Kapitel 2
Nach einer gefühlten Ewigkeit hielten wir an, doch als ich aus dem Fenster sah bemerkte ich, dass wir gar nicht vor unserem kleinen Haus waren, sondern vor einer ziemlich alten und heruntergekommenen Villa. Von außen sah sie echt düster und nicht gerade einladend aus. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass es schon ziemlich dunkel war und in dem Haus kaum noch Lichter branden. Sonst waren in der näheren Umgebung nur noch vereinzelt ein paar Häuser vorzufinden, ein Supermarkt, der schon geschlossen hatte, ein Spielplatz und ein Wald, der sich hinter der Villa vor uns erstreckte.
Ich drehte mich zu den Polizisten um, „Entschuldigung, aber ich glaube, wir sind hier falsch. Ich wohne ganz woanders.", die beiden Polizisten sahen sich kurz an und dann seufzte der braunhaarige, „Da du noch Minderjährig bist und auf unbestimmte Zeit allein zuhause wärst wirst du erstmal in diesem Heim hier bleiben."
Eigentlich fand ich die Information jetzt erst einmal in einem Heim zu wohnen nicht allzu prickelnd, vor allem da dies meiner Horrorvorstellung von einem Heim entsprach. Jetzt müsste es nur noch Gewittern und der Eindruck wäre perfekt. Aber da ich vollkommen erledigt war und wenn ich es mir recht überlegte auch nicht an einen Ort zurück wollte, wo mich alles an meine Eltern erinnerte, nickte ich nur stumm und stieg aus. Die beiden schienen erleichtert. Sie hatten wohl mit mehr Gegenwind meinerseits gerechnet. Als ich meinen Rucksack hervorholte viel mir etwas ein, „Ich habe aber gar keine Sachen dabei.", Der blonde schob mich etwas in Richtung Heim, „ich bin mir sicher, sie werden etwas für dich da haben.", der kleine blieb am Auto und wir gingen den gewundenen Weg entlang zu dem großen Eingangstor der Villa. Es war eine schwere Holztür, die sogar noch einen Türklopfer besaß. Als wir durch sie hindurchgingen kamen wir in einen Raum, der Wohl die Eingangshalle sein sollte.
Sie sah eigentlich sogar ziemlich ansprechend aus. Die Wände waren hell gestrichen und der Boden aus hellem Holz. Die Möbel waren ebenfalls aus hellem Holz. Geradeaus gab es eine Tür, die wohl in einen Garten, Hinterhof oder so etwas Ähnliches führte. Rechts war eine schöne Tür mit der Aufschrift Büro und links war ebenfalls eine Tür. Sie war jedoch nicht so schön und beschriftet war sie auch nicht. Sonst standen hier noch ein großes Bücherregal und ein Kaktus. An einer Wand hingen ein paar Fotos. Sie schienen auf Ausflügen gemacht zu sein. Auf manchen war aber auch nur eine Person, die irgendetwas stolz in die Kamera hielt. Was mir aber auffiel war, dass alle Kinder das gleiche trugen. Hier gab es wohl so etwas wie eine Uniform.
Aus der Tür mit der Aufschrift Büro kam eine recht große Frau mit kantigem Gesicht und Brille auf der Nasenspitze. Sie schritt auf den Polizisten zu und grüßte ihn. Das ich kommen würde schien sie schon zu wissen, zumindest schien sie diese Information nicht zu überraschen. Während sie redeten sah ich sie mir noch einmal genauer an. Sie hatte ihre schwarzen Haare zu einem so straffen Knoten nach hinten gebunden, dass es jedem anderen extreme Schmerzen bereitet hätte. Sie trug ein blaues, enganliegendes Hemd und einen Altmodischen Rock. Darunter hatte sie noch eine Strumpfhose. Ihre Schuhe hatten riesige Absätze, so dass ich mich fragte, wie groß sie wohl ohne wäre. Auf ihrem Mund war nie auch nur der Ansatz eines Lächelns zu sehen. Wahrscheinlich wusste sie nicht einmal, was das war. Sie stand die ganze Zeit stocksteif da und rührte sich nicht auch nur einen Millimeter.
Nach einer Weile verabschiedeten sie sich, der Polizist gab mir noch einmal die Hand und lief dann zu seinem Kollegen am Auto. Jetzt sah sie mich an. Davor hatte sie mich nicht auch nur eines Blickes gewürdigt. Und ich wünschte, es wäre so geblieben, denn ich hatte das Gefühl unter ihrem Blick so weit zusammenzuschrumpfen, bis ich nur noch die Größe einer Maus hatte.
Sie durchbohrte mich noch etwas weiter mit ihrem Blick, bis sie, „Mitkommen!", sagte und zu der Tür auf der linken Seite schritt. Diese Frau war mir ganz und gar nicht geheuer, aber mir blieb wohl nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Sehnsüchtig sah ich nochmal kurz aus dem Fenster, wo ich gerade noch das Polizeiauto verschwinden sah. Was würde ich nur dafür geben jetzt wieder darin sitzen zu können.
Ihre klackernden Schritte holten mich wieder zurück in die Realität und ich eilte ihr schnell hinterher.
Als ich ihr durch die Tür folgte wurde mir sofort kälter. Hier sah es gar nicht mehr so freundlich aus, wie vorhin in der Eingangshalle. Der Boden war extrem dunkel und schmutzig, die Wände waren lange nicht mehr gestrichen worden und komplett kahl. Die Lampen, die an der Decke hingen spendeten nur spärlich licht. Generell war der Flur auch extrem schmal, so dass man sich sehr eingeschlossen fühlte. Fenster gab es hier auch keine.
„Ich bin Mrs. Cox und die Leiterin hier. Solange du hier bist hast du dich wie jedes andere Kind hier auch an die Regeln zu halten.", ihre Stimme klang gar nicht mehr so freundlich, wie vorhin bei dem Polizisten, wobei sie da ja auch nicht wirklich freundlich war. Bei jedem ihrer Schritte klackerten ihre Absätze auf dem Boden und hallten. „Hier herrscht Gleichberechtigung. Um also Mobbing vorzubeugen wirst du, nachdem du dich umgezogen hast all deine Sachen abgeben. Solltest du nicht hier bleiben wirst du natürlich alles wiederbekommen.", ich starrte sie entgeistert an. Ich war wohl wirklich in meiner Horror Vorstellung gelandet. Ich wünschte mir jetzt so sehr die beiden Polizisten zurück. „Die Mahlzeiten nehmen wir immer zusammen im Speisesaal ein. Das heißt, du hast pünktlich zu erscheinen. Frühstück ist um 6 Uhr, Mittagessen um 13 Uhr und Abendessen um 19 Uhr. Einmal die Woche hast du Abwaschdienst und Deckdienst für eine Mahlzeit. Natürlich wirst du solange du hier bist auch noch andere Aufgaben übernehmen. Das ist eine gute Vorbereitung auf das spätere Leben.", mir brummte der Kopf, während wir um eine Ecke bogen und eine Treppe hinauf gingen. Das waren schon einige Informationen, die ich jetzt irgendwie versuchte aufzunehmen.
„Solange nicht sicher ist, ob du hier bleibst wirst du erst einmal in diesem Zimmer hier bleiben", sie öffnete eine Tür auf der rechten Seite, „Solltest du bleiben bekommst du natürlich ein anderes Zimmer.", ich trat hinter ihr hinein.
Das sogenannte Zimmer war vielleicht so groß wie eine Abstellkammer. Auf der rechten Seite war ein schmales Bett mit ein paar Kleidungsstücken drauf, links war eine kleine Kommode und neben dem Bett war noch ein Fenster, welches als ich näher heran trat in den Innenhof zeigte und wohl direkt über den Mülleimern war. Lüften würde ich also wohl erstmal nicht können, wobei es hier echt schrecklich stank.
„Ich erwarte dich in fünf Minuten umgezogen im Speisesaal. Eine Liste mit den Regeln und einen Haus plan findest du auf der Kommode.", mit diesen Worten verließ sie das Zimmer und schloss die Tür.
Das einzigste Geräusch, das ich hörte waren ihre immer leiser werdenden Schritte. Ich hatte eigentlich erwartet wenigstens irgendwelche Kinderstimmen zu hören, aber dem war nicht so.
Naja, so schlimm wird es schon nicht werden. Ich ließ mich auf das Bett fallen, das knarzend mehrere Zentimeter runtersackte, während ich in eine Kuhle in der Mitte rutschte. Etwas Putz bröckelte von der Wand. Ich ging zu der Kommode und sah mir den Haus plan an. Laut diesem war der Speisesaal irgendwo im Keller. Die Liste mit den Regeln war mehrere Seiten lang. Es würde wohl eine Weile dauern sie durchzulesen und zu merken. Ich hatte leider ein ziemliches Kurzzeit Gedächtnis.
Als ich mir die Kleidung, die auf dem Bett lag angezogen hatte sah ich an mir herunter, einen Spiegel gab es ja nicht. Das Hemd war ausgewaschen, aber vorher wahrscheinlich mal grau. Es hatte eine Größe, die wahrscheinlich jedem passen würde. Die Hose ging mir knapp über die Knie und wurde schon ein paarmal geflickt. Die Schuhe waren schon total abgetragen und etwas zu groß. Ich sah nochmal kurz an mir herunter und trat dann aus der Tür.
Ich hatte noch ungefähr zwei Minuten, um zum Speisesaal zukommen. Leider war mein Orientierungssinn gleich null und so verlief ich mich natürlich total. Warum mussten auch alle Gänge und Türen so gleich aussehen?
Nachdem ich noch ein paarmal falsch abgebogen war sah ich jemanden hinter einer Ecke verschwinden. Da ich sonst keinen Weg wusste lief ich ihr oder ihm einfach hinterher. Ich hatte Glück, nach einer Weile kam eine große Tür in Sicht, hinter der sich der Speisesaal versteckte.
Ich war wohl noch nicht zu spät, denn es kamen noch ein paar nach mir durch die Tür. Das erste, was mir aber auffiel war, dass niemand etwas sagte. Eigentlich hätte ich erwartet in einen lärmenden Saal zu kommen, aber es gab anscheinend auch eine Regel, was das Reden hier im Speisesaal anging.
Hier war es noch ein Stück kälter, als vorhin in meinem Zimmer. Die Wände und der Boden waren aus Stein. Es standen zwei lange Tische im Raum an denen ein paar Kinder saßen und am Ende des Saales, mit gutem Blick auf das Geschehen, stand noch ein Tisch, an dem die Erwachsenen saßen. An dem linken Tisch saßen nur Mädchen und an dem rechten Tisch nur Jungen. Ich lief also auf den linken Tisch zu, um mir einen Platz zu suchen. Anscheinend saßen alle Hier nach alter sortiert. Richtung Tür die Älteren und Richtung Erwachsenen die Jüngeren. Ich ging in die Richtung, wo ungefähr welche in meinem Alter saßen. Ein Mädchen mit schulterlangen strubbeligen braun-blonden Haaren deutete leicht auf einen Teller gegenüber von sich und ich setzte mich schnell an den Platz, nachdem ich ihr einmal kurz zulächelte.
Als alle saßen erhob sich Mrs. Cox und alle anderen auch. Also stand ich auch auf, um nicht komplett dämlich dazustehen. Mir viel auf, dass alle hier, außer den Erwachsenen, extrem dünn waren. Einige hatten auch ein paar Verletzungen am Körper und beim Friseure waren sie alle wohl schon lange nicht mehr. „Meine Lieben Kinder.", ich verzog das Gesicht. Man hatte das Gefühl, ihre Stimme und ihr Gesicht drückten das Gegenteil aus, „Ich habe eine Ankündigung zu machen. Wir haben vorrübergehen, vielleicht aber auch für immer jemand neues in unseren Reihen. Mia Smith. Sie ist vierzehn Jahre alt und wohnt erst einmal in einem unserer Einzelzimmer im ersten Obergeschoss.", keiner sah mich an. Alle sahen nur nach vorne zu Mrs. Cox. Das schien wohl auch eine Regel zu sein. „Ich wünsche euch allen einen guten Appetit.", Sie setzte sich wieder und wir taten es ihr nach.
Alle fingen sofort still an das zu essen, was vor ihnen stand. Als ich auf meinen Teller sah war da nur ein Käsebrot, ein Apfel und ein Glas Wasser. Jetzt wunderte es mich nicht mehr allzu sehr, dass alle so dünn waren, wenn das Frühstück und Mittagessen auch so aussieht. Wie die anderen begann ich auch zu essen. Das Brot schmeckte nach nichts und eigentlich mochte ich auch keinen Käse, aber da der auch nach nichts schmeckte hatte ich kein Problem damit das zu essen.
Als ich fertig war sah ich zu den anderen, welche aber nur auf ihren Teller oder manchmal unauffällig zu Mrs. Cox sahen. Ich sah also auch wieder auf meinen Teller. Er schien schon sehr lange hier zu sein, zumindest war er schon an manchen Stellen kaputt und man konnte ganz deutlich Messerspuren darauf sehen.
Nach einer Weile erhoben sich wieder alle und sahen zu Mrs. Cox, die ebenfalls stand. „Ich hoffe, dass Essen hat euch geschmeckt und ihr seid alle satt. Ich wünsche euch allen eine gute Nacht."
Alle nahmen ihr Geschirr und liefen aus dem Speisesaal raus. Ich tat es ihnen nach. Links neben dem Speisesaal waren ein paar Tische, mit Rollen unter den Beinen, auf denen alle ihre Sachen ablegten. Auf dem ersten und zweiten die Teller, auf dem dritten die Gläser und auf dem Vierten das Besteck.
Als ich fertig war drehte ich mich um und versuchte wieder irgendwie zu meinem Zimmer zu gelangen. Das klappte natürlich nicht. Ich ging einfach irgendwelche Treppen nach oben und gelangte dann irgendwie auf den Innenhof. Als ich zu den Mülleimern sah konnte ich darüber mein Zimmerfenster erkennen. Im Hof waren nur ein paar Bänke und ein Baum. Der Boden war wieder aus Stein. Es führten drei Türen in diesen Hof. Ich ging einfach auf eine zu und öffnete diese.
Ich hatte Glück. Ich war wieder in der Eingangshalle. Von hier aus wusste ich ungefähr den Weg. Durch die unbeschriftete Tür, den Gang entlang, dann links um die Ecke und die Treppe hoch. Dann müsste ich eigentlich in dem Flur von meinem Zimmer sein. Ich öffnete einfach ein paar Türen. Die Zimmer dahinter sahen alle gleich aus und genau wie meines. Nach einer Weile fand ich endlich mein Zimmer wieder.
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Dieser Teil ist etwas länger, als der erste und ich werde versuchen meine Kapitel längen auch immer ungefähr so lange zu lassen.
-YMina_
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