21 | Aiden
Aiden | 6:12 P.M. 23.12.23
Es tut mir leid, Connor.
Aiden | 6:43 P.M. 23.12.23
Ich werde dir alles erklären, wenn wir uns wiedersehen!
Aiden | 1:23 A.M.
Ich weiß, ich bin ein Arschloch.
Mein Daumen schwebt über dem Chat von Connor und mir. Ich halte mich gerade so davon ab, ihm noch eine weitere Nachricht zu schreiben, die genauso wie die anderen Nachrichten unbeantwortet bleiben würde. Ich weiß, dass er meine Texte liest, da die zwei Häkchen blau sind.
Stöhnend schließe ich die Augen. Vielleicht war es ein Fehler ihm die ganzen Texte zu schreiben. Ich sollte ihn in Ruhe lassen. Aber ich kann nicht. Ich habe einfach nur die Hoffnung, dass er plötzlich auf eine Nachricht antworten wird.
»Aiden?«
Ruckartig fahre ich mit dem Kopf hoch und lasse das Handy in meiner Hand sinken. Melanie kommt vorsichtig in den Weinkeller und schaut mich mit ihren wachsamen Augen an.
»Ja?«
»Du wolltest einen Wein holen und das vor knapp fünfzehn Minuten. Wir hatten Angst, dass du dich verlaufen hast.« Sie versucht, mit ihrem letzten Satz die Stimmung aufzulockern, wofür ich ihr sehr dankbar bin. Aber bis auf ein belustigtes Schnaufen bringe ich nichts zustande.
Melanie kommt langsam auf mich zu, wobei ihre hochhackigen Schuhe ein klackerndes Geräusch von sich geben. Ich wundere mich, dass ich sie nicht kommen gehört habe. Sie ist mit ihren hohen Schuhen fast zehn Zentimeter größer und reicht mir gerade so bis zu den Schultern. Ihr kurzes braunes Haar hat sie zu einer Sleek-Frisur nach hinten gebunden und ein seidiges schwarzes Kleid umschmeichelt ihren Körper. Alles in allem sieht meine beste Freundin wunderschön aus und wäre ich nicht schwul, hätte ich mich in diesem Moment in sie verliebt.
Ich stecke mein Handy, das ich bis eben noch wie eine Rettungsleine umklammert habe, in die Hosentasche. »Sorry, ich habe die Zeit vergessen.«
»Hast du wieder Connor geschrieben?«
Sie weiß, dass ich ihm mehrere Texte hinterlassen habe. Dass ich sogar kurz davor war auf den grünen Hörer zu drücken, nur um seine Stimme zu hören, habe ich nicht erzählt.
»Nein«, murmle ich und unterdrücke einen Seufzer, der mir in der Kehle hängt. »Aber ich war kurz davor.«
»Mensch Aiden, meinst du nicht, dass es eine gute Idee wäre, Connor für ein paar Tage in Ruhe zu lassen?«, fragt sie und umfasst mein Gesicht mit ihren Händen, sodass sie mich zu sich heranziehen kann. Ich muss mich dabei bücken, um in ihr Gesicht schauen zu können.
»Als wärst du besser, als ich«, kontere ich abwehrend und möchte mich Melanies Händen entziehen, doch sie hält mich eisern fest. Wir starren einander einige Minuten lang wortlos an.
»Es geht hier aber in diesem Moment nicht um mich, sondern um dich. Ich weiß, dass du nie die Absicht hattest Connor zu verletzten. Du wolltest nur deine Eltern glücklich machen. Aber versetz dich bitte in seine Lage. Er denkt, dass du und ich etwas am Laufen haben.«
Ich lasse Melanies Wörter auf mich wirken und nicke. Sie hat recht.
»Wie findest du immer die passenden Worte?«, frage ich, was mit meinem zusammengequetschten Gesicht etwas schwierig ist, und schaue meine Freundin an. Melanie verdreht nur schnaubend die Augen und kneift mir in die Wange. Na herrlich. Ich grummle. Sie lässt mich schließlich los und während sie sich wieder zurücklehnt, reibe ich mir das Gesicht.
»Du bist so ein Trottel«, meint Melanie und steht mit verschränkten Armen vor mir. Das muss sie nicht zwei Mal sagen, ich weiß, was für ein Trottel ich bin.
Schnell schnappe ich mir den Gewürztraminer, für den ich extra in den Weinkeller gegangen bin, und folge Melanie zurück in das große Esszimmer meiner Eltern. Dort warten sie bereits mit Melanies Eltern auf unsere Ankunft.
Meine Mutter wirft mir nur einen fragenden Blick zu, woraufhin ich abwehrend die Schultern hochziehe. »Hab den Wein nicht gefunden«, nuschle ich leise und hoffe inständig, dass meine Ausrede für mein längeres Verschwinden akzeptiert wird.
Während Melanie und ich uns auf unsere Stühle setzen, dreht sich mein Vater, der direkt neben mir sitzt, in meine Richtung und zieht fragend eine Augenbraue hoch.
»Vielleicht solltest du doch mal zum Optiker gehen und dir wie dein alter Herr eine Brille besorgen.« Mein Vater deutet keck mit dem Zeigefinger auf das drahtige Brillengestell auf seiner Nase und fängt prompt an zu lachen, als er meinen missmutigen Blick sieht.
Er weiß, wie nervig ich Brillen finde und dass ich wahrscheinlich eher Kontaktlinsen tragen würde, als eine aufzusetzen.
Melanie gießt mir etwas vom Wein ein und reicht die Falsche ihrer Mutter Monika weiter. Ich weiß nicht, das wievielte Glas es ist, doch ihre Augen sind schon leicht glasig und auf ihren Wangen hat sich vom Alkohol eine Röte gebildet.
Das hält sie aber nicht davon ab, ihr leeres Weinglas aufzufüllen und auch ihrem Mann Jim ein volles Glas einzuschenken. Fahren können beide nicht mehr und Melanie kann mit ihren zwei Gläsern auch kein Auto mehr fahren. Daher wird es darauf hinauslaufen, dass irgendwann ein Taxi bestellt werden wird.
Die Sekunden werden zu Minuten.
Die Minuten werden zu Stunden.
Ehe wir uns versehen ist es drei Stunden später und die Stimmung ist ausgelassen. Auch ich habe leicht einen im Tee und liege mehr auf dem Stuhl, anstatt darauf zu sitzen.
»Was ist mit euch beiden? Wann wagt ihr den nächsten Schritt?« Mein Vater schaut mich und Melanie mit leuchtenden großen Augen an.
Verdutzt lege ich mein Kopf schief. »Was meinst du, Dad?«
»Naja ...« Er räuspert sich. »Ihr seid doch schon lange ein Paar. Wann läuten denn die Hochzeitsglocken?«
Der Alkohol, der gerade noch durch meine Blutbahn sauste und Party veranstaltete, ist plötzlich verschwunden. Stocknüchtern setze ich mich gerade auf dem Stuhl hin. Ich starre auf den Esstisch vor mir und weiß, wenn ich aufsehe, dass ich in drei erwartungsvolle Gesichter schauen werde ... und in Melanies, die mich bestimmt mitleidig ansehen wird.
Meine Stimme hört sich krächzend an, als ich nur ein »Wir sind doch noch jung« herausbringe.
»Ach papperlapapp. Deine Mutter und ich waren auch erst zwanzig, als wir geheiratet haben.«
»Wir müssen doch noch unser Studium beenden, Mr. Reed.« Melanie versucht mir zur Seite zu stehen und kichert unbeholfen. Sie weiß, dass mich dieses Thema schon immer gestört hat, und bis jetzt hat es auch gut geklappt dem aus dem Weg zu gehen.
Doch heute, warum auch immer heute, scheint mein Vater einen Narren daran gefressen zu haben.
»Man kann nie früh genug anfangen. Auch mit den Kindern, dann kann man später mit denen auf Feiern gehen.«
»Dad ...« Meine Atmung wird schwerer, je mehr mein Vater an die Zukunft denkt. Scheiße, verdammt.
»Und wir könnten mit den Enkelkindern noch viel Reisen und -«
»Es wird keine Enkelkinder geben!« Meine Stimme ist messerscharf und bringt meinen Vater dazu, in der Bewegung innezuhalten. O Gott bin ich dumm. Mein Mundwerk war wieder schneller als meine Gedanken. Ich wollte es nicht so sagen, aber ich konnte es nicht mehr hören. Die ganze Träumerei, die nie Wirklichkeit werden wird.
Und der Gedanke, dass wegen der ganzen dummen Lügen meine Beziehung zu Connor in die Brüche gegangen ist. Nur, weil ich der perfekte Sohn sein wollte.
Weil ich ihnen ihren perfekten Sohn genommen habe.
Stumm starre ich auf die hölzerne Tischplatte vor mir und frage mich, ob ich einfach aufstehen und gehen sollte. Einfach der entsetzlichen Situation entfliehen und es bis zum nächsten Tag totschweigen.
Daraus wird aber leider nichts, denn die zarte Stimme meiner Mutter durchbricht die angespannte Stille.
»Was möchtest du uns damit sagen, Schätzchen?«, fragt meine Mutter mich sanft und ich traue mich langsam aufzusehen. In ihr Gesicht und in ihre Augen, die solch eine Wärme und mütterliche Liebe ausstrahlen, dass mir prompt die Tränen in die Augen schießen.
Scheiße ...
Ich blinzle heftig und versuche, meinen verschwommenen Blick zu klären. Doch so sehr ich auch versuche, eine klare Sicht zu bekommen, passiert genau das Gegenteil.
»Ich -«, fange ich krächzend an und breche sofort ab, als meine Stimme weinerlich am Ende wegknackt. O scheiße verdammt. Ich presse mir mit meinen Handballen auf die Augen und atme zittrig ein. Das wird schwieriger als erwartet. Gerade, da noch Monika und Jim mit am Tisch sitzen und nun erfahren werden, dass ihre Tochter nie mit mir zusammen war und es auch niemals sein wird.
Plötzlich höre ich, wie ein Stuhl ruckartig zurückgeschoben wird. Verwirrt nehme ich meine Hände vom Gesicht und sehe, wie Melanie mit entschlossenem Blick auf ihre Eltern starrt.
»Wir gehen.« Ihre Stimme ist so forsch, dass Monika und Jim ohne etwas zu sagen aufstehen und mir einen verwirrten, aber gleichzeitig mitleidigen Blick zuwerfen. Melanie kommt zu mir rüber, während ich sie mit bestimmt verquollenen Augen ansehe. Sie beugt sich zu mir rüber, gibt mir sanft einen Kuss auf die Stirn und murmelt so leise, dass ich es selbst kaum verstehen kann: »Du schaffst das.«
Dann dreht sie sich um und verabschiedet sich mit einem Nicken bei meinen Eltern, ehe sie in den Flur geht, wobei ihre Eltern ihr folgen. Ein leises Rascheln ertönt und dann das Klicken der Haustür.
Nun sind es nur noch meine Eltern und ich.
Froh darüber, dass mich nun drei Augenpaare weniger anschauen, ziehe ich tief die Luft ein und lasse sie direkt entweichen. Jetzt oder nie. »Melanie und ich ... wir ... es ... es gab nie eine Beziehung ...«
Ich spüre, wie mein Vater sich auf dem Stuhl zu mir dreht. »Das verstehe ich nicht.«
Wäre auch zu einfach gewesen. Ich knabbere auf meiner Unterlippe und knete meine Hände auf dem Schoß. »Wir waren nie zusammen.«
»Was?« Auch meine Mutter runzelt nun die Stirn, zumindest stelle ich mir das vor, weil ich wieder permanent den Holztisch anstarre, als wäre dort meine Coming-out-Rede, die ich nur ablesen müsste.
»Das war immer nur gespielt ... daher werden wir nie heiraten oder Kinder haben oder -«
»Aiden!« Die Stimme meines Vaters durchbricht mein Geschwafel und ich kneife meine Augen zusammen. Schließlich spricht er das Wort aus, das seit einigen Sekunden im Raum herumfliegt. »Warum?«
»Ich bin ... schwul ...« Es laut auszusprechen fühlt sich so surreal an. Ich habe mir immer ausgemalt, wie es sein würde, meinen Eltern alles zu beichten. Aber nie habe ich mir solch eine Szene vorgestellt. Das Wort direkt in ihrer Gegenwart auszusprechen hinterlässt einen leicht säuerlichen Geschmack. Nicht, weil ich mich nicht selbst akzeptieren kann. Das tu ich schon längst. Aber die Angst, die anhaltende Angst, dass es meine Eltern nicht tun werden, lässt eine unangenehme Übelkeit zurück.
»Seit wann?«
Fast hätte ich über die Frage von meinem Vater gelacht.
Ich zucke mit den Schultern. »Ich glaube schon immer, seit ich das Licht der Welt erblickt habe. Keine Ahnung ...«
Es war dennoch ein schleichender Prozess, bis ich verstanden habe, dass Männer mein Herz mehr zum Schlagen bringen, als Frauen es je könnten.
Warme Hände greifen nach meinen. Ich schaue auf und sehe, wie meine Mutter sich über den Tisch beugt und mit den Daumen über meinen Handrücken streicht.
Die Tränen kommen schlagartig zurück. »Ich - es tut mir leid«, krächze ich weinend und spüre, wie mir eine Träne über die Wange läuft. »Ich weiß, dass ihr euch Enkelkinder wünscht und eine tolle Schwiegertochter und ... und ich habe es versucht. Wirklich! Ich habe es versucht. Aber ich kann nicht mehr und mit meiner ganzen Lügerei habe ich Connor -« Ich stoppe meinen Redefluss. Tief atme ich ein. »Ich wollte euch nur stolz machen ... ich wollte, dass ihr Danny ein Stückchen bei euch habt. Ich weiß, dass ich nie so perfekt gewesen wäre, wie er ... aber ... es war doch meine Schuld.«
»O Gott«, höre ich meinen Vater leise brummen.
Meine Mutter schaut mich mit geweiteten Augen an, dann steht sie schlagartig auf und kommt um den Tisch zu mir herum. Ich sehe, dass in ihren Augen ein Sturm wütet, die Tränen rollen ihr langsam über die Wangen. Eine Traurigkeit, die ich verursacht habe.
Mein Herz gerät ins Stocken und leichte Schuldgefühle kriechen meinen Rücken hoch. Das alles hier ist ein totales Chaos. Es hätte ein schönes Weihnachtsfest sein sollen. Und jetzt liegt alles in Scherben.
»Es war nicht deine Schuld, Aiden.«
Hastig schüttle ich den Kopf. »Ich bin weggelaufen ... er hat mich gesucht. Er ist meinetwegen -«
»Nein!«
Ich beiße mir auf die Unterlippe, während meine Mutter vor mir in die Hocke geht. »Nein, du hast keine Schuld. Wir haben dir nie die Schuld gegeben. Es war ein Unfall, ein schrecklicher Unfall.« Sie nimmt sanft mein Gesicht zwischen ihre Hände. »Wir lieben dich, Aiden. Egal, was ist, wir haben dich so sehr lieb.«
Ein lautes Schluchzen purzelt über meine Lippen. »Es tut mir leid.« Ich spüre, wie mein Vater sich hinter mir erhebt und in mein Blickfeld tritt. Auch seine Augen sind tränenerfüllt. Dass letzte Mal, als ich ihn hab weinen sehen, war an dem Tag der Beerdigung meines Bruders.
»Du musst mir eins erklären. Du hast das alles gemacht, weil du Angst hattest, wir würden dich verstoßen?«
Ich schüttle sofort den Kopf. »Nein. Ich ... ich habe gesehen, wie stolz ihr auf Danny wart. Dass er Arzt werden wollte, dass er Pläne mit Elena gemacht hat, sie zu heiraten. Und auf einmal war alles ... kaputt. Es lag in Scherben und ich habe gedacht, wenn ich in seine Fußstapfen trete, vielleicht .... vielleicht seid ihr dann wieder glücklich.«
Das muss bestimmt ein riesengroßer Brocken sein, den meine Eltern gerade schlucken müssen.
Meine Eltern schauen sich an.
»Wusste Melanie davon?«
Ich nicke. »Ja, wir haben jahrelang nur glückliches Pärchen gespielt. Sie ist meine beste Freundin und ich - sie war immer für mich da. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie gemacht hätte.«
»Du hast dein Glück zurückgesteckt, nur, weil du uns glücklich machen wolltest?«, hakt mein Vater noch einmal nach und runzelt die Stirn, so, als würde er es immer noch nicht verstehen. Manchmal verstehe ich selbst nicht, wie ich ein solch großes Lügenkonstrukt all die Jahre aufrechterhalten konnte.
»Ja.«
»Aiden«, meine Mutter blickt mir tief in die Augen, »und wenn du BWL studiert hättest und mit einem Jungen nach Hause gekommen wärst, wir wären immer noch glücklich und stolz. Weil du glücklich bist. Das ist das Wichtige. Dass unser Sohn glücklich ist.«
Und schon wieder brechen meine Dämme.
Gott, ich bin innerhalb von einer Stunde zu einer kompletten Heulsuse mutiert. Aber ich habe es endlich geschafft.
Ich bin vor meinen Eltern geoutet.
Ich weiß, dass noch viel mehr Klärungsbedarf besteht. Aber aktuell bin ich so froh, dass ich in den Armen meiner Eltern liegen kann und nicht aus dem Haus gejagt werde.
Jetzt muss ich nur noch alles mit Connor in Ordnung bringen. Der Gedanke daran, dass er mir nicht verzeihen wird, bricht mir das Herz. Aber es wird alles gut gehen.
Es muss alles gut gehen.
Denn ich weiß nicht, was passiert, wenn es nicht so sein wird.
Wow😂🙈
Ich glaube das war fast das längste Kapitel was ich je geschrieben habe. Aber ich habe kein Ende gefunden und ehrlich gesagt hätte ich weiter schreiben können. Trotzdem musste ich ein Cut setzen 😅
Jetzt ist es raus. Aidens Eltern wissen, dass ihr Sohn schwul ist und sich Jahre lang die Schuld fürs Dannys tot gegeben hat. 🥺
Wie hat es euch gefallen ? ☺️ wie immer würde ich mich über eine Rückmeldung freuen 🥰
Habt einen schönen sonnigen Sonntag 😍☀️
Eure Rahel 😘
PS: Ich habe gerade gesehen, es fehlen nur noch 5 Kapitel. Dann ist dieser Band auch fertig 😱
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