I
I - Chaostheorie
Eine kosmische Regel besagt, alle Dinge streben der Unordnung entgegen. Vielleicht weil Chaos der natürliche Zustand von Ordnung ist?
Vielleicht war das Vorhaben der jungen Autorin aus diesem Grund von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Aber daran hatte Hanna keinen Gedanken verschwendet. Nein, sie hatte bis zu jenem schicksalsträchtigen Tag nicht einmal von der Existenz dieses Gesetzes gewusst.
Ob es etwas geändert hätte, lässt sich im Nachhinein ohnehin nicht mehr sagen. Jedenfalls startete sie an diesem Morgen voller Erwartung in ein neues Projekt. Ein leeres Dokument schimmerte ihr vom Bildschirm des Notebooks entgegen – voller Hoffnung, mit Ideen und Buchstaben gefüllt und zum Leben erweckt zu werden. Noch war alles im vielversprechenden weißen Urzustand.
Neben ihrem Notebook lag ihr ungeöffnetes Journal, in das sie all ihre Überlegungen hineingekritzelt hatte. Hier war kaum ein Blatt unberührt geblieben. Ihre unordentliche Handschrift, Symbole, Ausrufezeichen und Pfeilverweise füllten die einstmals leeren Seiten. Jede einzelne davon spiegelte das Chaos ihrer Gedanken wider.
Auf der anderen Seite ihres Schreibtischs stand neben dem überquellenden Stiftebecher eine Kaffeetasse, die noch nicht den Weg zurück in die Unordnung der Küche gefunden hatte.
Die ersten Strahlen der Sonne fielen schräg durch das Fenster auf die Tischplatte und ließen die tanzenden Staubpartikel sichtbar werden.
Hanna griff nach der Kaffeetasse, stellte fest, dass sie leer war, dafür aber ein halbmondförmiger brauner Fleck die Tischplatte zierte. Sie seufzte, wischte die Unterseite der Tasse an ihrer Jeanshose ab, ehe sie sie wieder absetzte und sich eine Haarsträhne aus den Augen strich.
Endlich fanden ihre Finger die Tasten, um die erste Hürde zu nehmen: den entscheidenden ersten Satz.
Eine kosmische Regel besagt, alle Dinge streben der Unordnung entgegen.
Sie nickte zufrieden. Das würde als Anfangssatz gehen. Es war rätselhaft und aussagekräftig.
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