Epilog
Wenn die Vergangenheit einen einholt und überrollt
Emilia
Oh scheiße!, dachte ich mir.
Mama und Papa kamen auf mich zu. Beide hatten diesen Gesichtsausdruck, der mir eine höllische Angst einjagte. Sie kamen näher, immer näher. Desto näher sie kamen, desto irrer wurden die Gesichtsausdrücke meiner Eltern. Ich wusste ganz genau, was jetzt kommt und genau das machte mir Angst. Das Verprügeln von meinen Eltern war für mich fast wie Alltag geworden. Aber das hatte erst mit meinem 8. Lebensjahr angefangen. Das Kindermädchen hatte sich bis dato durchweg um mich gekümmert, also war ich dort bis auf weiteres verschont geblieben. Doch kurz nachdem haben meine Eltern damit angefangen und ich hatte nicht die geringste Chance irgendetwas dagegen zu tun.
Als ich immer wieder bei Granny war, blieb ich größtenteils verschont. Meine Eltern haben mitbekommen, dass ich oft bei Granny war und haben mir dann nur an Stellen Wunden hinzugefügt, die Granny nicht sehen würde.
Doch sobald sie auf ihrer Weltreise war, begann es von neuem. Ich tauchte immer mit blauen Armen in der Schule auf. Teilweise wies meine Wange oder mein Auge einen Bluterguss auf. Und keiner interessierte sich dafür. Ich war alleine. Keiner wollte es sehen, keiner will es sehen und keiner wird es sehen. So war es und so wird es auch immer bleiben.
Mama und Papa haben Felix und mich erreicht.
„Steh auf.", befahl mein Vater.
„Nein.", ich versuchte stark zu klingen, jedoch versagte ich komplett.
„Du stehst jetzt sofort auf! Ich sag es nicht noch einmal!", drohte mein Vater laut.
„Sonst was?", mein zweiter Versuch klappte um einiges besser.
„Werd' jetzt nicht auch noch frech!"
Selbst in der Dunkelheit konnte man erkennen, wie sich das Gesicht meines Vaters dunkel rot färbte. Allmählich verlor er die Geduld.
Wenn ich Papa jetzt noch weiter provoziere, werden meine Verletzungen nicht nur auf ein paar blaue Flecke hinauslaufen. Sicher werden ein paar Knochenbrüche dabei sein., dachte ich mir und ich sollte damit Recht behalten.
„Doch! Ich kann so frech werden, wie ich will! Du kannst mir nichts, nicht mehr.", schrie ich.
„Ach und wer soll dich verteidigen?", grunzte mein Vater.
„Ich!", Felix stand auf und stellte sich schützend vor mich.
„Nein, Felix! Du weißt nicht, worauf du dich einlässt."
„Doch. Ich weiß ganz genau, was ich mache.", widersprach Felix.
Mein Vater näherte sich Felix. Er holte zum Schlag aus, doch bevor er Felix verletzte, stand ich auf, stellte mich vor ihn und kassierte somit die Backpfeife.
Mein Gesicht flog zur Seite und meine linke Wange begann zu schmerzen. Früher hatte ich dann immer geweint, doch heute behielt ich die Fassung und biss mir in die Wange, um nicht zu weinen. Zudem hatte ich beim Kampfsport gelernt, sich zu beherrschen und nicht gleich zu weinen oder gar auszurasten.
Gerade interessierten mich diese Dinge doch herzlich wenig. Schon immer wollte ich mich dafür rächen, was meine Eltern mir jahrelang angetan haben und hier und jetzt ist die perfekte Möglichkeit.
Die Wut in mir begann zu brodeln. Immer höher stieg sie und ich wurde wütender, viel wütender. Ich wollte irgendjemandem eine reinhauen und genau jetzt schaute ich in die hässliche Fratze meines Vaters.
Wutentbrannt ballte ich meine Hand zu einer Faust und holte aus.
„Du willst doch nicht deinen Vater schlagen?", kreischte meine Mutter hysterisch.
„Diese Göre traut sich das sowieso nicht. Hat sie uns bis jetzt schon einmal geschlagen? Nein. Und das wird sie auch nie. Sie hat keinen Mumm.", spottete mein Vater.
„Ich habe sehr wohl Mumm.", mit diesen Worten sauste meine Hand nach vorne und traf das Gesicht meines Vaters.
Da ich seine Nase getroffen hatte, blutete sie und mein Vater hielt seine Hand darunter. Anscheinend hatte mein Vater nicht damit gerechnet, dass ich ihn schlage. Er war davon ausgegangen, dass ich noch immer dieses Mauerblümchen bin, das keiner Fliege was zu Leide tut. Doch diese Zeiten haben sich geändert. Zwar will ich mich nicht mit jedem prügeln, doch wenn ich mich mit jemandem prügeln sollte, würde ich nicht nur einstecken, sondern sicher auch welche austeilen.
„Das hast du nicht getan!", brüllte mein Vater fuchsteufelswild.
Selbst in der Dunkelheit sichtbar, färbte sich sein Gesicht erneut tief rot.
Papas Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig und ich bekam es mit der Angst zu tun. Diesen Ausdruck hatte ich bis jetzt noch nie gesehen und ich hoffe, dass ich ihn nicht noch einmal sehen muss.
Ängstlich am zurück weichen, holte ich mein Handy heraus und hielt es hinter mich. Felix nahm es in die Hand. Hinter meinem Rücken zeigte ich mit den Fingern 110 und mein bester Freund wusste sofort, was ich von ihm wollte. Er lief an meiner rechten Seite vorbei. Zurück in den Wald und in Richtung Villa. Dort würde er die Polizei verständigen und hoffentlich würde ich meine Eltern danach nie wieder sehen.
Doch nun war ich mit meinen Eltern alleine. Mist! Wenn mich meine Mutter auch noch attackieren würde, würde ich es vermutlich nicht mehr schaffen. Dafür, dass meine Mutter eine eher schlanke und zierliche Frau war, hatte sie dennoch Kraft, genügend, um mich von abzuhalten davonlaufen.
„Du kommst hier nicht weg. Versuch es gar nicht.", sagte meine Mutter.
Als hätten sie sich abgesprochen, stellten sie sich so vor mich, dass eine Flucht unmöglich wurde. Ich saß in der Falle.
Felix
Emilia hatte mir ihr Handy gegeben. Damit sollte ich die Polizei anrufen. Ich lief also durch den Wald in Richtung der Villa, hoffte ich zu mindestens. Mein Orientierungssinn war nämlich für nichts zu gebrauchen. Man könnte sagen, ich besäße gar keine Orientierung. Außerdem waren wir ziemlich tief in dem Wald, deswegen konnte ich noch gar nicht abschätzen, ob ich richtig gelaufen war oder nicht.
Doch zum Glück hatte ich mich nicht verlaufen und vor mir erstreckte sich die Villa in voller Größe. Ich fischte Emilias Handy aus meiner Hosentasche und wählte schnurstracks die Nummer der Polizei.
„Hallo?", ertönte eine Frauenstimme.
„Hallo. Ich brauche dringend Hilfe. Meine Freundin wird gerade von ihren Eltern zusammengeschlagen!", rief ich.
„Wo sind Sie?"
Ein Glück fragt die Frau nicht nach meinem Namen. Das ist einfach unnötige Zeitverschwendung.
„Ich bin in der Kaiserstraße 15 in Kerpen. Bitte, Sie müssen schnell machen!"
„Wir werden so schnell wie möglich kommen. Wird ein Krankenwagen benötigt?"
„Ich denke schon."
„Sie denken?", die Frau war verwirrt.
„Ja, weil das mitten im Wald passiert. Ich bin an dem Haus wegen dem Empfang."
„Sie warten dann dort, bis die Beamten kommen, um sie zum Geschehen zu bringen, ok?"
„Sicher doch."
Die Frau wollt noch ein paar andere Dinge wissen, die aber nicht so interessant waren. Zum Beispiel wollte sie jetzt erst meinen Namen wissen, ebenso wie den von Emilia und den Eltern, die ich aber nicht wusste und dann das Alter von mir und Emilia. Weil Emilia erst 15 ist, wurde natürlich das Jugendamt eingeschaltet.
Mittlerweile kamen zwei Streifenwagen und ein Krankenwagen. Die Beamten forderten mich direkt auf, sie in den Wald zu Emilia und ihren Eltern zu bringen. Ich gab mein bestes, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, in die falsche Richtung zu laufen.
Und ich behielt Recht. Wir befanden uns ca. 200 Meter weiter weg, doch die Polizei nahm es mir nicht übel. Mitten in der Nacht im Wald sah alles gleich aus.
Als ich mit der Polizei direkt bei Emilia war, bemerkte ich, dass sie nur noch reglos am Boden lag. Ihre Eltern schlugen und traten dennoch weiter auf sie ein. Die Polizisten zerrten sie förmlich von Emilia. Erschrocken hob ich sie hoch und sprintete durch den Wald. Die Sanitäter waren nämlich nicht mitgekommen, da sie erst auf den Lagebericht der Polizei warteten, ob man sie denn überhaupt braucht.
Nach einigen Minuten kam ich nach Luft ringend bei dem Krankenwagen an. Ich legte Emilia so sanft es ging auf die Liege und ließ die Sanitätern ihre Arbeit machen. Kurz darauf schlossen sie die Wagentüren und fuhren mit Sirene und Blaulicht im Affentempo von der Auffahrt.
Emilias Oma und ihre Geschwister kamen heraus und sahen dem davonfahrendem Krankenwagen nur fragend hinterher.
„Was ist passiert?", fragte Emilias Oma.
In der Kurzversion erzählte ich es und die alte Dame beschloss sofort ins nahliegende Krankenhaus zu fahren, in der Emilia vermutlich jetzt ist. Sie packte mich am Arm und zog mich mit ins Auto. Währenddessen kamen die Beamten mit Emilias Eltern und setzten sie einzeln in die Polizeiwagen.
Emilias Oma startete den Motor und brauste von dem Grundstück.
*im Krankenhaus*
Wir waren angekommen, doch weder Emilias Oma noch mir gab man irgendeine Auskunft über Emilias Gesundheitszustand. Also setzten wir uns ins Wartezimmer und warteten.
Ich weiß nicht, wie spät es gerade ist und ich weiß auch nicht, wie lange Emilias Oma und ich hier schon saßen, doch es fühlte sich an wie Jahre.
Irgendwann als mein Handy mir 6 Uhr morgens zeigte, kam ein Arzt herein und fragte nach Emilias Oma. Sie stand auf und bat mich stumm, mitzukommen. Wir folgten dem Arzt, der uns in sein Büro führte.
„Was ist denn jetzt mit Emilia?", fragte ich.
„Miss Davids ist sicher eine gute Freundin von Ihnen, nicht wahr?", anstatt mir zu antworten, stellte der Arzt eine Frage.
„Ja. Sie ist meine beste Freundin. Können wir sie sehen?"
„Ja, aber nur als Vorwarnung: wenn Sie nervenmäßig nicht mit der Situation klarkommen, würde ich Ihnen empfehlen, nicht in das Zimmer zu gehen."
„Das spielt keine Rolle! Ich will Emilia sehen!"
Der Arzt nickte und stand auf. Emilias Oma und ich auch. Der Arzt führte uns durch schier unendliche Gänge. Urplötzlich blieb er vor einer Tür stehen. Er öffnete sie und betrat den Raum.
Dort lag Emilia. In einem weiß bezogenem Bett und mit weißen Wänden. Emilia hatte einen dicken Verband um den Kopf, die Arme und Beine eingegipst und vermutlich hatte sie noch einen Verband um den Oberkörper wegen den gebrochenen Rippen. Zudem hatte sie nicht nur einen Tropf, nein, sie hing gleich an zwei. Und sie wurde künstlich beatmet.
Was Schlimmeres konnte ich mir in diesem Moment nicht vorstellen. Ich kam mir vor wie in einem schlechten Film.
„Miss Davids hat einige Rippenfrakturen erlitten, ebenso hat sie sich ihre Arme und Beine gebrochen und auf Grund mehrerer Tritte gegen den Schädel hat sie ein schweres Schädel-Hirn Trauma. Das Trauma ist aber nicht das einzigste. Wir haben eine leichte Gehirnblutung gefunden, die aber zum Glück geschlossen werden konnte. Dennoch mussten wir sie ins Koma versetzen, da die Rippen so gebrochen wurden, dass drei Rippen der rechten Seite in ihre Lunge drücken.", erklärte uns der Arzt.
„Wann wird sie wieder aufwachen?", mir standen die Tränen schon in den Augen.
Emilias Oma hatte sich noch nicht zu Wort gemeldet. Die Situation war für sie noch schockierender als für mich.
„Das wissen wir nicht. Wir wissen nicht einmal, ob sie überhaupt wieder aufwachen wird."
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