Kapitel 2
Stalkeralarm
Emilia
Dieser verdammte Tag kann nicht noch schlimmer werden! Obwohl, wenn ich so recht überlege... Doch er kann!
Ich gab Kyle einen bösen Blick und rannte barfuß, meine Schuhe in der Hand, ins Innere und dann in mein Zimmer. Anscheinend hatte mich das Arschloch verfolgt, denn keine Minute später hämmerte der Idiot an meine Tür. Dabei brüllte er immer wieder, dass ich die verdammte Tür aufmachen soll. Genervt verdrehte ich die Augen und dachte kurz darüber nach, was wohl passieren wird, wenn er mein Zimmer betritt. Mein Hirn war dabei ziemlich kreativ, muss ich sagen.
Meine Ideen: mich mobben, mich wie ein Pedo anstarren, mich mit Komplimenten überschütten um mich ins Bett zu kriegen, und was weiß ich.
Desto länger ich überlegte, desto kurioser wurden meine Vorstellungen. Der letzte Gedanke war, dass Kyle, sobald er mein Zimmer betritt, mich umbringt. Dumm, ich weiß. Manchmal spinnt mein Hirn ein wenig, oder ich schau einfach zu viele Horrorfilme. Daran wird's wohl liegen, dachte ich.
„Mensch, Emilia! Mach diese verfickte Tür sofort auf!", schrie Kyle durch meine Tür.
„Lass mich in Ruhe, Arschloch!", brüllte ich.
Ein Seufzen drang zu mir hervor.
„Du sitzt nicht gerade in deinem Zimmer und schlitzt dir die Arme auf, oder?", fragte er.
„Seh' ich so aus? Ich bin doch nicht blöd!"
„Dann mach bitte deine Tür auf.", versuchte er mich mit ruhigem Ton zu überreden.
„Und was machst du dann? Mich mobben? Wie vor 4 Jahren?"
„Nein, glaub mir, ich werde nichts machen. Bitte mach einfach die Tür auf."
Also rollte ich mich von meinem Bett. Leider hatte ich nicht nachgedacht, dass ich am Rand lag und landete mit einem lauten Rums auf dem Boden.
„Was machst du da drin?", fragte Kyle verwirrt.
Ich antwortete nicht, sondern ging mit schmerzendem Rücken zur Tür. Ich drehte den Schlüssel im Schloss und Kyle kam rein.
„Was willst du? Mal davon gehört, dass ich alleine sein will?"
Meine Fragen ignorierend fragte er mich erneut, was ich gerade veranstaltet habe.
„Ich bin aus dem Bett gefallen. Zufrieden?", schnauzte ich.
Man sah ihm an, dass er sich ein Grinsen verkniff, setzte aber eine neutrale Miene auf.
„Und was willst du jetzt?", wiederholte ich mich.
„Ich hab dich eben fast nicht erkannt. Was hast du in den 4 Jahren gemacht?"
„Als ob es dich interessieren würde.", lachte ich bitter, „Wahrscheinlich rennst du gleich zu deinen Fußball Kumpels und berichtest den hiervon. Nein, danke, ich verzichte. Und tu mir den Gefallen und verschwinde aus meinem Zimmer."
„Nein, werde ich nicht. Ich werde weder meinen Leuten davon erzählen, noch aus deinem Zimmer verschwinden."
„Du wirst trotzdem nichts aus mir heraus bekommen."
Ich wandte mich von ihm ab und ging zu meinem Kleiderschrank. Das Bücherregal, das den Schrank von meinem Zimmer abschottet, schob sich zur Seite und ich ging rein. Der Schrank schob sich wieder davor und bildete eine Barriere zwischen mir und dem Stürmer.
Ich holte eine enge schwarze Hose raus, ebenso einen Sport-BH, ein an den Seiten tief ausgeschnittenes Top und ein paar Sneaker. Ich öffnete die Badezimmertür und zog mich um. Als ich aus meinem Schrank kam, saß dieses Arschloch auf meinem Bett.
„Warum hast du dich umgezogen?"
„Weil ich mich jetzt etwas abreagieren werde, also verschwinde!"
Kyle murmelte irgendwas, das ich nicht verstand. Also ging ich einfach raus und lief fast bis zum Ende des Korridors. Dort machte ich die Tür meines Lieblingsraumes auf. Mein Trainingsraum. Auf einer Seite sind alle möglichen Sportgeräte und auf der anderen eine Spiegelfront mit an den Seiten Ballettstangen. Ich weiß nicht, warum ich eine Tanzseite gemacht habe. Ich glaube, das war, weil ich mir mal das Tanzen beibringen wollte. Das ging schief und seitdem war die Seite unbenutzt.
Schritte hinter mir verrieten, dass Kyle mir folgte. Es interessierte mich nicht weiter. Ich machte mir Bandagen um die Hände und boxte und trat auf den Boxsack ein. Immer mehr Wut wurde an ihm ausgelassen und ich merkte langsam, wie ich mich besser fühlte. Ich beendete meine Einheit auf den Sack und drehte mich zum Tanzteil um. Ich sah, dass Kyle auf dem Boden unterhalb der Ballettstangen saß und mich beobachtete.
„Ich werd' dich anscheinend nicht mehr los.", stellte ich schnaufend fest.
„Nope.", bestätigte er, „Aber zu deinem Eindreschen auf den Boxsack ist mir einiges aufgefallen."
„Und das wäre?", ich zog die Augenbrauen hoch.
„Du hälst nicht genügend Spannung."
„Toll. Interessiert mich nicht."
„Sollte es aber. In einem Kampf wärst du zwar technisch gesehen überlegen, aber ohne Spannung bist du leicht auszuschalten."
„Das sagt der Experte.", spottete ich.
„Naja, ich kämpfe hin und wieder auf Turnieren. Ich weiß, wovon ich rede."
Abwartend schaute ich ihn an. Er stand auf und kam auf mich zu.
„Ich würde es dir gerne zeigen, aber im Anzug mach ich es ungern."
Ich schaute ihn mir von oben bis unten an.
„Du hast einen ähnlichen Körperbau wie mein Bruder. Ich hol dir was von ihm."
Mit diesen Worten drehte ich um und joggte zum Zimmer meines Bruders, machte dort den Schrank auf und holte eine Jogginghose und ein Shirt heraus. Mit den Sachen in der Hand joggte ich den Weg zurück. Im Trainingsraum wartete Kyle. Ich schmiss ihm die Sachen ins Gesicht und begann mit einem kurzen ‚Zieh dich in einem Schlafzimmer um, aber bloß nicht in meinem!' wieder auf den Sack einzuhauen. Kyle ging aus dem Zimmer und zog sich um. Ca. 5 Minuten später kam er wieder und stellte sich hinter mich. Er packte mich um die Taille.
„Halt vor allem da mehr Spannung.", befahl er.
Ich tat es einfach und boxte weiter. Nach schätzungsweise 30 Minuten meinte er, ich sollte lieber duschen gehen, denn in nicht einmal einer halben Stunde würde One Direction kommen. Woher er das weiß, ist mir unbekannt, aber gerade hatte ich andere Sorgen. In maximal 20 Minuten musste ich fertig sein. Wie soll ich das denn hinbekommen?
Ich rannte in mein Zimmer, riss mir förmlich die Klamotten von Leib und hüpfte unter die Dusche. Shampoo in die Haare geschmiert, ausgewaschen und den gleichen Prozess erneut mit meinem Körper. Dann raus aus der Dusche und anziehen. Ich kam dann auf die schlaue Idee, mir die Haare zu föhnen, während ich mich schminke. Dumme Idee.
„Ach, das ist doch Scheiße!", schrie ich.
Plötzlich ging die Badezimmertür auf und Kyle kam rein. Ich sag nur: STALKER!!!
„Warum hast du geschrien?", fragte er.
„Haare föhnen und Schminken ist keine gute Kombi. Ist mir gerade aufgefallen. Und in nicht mal 10 Minuten muss ich fertig sein."
„Also wenn du willst, kann ich dir die Haare föhnen.", ich zog die Augenbrauen hoch, „Nee, im Ernst, ich kenn das zu gut von meiner Schwester."
„Na schön. Aber glaub nicht, dass das noch mal passiert. Und pass auf! Meine Haare sind empfindlich."
„Aye, Chef!", salutierte er.
Ich verdrehte die Augen und legte mir wieder Make-up auf plus Smokey Eyes, nur dieses Mal mit silbernen Lidschatten. Dieses Mal konnte ich es ohne Tutorial. Lag vielleicht daran, dass ich ein Fotographisches Gedächtnis habe. Seit ca. meinem 4. Lebensjahr weiß ich alles, was passiert war, was ich gesehen, gehört und gefühlt habe.
Ich wurde gerade fertig, als Kyle meine Haare trocken geföhnt hatte. Das Glätteisen war auch heiß, also glättete ich in Lichtgeschwindigkeit meine Haare und machte wieder leichte Locken rein.
„Du hast es doch hinbekommen. Wo ist denn das Problem?", grinste Kyle.
Ich schnitt eine hässliche Grimasse: „Ich hasse dich."
„Das trifft mich aber sehr.", gespielt traurig legte er eine Hand auf sein Herz, „Du hast noch genau 2 Minuten, um draußen zu sein."
Ich nickte, hüpfte dieses Mal in schwarze Keilabsatz Schuhe mit Bändern um mein Fußgelenk. Auf den Dingern konnte ich auch nicht laufen, aber wesentlich besser als auf High-Heels. Ich trampelte die Treppe hinunter, Kyle folgte mir auf Schritt und Tritt.
„Boah! Kannst du nicht wieder zu deinen Freuden? Langsam bekomm ich das Gefühl, dass du ein Stalker bist."
„Ich bin kein Stalker. Und wenn du mich suchst. Du weißt, wo du mich findest."
Ich ignorierte ihn und ging raus, um die Band zu begrüßen. Auf die Minute genau kamen sie und ich führte sie in den Festsaal. Alle Gäste staunten nicht schlecht, als sie One Direction sahen. Einige der jüngeren Mädchen kreischten und/ oder fielen in Ohnmacht. Die Band ging auf die Bühne, ebenso wie ich. Ich nahm das Mikro und ratterte irgendwas runter. Von wegen, es freut mich, dass Jess geheiratet hat und so weiter und sofort und dass jetzt One Direction den ganzen Abend hier sein wird und singt.
Jess eröffnete dann das Buffet, nicht bevor sie mich abknutschte und sagte, wie sehr sie mich lieben würde, dass ich One Direction organisiert habe.
Dann ging ich zum Buffet und klatschte mir alles Mögliche auf den Teller. Salat, dann Schnitzel, Kartoffeln, Zigeunersoße über das Schnitzel, und dann noch ein paar Stücke Brot mit Lachs und Kräuterbutter.
„Wow. Du hast echt viel.", sagte der Stalker.
Ich zuckte mit den Schultern: „Ich hatte heute Morgen nur ein Brötchen, außerdem hab ich trainiert, da bekomm ich halt Hunger.", rechtfertigte ich mich.
Ich ging an ihm vorbei, nahm mir noch ein Glas Cola und setzte mich weit abseits von allen an einen Tisch und aß.
Natürlich wollte Gott mir meinen Tag noch beschissener machen als sowieso schon, denn Kyle und der Rest des Fußballteams setzten sich zu mir. Während ich das Essen in mich hineinschaufelte, hörte ich den Gesprächen der Jungs zu. Sie fragten sich, wer ich sei und warum sich Kyle an den Tisch hier gesetzt hat. Kyle sagte, wer ich bin und das Team lachte und machte Witze über mich. Mir wurde es zu blöd und ich stand auf. Ich stellte den Teller weg, schlängelte mich durch die Masse und lief in den Garten, zu meinem alten Baumhaus. Nur noch die enge Leiter hoch und ich war in meinem kleinen Reich. Ich war lange nicht mehr hier drin. Es muss fast 4 Jahre her sein. Ja, als ich angefangen hab, Sport zu machen, hab ich das Baumhaus nicht mehr betreten.
Alles war wie noch vor 4 Jahren. Die Kommoden mit den Spielsachen, der alte, verdreckte Teppich und die vielen Barbiepuppen. Mit Taschentüchern, die auf einer der Schränkchen standen, entfernte ich die Spinnenweben. Dann setzte ich mich auf einen der 4 Kinderstühle und schaute aus dem Fenster. Ich hörte ein lautes Krachen mit anschließendem Fluchen. Ich musste grinsen. Das war definitiv Kyle, der die Leiter nicht hoch kam. Das lag daran, dass die Bretter mit der breiten Seite in den Baum gehauen wurden, was wiederum bedeutete, dass man aufpassen musste, richtig auf den winzigen Stücken zu stehen, denn sonst landet man wie Kyle unten.
„Emilia! Ich weiß, dass du da oben bist! Komm bitte runter!", rief der Besagte leise.
Ich stöhnte leise auf: „Wenn du was von mir willst, kannst du zu mir hoch kommen. Ich komm garantiert nicht runter!", rief ich zurück.
„Die Jungs haben es nicht so gemeint! Komm bitte runter!"
„Wieso sollte ich? Damit ich mir wieder die Gleiche Leier anhören kann? Garantiert nicht! Ich bin nicht mehr diese kleine, dicke Emilia, die heulend wegläuft."
„Das seh' ich doch. Du hast dich verändert und zwar zum Positiven. Ich werd' den Jungs sagen, dass sie aufhören sollen, ok? Kommst du dann bitte runter?"
„Nenn mir einen Grund, wieso ich das tun sollte. Wieso du plötzlich so nett zu mir bist. Vor nicht ganz 4 Jahren war ich auf deiner Abschussliste ganz oben. Du hast mich als Walross bezeichnet und mir gesagt, dass ich mich erhängen sollte, ich wäre ja eine Gefahr für die Menschheit! Und da warst du 13 und ich gerade mal 11! Deswegen musste ich monatelang zum Psychiater, nur um mir nicht wirklich das Leben zu nehmen!"
„Ja, ich weiß das noch zu gut. Eine Lehrerin hatte das da mitbekommen und es meinen Eltern erzählt. Ich hab extrem Ärger bekommen."
„Hat dich aber nicht aufgehalten, mich weiter zu hänseln."
„Ja, ich weiß, aber ich hab mich geändert. Ehrlich. Ich hab eingesehen, dass das scheiße war. Bitte verzeih mir."
„Deine Erkenntnis kommt aber reichlich spät."
Ich schaute durch die Luke nach unten. Kyle hatte beschämt den Kopf gesenkt. Ich wollte gerade runterklettern, als ich das Fußballteam hörte.
„Ey, Kyle! Was machst du da?", brüllte einer.
„Du redest mit der Oferrolle, oder?", rief ein anderer.
„Nennt sie nicht so!", widersprach Kyle, „Habt ihr nicht gesehen, wie gut sie aussieht?"
„Die Alte hat dir den Kopf verdreht!", lachte ein dritter.
„Aber hallo!", stimmte ein Vierter zu.
„Nein, hat sie nicht. Ich hab nur mal eingesehen, wie behindert die Scheiße war, die wir abgezogen haben.", sagte Kyle.
„Als ob!", widersprach der Dritte.
„Nein, es ist so. Wir haben da scheiße gemacht. Seht es doch ein!", schnauzte Kyle.
„Menschen ändern sich nicht! Einmal Opfer, immer Opfer. Das hast du zu uns gesagt, nachdem das Walross weggelaufen ist. Deine Worte. Sieh du es doch ein!", konterte der Zweite.
Ich merkte, wie mir die Tränen kamen. Ich hab echt gedacht, dass sich Kyle in den 4 Jahren verändert hat, aber anscheinend ja nicht. Schnell zog ich meine Schuhe aus, kletterte die Leiter runter, ignorierte die Blicke der Jungs und rannte einfach weg. Wie immer. Nichts hat sich geändert! Aber auch gar nichts!
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