"Hilfe"
Um mich herum war es dunkel. Ich konnte erkennen, dass überall um mich Leichen lagen. Blut überzog sie und ein leises Tropfen war das einzige Geräusch, das ich hören konnte. Die Türme aus leblosen Körpern waren hoch. Die Spuren der roten Flüssigkeit malten ein Mosaik auf den Boden, dass sich immer näher zu mir zog. Regungslos lagen ihre Blicke auf mir und ich hörte ein leises Wimmern. "Hallo?", rief ich in die Dunkelheit, doch niemand antwortete mir. Langsam zuckten einige Körperteile. "Du hast uns getötet.", hallte es zu mir und eine der Leichen fiel zu Boden. Ihre Gliedmaßen verrenkten sich und gaben dabei ein lautes Knacken von sich. Auf dem Rücken liegend, kroch sie auf mich zu, indem sie ihre Finger in den Boden schlug und sich weiter vor zog. "Du hast uns nicht rein gelassen.", sprach sie mit kratziger Stimme und während sie anfing zu kichern, zog sie sich immer schneller über den Boden. Als ich aufstehen wollte, griffen mehrere Hände nach mir und hielten mich fest. Während sie weiterkroch, sagte sie immer wieder "Macht die Tür auf. Macht die Tür auf!". Immer mehr Hände griffen nach mir. Ihr Blut floss langsam über meinen Körper und tropfte von oben auf meinen Kopf. Eine Hand packte mich am Hals und schnürte mir die Luft ab. "Ich wollte euch nicht umbringen!", presste mein Körper es mit ganzer Kraft aus meinem Hals heraus. "Du hast uns nicht reingelassen!", schrie die kriechende Gestalt mich an, stellte sich auf ihre verdrehten Gliedmaßen und sprang auf mich zu.
Ich schreckte nach oben und brach in verzweifelten Tränen aus. Ich schlug meine Hände vor mein Gesicht und griff mit meinen Fingern in meine Haare, an denen ich vor lauter Verzweiflung zog. Der Schmerz auf meiner Kopfhaut holte mich in die Realität zurück und langsam sanken meine Hände auf meine Oberschenkel. Minho lag schlafend neben mir und sein Atem ging regelmäßig. Draußen wurde es gerade hell. Durch das dünne Glas drang Vogelgezwitscher in die kleine Hütte. Die Glut an den Äste im Kamin leuchtete noch an wenigen Stellen. Es war wieder deutlich kühler im Raum, also legte ich mich hin und zog die Decke hoch bis zu meinem Hals. Minho zog seinen Körper neben mir zusammen und stieß ein wohliges Geräusch aus. Mit geschlossenen Augen schmiegte er sich an mich und ich musste etwas schmunzeln. Ich legte meinen Kopf zur Seite, sodass er an seiner Stirn ruhte. "Alles okay?", fragte er mich mit verschlafener Stimme. "Ja, alles gut. Hab schon wieder schlecht geträumt.", antwortete ich, woraufhin er seinen Arm um mich legte. Augenblicklich drehte ich mich zur Seite und schlang ebenfalls einen Arm über ihn. Es war schon irgendwie komisch, dass wir beide einfach miteinander kuschelten, obwohl wir uns ja eigentlich noch immer kaum kannten. "Wollen wir aufbrechen?", schlug ich ihm vor, doch er schüttelte den Kopf. "Mir ist kalt.", flüsterte und sofort fing ich an, seinen Oberarm zu reiben. "Hast du einen Plan, wie es weitergeht?", wollte ich von ihm wissen und er schloss die Augen komplett, während er nachdachte. "Kaffee im Bett, noch ein bisschen kuscheln und dann machst du uns Pancakes.", sagte er völlig ernst. Ich hätte da absolut nichts gegen einzuwenden gehabt, allerdings war das nicht die Antwort, mit der ich im Geringsten etwas anfangen konnte. Das mit dem Kuscheln lies sich umsetzen, deshalb rückte ich näher an ihn und kraulte sanft seinen Rücken.
Ich musste Minho regelrecht zwingen, endlich aufzustehen. Ich knotete gerade eine feste Schleife in meine Schnürsenkel, da kam er auf mich zu und setzte sich im Schneidersitz vor mich auf den Boden. "Also. Wir laufen weiter, bis wir auf irgendwelche Menschen treffen. Irgendwie müssen wir in die nächste Stadt kommen und rausfinden, wo wir überhaupt sind. Dann geht's ab in meine Wohnung, mir schnappen uns meine Katzen und dann geht's zu dir.", erklärte er und ich musste leise über meine Vorstellung lachen, wie er stolz seine Katzen im Arm mich sich herumtragen würde. "Wie kommen wir denn überhaupt rein? Ich habe nichts außer den Klamotten hier.", sagte ich etwas enttäuscht. "Da könnte ich das hier helfen.", sagte er und griff in seine Taschen. Fein säuberlich legte er alles auf den Boden. Portemonnaies, Schlüssel und sogar ein Handy. "Tut mir leid, aber ich musste mich zwischen deinem Handy und deinem Schlüssel entscheiden, ich konnte nicht beides klauen.", entschuldigte er sich und ich entgegnete ihm, dass das definitiv die richtige Entscheidung war, da mir sowieso nie jemand schrieb. "Wie hast du es eigentlich geschafft, dass dich nie jemand bei sowas erwischt hat?!", fragte ich ihn beeindruckt. Er zuckte mit den Schultern und sagte aus Spaß: "Vielleicht bin ich ja ein Auftragskiller, der sich nur als Krankenpfleger ausgibt!". Herzlich lachten wir beide, bevor wir unsere weitere Reise antraten.
Die frische Luft half uns dabei, wirklich wach zu werden. Da ich wusste, wie sehr Minho sich auf seine Katzen freute, stellte ich ihm einfach ganz viele Fragen über die drei und er redete endlos lang. Es war zu niedlich, wie vernarrt er in die flauschigen Tierchen war und ich glaubte, er hatte mittlerweile selbst einige Eigenschaften von ihnen übernommen. Plötzlich kam mir ein böser Gedanke. Was, wenn seine Katzen nicht da wären? Oder wenn sie nicht überlebt hatten? So, wie er über sie erzählte, würde es ihm das Herz brechen, wenn er eine von ihnen verlieren sollte. Ich schluckte das schlechte Gefühl hinunter und hoffte einfach nur aufs Beste. "Also ziehen wir zu dir oder zu mir?", fragte ich ihn aus Spaß. "Zu dir. Meine Nachbarn sind unmöglich. Die beschweren sich schon darüber, wenn ich zu laut atme. Mal abgesehen davon, dass mein Vermieter mir bestimmt schon eine Kündigung geschrieben hat, weil ich seit Monaten keine Miete bezahlt habe.", erklärte Minho. Stimmt, er hatte bestimmt kein Gehalt gezahlt bekommen, weil er auf der Arbeit fehlte. Da hatte ich es als erbender Waise tatsächlich mal leichter. Sofort bereute ich meinen Gedanken, denn es klang irgendwie so, als wäre ich froh darüber, meine Eltern verloren zu haben. Wie es wohl mittlerweile an ihrem Grab aussah? Ich war der Einzige, der sich darum kümmerte. Bestimmt wucherte überall Unkraut. Ich beschloss, dass es eines der ersten Dinge sein würde, die ich machen wollte, wenn wir endlich nach Hause kommen sollten.
Wir folgten ewig irgendwelchen Pfaden und Wegen, bis wir irgendwann endlich die ersten Wegbeschilderungen fanden. "Ich glaube, ich kann Stimmen hören!", sagte Minho und blieb stehen. Ich schloss zu ihm auf und lauschte still, ob ich etwas hören konnte. Es stimmte. Irgendwo kamen Stimmen her. Wir konzentrierten uns auf die Geräusche und konnte in der Ferne einen großen Parkplatz entdecken, zu dem wir eilig rannten. Außer Atem hielten wir an und schauten uns um. Mehrere Autos standen hier, jedoch war bisher noch kein Mensch zu sehen. "Wollen wir warten, bis jemand kommt, der vertrauenswürdig aussieht und ihn bitten, uns irgendwohin zu fahren?", fragte mich Minho und ich setzte mich einfach auf den Boden, ohne eine Antwort zu geben. Mit einem Lächeln setzte er sich zu mir. Er schnappte sich einen dünnen Ast, mit dem er kleine Figuren auf den erdigen Untergrund kritzelte. Eine Gruppe junger Erwachsener kam auf den Parkplatz und ging laut lachend zu einem der Autos. Minho wollte schon aufstehen, da hielt ich ihn fest. "Die nicht. Die haben sowieso keinen Platz für uns im Auto.", flüsterte ich ihm zu und er lies sich wieder auf den Boden sacken. Ich nahm den Ast vor ihm und ergänzte die Zeichnungen vor uns. Geduldig warteten wir, dass noch mehr Menschen auftauchten. Immer wieder hatte ich Einwände, wieso wir bisher niemanden angesprochen hatten. "Jisung, wir können doch jetzt nicht den ganzen Tag hier sitzen und warten! Den nächsten sprechen wir aber wirklich an.", sagte Minho etwas gereizt. Ein großer Mann in dunkler Kleidung kam auf den Parkplatz. Er trug eine Sonnenbrille und hatte eine große Tasche bei sich. Mit großen Augen sah ich Monho an und er sagte verlegen: "Na gut, den will selbst ich nicht ansprechen.". Wir lachten laut los und überlegten, dass wir vielleicht direkt ein zweites mal verschleppt worden wären. Müde lies ich meinen Kopf auf Minhos Oberschenkel sinken und schloss kurz die Augen. Seine Finger fuhren sanft durch mein Haar. Wir hörten erneut Stimmen und ich fragte: "Jung oder alt?" - "Ein älteres Pärchen." - "Vertrauenswürdig oder gruselig?" - "Für dich ist doch jeder gruselig.". Ich setzte mich auf und schaute selbst nach. Das Rentnerpärchen sah sehr lieb aus, also überwand ich mich und stand auf. Schüchtern bat ich Minho, das Reden zu übernehmen und er griff entschlossen meine Hand. "Entschuldigung!", rief er dem Pärchen zu, "Können Sie uns vielleicht helfen? Wir haben uns vor ein paar Tagen im Wald verlaufen und haben keine Ahnung, wo wir sind.".
Wir hatten wirklich Glück, denn erstens waren wir gar nicht allzu weit von unseren Wohnorten entfernt und zweitens war das Pärchen so lieb und bot uns an, uns zu Minhos Wohnung zu fahren. Irgendwie war es erschreckend, dass das Labor so nahe an unseren Wohnungen war. Wir hatten also selbst nicht die geringste Vermutung, dass sowas in dieser Gegend passierte. Minho war ein Künstler, sich plausible Antworten auf die vielen Fragen der Frau auszudenken. "Wohnt ihr zwei zusammen?", wollte die ältere Dame von uns wissen und Minho antwortete grinsend: "Ja, ich will ihm gleich einen Antrag machen, aber verraten Sie es ihm nicht, okay?". Das Paar lachte und ich schaute verlegen aus dem Fenster. Zielstrebig lotste Minho den Mann durch die Gegend, bis er sagte: "Da vorn können Sie anhalten, hier wohnen wir!". Als das Auto zum Stehen kam, lehnte er sich leicht zwischen den Sitzen durch und bat das Pärchen darum, uns ihre Adresse aufzuschreiben, sodass wir ihnen ein Paket als Dankeschön schicken konnten. Die beiden winkten das ab, aber Minho bestand darauf und schließlich schrieb die Frau alles auf einen kleinen Zettel, den sie aus ihrem Kalender riss. Unzählige male bedankten wir uns bei ihnen. Wir stiegen aus und verbeugten uns tief vor dem anfahrenden Auto. Ich griff nach Minhos Ärmel und sagte ganz ungewollt: "Minho, was ist, wenn deine Katzen nicht überlebt haben?", doch er antwortete nur selbstbewusst: "Ach, die werden sich schon gegenseitig geholfen haben, jetzt komm!" und zog mich eilig hinter sich her. Er steckte den Schlüssel in das Schloss der Eingangstür und zog sie auf. Wir stiegen die Treppen hoch und blieben vor einer Fußmatte stehen, auf der Pfotenabdrücke waren. Er war ein absoluter Katzenfanatiker. Er atmete tief durch, schob langsam den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um. Ich hatte Angst vor dem, was uns erwarten könnte. Es war komplett still in der Wohnung. "Herrchen ist zu Hause!", rief Minho und ein leises Geräusch schlich sich durch den Flur.
___________________________________________________________________________
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro