02 | Cody
Fahrig spiele ich mit dem Kugelschreiber in meinen Händen und probiere, die aufkeimende Nervosität zu unterdrücken, die seit einigen Minuten unter meiner Haut brodelt. Aber es ist schwer, in der so lauten und hektischen Cafeteria einen klaren Gedanken zu fassen.
Im Saal befinden sich mehrere runde Tische, mit je mindestens sieben Sitzplätzen dran. An einem von diesen sitze ich gerade und hinterfrage, was ich hier eigentlich tue. Wieso ich mir immer wieder diese Unannehmlichkeit gefallen lasse.
Rechts von mir befindet sich die riesige Essensausgabe, mit einer langen quatschenden Menschenschlange davor.
Das Klirren des Geschirrs, das Kratzen von Gabeln und Messern auf den Tellern und das leise Summen der Küchengeräte bringen mich dazu auf meine Zunge zu beißen und die Spitze des Stifts in meine Handfläche zu pressen.
»Cody, was sagst du dazu?«
Ich hebe angespannt meinen Blick von der Tischplatte und schaue direkt in Amys fragendes Gesicht.
»Was?«
Ihre Augenbrauen ziehen sich zusammen, sodass sich eine Falte dazwischen bildet, ehe sie laut seufzt. »Du musst aufpassen, Cody.«
»Ja, Alter, wir können nicht ständig alles wiederholen«, pflichtet ihr Edwin bei, der links von mir sitzt und sich mit den Unterarmen auf die Tischplatte lehnt. Sein Blick ist starr auf mich gerichtet und scheint mich zu verurteilen, während ich meine Lippen hart aufeinanderpresse.
Ich bemühe mich, mich zu konzentrieren, aber die ganzen Geräusche bringen mich aus dem Konzept. Schon so oft habe ich den beiden gesagt, wenn wir uns wegen unseres Uniprojekts treffen wollen, sollten wir dies an einem ruhigen Ort tun. Dennoch ... meine Bitte wird ständig überhört.
»Ich ...«, beginne ich leise und fahre mir mit den Fingern durch die Haare, bekomme ein paar Strähnen zu fassen und ziehe leicht daran. So dass es mir nicht wehtut, aber mich etwas erdet. Ich tue das ständig. Es ist eine Art Filter, um meine nervöse Energie freizulassen. Mich auf etwas anderes zu konzentrieren, was mich am Ende nicht aus der Haut fahren lässt. »Ich versuche es ... aber es ist zu laut. Ich möchte nicht hier sein«, sage ich mit bebender Stimme und rutsche unbehaglich, unter den kritischen Blicken meiner Projektpartner, auf meinem Stuhl hin und her.
Die Falte zwischen Amys Augenbrauen wird tiefer und signalisiert mir, dass ich wohl etwas Falsches gesagt habe. Doch bevor sie zu einer Antwort ansetzen kann, lässt mich ein lautes Scheppern ruckartig zusammenfahren.
Den Kopf zwischen den gehobenen Schultern eingezogen blinzle ich in die Richtung, wo sich nun eine kleine Traube von Studenten und Küchenhilfen gebildet hat. Es muss wohl der Geschirrwagen umgekippt sein, denn überall auf dem Boden liegen Essensreste und zerbrochenes Porzellan.
Mehrere stehen auf, wobei die Stuhlbeine kratzend über den Boden geschoben werden. Hart presse ich meine Augen zusammen. Wieso stört das keinen?
Die Stimmen um mich herum werden lauter. Dringen erbarmungslos in meine Ohren und lassen mein Trommelfeld flimmern.
Mein Herzschlag beschleunigt sich auf das Doppelte, ich reiße die Augen auf und stehe abrupt auf. Nur ein einziger Gedanke befindet sich in meinem leer gefegten Kopf: Ich muss hier weg. Und zwar sofort!
Hektisch krame ich meine Unisachen zusammen, schnappe mir meine Umhängetasche, die an meiner Stuhllehne hängt, und versuche, mit schnellen steifen Schritten aus der Cafeteria zu verschwinden.
Einfach bloß weg.
»Alter, Cody, Mann!«, ruft mir Edwin über das laute Geschnatter der anderen Leute hinterher.
Auch wenn ich mich zu Amy und Edwin würde umdrehen wollen, um mich zu entschuldigen, kann ich es in diesem Moment nicht. Zu sehr möchte ich aus dieser Situation entfliehen.
Meine zusammengerauften Unisachen, bestehend aus ein paar losen Blättern und Heften, presse ich fest an meinen bebenden Brustkorb. Ich muss bestimmt ein lustiges Bild abgeben, ein fast eins neunzig großer Mann, der über den Campus flüchtet und fast über seine eigenen Füße stolpert.
Mein jetziges Ziel ist meine kleine Zweizimmerwohnung direkt in Campusnähe. Als ich mich vor zwei Jahren entschieden hatte, an der University of Bristol Literaturwissenschaften zu studieren, war mir sofort klar, dass ich niemals mit einer anderen Person ein Zimmer teilen könnte.
Der bloße Gedanke daran, dass mein vermeintlicher Zimmergenosse einen anderen Tagesablauf als ich haben würde, hat mich schon damals nervös werden lassen.
Glücklicherweise ist in der Zeit die Wohnung freigeworden, welche ich durch meinen Job in der Bibliothek und einen kleinen Zuschuss von meiner Mutter finanzieren kann.
Ich sehe schon das alte Backsteinhaus auf der Woodland Road und krame mit einer Hand meinen Schlüsselbund aus der Hosentasche. Die alten Treppendielen knarren unter meinem Gewicht, während ich mit großen Schritten ins Dachgeschoss emporsteige und ich zwinge mich zu schlucken. Doch der Kloß in meiner Kehle möchte nicht verschwinden.
Erst, als ich zitternd den Schlüssel ins Schloss stecke, in die Wohnung trete und den vertrauten Duft von alten Möbeln und Wandfarbe einatme, beruhigt sich mein rasendes Herz. Ich lege die Sachen in meiner Hand auf der schmalen Holzkommode im dunklen Flur ab. Die Tasche stelle ich auf den Boden daneben und gehe weiter in die angrenzende Wohnküche.
Wild huschen meine Augen hin und her.
Suchen nach einem bestimmten Gegenstand. Meine geräuschunterdrückenden Kopfhörer. Erst, als ich sie finde und aufsetze, verschwindet der nervtötende Kloß in meinem Hals. Alles um mich herum wird still und ich lasse mich erleichtert aufseufzend auf mein Sofa sinken.
Das war knapp.
Solch eine Überreizung hatte ich schon lange nicht mehr.
Während ich tief ein- und ausatmend dasitze und mit meinen Fingern spiele, um meine Zappeligkeit weiterhin zu unterdrücken, schweift mein Blick durch den Raum. Er ist nicht gerade groß und mit zusammengewürfelten Möbeln eingerichtet. Das graue Sofa habe ich von meiner Schwester übernommen, den Couchtisch sowie den Fernseher habe ich von meiner Mutter bekommen.
Die kleine Küchenzeile mit zusätzlicher Kommode und Arbeitsplatte oben drauf, um noch mehr Stauraum und Arbeitsfläche zu haben, habe ich von der Vormieterin übernommen.
Links neben der Küche befindet sich das angrenzende Schlafzimmer, in das nur mein schmales Bett und ein Kleiderschrank passt.
Auch, wenn alles gequetscht aussieht, mag ich es. Es bringt eine gewisse Gemütlichkeit rein und es ist übersichtlich. Es hat alles seine Ordnung. Kurz schließe ich meine Augen und lege den Kopf in den Nacken. Genieße die Stille.
Kein lautes Klirren.
Kein lautes Lachen oder Geschreie.
Und keine kritischen Blicke, die mich wieder einmal verurteilen wollen, für etwas, was ich nicht beeinflussen kann.
Dennoch ... Edwin und Amy müssten es schon gewohnt sein, dass ich ab und zu aus heiterem Himmel bei unseren Treffen das Weite suche. Oder gar nicht erst auftauche. Wüssten sie nicht den Grund dafür, hätten sie mich bestimmt schon längst für einen anderen Projektpartner ausgetauscht.
Auch wenn die beiden manchmal unsensibel sind und vielleicht nicht alles von mir nachvollziehen können, bin ich froh, dass ich ihnen zugeteilt wurde. Aber ehrlich gesagt würde ich zu gern allein an meinen Projekten arbeiten. Dann würde mir keiner ständig vorschreiben, wie ich zu arbeiten habe und wann ich an einem Treffpunkt sein soll. Ich könnte mir alles selbst einteilen, so, wie ich es für richtig empfinde.
Als sich nun endlich meine flatterigen Hände beruhigt haben und ich mir sicher bin, dass kein Anfall mehr droht, ziehe ich die Kopfhörer von den Ohren und höre das Rauschen der Autos auf der Straße. Das leichte Knarzen der alten Fensterrahmen und das dudelnde Radio der älteren Nachbarin unter mir.
In den ersten Wochen meines Einzuges haben mich diese Geräusche beinahe aus der Haut fahren lassen. Die ganzen neuen Eindrücke waren für mich so ungewohnt, dass ich am liebsten wieder meine Koffer gepackt und zurück nach Hause zu meiner Mutter gezogen wäre.
Ein nervtötendes Vibrieren lässt mich innehalten. Kurz kann ich den Ton nicht lokalisieren, bis ich verstehe, dass es aus meiner Umhängetasche im Flur kommt. Ächzend hieve ich mich vom Sofa hoch und schlurfe zu meiner Tasche.
Sophie | 4:12 P.M.
Wenn du nicht in den nächsten zehn Minuten auftauchst, werde ich nie wieder eine Schicht von dir übernehmen.
Sophie | 4:20 P.M.
Cody!
2 verpasste Anrufe in Abwesenheit.
Und schon ist mein innerer Frieden dahin. Angespannt schaue ich oben rechts auf das Display und sehe, dass ich schon längst bei meiner Schicht in der Bibliothek hätte sein müssen. Gerade heute, da Sophie - laut ihrer Aussage - ein sehr wichtiges Treffen hätte.
Scheiße. Scheiße. Scheiße!
Ich bin sehr gespannt, was ihr zu Cody sagt 😇
Wie immer würde ich mich über Rückmeldungen jeglicher Art freuen 🤗
Habt einen schönen Sonntag 😊
Eure Rahel 💕
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