
20. Kapitel, 20. Dezember
An diesem Morgen werde ich wieder vom frischen Pfannkuchen Duft geweckt, der zu mir ins Schlafzimmer weht. Ich kann nicht mehr abwarten und renne im Schlafanzug in die Küche. Heute habe ich immerhin nur einen Gast. Das wird nicht mehr , vielleicht niemals wieder - hoffentlich, nach Weihnachten vorkommen.
"Raus!" , schreit Leano lachend. "Ich bin noch nicht fertig mit meiner Kreation!" , sagt er und ich laufe noch einmal hinaus aus der Küche. Ich muss geduldig warten, bis er meine Pfannkuchen Kreation fertig hat. Ich muss heute noch eine Menge abarbeiten, denn in ein paar Tagen steht der große Ball an. Ich kann es kaum abwarten. Zum Glück ist mein Wohnzimmer riesig, denn dort wird der Ball stattfinden. Ich hatte überlegt ob ich ein Motto anbringen soll, aber mir ist einfach kein gutes eingefallen.
"Du kannst reinkommen" , sagt Leano nach einer Weile und ich stürme, immer noch im Schlafanzug in die Küche hinein, um seine neuste Pfannkuchen Kreation zu bestaunen.
"Wow. Das wird immer Künstlerischer" , sage ich und schieße ein Foto von dem Pfannkuchen. Das muss ich einfach festhalten.
"Ich bin der Meister der Pfannkuchen" , scherzt Leano und wir verfallen in Witze. Bis wir uns schließlich wieder beruhigen und keine Lachanfälle mehr bekommen dauert es eine ganze Weile. Meine Pfannkuchen sind inzwischen schon kalt geworden, als ich sie schließlich anrühre und esse. Nach dem Frühstück verzieht sich Leano auf sein Zimmer und ich bleibe im Wohnzimmer, um mehrere Leute wegen des Balls anzurufen. Ich bastle wieder einige Flyer, poste natürlich ein Foto auf dem Instagram Account des Christmas Inn und bemerke, wie leer dieser ist. Ich schieße erst einmal ein paar Fotos. Von meinem Weihnachtsbaum im Wohnzimmer, vom gemütlichen Kamin und dann gehe ich noch einmal nach draußen und fotografiere die Fassade. Irgendetwas fehlt, denke ich mir. Dann mache ich mich daran, die Fotos zu posten und einen Text darunter zu schreiben. Seit der Lesung habe ich etliche Follower dazugewonnen, was mich wahnsinnig freut. Ich poste das erste Foto von einem Rundgang durch das Hotel und schreibe "Herzlich Willkommen im Christmas Inn" , darunter. Schon kurz darauf trudeln die ersten Herzen und sogar Kommentare ein, womit ich überhaupt nicht gerechnet habe.
"Wow, das ist wunderschön!" , schreibt Nadine.
"Ich liebe es. Ich bin noch dabei, meine Familie zu überreden, nächstes Weihnachten bei euch zu feiern!" , schreibt Thomas. Ich scheine groß und klein, Männlein und Weiblein und einfach alle mit meinem Hotel zu begeistern, was mich wahnsinnig freut . Ein letztes Bild poste ich schließlich noch, denn ich muss den Ball ankündigen. Daraufhin schießen die Kommentare und Likes in die Höhe. Andere Accounts werden verlinkt und ich wusste nicht, dass man so viel Aufmerksamkeit mit einem Posting bekommen kann. Ich schaue zufrieden auf das Profil und schmunzle. Nun sieht es nicht mehr so nackt aus. Danach setze ich mich an den Flyer, den ich in der Stadt verteilen will. Nachdem ich den Flyer designt habe, klopfe ich zaghaft an Leanos Tür.
"Hast du Lust auf einen Spaziergang?" , frage ich.
"Boah, ja. Das würde mir echt gut tun" , sagt er. "Mein Kopf raucht total"
"Okay, zieh dich an. In fünf Minuten unten?" , frage ich und er nickt. Ich krame meine Sachen heraus und nehme meinen Laptop mit, damit ich die Datei ich in der Druckerei drucken lassen kann. Dann ziehe ich meine Klamotten an und treffe mich mit Leano im Eingangsbereich. Es ist so kalt, dass wir unseren Atem sehen können. Ich erkläre Leano meinen Plan und wir beide düsen los. Inzwischen ist es schon wieder dunkel geworden, aber Leano sieht man sternenklar, denn er hat wieder die Lichterkette um seinen Rollstuhl gebunden. Wir spazieren am Fluss entlang und Leano steuert schnurstracks aufs Zimtschneckenküsse zu.
"Was denn? Ich brauche Nervennahrung für den langen Weg"
"Als ob du verhungern würdest" , widerspreche ich.
"Man weiß nie, was auf einen zukommt" , sagt er schulterzuckend.
Ich halte Leano die Tür auf, denn auch das Zimtschneckenküsse ist leider noch nicht barrierefrei. Die Tür ist echt schwer und als Rollstuhlfahrer alleine bekommt man sie schwer auf. Zum Glück ist die Tür breit genug, dass Leano mit seinem Rolli hindurchpasst.
"Was macht ihr denn schon wieder hier?" , fragt December grinsend.
"Der Mann kann hier einfach nicht vorbei gehen. Dass ist , wie Nur nicht an einem Schminkladen vorbei gehen kann, ohne hineinzugehen, obwohl sie ihn nicht einmal sehen kann" , scherze ich.
"Man muss es ihm lassen. Unsere Zimtschnecken sind einfach ober Hammer" , sagt December.
"Eigenlob stinkt! ", sage ich grinsend.
"Nein, Eigenlob ist sehr wichtig. Man muss seine guten Eigenschaften und Fähigkeiten schätzen" , erklärt sie mir. Sie hat recht. Ich weiß gar nicht, woher dieser blöde Spruch mit dem Eigenlob eigentlich kommt. Wir sollten unsere Erfolge viel mehr wertschätzen und anerkennen. Leano bestellt ein paar Zimtschnecken und eine holt er direkt heraus, um sie noch im Café zu verspeisen.
"Na, willst du auch eine?" , fragt er.
"Liebend gerne" , sage ich.
"Kriegst du aber nicht" , sagt er und streckt mir die Zunge heraus. Schon ist er aus der Tür gehuscht, weil gerade ein älteres Ehepaar nach draußen geht und ihm die Tür aufhält. Mir halten sie nicht mehr die Tür auf, sodass er einen Vorsprung hat.
"Hey!" , rufe ich. Er ist schon ganz schön weit weg. Ich wusste gar nicht, dass er so schnell werden kann.
"Hey!" , rufe ich noch einmal und folge ihm.
"Du wolltest mich nicht da reinlassen. Also bekommst du auch keine!" , sagt er, als ich ihn eingeholt habe.
"Na warte" , sage ich und will mich auf die Tüte stürzen. "Das wirst du ja sehen"
Doch da fährt er wieder los und ist schon über alle Berge, als ich auf ihn losgehen will.
"Wettrennen!" , ruft er. "Wer als erster an der Druckerei ist"
"Du weißt doch gar nicht, wo die ist! ", rufe ich zurück und renne los, doch er ist schneller. Zum Glück ist der Schnee inzwischen weggeschmolzen, sodass dieses kleine Wettrennen überhaupt erst möglich ist. Sonst wäre das viel zu gefährlich.
"Unfaire Mittel" , rufe ich, als er bei der Druckerei ankommt.
"Ich hab viel mehr Gepäck dabei, was mich langsamer macht" , sage ich und zeige ihm meinen Rucksack, in dem ich meinen Laptop verstaut habe, sodass wir die Flyer ausdrucken können.
"Revanche?" , fragt er.
"Aber sowas von" , sage ich und wir beide betreten die Druckerei. Auf dem Rückweg gibt es sowas von noch einmal ein Wettrennen.
"Dann kann ich auch den Rucksack nehmen. So, damit es fair bleibt" , sagt er und zwinkert mir zu. Ich habe das Gefühl, er will mich verarschen. Ich begrüße die Druckereiverkäuferin und Leano tut es mir nach. Dann bestelle ich die Druckerei und wir haben Glück. Wir müssen nur eine halbe Stunde warten, bis die Flyer fertig sind.
"Wir könnten ja nochmal zum Zimtschneckenküsse", schlägt Leano vor.
"Du bist unglaublich!" , sage ich lachend. "Nein! Du hattest genug Zucker für heute. Außerdem hast du doch noch eine Tüte. Wir warten hier" , beschließe ich und setze mich auf die Bank. Leano fährt seinen Rollstuhl zur Bank und rollt neben mich.
"Kann ich jetzt auch eine Zimtschnecke haben?" , frage ich.
"Erst, wenn du gewinnst" , sagt er.
"Dir werde ich es zeigen!" , erwidere ich.
"Du musst es mir erst beweisen, dass du die Zimtschnecke wert bist. Ich kann die ja nicht einfach jemandem geben, der erst nicht mitkommen will und dann auch noch verliert" , behauptet er. Wir warten eine Weile auf der Bank, bis die Druckereiverkäuferin mit den fertigen Flyern auf uns zukommt. Inzwischen ist es schon ganz schön spät geworden. Jul ist sicherlich schon aus der Schule gekommen. Ich sende ihm eine kurze Nachricht, doch es scheint ihn nicht zu stören, dass wir nicht da sind. Er reagiert nur mit einem Daumen nach oben auf meine Nachricht, was mich beruhigt. Leano und ich teilen die Flyer zwischen uns auf und verteilen diese an die Menschen in der Stadt, hängen sie an Zäune oder fragen in Geschäften nach.
"Da müssen wir jetzt wohl doch noch mal ins Zimtschneckenküsse" , sagt Leano. "Kann ja nicht sein, dass die nichts von unserem Ball wissen"
"Untersteh dich!" , sage ich, doch da ist er auch schon wieder verschwunden.
"Hey!" , rufe ich noch, doch es ist zu spät. Leano ist tatsächlich ins Zimtschneckenküsse verschwunden.
"Also jetzt nimmt das hier aber echt überhand" , sagt December. "Einen besseren Stammkunden als dich hatte ich noch nie. Gleich mehrere Male am Tag" , sagt sie gerade zu Leano, als ich hereinkomme.
"Er ist ausgebüxt" , sage ich.
"Ich bin doch kein Tier!" , sagt er.
"Verkauf ihm keine Zimtschnecken mehr für heute, okay? Er hatte genug Zucker für heute"
"Hey, du bist doch nicht meine Mutter!" , beschwert Leano sich.
"Aber du wohnst momentan bei mir. Du bist mein Gast. Und ich muss auf meine Gäste aufpassen" , erkläre ich.
"Pf" , macht er und überreicht December den Flyer, die immer noch über uns beide lacht.
"Wow, du veranstaltest einen Weihnachtball?" , fragt sie begeistert.
"Ja" , sage ich schüchtern.
"Wie toll. Dash und ich kommen auf jeden Fall. Das wird magisch" , sagt sie. "Und Oma Holly kriege ich auch noch überredet" , verspricht sie und hängt unseren Flyer direkt an die große Tafel im Buch Café.
"Na, vielen Dank auch" , beschwert Leano sich und fährt aus dem Laden. Dieses Mal halte ich ihm wieder die Tür auf und gehe hinter ihm. Sobald er ansatzweise draußen ist, beginnt er wieder zu rasen.
"Revanche, du elendige Zimtschneckenverwehrerin!" , brüllt er und rollt in rasender Geschwindigkeit los. Ich komme gar nicht hinterher, obwohl er nun den Laptop transportiert. Ich komme zehn Schritte nach Leano am Christmas Inn an.
"Ich habs dir ja gesagt" , sagt er grinsend. "Du bekommst nichts ab. Hättest dir mal noch ne eigene Tüte kaufen sollen"
"Du bekommst echt noch einen Zuckerschock!" , sage ich. "Und schlafen wirst du heute Abend bestimmt auch nicht können"
Die letzte Zimtschnecke aus der Tüte verputzt er auch noch. "Deal ist Deal" , gebe ich zu. Es ist okay für mich, dass er alle Schnecken alleine isst. Am Abend kocht er dafür für uns alle ein hervorragendes Essen.
*
Mitten in der Nacht wache ich von einem zaghaften Klopfen auf.
"Ja?" , frage ich in die Dunkelheit hinein.
"Fjolla?" , fragt eine Stimme.
"Ja?" , frage ich völlig verschlafen.
"Darf ich reinkommen?" , fragt sie noch einmal und erst jetzt kann ich die Stimme erkennen. Es muss Leano sein.
"Ja" , flüstere ich, weil ich meinen Bruder nicht wecken will, der seit dem Unfall meiner Eltern einen unheimlich leichten Schlaf hat und andauernd Alpträume, wie ich sie habe.
"Ich kann nicht schlafen" , gibt Leano zu.
"Hab ich es dir nicht gesagt?" , frage ich.
"Ja, du hattest recht. Ich hätte teilen sollen. Es war zu viel Zucker" , gibt er zu. "Kann ich hier bleiben?" , fragt er. "Ich hab echt Bauchschmerzen" , sagt er kleinlaut.
"Warte hier" , sage ich und stehe auf. Ich rutsche in meine Pantoffeln und schlage die Decke zur Seite. Ich gehe in die Küche und koche einen Fencheltee. Den hat Mama mir immer gekocht, wenn ich damals Bauchweh hatte. Dann mache ich noch Ente Erna, ein Kirschkernkissen, welches meine Mama auch immer gemacht hat, wenn einer von uns Bauchschmerzen hatte. Als beides fertig ist, gehe ich wieder nach oben in mein Zimmer, wo Leano immer noch in seinem Rollstuhl sitzt.
"Komm her" , sage ich und klopfe aufs Bett. Er hievt sich hinüber und ich decke ihn zu. Dann reiche ich ihm das Kissen.
"Was ist das?" , fragt er.
"Ein Kirschkernkissen. Das kannst du auf deinen Bauch legen, das ist warm. Mir hilft das immer" , sage ich. Es erstaunt mich, dass er das nicht kennt. "Und einen Fencheltee. Den hat Mama immer gemacht, wenn wir Bauchweh hatten" , erkläre ich.
"Das muss schön gewesen sein" , sagt er.
"Was?" , frage ich.
"Dass sich jemand um euch gekümmert hat, wenn ihr krank ward"
"Ja, das war schön. Ich vermisse es" , sage ich.
"Bei mir war das nie so. Also, als mein Papa noch lebte war es so. Manchmal habe ich das Gefühl, meine Mutter mich hasst, weil ich nicht so wie die anderen bin. Ich bin der einzige, der nicht laufen kann. Der eine Behinderung hat, die man sofort sieht, wenn man mich sieht. Meine Mutter hat mich links liegen lassen, wenn es mir schlecht ging. Als mein Vater gestorben war, wurde alles anders." , vertraut er mir an.
"Das tut mir Leid" , sage ich und nehme ihn in den Arm. Danach folgt Schweigen. Mehr wird er mir wohl nicht erzählen.
"Du kannst hier bleiben und hier schlafen, wenn du willst" , sage ich.
"Danke" , erwidert er. Ich mache die Augen wieder zu. Nach einer Ewigkeit sagt Leano noch einmal meinen Namen.
"Fjolla?" , fragt er.
"Ja?" , sage ich noch einmal, weil auch ich seit dem Unfall meiner Eltern einen leichten Schlaf habe.
"Bist du auch immer noch wach?" , fragt er.
"Ne, ich wache bloß leicht auf" , sage ich. "Wie spät ist es denn?" , frage ich.
"3 Uhr" , sagt er.
"Bist du seit du hier bist nicht mehr eingeschlafen?" , frage ich.
"Nein" , antwortet er.
"Scheiße, Leano. Das ist vier Stunden her"
"Ich weiß" , sagt er.
"Warte." , sage ich. "Ich habe eine Idee" , sage ich und stehe auf. Ich mache ihm nochmal die Ente warm und gieße ihm noch einen Tee ein. Dann hole ich mein Handy und schalte ein Hörspiel der drei Ausrufezeichen an. Mein liebstes Weihnachtshörbuch der drei.
"Zu denen kann ich immer einschlafen" , sage ich lächelnd. "Ich hoffe, dir hilft es auch"
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