03 | noah
Mit einem wohltuenden Seufzen lasse ich mich auf Connors kleines Gästesofa sinken. In der einen Hand halte ich mein Glas mit eiskalter Cola, während ich mit der anderen in die Popcornschale greife und mir die gepoppten Maiskörnchen in den Mund schiebe. Kauend strecke ich meine Beine von mir. Gott, alles fühlt sich an, als wäre es aus Blei. Ich habe mich heute beim Training wohl etwas in den Einheiten überschätzt. Jetzt bekomme ich die Quittung dafür.
Connor neben mir regt sich kein Stück, scheint zu fokussiert auf sein Handydisplay zu starren. Auch nicht, als ich ihm die Schale Popcorn hinhalte. Die einzige Reaktion ist seine scrollende Daumenbewegung. Typisch.
Bestimmt ist er wieder auf irgendwelchen Dating-Apps unterwegs, um dort seine große Liebe zu finden. Das macht er in letzter Zeit öfter. Ich würde es ihm ja gönnen, aber er hatte schon ein paar Dates mit Männern, die mir sehr fragwürdig vorkamen.
»Und, schon jemanden gefunden?« Ich nehme einen großen Schluck von meiner Cola, lehne mich weiter auf dem Sofa zurück und schließe die Augen. Kurz ist es still, ich höre nur das Herumgetippe von Connor auf dem Bildschirm. Dann ein Schnaufen. Scheint wohl nicht so nach seiner Reaktion.
»Schön wär's. Es sind nur Fuckboys unterwegs ... ich möchte aber nicht nach einer Nacht, wie ein Spielzeug in die Ecke geworfen werden.« Nach weiteren Minuten lässt Connor sein Handy mit einem unzufriedenen Laut auf das Sofa fallen. Ich kann mir gut vorstellen, dass er sein Gesicht zu einer gequälten Grimasse verzogen hat, als hätte er in eine sehr saure Zitrone gebissen. Ich schiele zu Connor rüber, der sich nun die Popcornschüssel geschnappt hat und sich eine volle Hand nach der anderen zum Mund führt. Mit vollen Backen starrt er mich an. »Wasch soll isch mit solschen?«
Stumm nehme ich das Handy in die Hand, scrolle durch die verschiedenen Profile, die auf der Dating-App angepriesen werden. Doch neunzig Prozent suchen nur One-Night-Stands oder jemanden, um ihre komischen Fantasien auszuleben. Bei den anderen zehn Prozent frage ich mich, ob die ihr Alter richtig angeben haben, da sie meiner Meinung nach viel älter wirken als achtzehn Jahre.
Das ist natürlich nicht, was Connor möchte. Manchmal wünsche ich mir, dass ich meinem besten Freund helfen könnte, jemanden zu finden der seine Liebe und Aufmerksamkeit verdient hat. Aber wie erkennt man, ob ein Typ auf Männer steht? Connor hat mir erzählt, dass die meisten schwulen Typen Apps benutzen, um sich wirklich sicher zu sein, keinen Heterosexuellen anzusprechen.
Selbst bei ihm habe ich es nicht bemerkt, bis er sich vor fast einem Jahr vor der versammelten Mannschaft geoutet hat. Kurz und schmerzlos. Im ersten Moment bin ich sehr verwirrt gewesen, weil ich felsenfest der Überzeugung war, dass Connor auf die kleine Rothaarige in seinem Geografiekurs steht.
»Vielleicht solltest du mehr im echten Leben Ausschau halten als auf diesen komischen Plattformen.«
Connor schnaubt verächtlich. »Ja, weil alle schwulen Typen mit einem Schild um den Hals herumlaufen.« Er schnappt mir brummend das Colaglas aus der Hand, wobei ich minimal protestiere, und nimmt einen großen Schluck.
»Wäre ich schwul, würde ich auf dich stehen«, gebe ich mit einem leichten Grinsen zu und ernte von meinem Kumpel ein Lachen und anschließend einen Luftkuss, welchen ich spielerisch lachend auffange und so tu als würde ich ihn in meine Hosentasche stecken. Ich meine es aber ernst, was ich gerade gesagt habe. Connor sieht gut aus und wäre ich wirklich schwul oder ein Mädchen, dann hätte ich mich schon längst an meinen besten Freund rangeschmissen.
Die dunkelblonden Haare, die immer verwuschelt aussehen und ihm lasziv ins Gesicht fallen. Sein markantes Gesicht und die stechenden graublauen Augen lassen bestimmt viele Herzen höherschlagen.
Ich tippe weiterhin in seiner App rum und habe plötzlich ein Profil offen, das mir ziemlich gut gefällt. Zwanzig Jahre alt, braune Haare, 1,96 Meter groß und mag Sport. Perfekt. Mit den Augenbrauen wackelnd halte ich Connor sein Handy unter die Nase. »Dank mir später.« Selbstsicher schaue ich dabei zu, wie Connor mir sein Handy aus der Hand nimmt und gebannt auf das Display schaut, doch dann verziehen sich seine Lippen zu einer starren Linie.
»Du Depp hast die Entfernung ausgeschaltet. Der Typ wohnt auf der anderen Seite des Landes.«
»Fernbeziehung, spannend.«
»Idiot.« Augenrollend steckt Connor sein Handy weg. »Ich gebe es auf, dann sterbe ich halt allein.«
Ich boxe ihm lachend gegen die Schulter. »Jetzt sei nicht so dramatisch. Du wirst bestimmt jemanden finden. Und wenn nicht, dann sterben wir zusammen allein.«
Theatralisch seufzend lehnt Connor seinen Kopf auf meine Schulter. »Wie war eigentlich das Interview. Die Blonde ... wie heißt sie noch gleich?«
»Ava.«
»Ja, Ava, wie war's? Sie sah ja nicht so begeistert aus, als sie dich gesehen hat.«
Nicht begeistert ist noch untertrieben, meiner Meinung nach. Ich glaube, würde es nicht ein jährliches Event sein, wäre sie wieder gegangen. Auch während des Interviews, hat sich immer wieder eine Falte zwischen ihren Augen gebildet und ihre Mundwinkel haben bei jeder Antwort von mir merkwürdig gezuckt. Als hätten ihr meine Antworten nicht gefallen - egal, was ich gesagt habe.
»Ich habe ihr wohl irgendetwas getan. Keine Ahnung, früher war sie nicht so. Ist aber schon lange her.«
Connor dreht seinen Kopf mit offenem Mund zu mir, die Augenbrauen zusammengezogen. »Moment, ihr kennt euch?«
»Ja ... naja wir waren Nachbarn, als ich noch bei meinen ... Eltern gewohnt habe.« Unbehagen steigt in mir auf, und plötzlich wird mir schlecht, als ich an diese Zeit zurückdenke. Ich habe diese Jahre ganz weit hinten in mein Gedächtnis vergraben, wo sie auch hoffentlich für immer bleiben werden.
»Was hast du gemacht? Hast du ihre Barbie geklaut?«
Ich schnipse ihm mit dem Finger an die Stirn. Wenn es nur das wäre, dann hätte ich eine Antwort auf ihr Verhalten.
Du bist einfach nur ein Idiot
*
Ich spüre einen stechenden Blick in meinem Nacken, während ich auf die Position des Aufschlägers rücke. Eigentlich macht es mir nichts aus, während des Trainings beobachtet zu werden, aber heute lässt der ständige Blick meinen Nacken unangenehm prickeln.
Tief atme ich ein, werfe den Volleyball in die Höhe, nehme Anlauf und springe hoch. Es ertönt ein lautes Klatschen, als meine flache Hand das Leder des Balls trifft. Dieser fliegt in einem hohen Bogen übers Netz und wird dort von Tom, unserem guten Libero-Spieler, gerettet.
Wir rotieren alle einmal im Uhrzeigersinn und nun stehe ich als Libero-Spieler da. Das ist nicht meine beste Position. Am liebsten spiele ich als Setter oder Aufschläger. Ich werfe einen Blick zur Seite und sehe Ava auf der Tribüne sitzen. Neben ihr sitzt ein weiteres Mädchen mit wilden lockigen braunen Haaren, die stürmisch ohne Punkt und Komma auf Ava einredet. Doch sie scheint es kein Stück mitzubekommen.
Wie gebannt sitzt sie da, über ihren Notizblock gebeugt und schreibt mit einer feurigen Energie auf dem Papier herum. Man kann praktisch den Stift qualmen sehen. Ich hatte Ava beim Interview aus Spaß angeboten, dass sie einfach mal beim Training zuschauen könne. Um eventuell ein paar Spielzüge zu verstehen oder Fotos zu machen, da ihre Antwort nur eine rümpfende Nase war, habe ich nicht erwartet sie heute hier sitzen zu sehen.
»Vorsicht!«
Eine ungeheure Wucht schlägt gegen meinen Kopf, die mich ein paar Schritte zurücktaumeln lässt, wo ich dann gänzlich mein Gleichgewicht verliere und mit einem lauten Rums auf den Hallenboden falle. Sofort wird die ganze Luft aus meinen Lungen gedrückt und ich kann nur ein leises Stöhnen von mir geben. Scheiße. Benommen liege ich da, starre an die Decke der Turnhalle, während ich nur das Rauschen meines Blutes in den Ohren höre. Der Übeltäter rollt an mir vorbei, scheint mich geradezu dabei zu verspotten. Ich hätte nicht gedacht, dass einen Volleybälle wortwörtlich von den Füßen reißen können.
Connors grinsendes Gesicht taucht in meinem Blickfeld auf. »Alter man, hast du geträumt?« Er hält mir seine Hand hin, um mich wieder auf die Beine zu ziehen. Meine Beine fühlen sich wie Wackelpudding an und ich muss mich kurz orientieren, als ich wieder in der Senkrechten stehe. »Mh.«
»Alles okay?«, ruft James, der den Aufschlag des anderen Teams gemacht hat und wirft mir einen wachsamen und entschuldigen Blick zu.
Stumm nicke ich, hebe den Daumen und fahre mir dann mit gespreizten Fingern durch die Haare. Connor bleibt neben mir stehen, beobachtet mich kritisch mit in die Hüften gestemmten Händen. Dann lehnt er sich ein kleines Stück vor, sodass nur ich den nächsten Satz verstehen kann.
»Ava kannst du während der Pause begaffen.«
Fast hätte ich mich an meiner eigenen Spucke verschluckt. Sofort schüttle ich vehement den Kopf, um diese Aussage von mir abzuschütteln. DDoch Connor grinst nur neckisch. »Ich bin doch nicht blöd.«
»Ach halt die Klappe.« Brummend stelle ich mich wieder auf Position. Doch ich kann es nicht lassen, werfe erneut einen Blick zur Seite und stelle prompt Blickkontakt mit Ava her . Es verstreichen ein paar Sekunden, dann senkt sie den Blick und hinterlässt bei mir ein mulmiges Gefühl in der Bauchgegend. Seit dem ersten Interview geistert Ava vor meinem inneren Auge herum. Sie hat nichts mehr mit dem kleinen sechsjährigen Mädchen mit der süßen Zahnlücke und ständig aufgeschürften Knien gemeinsam.
Das Training verläuft in den nächsten dreißig Minuten ereignislos. Manche Spielzüge müssen mehr definiert und einige Spieler auf bestimmten Positionen besser trainiert werden. Der Schweiß läuft mir vom Haaransatz bis zum Schlüsselbein herab, während ich gierig nach meiner Trinkflasche greife.
Ich muss mich heute noch an eine gute Strategie ransetzen und sie mit den Jungs beim nächsten Training durchsprechen. So gern ich auch der Captain bin, habe ich manchmal den unterschwelligen Druck alles richtig zu machen.
Ich beende das Training, drehe mich zur Tribüne um und finde jedoch nur leere Bänke vor Missmutig presse ich meine Lippen aufeinander. Aber warum mache ich mir solche Gedanken? Bestimmt hat sie ein gutes Foto bekommen, wie ich benommen auf dem Boden liege. Innerlich schüttle ich mit dem Kopf, schnappe mir meine Sachen und gehe in die Umkleide. Nachdem ich mich geduscht und umgezogen habe, verlasse ich als einer der Letzten das Sportgebäude und werde von zwei wartenden Personen aufgehalten.
»Ähm hi?«
Ava steht neben der Braunhaarigen und hat ihr Notizbuch, das sie wohl überall mit herumträgt, als wäre es ihr Heiligtum, an die Brust gedrückt und nickt mir leicht zu.
»Ich bin Sophie«, gibt der Lockenkopf von sich und ihr Grinsen erinnert mich an die Katze von Alice im Wunderland.
»Ignorier sie. Ich wollte dir nur sagen, dass wir uns in drei Tagen noch einmal zusammensetzen.«
Ich nicke. »Du kannst auch meine Nummer haben, dann musst du das nächste Mal nicht warten.«
»Nicht nötig.«
Autsch.
Auch Sophie schaut überrascht zu Ava rüber, die in ihrem Notizbuch wahrscheinlich den Termin einträgt. Wäre ich mal so ordentlich, hätte ich keine Probleme, Dinge wiederzufinden. »Gut, also dann wieder nach dem Unterricht im Sozialraum.«
»Weil es da so schön war, ne?«
»Genau.« Sie geht gar nicht auf meinen neckischen Kommentar ein, senkt ihre Lider und streicht sich dann die Strähnen aus dem Gesicht. »Also dann.«
Verdutzt schaue ich ihr hinterher und frage mich, was das gerade sollte. Bin ich wirklich so schlimm?
Dieses Mal aus der Sicht von Noah. Was sagt ihr? Ich hatte etwas Probleme. Aber ich wollte die Geschichte nicht allein nur aus Avas Sicht schreiben. 🙈
Wie immer würde ich mich über Rückmeldungen freuen 💕
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