich über den Haufen hinweg und begann mit der mühseligen Arbeit. Meinen Rock hatte ich mir hochgebunden, denn ich stand knöcheltief in Pferdemist. Ich war längst zu erschöpft, um mich noch darum zu kümmern, zumal davon wenigstens etwas Wärme ausging.
Dafür hörte ich zufällig das Gespräch zweier Damen mit, die etwas entfernt von uns in einem Hauseingang standen. Wie ich später erfahren sollte, war die Fülligere von ihnen Mrs Webster. Es waren ihre Worte, die über das Rattern der Kutschräder und das Geräusch von Pferdehufen bis an meine Ohren drangen, die mich aufhorchen ließen. »Es wird immer schwieriger, anständige Hausmädchen zu finden«, hatte sie gesagt und dabei seufzend das Gewicht eines Korbs vom einen auf den anderen Arm verlagert. »Den meisten fehlt es an Diskretion und dem Gespür für Feinheiten. Sie machen, was man ihnen sagt, denken dabei aber keinen Inch weit.«
Ich hatte innegehalten, und selbst jetzt, in meiner stickigen Dachkammer, sah ich die beiden Frauen noch vor mir. Es hatte noch ein Weilchen gedauert, bis ich genug Mut zusammengenommen hatte, um zu ihnen hinüberzugehen. »Gib mir zwei Minuten«, hatte ich zu Ebert oder Edgar gesagt und ihm meine Schaufel in die Hand gedrückt. Dabei wartete ich seine Antwort nicht ab, sondern wischte mir lediglich die steifgefrorenen, schmutzigen Hände an meinem Rock ab.
Mit einer beiläufigen Bewegung löste ich den Knoten an meiner Hüfte, woraufhin mein Kleid wieder auf eine angemessene Länge hinabfiel und meine Füße und Knöchel verdeckte. Die Strähnen, die sich aus meiner Frisur gelöst hatten, steckte ich notdürftig zurück unter das Häubchen. Dann atmete ich tief durch und ging mit gesenktem Kopf zu den beiden hinüber.
Die Sekunden, die sie brauchten, um mich wahrzunehmen, kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Mein Herz pochte wie wild in meiner Brust und ließ mir den Puls in den Ohren rauschen, sodass mir die Frage, welche Mrs Webster mir stellte, beinahe entging. Gerade rechtzeitig erinnerte ich mich daran, vor ihr zu knicksen. »Verzeiht mir, Madam. Durch Zufall wurde ich Eures Gesprächs gewahr. Daraus entnahm ich, dass Ihr ein Hausmädchen sucht.«
Ich spürte ihre Musterung auf mir und wusste, was sie sah. Ein abgetragener Rock, der trotz all meiner Vorsichtsmaßnahmen am Saum nass und verklebt war. Zwar hatte ich meine Hände tief in den Falten des groben Stoffs vergraben, doch im Nachhinein schien es mir unmöglich, dass Mrs Webster meine dreckverkrusteten Finger entgangen sein sollten. Und in der Spiegelung des Wasserbottichs am Brunnen wenig später hatte ich zu allem Überfluss einen langen Streifen Dreck auf meiner Wange entdeckt. Gott sei Dank war ich mir dessen im Augenblick des Gesprächs nicht bewusst gewesen. Das Unbehagen, das ich verspürt hatte, ließ mich selbst Wochen später noch erschauern. Nein, ich hatte fürwahr nicht so ausgesehen, als könnte ich ihren hohen Ansprüchen genügen.
»Und dir fiele jemand ein?«, gab die Haushälterin mir trotzdem eine Chance, die ich dankbar mit einem resoluten Nicken ergriffen hatte.
Es war tollkühn von mir gewesen, meinem Mundwerk freien Lauf zu lassen. Doch ich war mir mit einem Blick zurück auf den umgestürzten Karren mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen gefahren und hatte mein Widerstreben, mich selbst anzupreisen, hinuntergeschluckt. Im Schnelldurchlauf zählte ich meine bisherigen Erfahrungen auf und endete mit der Aussage: »Ich könnte gleich anfangen, wenn Ihr mir noch ein paar Minuten gebt, um meine Arbeit dort drüben abzuschließen.« Dabei hatte ich zu dem Berg Mist gedeutet.
Vielleicht war es das gewesen, was mir ihr Wohlwollen eingebracht hatte. Die Tatsache, dass ich eine Arbeit nicht einfach stehen und liegen ließ, wenn sich mir eine bessere Möglichkeit bot. Ihre buschigen Brauen hatten sich gehoben und unter ihrem abwägenden Blick hatte ich eilig wieder den Kopf gesenkt.
»Gib ihr eine Chance, Stance!«, schaltete sich überraschend die zweite Dame ein und wurde mir damit schlagartig sympathisch. »Das Mädchen hat den ganzen Tag geschuftet, während ihr Freund dort drüben nicht viel mehr getan hat, als den Karren zu verrücken.«
»Du musst dem Earl of Calcott ja auch nicht Rede und Antwort stehen«, knurrte Mrs Webster zurück. Dann seufzte sie tief und packte mein Kinn mit ihren behandschuhten Fingern. Ich war so überrumpelt, dass ich meinen Kopf klaglos in ihrem Griff hin und her drehen ließ. Ihre blassblauen Augen durchbohrten mich so streng, dass ich erst später auf dem Weg zu meinem neuen Arbeitsplatz darüber nachdenken konnte, wer mein neuer Lohngeber sein würde. »Sei pünktlich zum sechsten Glockenschlag an der Poststation. Wir werden sehen, wie du dich schlägst.«
»Flo?«
Die piepsige Stimme ließ mich zusammenfahren und riss mich schlagartig zurück in die Gegenwart. Ich konnte nicht mehr zählen, wie oft mir mein Herz seit heute Morgen beinahe aus der Brust gehüpft wäre. Eine Hand darüber gepresst, versuchte ich den trommelnden Schlag zu beruhigen. »Du hast mich erschreckt, Betty!«, tadelte ich meine Schwester milde, die sich im Halbschatten unter der dünnen Decke meines Bettes regte. »Du solltest eigentlich unten sein, schon vergessen?« Unten bei den Küchenmädchen, die ihr auf mein inständiges Flehen hin ein Lager nahe dem Kamin überließen, damit sie nicht in einer der klammen Kammern unterm Dach schlafen musste. Dieses Zugeständnis hatte mich einiges an Verhandlungsgeschick sowie die eine oder andere Fleischration gekostet, die sie im Gegenzug einforderten. Nur bevorzugte Betty den Platz an meiner Seite, was mich eigentlich nicht wundern dürfte.
»Du bist traurig!«, stellte sie fest und ihr blonder Lockenkopf tauchte auf. »Wieso?«
Erschöpft fuhr ich mir mit der Hand über das Gesicht und legte erst mein Häubchen und dann das Tuch um meine Schultern herum ab, ehe ich anfing, die Nadeln aus meinem Haar zu ziehen. Eine Strähne nach der anderen löste sich und fiel locker herab. Ich schindete Zeit. Das wusste ich nur allzu gut. Aber ich wollte meine kleine Schwester nicht mit meinen Sorgen belasten, von denen ich fürchtete, wenn ich sie einmal zu erzählen begann, würden sie ein Eigenleben entwickeln.
»Flo!« Zehen schoben sich unter der Decke hervor, als Betty zu mir herüberrobbte. Sie streckte die Hände nach mir aus. »Haare.«
»Nicht heute, Schatz«, murmelte ich und stellte meinen Fuß auf den einzelnen hölzernen Stuhl, um meine Stiefel aufzuschnüren. Neben meinem Bett, dem kleinen schiefen Nachtschränkchen und der Kommode mit der Waschschüssel darauf, bildete er das einzige Mobiliar in dem kleinen Raum. Darüber hinaus gab es nur noch einen Nachttopf, der gegenwärtig jedoch leer war.
Meine Finger zitterten, weil ich es mit einem Mal so eilig hatte, meine Kleidung loszuwerden. Plötzlich schien es mir, als ließen mir meine Schuhe zu wenig Platz und auch das Korsett, in dem ich steckte, machte Anstalten, sich um mich herum zuzuziehen. Ich hörte auf, mit den Schnüren an meinen Beinen zu kämpfen. Mühevoll unterdrückte ich mein panisches Luftschnappen, weil ich Betty nicht beunruhigen wollte, und nestelte fahrig an dem obersten Knopf an meinem Hals herum. Als ich ihn offen hatte, ging es mir schon etwas besser. Das Gefühl, gefangen zu sein, ließ etwas nach.
»Haare!«, wiederholte Betty da, dieses Mal fordernder. Es machte deutlich, dass sie sehr wohl bemerkt hatte, dass etwas mit mir nicht stimmte. Ihr rundes, kindliches Gesicht drückte allen Ernst aus, den sie aufzubringen vermochte, und als sie den Unterkiefer vorschob, verkniff ich mir ein Lächeln.
Insbesondere weil ich mein Gesicht in ihrem wiedererkannte. Wir hatte die gleiche krumme Nase von unserem Vater geerbt und unsere Augen waren beide von einem intensiven Grün. Waldgrün hatte Papa es immer genannt und dann gesagt, wir müssten Feen sein, denen man die Flügel gestutzt hatte. Ich erinnerte mich daran, wie er nach dieser Aussage jedes Mal den Finger an die Lippen legte und uns zuflüsterte: »Aber sagt es niemandem, ja? Das bleibt unser kleines Geheimnis.«
Betty gab einen missmutigen Laut von sich und es hätte mich nicht gewundert, wenn sie verärgert die Hände in die Hüften gestemmt hätte. Immerhin verbrachte sie tagsüber genug Zeit in Gesellschaft der Köchin, weshalb es nur natürlich gewesen wäre, wenn sie deren Lieblingsgeste übernommen hätte. Sie beschränkte sich auf eine undefinierbar gestikulierende Bewegung, die ich als Aufforderung nahm, mich vor dem Bett auf den Boden zu setzen. Während sich ihre Finger in meinem Haar versenkten, konnte ich mich in aller Ruhe, die ich aufzubringen vermochte, meinen Stiefeln widmen. Es tat gut, endlich zu sitzen, und kaum waren meine Füße befreit, streckte ich meine Zehen von mir, um mit ihnen zu wackeln.
Wäre Papa jetzt doch hier, dachte ich sehnsüchtig und erlaubte mir einen kostbaren Moment lang, mich an sein beinahe zahnloses Grinsen zu erinnern. Er war Tischler gewesen und so lange er an der Werkbank stand, hatte er noch für jedes meiner Probleme einen Rat gewusst. Was er wohl sagen würde, wenn ich ihm von meinen unzähligen Fehltritten heute berichtete? Mit jedem einzelnen von ihnen riskierte ich immerhin leichtfertig, mit Betty erneut auf der Straße zu landen. Da half auch das Wissen nicht, dass mir im Endeffekt keine Wahl geblieben war. Immerhin hatte ich nicht ahnen können, dass sich im Flur jemand aufhielt. Rational gesehen war ich nach wie vor der festen Überzeugung, dass im Vergleich zu einer schluchzenden Lady Alice der Viscount und sein vermeintlicher Bruder das kleinere Übel waren. Und Letzterer war ausnehmend höflich gewesen. Wenn mich nicht alles täuschte, hatte er mir einen Handkuss geben wollen. Als wäre ich seinesgleichen.
»Wie war dein Tag?«, fragte ich in die Stille hinein, die nur von dem Geräusch des Windes, der pfeifend über die Dachschindeln strich, unterbrochen wurde. Der Klang meiner eigenen Stimme schaffte es sogar kurz, den tiefen Bariton aus meinem Kopf zu vertreiben. »Hast du etwas Spannendes erlebt?«
Das Leben als Hausmädchen bot in der Regel nicht viel Abwechslung. Gerade nicht für sie, deren Hauptaufgabe darin bestand, die Feuerstellen im Haus mit Holz zu versehen, damit die Flammen die Kälte außerhalb des alten Gemäuers hielten. Manchmal erfand sie aus diesem Grund Geschichten, die sie mir dann auf ihre ganz eigene, abgehackte Art zu erzählen wusste. Von Abenteuern und Geistern, die sie durchs Calcott'sche Haus begleiteten und ihr wilde Dinge aus ihren eigenen Leben berichteten. Zugegeben, meist ergänzte ich ihre Ideen und führte sie zu Ende, worüber sie irgendwann in einen friedlichen Schlaf fiel.
Heute jedoch schien ihr nicht der Sinn nach einer Märchenstunde zu stehen. »Nein!«, sagte sie. Indessen flochten sich ihre Finger durch mein Haar. Wie jedes Mal war ich überrascht, wie geschickt sie sich dabei anstellte. Wenn ich sie frisierte, beklagte sie sich meistens mit finsteren Blicken über mein mangelndes Talent und Feingefühl. »Traurig. Wieso?«
Mir entrang sich ein tiefer Seufzer. Ich würde ihr nichts von meiner Begegnung mit den beiden Adligen erzählen und ich konnte ihr auch nicht davon berichten, was Peggy gesagt hatte. Meine kleine Schwester würde es nie zeigen, aber ich war mir ziemlich sicher, dass ihr die Art, wie manche unserer Mitmenschen mit ihr umsprangen, recht nahe ging. Sie verstand nicht, warum sie manche Menschen mit Skepsis, wenn nicht sogar Angst beäugten. Auch Mrs Webster war nicht gerade erfreut gewesen, als ich mit Betty im Schlepptau an dem vereinbarten Treffpunkt angelangt war, und das, obwohl man ihr äußerlich nichts von ihrer Besonderheit ansah. Zwar war sie etwas klein geraten für ihr Alter, aber ich war der felsenfesten Überzeugung, sie würde früher oder später in der Größe aufholen. Dennoch hatte ich ihr im Vorfeld eingeschärft, bestmöglich nicht zu sprechen, und innerlich gebetet, niemand würde eine direkte Frage an sie richten.
Mrs Beaton nahm uns am Dienstboteneingang in Empfang, und nach einem kurzen Gespräch mit ihrer Vorgesetzten wandte sie sich an uns. Natürlich richtete sie dabei auch das Wort an meine Schwester, die sich halb hinter mir versteckt hatte. Im Gegensatz zu dem harschen, strengen Ton, den sie mir gegenüber anschlug, überraschte mich ihre Freundlichkeit Betty gegenüber. »Und wie gedenkst du, dich nützlich zu machen?«
Mir rutschte das Herz in die Kniekehlen und ich war kurz davor, für Betty zu sprechen, als sie mich auf ganzer Linie stolz machte. Als sei ihr bewusst, wie wichtig dieser erste Eindruck war, trat sie neben mich. Ihre Hand schob sie in die meine, ehe sie langsam und bedächtig sagte: »Ich bin klein. Und flink. Ich kann Botengänge machen.« Sie überlegte ein Weilchen, ehe sie anfügte: »Feuerstellen säubern.«
Jetzt, auf dem Boden hockend, griff ich nach hinten und umfasste ihre Finger. Sie waren eisig. »Himmel!«, entfuhr es mir und ich drehte mich zu ihr herum. Dass meine Knie bei dem Kontakt mit dem harten Holzboden schmerzhaft protestierten, ignorierte ich. »Du solltest wieder unter die Decke!«
Sie schenkte mir ein Grinsen, wobei mir eine Zahnlücke auffiel, von der ich hätte wetten können, dass sie heute Morgen noch nicht dagewesen war. »Du!«
»Ja, ich komme auch gleich ins Bett«, bestätigte ich und hob die Decke an, damit sie darunterhuschen konnte. Es musste bereits unheimlich spät sein und ich ahnte, dass ich jede weitere wache Minute morgen schmerzlich bereuen würde. »Aber vorher muss ich aus diesem Kleid raus.«
»Gedanken«, meinte sie und zog das zerknautschte Kissen heran, um ihre Wange darauf zu betten.
Ich lächelte, erleichtert, dass ich ihr zumindest diesbezüglich die Wahrheit sagen konnte. Sie schien meine Bedrücktheit vergessen zu haben. »Ich habe an unsere Ankunft hier gedacht und welches Glück wir hatten, diese Anstellung zu finden«, sagte ich und rollte mir derweil die Strümpfe von den Beinen. Feinsäuberlich hängte ich sie über die Stuhllehne, ehe ich meine Röcke abstreifte und ebenso ordentlich gefaltet auf der Sitzfläche platzierte. Nur noch in meinem Unterkleid tapste ich schließlich zum Dachfenster hinüber, um es zu schließen. Der Griff war kalt. »Ich habe mich an Papa erinnert.«
»Papa?«
»Ja.« Im Gegensatz zu mir konnte sich Betty kaum an den Mann erinnern, der uns aufgezogen hatte. Ihre Augen funkelten vor Neugierde, aber ehe sie fragen konnte, musste sie gähnen. Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn, um meinen nachdenklichen Blick vor ihr zu verbergen, und war insgeheim froh, das Thema heute nicht weiter vertiefen zu müssen. »Schlaf jetzt. Ich hab dich lieb.«
Dann strich ich mir meine Haare hinters Ohr, um mich nach der einzelnen Kerze zu recken, deren flackerndes Licht den Raum erhellte. Sachte pustete ich sie aus.
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