1. Kapitel
»Und jetzt lest euch bitte M5 auf Seite Hundertdreiundfünfzig im Buch durch. Vergesst nicht, zuerst die äußere Quellenkritik und danach die innere zu machen. Danach bearbeitet ihr dann die Aufgaben drei und vier auf der nächsten Seite. Ihr habt bis zum Ende der Doppelstunde Zeit. Ich werde eure Blätter dann einsammeln.« Die ganze Klasse stöhnte genervt auf. In zwei Tagen gab es die Endjahreszeugnisse und kein Lehrer gab sich noch viel Mühe mit uns richtigen Unterricht zu machen. Kein Lehrer, bis auf Mrs. Shaw unserer Geschichtslehrerin, die leider Gottes auch unsere Klassenlehrerin war.
Ich schlug mein Buch auf besagter Seite auf und sah, dass einer, der sechs Vorbesitzer dieses Buches wohl mal Tee auf dieser Seite verschüttet hatte oder was auch immer dieser gelbliche Fleck mal gewesen war. Ich fing, wie alle anderen auch, mit den Aufgaben an. Es war allgemein bekannt, das Mrs. Shaw einem nur so viel Zeit, wie unbedingt nötig gab. Das hieß, dass man selbst, wenn man die ganze Stunde über schnell und konzentriert arbeitete, man die Aufgabe nur mit Müh und Not zu Ende schaffte.
Als gerademal die Hälfte der Zeit um war, klopfte es an der Tür. Erst beim dritten Mal registrierte unsere Lehrerin, dass wohl jemand vor hatte ihren Unterricht zu stören. Die ganze Klasse sah gespannt nach vorne. Kaum einer dachte noch an die Aufgabe, denn ebenfalls bekannt über Mrs. Shaw war auch, dass sie es hasste, wie die Pest, wenn jemand ihren Unterricht störte. Mit der Miene, die Person, die gerade geklopft hatte, hochkant rauszuwerfen, ging sie gemächlich Richtung Tür. Als sie die Tür öffnete, sah sowohl sie, als auch die ganze Klasse, überrascht auf die drei Leute, die in der Tür standen. Es war unser Schuldirektor in der Begleitung von zwei uniformierten Polizisten.
Während der dunkelhaarige Polizist leise etwas unserer Lehrerin erzählte, sah die ganze Klasse zu Luca. Er war sitzen geblieben und erst dieses Jahr in unsere Klasse gekommen. Wenn jemand Mist baute, dann er. Vor ein paar Monaten erst, waren Polizisten in Schussschutzwesten in unsere Schule gekommen und hatten ihn und ein paar seiner Freunde aus seiner ehemaligen Klasse mitgenommen, um sie auf der Polizeistation zu vernehmen. Angeblich hatten sie die Party einer Mitschülerin gesprengt und deren Einrichtung demoliert. Er sah jedoch nur ausdruckslos nach vorne zu unsere Lehrerin, die nun ziemlich besorgt aussah. Etwas, das sie selten tat. Eigentlich bisher noch nie. Ihr Blick wanderte kurz den Gang zwischen den Tischen entlang und blieb ungefähr in der Mitte hängen. Ein paar Reihen entfernt von Luca.
Mrs. Shaw räusperte sich, setzte einmal zum Sprechen an, schloss aber sofort wieder den Mund. Es musste wohl ziemlich schlimm sein, wenn selbst ihr die Worte fehlten. Daher übernahm die Polizistin mit dem blonden Zopf das Reden, »Mia Smith, würdest du bitte deine Sachen nehmen und mit uns mitkommen?«
Geschockt sah ich nach vorne. Wie vermutlich auch der Rest der Klasse, die abwechselnd nach vorne und dann wieder zu mir sahen. Was hatte ich verbrochen, von dem ich nichts wusste? Lydia, meine Sitznachbarin sah mich verwirrt an. Ich war allgemein als das ruhige Mädchen bekannt, dass keiner Fliege etwas zur Leide tat. Als mich jemand an stupste, kam ich wieder zu mir und begann langsam meine Sachen einzupacken. Als ich dann die Blicke der anderen auf mir spürte beeilte ich mich doch etwas meine Sachen schnell im Rucksack zu verstauen. Ich schulterte meinen Rucksack und hing mir meine Jacke über den Arm. Dann ging ich zu unserem Direktor und den Polizisten. Ich folgte ihnen und als ich auf dem Flur war, hörte ich das Murmeln meiner Klassenkameraden, die wahrscheinlich gerade diskutierten, was ich wohl ausgefressen haben könnte. Das würde mich ebenfalls sehr interessierte.
Im Foyer verabschiedete sich der Direktor und ich folgte alleine den beiden Polizisten. »Wir werden jetzt erstmal zur Polizeiwache fahren. Dort erklären wir dir dann alles. Deine Lehrerin wird sobald ihr Unterricht vorbei ist zu uns stoßen«, sagte der Polizist und lief aus dem Schulgebäude hinaus auf ein Polizeiauto zu, das ein paar Meter entfernt geparkt war. Was Mrs. Shaw jetzt mit all dem zu tun hatte, war mir noch nicht ganz klar. Als ich zu Schule sah, konnte ich viele Gesichter hinter den Fensterscheiben erkennen, die neugierig zu uns hinunter sahen. Einige von ihnen hatten Handys in der Hand und filmten das Ganze. Es passierte ja auch sonst nichts Spannendes in diesem Ort. Mit einem schlechten Gefühl im Magen setzte ich mich auf die Rückbank des Autos und wir fuhren los.
Keiner Sprach während der ganzen Fahrt. Hin und wieder warfen mir Beide prüfende Blicke durch den Rückspiegel zu und ich war glücklich, als wir endlich die Polizeiwache erreicht hatten. In meinem Kopf war ich noch einmal die ganzen vergangenen Wochen durchgegangen, aber mir viel kein Grund ein, weshalb ich jetzt vor einer Polizeistation stand.
Ich folgte den beiden ins Innere des Gebäudes. Vor einer Tür, ein paar Gänge weiter, blieben wir stehen und sie schlossen die Tür auf. Es war ein Büro. Sie baten mir den Stuhl vor dem Schreibtisch an. Ich hängte meine Jacke über die Lehne, lehnte meinen Rucksack gegen den Tisch und setzte mich hin. Nervös wippte ich mit meinem Bein auf und ab. Der Polizist nahm Platz, während seine Kollegin einen Wasserkocher einschaltete.
»Also Mia, ist es ok, wenn ich dich so nenne?«, begann er. Ich nickte. »Also, es geht um deine Eltern.« Meine Eltern waren seit ein paar Tagen auf Geschäftsreise und wollten eigentlich morgen wieder da sein. Ich begann nervös auf meiner Unterlippe zu kauen. War ich hier, weil ich nicht alleine zuhause sein durfte? Aber dann hätten sie mich doch nicht unbedingt aus dem Unterricht nehmen müssen.
»Die Besitzer des B & B, in dem deine Eltern übernachten, haben erzählt, dass deine Eltern gestern gegen zehn Uhr morgens losgegangen waren. Sie sollen nach dem Frühstück gleich mit gepackten Rucksäcken aufgebrochen sein. Wohin sie wollten, haben sie nicht gesagt. Jedenfalls sind sie von dem Ausflug nicht mehr zurückgekommen. Die Polizei dort hat schon die ganze Gegend abgesucht und die Anwohner gefragt. Aber keiner hat sie gesehen. Auch der Suchhund fand keine Spur. Wir werden es natürlich noch weiter probieren, aber wenn ich ehrlich bin, denke ich nicht, dass wir sie finden werden«, erklärte er sachlich, während er ab und zu ein paar Unterlagen zu Rate zog, die er mir nun zu mir rüberschob.
Ich schluckte einmal. Das musste ich erst einmal verdauen. Ich zog die Unterlagen zu mir und las sie mir durch. Meine Eltern waren vieles. Fotografen, Autoren, Künstler. Sie reisten ständig. Sie wollten immer zu anderen Orten, um sich Inspiration zu holen. Manchmal wurde es aber mehr zu einer Art Forschungsreise. Sie waren selten so aufgeregt, wie vor dieser Reise. Sie sagten, sie hatten das Gefühl es wieder gefunden zu haben. Was dieses es war, wusste ich nicht. Generell verstand ich nicht immer, was sie meinten. Was ich aber wusste war, dass obwohl sie meistens enttäuscht von ihren Reisen zurückkamen, doch immer tolle Geschichten und Bilder im Gepäck hatten. Ich wollte und konnte nicht glauben, dass sie einfach so verschwunden waren. Sie konnten sich schließlich nicht in Luft aufgelöst haben, oder? Irgendwo mussten sie sein. Ich müsste es doch auch irgendwie wissen, wenn etwas mit ihnen passieren würde. Richtig? Wir hatten immer schon ein besonderes Band. Wir wussten sofort, wenn die anderen in der Nähe waren. Ich hatte immer das Gefühl durch ein unsichtbares Band an sie geknüpft zu sein.
In dem Ordner gab es noch nicht viele Unterlagen. Einige Blätter zu der Reise, zu dem Ort in dem sie sich aufhielten, Bibury, und zu dem B & B. Ich überflog die Blätter erst einmal nur und als ich nichts in meinen Augen relevantes fand, sah ich die Blätter erneut durch und las dieses Mal alles genau. Zwischendurch stellte mir die Polizistin, die sich als Megan White vorstellte, einen Tee vor die Nase. Wieder fand ich nichts. Auch die Untersuchungsberichte der Polizei halfen mir nicht weiter.
»Und jetzt?« fragte ich langsam, während ich meinen Tee trank. »Nun, wir dachten, du könntest uns vielleicht ein bisschen etwas über deine Eltern erzählen. Wir wissen quasi nichts über sie. Sie sind Selbstständig, das heißt es gibt auch keine Kollegen, oder so etwas, die wir fragen könnten. Ihr wohnt ziemlich einsam, umgeben von nichts als Feldern, das heißt Nachbarn können wir auch nicht fragen. Freunde oder andere Verwandte haben wir auch nicht gefunden. Deine Eltern scheinen hier nicht viele Kontakte zu haben.«
Es klopfte an der Tür. Nach einem herein kam Mrs. Shaw in den Raum. Sie begrüßte kurz die beiden Polizisten und setzte sich dann auf den Stuhl neben mich. »Wir haben deine Lehrerin dazu gebeten, weil sie zum einem auch ein wenig deine Eltern kannte und wir zum anderen dich nicht ohne eine Vertrauensperson befragen dürfen.« erklärte Megan. Nun fühlte ich mich ziemlich unwohl. Für mich war Mrs. Shaw nicht gerade eine Vertrauensperson und ehrlich gesagt wollte ich nur ungern vor meiner Lehrerin mit den Polizisten über meine Eltern reden. Geschäftig setzte Mrs. Shaw ihre Brille auf und warf einen Blick auf die Mappe, mit den Unterlagen, vor mir, die ich kurzer Hand zuklappte. »Was wollen sie denn genau wissen?« fragte ich nach und begann unruhig mit meinem Bein zu wippen. »Als erstes vielleicht, wann hattest du das letzte Mal Kontakt mit ihnen aufgenommen, oder sie mit dir?«, fragte sie.
»Das war glaube ich gestern, ungefähr um sieben Uhr morgens. Da haben sie mir einen schönen Schultag gewünscht und gesagt, dass sie in zwei Tagen wieder da sind, also morgen«
»Kannst du uns diese Nachricht zeigen?«
»Klar« Ich holte mein Handy aus dem Rucksack, entsperrte es, öffnete den Chat mit der Nachricht und gab es ihr. Nervös beobachtete ich sie, wie sie den Chat ein wenig durchscrollte und dann noch irgendetwas anderes machte. Dann fiel mir etwas ein. »Orten«, sagte ich. »Kann man ihre Handys nicht orten?«, fragte ich. »Das haben wir schon.« Megan gab mir mein Handy wieder. »Der Aufenthaltsort konnte nur grob festgelegt werden, das war gestern gegen zehn Uhr in Bibury und Umgebung. Genauer konnte man es nicht sagen. Danach konnten wir es nicht wieder finden. Vielleicht haben sie es ausgeschaltet oder sie sind irgendwo, wo es kein Netz gibt. Dann können wir sie nicht Orten.«
»Oder sie haben vergessen es aufzuladen«, murmelte ich. Megan hob eine Augenbraue an. »Nun ja, meine Eltern haben nie viel von moderner Technik gehalten. Das wir überhaupt Handys haben, ist ein Wunder und die haben wir auch nur, um während ihrer Reisen in Kontakt zu bleiben. Sie interessieren sich halt überhaupt nicht für Technik und es kam schon sehr oft vor, dass sie ihr Handy einfach irgendwo vergessen haben oder vergessen haben es aufzuladen«, erklärte ich.
»Ok, hast du vielleicht ein paar aktuelle Fotos von ihnen, damit wir wissen, wen genau wir suchen. Die Fotos, die wir gerade haben, sind doch schon etwas alt.« Ich gab ihr ein paar Fotos. Ich hatte nicht viele Fotos von uns auf meinem Handy.
»Kannst du uns etwas mehr über den Beruf deiner Eltern erzählen? Was sie so machen, vor allem auf diesen Reisen. Was haben sie vor der Reise zu dir gesagt und wie haben sie sich verhalten?« sagte sie.
Ich warf noch einmal einen kurzen Blick auf Mrs. Shaw. Es wäre mir wirklich lieber, wenn sie nicht dabei wäre. »Nun ja, so genau haben sie mir nie erklärt, was sie machen«, begann ich zögernd.
Megan warf einen kurzen Blick auf eine Uhr, »Ähm, wäre es auch in Ordnung, wenn wir euch getrennt befragen, ich denke, so geht es schneller«
»Kein Problem«, sagte ich schnell. Sie schien meine Gedanken gelesen zu haben.
»John, würdest du vielleicht mit Mrs. Shaw ins Nebenzimmer gehen?« Er nickte und die beiden verließen den Raum. Erleichtert atmete ich auf. Megan gab mir ein Zeichen, weiter zu erzählen.
»Sie haben keinen richtigen festen Beruf, sie machen eher immer gerade das, was ihnen passt. Sie sagen auch nie, was genau sie auf den Reisen machen wollen. Sie kommen aber immer mit wunderschönen Fotos und Videos zurück. Sie schreiben immer viel, vor allem, wenn sie zurückkommen. Ziemlich viel Fantasy. Aber ziemlich gut. Ich mag die Welt, die sie in ihren Büchern beschreiben. Ich glaube sie führen auch eine Art Tagebuch darüber, was sie dort gesehen oder erlebt haben.«
»Ein Tagebuch?« wiederholte Megan.
»Äh ja, wie gesagt ich bin mir nicht sicher, aber ich denke schon. Sie haben zuhause auch ein Büro, da darf ich zwar nicht rein, aber manchmal konnte ich einen kurzen Blick in den Raum erhaschen. Viele Bücher und eine Menge Karten. Da sind einige Orte markiert. Ist aber immer abgeschlossen und das Tagebuch haben sie immer bei sich«, sagte ich.
»Das ist interessant« sagte sie und schrieb sich etwas auf. »Also weiter, haben sie irgendetwas besonderes über diese Reise gesagt?«
»Sie waren auf jeden Fall aufgeregter, als sonst. Sie waren sich ziemlich sicher, dass sie dort etwas Tolles finden würden. Was das ist, weiß ich leider auch nicht. Sie haben sich aber sehr auf diese Reise gefreut und waren sich sicher, dass sie ein voller Erfolg wird«, sagte ich.
»Ok, also wir haben bisher ja nichts über mögliche Verwandte herausgefunden. Weißt du etwas über welche? Haben sie mal jemanden erwähnt, sind Namen gefallen, oder weißt du vielleicht wo ihr Grab ist?«, fragte sie weiter.
»Erwähnt haben sie soweit ich weiß nie jemanden. Es war auch nie jemand zu Besuch und wir haben auch nie jemanden besucht. Ehrlich gesagt habe ich auch nie groß über weitere Verwandte nachgedacht. Es gab irgendwie immer nur uns drei.«
Wieder schrieb sie sich etwas auf. »Sagt dir der Name Maria Khan etwas?«, fragte sie.
Ich schüttelte den Kopf. »Nie gehört«
»Wirklich nicht?«, fragte sie nach, »Laut den Papieren ist sie nämlich deine Patin«
»Ich habe eine Patin?« fragte ich überrascht? Eine Patin von der ich noch nie gehört hatte.
»Ja und nein« sagte sie. Jetzt war ich wieder verwirrt. »Also laut den Papieren ist diese Maria Khan deine Patin, aber sie existiert nicht.«
»Wie, sie existiert nicht?«, fragte ich nach. Meine Eltern hatten sich doch nicht einfach irgendeine Person ausgedacht, die meine Patin sein sollte.
»Es gibt keine uns bekannte Person, mit diesem Namen. Auch keine Tote. Was uns auch gleich zu meiner nächsten Frage bringt. Im Oktober Zweitausendzwei, ein halbes Jahr vor deiner Geburt, sind deine Eltern hier her gezogen. Weißt du vielleicht, wo sie früher gelebt haben?«, fragte sie.
Ich dachte kurz nach, »Also ich habe keine Ahnung, wie es dort hieß und sie haben glaube ich auch nicht im gleichen Ort gewohnt. Sie sagten immer, es sei viel wärmer, das Meer ist nah und das Wetter teilweise ziemlich eigensinnig, oder extrem. Sie würden auf jeden Fall gerne wieder dorthin« sagte ich.
Megan machte sich sofort wieder einige Notizen und gab etwas in ihren Computer ein. »Weißt du vielleicht, wo deine Eltern zur Schule gegangen sind?«
»Also nicht auf die gleiche, so viel weiß ich. An den Namen kann ich mich nicht erinnern. Sie waren aber glaube ich auf Internaten«, sagte ich. Ich konnte gerade selbst nicht fassen, wie wenig ich eigentlich über meine Eltern wusste.
»Gut, vielleicht finden wir ein Zeugnis oder Ähnliches, haben sie mal von irgendwelchen Schulfreunden, oder generell von Freunden von früher erzählt?«
»Nein, sie haben nie viel von früher geredet«, sagte ich.
»Haben deine Eltern irgendwelche Hobbys oder besondere Eigenschaften und Talente« fragte sie weiter, während sie uns Tee nachschenkte.
»Sie haben ziemlich viel Kraft, ich glaube, sie haben früher mal irgendeinen Kampfsport gemacht. Hobbys fallen mir jetzt keine wirklich ein. Sie lieben diese Reisen«
So ging das noch ziemlich lang weiter und nach jeder gestellten Frage hatte ich das Gefühl meine Eltern noch weniger zu kennen.
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Ich sah aus dem Fenster hinüber zum Wald. Es war nicht mein Bett, auf dem ich saß und es war auch nicht der Ausblick, den ich hatte, wenn ich aus meinem Fenster sah. Nachdem sie alle Fragen, die man mir über meine Eltern nur so stellen konnte, gestellt hatte, sind wir zu unserem kleinen Haus gefahren, wo wir versucht hatten irgendetwas über meine Eltern herauszufinden. Natürlich fanden wir nichts und alle interessanten Räume, wie ihr Schlafzimmer oder das Büro, waren abgesperrt und einen Schlüssel hatten wir nirgends gefunden. Auch mit einem Dietrich kam man nicht weiter und unsere Türen schienen ziemlich robust zu sein, so dass man sie nicht eintreten konnte. In den nächsten Tagen wollten sie es noch mit anderen Methoden probieren. Da man mich nicht allein zuhause lassen konnte, hat eine Frau vom Jugendamt mich hier, am anderen Ende der Stadt in einem kleinen Heim, abgeliefert. Würde man meine Eltern nicht finden, würde ich vermutlich die nächsten drei Jahre hier verbringen. Sie waren alle ziemlich nett gewesen, aber über einen längeren Zeitraum würde ich hier nur ungern bleiben müssen.
Ich warf einen kurzen Blick auf mein Handy, es war achtzehn nach neun, keine neue Nachricht. Seufzend ließ ich mein Handy wieder sinken. Ich hatte meinen Eltern gefühlt tausend Nachrichten geschrieben und sie unendlich oft angerufen, aber nichts. Es ging immer sofort die Mailbox dran und die Nachrichten waren auf ihrem Handy noch nicht einmal angekommen.
Ich sah wieder aus dem Fenster zum Wald und stand kurzentschlossen auf. Die anderen in meinem Zimmer schliefen schon. Schnell steckte ich ein paar meiner wichtigsten Sachen in die Taschen meines Pullovers und schlich dann hinaus. Die Türangeln quietschten und das alte Holz knarrte, aber niemand kam, um mich davon abzuhalten raus zu gehen. Im Erdgeschoss stieg ich durch ein Fenster nach draußen ins Freie. Kurz blieb ich stehen und atmete tief die frische kalte Luft ein und sah nach oben in den Nachthimmel. Die Wolken verdeckten leider die meiste Sicht. Ich rieb mir kurz die Hände und setzte dann meinen Weg in Richtung Wald fort. Als ich über die Schulter blickte lag das alte Haus ruhig da. Nichts tat sich. Sie würden mein Verschwinden noch nicht mal bemerken.
Ich setzte meinen Weg zum Wald fort und begann irgendwann zu rennen, vielleicht sah ja doch gerade jemand aus einem der Fenster.
Im Schatten der Bäume blieb ich nochmal kurz stehen und sah mich um. Ein paar Meter links von mir raschelte etwas und brachte mich dazu, wieder weiter zu rennen. Ich wusste nicht wohin ich rannte, einfach weiter, einem Gefühl nach. Bäume und Sträucher streiften mich, manche hinterließen auch ihre Spuren, aber ich rannte immer weiter. Einfach weiter. Einmal fiel ich über eine Wurzel, aber ich lief immer weiter, bis ich ankam. Am Rand einer Lichtung blieb ich stehen. Das Mondlicht fiel durch einen Riss in der Wolkendecke genau auf diese Lichtung. Das Gras war gespickt mit leuchteten Punkten, die wie Sterne am Nachthimmel aussahen. Ich ging ein Stück auf die Lichtung und erkannte, dass es kleine Blumen waren. Eine Art von Blumen, die ich noch nie gesehen hatte und ich war mir sicher, dass auch sonst noch nie jemand diese gesehen hatte. Die ganze Lichtung sah so unberührt aus und gab mir das Gefühl zuhause zu sein. Ich lief weiter auf die Lichtung. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und schloss meine Augen. Stille. Kein Geräusch war zu hören. Ein Spruch fiel mir ein. In der vollkommenen Stille, hört man die ganze Welt. Eine leise Melodie, wie von einer anderen Welt kam auf. Sie kam von überall und noch nie hatte ich etwas so schönes gehört. Langsam öffnete ich wieder meine Augen. Die Melodie verblasste, nur unterbewusst hatte ich das Gefühl sie noch Spüren zu können.
Meine Eltern, wie ein Gedankenblitz kamen sie mir ins Gedächtnis und zum ersten Mal heute fragte ich mich, was wäre, wenn sie nie wieder kämen? Wenn ihnen abseits aller Wege und Pfade etwas passiert war? Langsam sank ich auf den Boden, in das tiefe Gras. Es war doch ein ganzes Stück gewesen, das ich beinahe gesprintet bin und ich war nicht gerade die sportlichste Person. Der ganze Stress mit der Polizei und dem Halbumzug ins Heim, ich war einfach nur erschöpft.
Ich spürte es, bevor ich es sah. Ein weißes schemenhaftes Wesen, am anderen Ende der Lichtung. Ein Gefühl von Ruhe und Gelassenheit breitete sich in mir aus und ich legte mich auf das Gras. Mit jedem Schritt, dass es auf mich zukam, wurde ich müder. Als es näher kam, erkannte ich, dass es ein strahlend weißes Pferd war. Wirklich strahlend, es schien nahezu zu leuchten. Es sah majestätisch aus und war das mit Abstand schönste Pferd, das ich je gesehen hatte. Elegant schritt es weiter auf mich zu und mir fielen die Augen zu. Doch ich hätte schwören können noch ein wunderschönes, geschwungenes Horn auf der Stirn des Pferdes gesehen zu haben.
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Lange ist es her, das ich hier etwas hochgeladen habe. Wie gesagt, einige Dinge habe ich geändert, manche davon sind wichtiger, manche eher weniger wichtig. Ich habe vor die neuen Kapitel hier regelmäßig hochzuladen. Wann hättet ihr denn gerne neue Kapitel?
Das neue Cover ist übrigens von
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