Kapitel 3
Ich lag in meinem Bett und starrte an die Decke, durch die sich ein paar Risse zogen. Nach ungefähr zehn Minuten bekam ich schon Rückenschmerzen. Die Matratze war hart und ich rutschte die ganze Zeit wieder in die Kuhle in der Mitte. Ich fragte mich, wie lange das Bett wohl schon hier stand und von wie vielen verschiedenen Personen es schon benutzt wurde. Warum sie wohl hierwaren? War es bei ihnen wie bei mir oder ganz anders? Ob sie sich wohl damals auch diese Fragen gestellt haben?
Es war still. Zu still. Wenn es still wurde fing ich immer an Nachzudenken. Also noch mehr als sonst schon. In der Schule dachte ich auch immer viel nach. Nur eben nicht über das aktuelle Thema, dass wir behandelten. Für meine Klassenkameraden sah es dann immer so aus, als würde ich Löcher in die Luft starren. Deshalb hatte ich auch schon häufig mal eine Hand vor meinem Gesicht, die mich wieder zurück in die Realität holen sollte.
Jetzt, wo ich so dalag realisierte ich erst wirklich, was heute eigentlich passiert war und was der Arzt gemeint hatte. Meine Eltern lagen schwer verletzt im Krankenhaus und ich in diesem Horror von Heim, bei dem ich dachte, dass es das nur in Büchern gäbe. Als ich wieder daran dachte, wie meine Eltern mit den ganzen Verbänden und Schläuchen so dalagen kamen mir schon die ersten Tränen. Im Krankenhaus hatte ich keine einzige Träne vergossen. Da war ich noch zu sehr geschockt und hatte versucht die ganzen Informationen, die der Arzt mir gab zu verstehen. Aber jetzt am Abend, wo ruhe in meinem Kopf herrschte verstand ich die wirkliche Bedeutung von dem, was passiert war. Die Tränen flossen mir jetzt schon regelrecht über das Gesicht und ich lies ihnen freien Lauf. Meine Eltern, die immer für mich da waren und mich immer zum Lachen gebracht haben waren vielleicht schon - Nein, Mia Smith denk das gar nicht erst. Die Hoffnung war das letzte, das stirbt und dabei bleibt es. Tadelte ich mich selbst. Ich versuchte, die Tränen zurück zu halten, doch immer wieder kam mir das Bild meiner Eltern mit den Verbänden, Schläuchen und den Ärzten in den Sinn und der letzte Satz, den der Arzt sagte, „Es sieht nicht sehr gut aus.".
Energisch wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht, aber es half nichts. Ich legte mich auf die Seite mit Blick auf die Kommode. Manchmal bin ich ein bisschen paranoid, deshalb habe ich immer lieber eine Wand im Rücken, auch wenn sie etwas Bröckelig war. Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus. Es half. Nach einer Weile flossen keine Tränen mehr, dafür hatte ich jetzt starke Kopfschmerzen. Ich setzte mich auf. Konnte ich nicht einmal zur Ruhe kommen? Nein konnte ich wohl nicht. Ich schnappte mir meine Wasserflasche aus meinem Rucksack. Die Sachen wurden mir bisher noch nicht weggenommen und ich hatte auch nicht vor sie ihnen auszuhändigen.
Nachdem ich die jetzt noch halb volle Flasche wieder in meinem Rucksack verstaut hatte sah ich mich ratlos um. So wach wie ich jetzt war würde ich erstmal nicht schlafen können. Mein Blick glitt zur Liste mit den Regeln auf der Kommode. Ich seufzte. Lesen würde ich sie so oder so mal müssen, warum also nicht jetzt? Ich setzte mich mit der Liste wieder auf das Bett und sah sie ratlos an. Es war schon ziemlich dunkel und man konnte kaum noch erkennen, was darauf stand. Das Licht war immer über einen Hauptschalter während der Schlafenszeiten aus, sonst würde ich ja das Licht anmachen. Zum Test drückte ich ein paarmal auf den Lichtschalter, aber es tat sich nichts. Als ich zu meinem Rucksack blickte viel mir mein Schlüsselbund ein. Es war eine Taschenlampe, die auch ein Laserpointer war daran befestigt. Schnell holte ich ihn hervor und war froh, als ich sah, dass sie noch funktionierte. Ich sah auf die drei Blätter vor mir. Das waren ganz schön viele Regeln, wie sollte man sich denn alle merken? Als ich die Liste kurz überflog sah ich, dass sie nach Themen geordnet war. Also Allgemeines, Essen, Zimmer, Schule, Ferien, Ausflüge und so weiter. Nach kurzem Überlegen hielt ich es fürs beste mir die Regeln rund um die Schule anzusehen. Ich hatte ja weder eine Ahnung, wo ich genau war, noch wie ich morgen zur Schule kommen würde.
Die meisten Regeln handelten davon, dass man sich vorbildlich in der Schule benehmen sollte und ja nur die Sachen des Heims haben sollte. Also Uniform, Rucksack und Schulutensilien. Es schienen hier auch alle auf die gleiche Schule in der Nähe zu gehen.
Morgens sollten sich alle fünf Minuten vor sieben in der Eingangshalle treffen und gingen dann zusammen mit ein paar Betreuern zu der Schule. Nach der Schule wurde man wohl auch wieder ohne Umwege in das Heim gebracht, so dass alle wieder zum Mittagessen da waren. Die, die schon ihr ganzes Leben hier waren taten mir ja schon irgendwie leid.
Etwas weiter unten stand noch etwas für die neuen, die noch auf eine andere Schule gingen drin. Sie mussten sich eine halbe Stunde früher in der Eingangshalle einfinden und wurden dann von mindestens einer Begleitperson zur Schule gebracht und danach wieder abgeholt und zurückgebracht. Sonst galten die gleichen Regeln und nach Beendigung des Schuljahres musste man zu der Schule, auf die alle im Heim gingen wechseln.
Das konnte doch nicht ihr ernst sein, durften wir nicht mal in der Schule normal sein? Und diese Uniform zog ich doch nicht in der Schule an. Das wäre verrückt, reinster selbst Mord. Ich gebe zu, meine Kleidung interessierte mich recht wenig. Sie musste einfach nur bequem und praktisch sein, so dass ich mich darin wohlfühlte, aber das würde ich in der Uniform sicher nicht tun. Aber dass sie mir auch noch eine halbe Stunde klauen wollten, war doch echt unmöglich, dass würde doch totalen stress bedeuten. Ich war jetzt keines der Mädchen, dass eine Dreiviertelstunde im Bad brauchte und eine halbe für das Outfit. Ich war nur eine Nachteule, Langschläferin und Morgenmuffel, was bedeutete, dass ich eh schon weniger Zeit hatte und da ich nicht wusste, wie lang das Frühstück ging wusste ich auch nicht, wie viel Zeit mir dann noch blieb.
Ich überflog nochmal die Liste, nach etwas wichtigem. Ich fand noch heraus, dass es einen Weckdienst jeden Morgen um halb sechs gab, was mir schon mal das Aufwachproblem nahm. Außerdem fand ich noch heraus, dass das Essen erst dann fertig war, wenn unsere Leiterin fertig war, also würde ich alles vor dem Essen fertig machen müssen, sonst könnte das kritisch werden. Irgendwo gab es noch einen Absatz über Aufgaben im Heim, die man übernehmen musste, aber ich hatte mittlerweile keinen Nerv mehr mir diese Liste weiter durchzulesen und legte sie wieder zurück. Ich hatte das Gefühl, jetzt noch mehr Kopfschmerzen zu haben, und trank deshalb noch etwas und massierte mir die Schläfen.
Die Liste legte ich wieder zurück auf die Kommode und die fast leere Flasche wieder in den Rucksack. Ich angelte mir mein Buch aus dem Rucksack. Ich hatte immer eins dabei, falls mir langweilig werden sollte. Ich war ein totaler Bücherwurm. Gerade las ich Tintentod. Nicht zum ersten und auch nicht zum zweiten mal. Die Tintentriologie war eine meiner Lieblingsbuchbände. Mit dem Buch und meiner Taschenlampe machte ich es mir so bequem wie möglich, was mir aber nicht wirklich gelang.
Ich las und las und hätte sicherlich noch weiter gelesen, hätten meine Augen und mein Gewissen nicht gestreikt. Außerdem wurde es immer nerviger einen geeigneten Platz für meine Taschenlampe zu finden und die Wand war auch nicht wirklich angenehm. Ich legte meinen Schlüsselbund und mein Buch wieder zurück in meinen Rucksack und schob ihn dann zwischen Kommode und Wand, so dass man ihn nicht mehr so gut erkennen konnte. Nach einer gefühlten Ewigkeit schlief ich dann auch endlich ein.
„AUFSTEHEN!!", brüllte eine Stimme durch mein Zimmer. Aber seit wann brüllte Mum denn so und warum klang sie so komisch? Und warum hatte ich solche Rückenschmerzen? „Noch fünf Minuten", murmelte ich und drehte mich auf die linke Seite, wo eigentlich eine Wand war. Ich kam jedoch an keine Wand, sondern plumpste auf den Boden, der verdammt hart und kalt war. Wo war bitte meine flauschiger Teppich? Ich öffnete genervt die Augen und schloss sie sofort wieder, nur um sie danach wieder zu öffnen. Aber ich befand mich immer noch in diesem kleinen Raum, der eindeutig nicht mein gemütliches und großes Zimmer zuhause war. Ich setzte mich etwas auf und sah in das grimmige Gesicht einer stämmigen Frau, die mich noch einmal anfunkelte und dann weiter ging. Na so freundlich könnte man doch jeden Morgen geweckt werden. Langsam kamen mir die Erinnerungen an den gestrigen Tag wieder hoch und ich stöhnte auf. Ich blinzelte schnell die ersten Tränen weg und stand auf. Ich hatte so gehofft, dass das nur einer meiner komischen Träume war.
Zuerst machte ich die Tür zu, ich mochte offene Türen ganz und gar nicht. Dann zog mir meine Uniform an und holte meine Armbanduhr hervor. Ich hatte noch zwanzig Minuten, bis das Essen beginnen würde. Also noch genug Zeit, um das Badezimmer zu finden. Ich wollte gerade losgehen, als mir einfiel, dass ich ja gar nicht wusste, wo das Badezimmer war. Also suchte ich den Haus plan. Ich könnte schwören ihn gestern wieder auf der Kommode abgelegt zu haben. Ich durchsuchte die ganze Kommode, in der ich eine Haarbürste fand, aber fand ihn nicht, erst als ich einmal gegen die Kommode stieß und die Liste mit den Regeln runter flog sah ich, dass der Haus plan direkt darunter war.
Mit Haus plan und Bürste bewaffnet ging ich los. Zuerst musste ich zu den Treppen und eine Treppe hoch. Dann zum Ende des Flures und die letzte Tür links. Ich war selbst erschrocken, als dahinter wirklich ein Gemeinschaftsbad war mit ein paar Mädchen, die als sie mich bemerkten neugierig musterten, aber nichts sagten. Man durfte hier ja generell nicht reden. Ich stellte mich vor den Spiegel und wusch mir erst einmal das Gesicht. Danach bürstete ich meine Haare leicht. Ich hatte sehr dicke dunkelbraune Haare, die wenn man sie zu sehr bürstete danach total aufgeplustert waren und in alle Richtungen abstanden.
Als ich fertig war ging ich wieder zurück zu meinem Zimmer, wo ich Haus plan, Bürste und Uhr ablegte. Ich hatte nicht mehr allzu viel Zeit. Die Suche nach dem Haus plan hatte echt lange gedauert. Nach einem letzten Blick auf den Plan ging ich zum Speisesaal und war wieder überrascht, als ich zum zweiten Mal heute ohne Umwege sofort den Weg zu dem Ort fand, zu dem ich auch wollte. Es waren noch nicht alle da und ich setzte mich wieder auf den gleichen Platz von gestern. Das Mädchen von gestern war schon da. Wir lächelten uns kurz an, dann sah ich auf meinen Teller. Es war das gleiche, wie auch schon am Abend drauf. Mein Magen knurrte und ich konnte ihn so gut verstehen. Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich verfressen war, aber ich aß eigentlich schon recht gerne. Ich schob es immer auf den Wachstum, aber der würde auch nicht mehr lange als meine Ausrede dienen können. Ich war ungefähr 1,79 Meter groß und meine Eltern hatte ich auch schon bald eingeholt. Meine Mum regte sich immer darüber auf, dass ich so schnell wuchs, aber ich hatte kein großes Problem damit. In meiner Klasse gab es noch ein paar, die ungefähr genau so groß waren wie ich. Unsere Nachbarn, die ich alle zwei Wochen ungefähr mal draußen sah meinten immer, dass ich schon wieder ein ganzes Stück gewachsen wäre. Ich musste etwas schmunzeln bei der Erinnerung daran, aber auch gleich wieder die Tränen weg blinzeln. War ich echt so nah am Wasser gebaut?
Als alle da waren fing das Essen an. Ich war schon als eine der ersten fertig. Sollte ich länger hier bleiben müssen bräuchte ich sicher einen Weg um an noch mehr Essen zu kommen. Das konnten die doch nicht ernsthaft von uns erwarten? Die Erwachsenen aßen doch bestimmt noch mehr, als das hier.
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Bis sie wirklich mit der "Neuen Welt" in berührung kommt würd es noch etwas dauern, da ich den Weg dahin quasi etwas besser beschreiben will.
Ich versuche freitags immer ein neues Kapitel Hochzuladen, aber es kann gut sein, dass es auch mal später wird.
-YMina_
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