
CHAPTER 63- ADAPTING
SPRINGFIELD, PENNSYLVANIA, TOLD BY JULIE
,,Cassy, jetzt komm endlich aus deinem Zimmer raus!", sagte ich und klopfte energisch gegen die Tür meiner kleinen Schwester.
,,Warum sollte ich?", entgegnete sie zickig und weigerte sich weiterhin ihre Zimmertür zu öffnen.
Ich seufzte: ,,Weil du gerade nicht die Einzige bist, der es scheiße geht." ,,Du bist doch aber daran Schuld, dass Dad ausgezogen ist. Warum musstest du denn auch Kontakt zu unserem Halbbruder aufnehmen? Du konntest dir doch schon denken, dass du damit die Ehe unserer Eltern zerstörst", erwiderte Cassy daraufhin, was mich nur noch mehr zum Kochen brachte.
,,Also erst einmal hat Dad das getan und zweitens möchte ich unseren Bruder kennenlernen." ,,Halbbruder", erwiderte sie schnell.
Das war mal wieder der typische Konflikt zwischen den Cosgrove-Schwestern.
,,Warum bist du nur so herzlos, Cassy? Er und auch wir verdienen die Wahrheit."
Und in diesem Moment spürte ich wieder den Einfluss der Zukunft, den er schon auf mein Leben genommen hatte.
In Las Vegas hatte ich gesehen, wie ,,Blakes" Leben im Jahr 2029 aussehen würde.
,,Er" hatte sich mit ,,seiner" ,,Mom" verkracht und war, außer dass ,,er" in Vegas spontan ,,seine" Freundin geheiratet hatte, völlig allein.
Auch ,,ich" hatte ihn ja an diesem Abend vor dem Casino abgewiesen und ,,Cassy" und ,,Dad" machten wohl auch ihr eigenes Ding.
Das durfte nicht passieren, denn er hatte eine Familie.
Je früher wir also von ihm wussten, desto besser.
,,Das gibt ihm aber nicht das Recht hier aufzukreuzen, nur weil er dich sehen will", antwortete Cassy weiterhin bockig.
Irgendwie verstand ich sie ja, weil es echt nicht schön für sie gewesen sein musste, aus dem Sommercamp zurückzukommen und zu sehen, dass unser Dad ausgezogen war.
Sie war zwar nicht die Einzige, die zu diesem Zeitpunkt eine Menge durchmachte, trotzdem versuchte ich es ihr noch einmal zu erklären.
,,Ich wusste nicht mal, dass Blake an diesem Tag kommen würde, sonst wäre ich mit Hanna nicht in Philly gewesen. Ich hatte ihm auch noch nicht gesagt, dass wir verwandt sind und wollte ihn erstmal in Ruhe treffen. Das ist nicht besonders gut gelaufen, er hat meine Adresse aus den Unterlagen der Schauspielagentur rausbekommen, um mit mir zu reden, weil ich plötzlich abgehauen bin. Dann hat Dad die Tür aufgemacht und beide realisierten sofort, dass Blake sein Sohn ist. Lydia und seine Mom haben ihm dann auch noch die letzten Zweifel genommen. Glaub mir, ich wünschte mir auch, dass es anders gelaufen wäre. Aber manche Dinge sollen eben so passieren, wie wir sie uns selbst überhaupt niemals selbst zusammenpuzzeln würden."
Ich musste an den Tag zurückdenken, an dem Lydia mitkam, als ich mich nochmal mit Blake treffen wollte und ich ihnen die ganze Sache irgendwie erklären musste.
Mit ihr war das noch abartiger, aber meinem Bruder bedeutete sie viel und deshalb strengte ich mich auch an, Lydia eine Freundin zu sein.
Ein paar Sekunden vergingen, bis Cassy endlich die Tür öffnete.
Wir sahen uns an, bevor sie mir mit Tränen in den Augen in die Arme fiel.
Das kam unerwartet, denn Cassy war keine dieser Personen, die viele Umarmungen brauchten.
,,Er wird nicht wieder zurückkommen wie beim letzten Mal, oder?", fragte sie und hielt mich dabei fest umklammert.
,,Nein, wird er nicht. Es ist schon drei Wochen her, nicht ein Wochenende, wie beim letzten Mal", antwortete ich ihr und streichelte mit meiner Hand sanft ihren Kopf.
,,Warum rennt er vor seinen Problemen davon, statt mit uns zu reden?"
Darauf wusste ich auch keine Antwort.
So war unser Dad eben. Er vermied Konfrontationen und Kritik, was häufig der Grund für die Streitereien in der Ehe meiner Eltern war.
,,Er muss wahrscheinlich erst mal mit Blake und Ellen reden." ,,Aber wir sind seine Töchter." ,,Und Blake ist sein Sohn. 19 Jahre sind eine lange Zeit. Sie müssen viel nachholen und klären."
Cassy sah mich traurig an: ,,Und jetzt ist es für immer so? Unsere Familie ist zerstört!?" ,,Sie ist nicht zerstört, Cassy, sondern wurde nur bereichert. Unsere Familie ist riesig und verrückt und wir bleiben eine Familie. Daran wird sich nie etwas ändern. Dad liebt uns und das wird er auch immer." ,,Hätte er Mom wirklich geliebt, wäre er aber nicht fremdgegangen", erwiderte meine Schwester daraufhin.
,,Ja, das war falsch von ihm, aber Mom und Dad haben beide Fehler gemacht. Es ist besser wie es jetzt ist, bevor sie es nochmal versuchen und es wieder nicht klappt", sagte ich. ,,Ich weiß", gab meine Schwester zurück und setzte sich auf den Treppenaufsatz.
,,Trotzdem ist es im Moment echt scheiße. Mom ist nur noch in ihrem Blumenladen und Dad ist weg. Ich habe das Gefühl, dass du mich jetzt großziehst." ,,Na ja, vorläufig wohl schon", antwortete ich mit einem leichten Schmunzeln.
Cassy griff nach meiner Hand: ,,Danke, Jul. Auch wenn ich das bisher nicht oft gesagt habe, danke. Immerhin kann ich auf dich zählen." ,,Dafür hat man schließlich eine Schwester."
Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht: ,,Na gut, ich muss jetzt zum Sport, bevor ich noch eine vorgezogene ,Mid-Life-Crisis' erlebe." ,,Mach das. Ich koche nachher was für uns und dann schauen wir uns so oft ,Pretty Woman' an, wie du willst", rief ich ihr nach und lief nach unten.
Mein Blick fiel auf die Familienfotos im Wohnzimmer, die Mom abgehangen hatte und in Dads Arbeitszimmer verbannt hatte. Unsere Magnetwand war leer und auch am Kühlschrank hingen nur noch die Magnete.
Es sah sehr trostlos bei uns aus.
Ich lief in Dads Arbeitszimmer, das noch ein wenig vollgestellt mit großen Kartons war.
Die meisten seiner Sachen waren bereits eingepackt, aber ein paar Kartons waren noch leer und mussten befüllt werden.
Ich beschloss sie mit Dads restlichen Sachen zu beladen, bevor Mom das machen musste.
Ich lief zu dem Regal, in dem die geerbten Sachen meines Dads von seinem Vater standen. Seitdem er tot war, hatte Dad sie sich nie wirklich angeschaut.
Der Tod von Grandpa hatte ihn sehr mitgenommen.
Ich griff nach Grandpas altem und sehr bekanntem Check- Buch, das er immer stolz mit sich mit getragen und schon vor dem Vietnam Krieg besessen hatte.
Ich öffnete es und beim Durchblättern fiel plötzlich ein Brief heraus.
12. März 1994:
,,Meine lieben Ellen,
ich hatte nicht geplant, es so zu tun, doch ich habe keine Wahl. Ich liebe dich, das tue ich, aber ich liebe Audrey auch. Ich habe nicht geplant, mich in zwei Frauen zu verlieben, die mir beide viel bedeuten, aber es ist nicht fair von mir, Audrey zu verlassen. Ich habe ihr und ihrer Familie das Versprechen gegeben, sie zu heiraten und daran halte ich mich. Ich hoffe, dass du das Leben leben kannst, nach dem du dich sehnst und das du verdienst."
In meinem Magen drehte sich etwas.
Warum befand sich in den noch unberührten Sachen meines toten Grandpas ein Brief meines Vaters an Ellen? Warum lag dieser Brief nicht bei Dads Sachen?
Mein Blick fiel auf eine DVD, die mein Interesse weckte, da mein Großvater eigentlich immer jemand gewesen war, der es verabscheute, wenn man Fotos von ihm machte.
Anscheinend besaß er aber doch einige Videos.
Ich lief zurück ins Wohnzimmer und legte sie in unseren Player ein und hoffte irgendwie Antworten zu finden.
Ungewöhnlicherweise war mein Grandpa darauf selbst abgebildet und hatte sich vor die Kamera gesetzt.
Irgendwie war es komisch, wie viel man erst über einen Menschen herausfindet, wenn er tot war.
Es war schön, mal wieder seine Stimme zu hören, na ja, jedenfalls bevor ich wusste, welches Geständnis er auf dieser DVD machte.
,,Mein lieber Sohn, ich bin ein Feigling gewesen und deshalb kann ich dir erst, nachdem ich sicher weiß, dass du mich deswegen nicht mehr anschreien kannst, die Wahrheit erzählen. Ich hätte es früher machen sollen, aber du musst wissen, dass ich immer nur das Beste für dich wollte und deinen Sohn mit Ellen sah ich damals nicht als das Beste an."
Mein Grandpa blickte ab und zu beschämend weg und langsam realisierte ich, was Ellen vor ein paar Wochen mit der Aussage meinte, dass diese Familie nichts als Unglück brachte.
,,Nachdem du Ellen den Brief über die Entscheidung für Audrey geschrieben hattest, kam sie aufgewühlt zu deiner damaligen Wohnung, in der du gerade deinen Geburtstag gefeiert hattest. Ich hatte draußen geraucht und fing sie daher vorher ab. Ellen sagte, dass sie dringend mit dir reden müsste, da du deine Entscheidung noch ändern würdest, wenn du wüsstest, dass sie von dir schwanger war. Und ... ich, ... ich sagte eine Reihe Dinge zu ihr, damit sie abhaute und nicht wieder kam. Ich wollte nicht, dass sie dich und Audrey auseinanderbrachte. Seit Jahren hattest du nur Augen für dieses eine wunderbare Mädchen und dann tauchte sie auf und hatte schon genug durcheinander gebracht. Ich dachte, dass sie abtreiben würde, da ich ihr eine Menge Geld dafür gegeben hatte, dass sie verschwindet und dich nicht wieder sieht. Und dann ging sie an diesem Tag. Später wurden Julie und Cassy geboren und alles fügte sich, bis ich herausfand, dass es Blake doch gab. Er lebt mit seiner Mutter in Manhattan in einem Apartment in ,Murray Hill' und sie haben eine Schauspielschule. Er sieht dir so ähnlich."
Mein Grandpa stockte und räusperte sich: ,,Ich fand es nicht fair, Ellens Leben wieder durcheinander zu bringen und das deiner Familie auch nicht. Deshalb schwieg ich und wie es jetzt weiter geht, weiß ich nicht. Ich hätte euch früher die Entscheidung überlassen sollen. Es tut mir leid, aber als Vater will man das Beste für sein Kind und das sah ich damals als das Beste an. Hätte ich gewusst, dass sie ihn behalten würde, hätte ich nicht zugelassen, dass du Audrey heiratest. Es tut mir leid, dass du es so erfährst, aber ich wollte diese Erde nicht ohne dieses Geständnis verlassen."
,,Heilige Scheiße. Dein Grandpa wusste es also", murmelte plötzlich jemand hinter mir.
,,Hanna! Was machst du denn hier?", fragte ich sie sichtlich erschrocken.
Sie stellte zwei Becher Kaffee auf dem Tisch ab, drehte sich zu mir um und umarmte mich.
,,Eigentlich bin ich nur eben durch die Hintertür gekommen, um was mit dir besprechen und dir frischen Kaffee bringen, aber das ist echt der Wahnsinn. Er hat echt nie was gesagt?", meinte sie etwas aufgewühlt und setzte sich zu mir aufs Sofa.
,,Nein, nicht das ich wüsste. Und meine Familie kennt diese DVD auch nicht, auch wenn sie bei Grandpas hinterlassenen Gegenständen in Dads Zimmer lag. Er war nie richtig über seinen Tod hinweggekommen und hatte sich die Sachen deshalb noch nie angesehen. Aber immerhin, wenn mich meine Eltern irgendwann fragen, wie ich das mit Blake herausgefunden hatte, habe ich nun etwas, was ich ihnen zeigen kann. Das ist besser, als die Ausrede, mal eben in die Zukunft gereist zu sein", gab ich zurück.
,,Das ist alles so verrückt", sagte Hanna nach einer ganzen Weile.
,,Ich weiß und wenn Ellen mit meinem Dad geredet hat, weiß ich jetzt auch, warum er noch nicht wieder zurück ist. Cassy und ich haben unseren Grandpa vergöttert. Ich könnte mir vorstellen, dass er für uns lieber eine andere Ausrede findet, bevor wir schlecht von ihm denken." ,,Du solltest ihm das Video aber trotzdem geben. Hätte dein Grandpa nicht gewollt, dass ihr es findet, hätte er es deinem Dad nicht hinterlassen", meinte Hanna und reichte mir einen der Kaffees.
,,Immerhin ist mein Dad doch ein guter Kerl", gab ich zurück und nippte an dem Kaffeebecher.
,,Sag mal, ist da Sahne drin?", fragte ich und fuhr mit der Zunge über meine Lippen.
,,Ja, ich wollte dir den Tag versüßen und ich habe noch mehr Neuigkeiten", meinte Hanna und holte etwas aus ihrer Tasche heraus.
,,Die wurden mir zugeschickt. Wahrscheinlich von der gleichen Person, die euch auch die Flugtickets geschickt hat." ,,Was?", fragte ich überrascht.
Hanna reichte mir den Brief.
,,Liebe Hanna, willst du die Wahrheit herausfinden? Nun bist du ja mit an Bord, nachdem Julie dich eingeweiht hat. Löse das Bahnticket am 30.12. um 12 Uhr am Bahnhof ein und ich verspreche euch die Wahrheit. Das Einzige, was ihr tun müsst, ist mir zu vertrauen. Nach den ganzen Ereignissen haltet ihr mich sicher nicht mehr für verrückt."
,,Scheiße, ich hätte es dir nie erzählen dürfen", stammelte ich.
In mir kochte etwas hoch.
,,Du hast das Richtige getan. Hey, sieh mich an", flüsterte Hanna und berührte mit ihrer Hand mein Gesicht.
,,Ihr habt, seit ihr zurück in Springfield seid, keine Nachrichten mehr bekommen, oder?" ,,Nein, nicht das ich wüsste", antwortete ich. ,,Ich will nicht, dass du die Reise machst. Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Ich möchte nicht, dass dein Leben auch außer Kontrolle gerät", schob ich eilig hinterher.
,,Aber ich kann die Wahrheit herausfinden und dann ist das alles vorbei", erwiderte Hanna. ,,Ich will aber nicht, dass noch so etwas passiert. Das verändert einfach alles. Du siehst es doch." ,,Deshalb will ich es ja beenden. Ich bin vorbereitet auf das, was passiert. Bitte Julie, ich möchte euch helfen, ich möchte dir helfen, immerhin sind wir verlobt."
Ich stand auf und hatte keine Ahnung, wie man sich in so einer Situation richtig verhielt.
Wie hättet ihr an Julies und Hannas Stelle gehandelt?
Rückblickend sah man vieles klarer, aber die Angst vor der Zukunft bestand noch viele darauffolgende Jahre.
,,Wohin sollst du?", fragte ich schließlich.
,,New York, also der Ort, wo ihr euch nach diesen drei Tagen wieder gesehen habt und alles angefangen hat", antwortete Hanna und stand ebenfalls auf.
,,Es ist sowieso erst um Neujahr rum. Also haben wir noch reichlich Zeit zum Nachdenken. Diese Person will vielleicht ja entdeckt werden. Das ist die einzige Chance, die wir vielleicht kriegen werden." ,,Na schön, aber ich komme mit. New York ist nicht weit weg." ,,Es wird alles gut."
In diesem Moment hätte ich gerne Hanna geglaubt.
Ich hätte wissen müssen, dass das, was wir taten, nichts besser machte, doch damals war Wunschdenken das, was mich geleitet hatte. Es war schon lange nicht mehr unser Verstand.
Die Zukunft bestimmte nahezu alle Entscheidungen, die wir trafen und wir wurden dadurch regelrecht benebelt.
,,Ich muss jetzt auch gleich wieder zur Arbeit. Ruf mich an, wenn es irgendetwas Neues gibt", sagte sie und machte sich schließlich wieder auf den Weg zu Charlies Café.
Plötzlich klingelte mein Handy.
,,Ana?", fragte ich überrascht.
Seit der Party und dem Streit hatten wir uns voneinander distanziert.
Es war schließlich furchtbar zu sehen, wie Alicia, die wir alle sehr nett fanden, wieder nach Spanien zurückkehrte, wegen etwas, das Ana und Nate getan hatten.
,,Ich muss mit euch reden, sofort. Es ist wichtig." ,,Okay", murmelte ich und nahm meine Tasche.
Ana bedeutete mir viel und ich konnte auch schon oft auf sie zählen ...
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