Four
~ 'Dive' - Ed Sheeran ~
JOHN
"Mr Edwards! Ich muss doch sehr bitten!" Mrs Martens Stimme hatte einen unguten Tonfall eingeschlagen, sodass ich nun doch mein Handy in meiner Hosentasche verschwinden ließ und meine Aufmerksamkeit nach vorn richtete.
Mrs Martens, meine Englischlehrerin, hatte mich schon länger auf dem Kieker, dabei war ich bestimmt weit aus weniger schlimm als Jason neben mir.
Sie war gerade erst ins Zimmer marschiert gekommen, wie eine herbstliche Windböe.
"Wenn Sie nicht ganz arg blind sind haben Sie sicher schon mitbekommen, dass wir eine neue Schülerin haben."
Ah, jetzt wurde spannend. Ich würde endlich erfahren, wer die Tigerin wirklich war. Ich wusste zwar, dass sie vorhin schon mal ihren Namen gesagt hatte, doch da hatte ich gerade mit Jason über Football gequatscht, wie man es halt so macht in Mr Cookes Unterricht. Deshalb kam es, dass ich ihren Namen nicht verstanden hatte.
Doch ich wusste, bei Mrs Martens würde sie sich jetzt vorstellen müssen.
"Ich würde Sie bitten, kurz nach vorn zu kommen und etwas über Ihre Persönlichkeit, Hobbys und so weiter zu sagen, Ms Edwards."
Ms Edwards? Ms Edwards?! Die Tigerin hieß genau wie ich? Was für ein Zufall. Oder war es wirklich Zufall? Konnte es sein, dass zwei Menschen in einer Klasse den gleichen Nachnamen hatten?
Wahrscheinlich...Edwards war ein häufiger Name. Bestimmt hatte es keine Bedeutung.
LOUISE
Ich hatte noch keinen Plan, was ich sagen sollte, als ich mich auf den Weg zur Tafel machte.
Etwas über mich selbst...
"Jaa also ich bin Louise Edwards..."
Als ich meinen Namen aussprach, verstärkte sich das Getuschel, das herrschte seit mich Mrs Martens mit 'Ms Edwards' angesprochen hatte.
Wahrscheinlich weil John auch Edwards hieß, wie ich gerade durch Mrs Martens Ermahnung mitbekommen hatte. Doch ich hatte nicht weiter darüber nachgedacht, denn Edwards war in den USA nicht gerade ungewöhnlich, sodass es bestimmt bloß Zufall war.
Okay, ich sollte weiter reden.
"Öh ja, ich bin 17, habe bis vor zwei Wochen noch in Atlanta gewohnt...ich habe eine Katze...hm...noch was, Mrs Martens?"
"Was sind denn Ihre Hobbys?"
Och alter, konnte diese Frau mich nicht in Ruhe lassen?!
Nachdem ich ihr noch irgendwas vorgelabert hatte, von wegen ich würde gerne tanzen und liebte Musik und Sport, vorallem Fußball (Hey, Fußball mochte ich wirklich!), und, dass ich gerne skatete, was alles so halbwegs zutraf, konnte ich mich endlich wieder setzen. Muss denn jeder normale Mensch irgendein besonders kreatives Hobby haben und in 50 Vereinen der Stadt sein?
***
Der restliche Schultag verging relativ ereignislos. Ich hatte nur noch drei Stunden. Eine davon war noch eine Stunde Englisch bei Mrs Martens, dann hatten Sunny und ich noch Bio zusammen und schließlich trennten sich unsere Wege. Während sie zum Gesangskurs verschwand, hatte ich Creative Writing gewählt.
Nachdem ich noch meine Bücher im Spind verstaut hatte, lief ich mit meinem Skateboard in der Hand zur Tür, die nach draußen auf die weitläufige Eingangstreppe führte.
Das erste was ich spürte, als ich nach draußen trat war Nässe, und das erste was ich sah war grau.
Es goss wie aus Kübeln.
"Wollt ihr mich jetzt eigentlich verarschen?", murmelte ich wütend vor mich hin. Ich hatte nur eine dünne Jeansjacke und auch kein warmes Auto.
I
ch war zwar schon 17, und hätte somit auch schon einen Führerschein machen können, doch erstens bräuchte ich dann auch erstmal noch ein Auto, und zweitens war meine Mom dagegen, dass ich schon mit 16 den Führerschein machte. So musste ich noch warten, bis ich 18 war. Eigentlich war das auch nicht so schlimm, wenn man mit dem Board nur zehn Minuten von der Schule wegwohnte, nur wenn man keinen Wetterbericht lesen konnte, dann schon.
"Wer will dich verarschen?" Sunny war neben mir aufgetaucht.
"Die da oben." Ich deutete gen Himmel.
"Hey...ich muss auch bloß laufen, also...geteiltes Leid ist halbes Leid!"
"Wie kann man nur so motiviert sein?", fragte ich niemand bestimmten, während Sunny neben mir in den Regen hinausspazierte.
Seufzend und mit hochgezogenen Schultern folgte ich ihr.
"Wehe du hast morgen eine neue beste Freundin!", drohte Sunny mir, als wir uns verabschiedeten.
"Ich habe schon eine?", scherzte ich daraufhin. Ach ja, meine beste Freundin die Ironie.
"Du bist blöd!", rief sie aus und boxte mir gegen die Schulter, "Wenn du nicht aufpasst musst du dir bald ne neue Freundin suchen."
Okay, Louise an Dusche zu Hause, Louise an Dusche zu Hause, mach schon mal das Wasser warm, sandte ich schon mal einen Befehl über mein unsichtbares Funkgerät nach Hause.
Als ich schon etwa ein Viertel des Weges hinter mich gebracht hatte und mittlerweile schon total durchnässt war, hörte ich, wie ein Auto neben mir zum Stehen kam. Es war ein alter, roter Toyota, gefahren von niemand anderem als John. Er kurbelte das Fenster runter (Ja, hier konnte man wirklich noch von kurbeln sprechen).
"Brauchst du ne Mitfahrgelegenheit, Tiger?"
"Ich kann drauf verzichten."
"Du weißt schon, dass du zitterst als gäbe es kein morgen?"
Ich versuchte meine klappernden Zähne unter Kontrolle zu bringen, mit dem Erfolg gleich Null.
Schließlich verdrängte ich meinen blöden Stolz und lief zur Beifahrertür. Als ich sie öffnen wollte klemmte sie kurz.
"Schlag mal kräftig dagegen!", wies John mich an, was ich auch sogleich tat und die Tür sprang auf.
Auch wenn das Auto ziemlich alt war und wie man merkte auch ein paar Macken hatte - es war warm.
"Du bist also auch eine Edwards, Tiger?", fragte John, sobald ich Platz genommen habe. Immer noch ging mir dieses 'Tiger' auf den Nerv.
"Da du ja jetzt meinen Namen kennst kannst du auch aufhören, mich 'Tiger' zu nennen", erwiderte ich nur trocken.
"Nö. Es fängt gerade an mir Spaß zu machen." Ich konnte ein Seufzen nicht unterdrücken, bevor ich antwortete: "Wenn ich ein Tiger bin, dann bist du ein...", ich schaute ihn mir von der Seite an, "Pinguin!"
Stolz auf diesen Einfall wartete ich gespannt, was John darauf erwidern würde. Er wollte wohl auch antworten, konnte sich jedoch nicht mehr halten vor Lachen und prustete dröhnend los. Auch wenn mein ach so lieber Stolz es eigentlich nicht zu lassen wollte, konnte ich nicht anders und brach ebenfalls in Gelächter aus. Es war echt erstaunlich, wie oft ich heute schon meinen Stolz besiegt hatte. Da konnte ich doch gleich stolz auf mich sein!
Ich wusste nicht, woran es lag, vielleicht weil John mir auf bislang ungeklärte Weise so vertraut vorkam, aber ich merkte, wie wohl ich mich in seiner Gegenwart fühlte. Es war schön, mit ihm zu lachen; ich spürte dabei so etwas wie Geborgenheit, zumindest wenn ich meine Gefühle richtig deutete, worauf kein Verlass war. Es war echt krass, aber mir kam es vor, als würde ich ihn schon Jahre kennen.
Ich wurde plötzlich etwas unsanft aus meinen Gedanken geworfen, weil John schnell das Lenkrad rumriss. Durch unser Lachen hatten wir wohl nicht gemerkt, dass wir zu weit auf die linke Fahrspur gekommen waren.
"Pass auf, verdammt! Ich hatte nicht vor, diesen Tag im Straßengraben zu beenden", rief ich ganz schön sauer.
"Sorry. Aber du hast mich mit deinem Pinguin ziemlich aus dem Konzept gebracht", verteidigte sich John.
"Das war die Wahrheit, Pinguin. Übrigens musst du jetzt hier rechts rein." Wir waren schon fast bei mir zu Hause. Ich hatte das Gefühl, das Eis zwischen uns war ein wenig gebrochen, aber wie gesagt, meinen Gefühlen konnte man nicht trauen. Ich konnte einfach nicht anders, als Spaß daran zu haben, ihn zu ärgern und mit ihm zu lachen.
"Stopp. Wir sind da."
"Ich bin übrigens John", sagte er überflüssigerweise und stellte den Motor ab.
"Ich weiß, aber trotzdem bist du bei mir Pinguin", grinste ich verschmitzt. Er runzelte kurz überlegend die Stirn, sagte dann aber: "Ah, Sunny."
Ich nickte nur.
"Danke fürs Heimfahren, kleiner Pinguin."
Als ich die Tür öffnen wollte spürte ich plötzlich seine Hand an meinem Ellenbogen.
"Sag mal Tiger, kennen wir uns irgendwoher? Das frage ich mich nämlich schon die ganze Zeit."
Ich stoppte mitten in der Bewegung. Ich hatte gedacht, ich bildete mir das nur ein.
"Du hast auch das Gefühl? Mir kommt es genauso vor. Tja, vielleicht sind wir uns ja wirklich schon mal kurz über den Weg gelaufen." Ich sprang aus dem Auto in den kalten Regen. Es hatte ein wenig nachgelassen, sah aber noch nicht so aus, als würde es in den nächsten fünf Stunden wieder aufhören. Allgemein sah es sowieso eher nach November aus, obwohl es mir heute früh noch wie Juli vorgekommen war und wir eigentlich September hatten.
"Tschau!", rief ich noch, bevor ich die Autotür zuschlug und zum Haus sprintete. Schnell versuchte ich meinen Schlüssel aus der Tasche zu fummeln, um nicht noch einmal komplett nass zu werden. Natürlich fand ich ihn zu meinem Glück nicht sofort, sodass genau das geschah. Endlich konnte ich die Tür hinter mir zuschlagen und stand im Trockenen.
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