"Fotos"
Seine Worte hallten in meinem Kopf. Ein zweites Labor? Hatte er das soeben tatsächlich gesagt? Schockiert nahm ich das Handy von meinem Ohr und flüsterte: "Das kann nicht sein.". Minho warf mir einen fragenden Blick zu, woraufhin ich das Gespräch über den Lautsprecher meines Handys laufen ließ und versicherte mich nochmals bei meinem Anrufer: "Sagten Sie gerade 'zweites Labor'?". Sofort riss Minho neben mir die Augen weit auf und schaute entsetzt auf das Display, das gerade wieder dunkel wurde. "Anscheinend wussten Sie es nicht.", beantwortete der junge Mann seine Frage nun selbst. Ich versicherte ihm, dass ich nichts über die Existenz eines weiteren Standpunkts wusste und schloss meine Aussage mit den Worten "Das hätte ich Ihnen auf jeden Fall erzählt!" ab. Kurz erklärte der Beamte mir, dass ein Einsatzkommando sich noch weiter in den dichten Wäldern umgesehen hatte und dabei in nicht allzu weiter Entfernung auf das zweite, unterirdisch verborgene Gebäude gestoßen war. Die Gedanken in meinem Kopf drehten sich und ich nahm angespannt auf dem Stuhl Platz, den Minho leise nach hinten zog. "Ich habe noch weitere Nachrichten, ich möchte sie Ihnen allerdings persönlich sagen. Wie schnell können Sie hier sein?", fragte er mich und sofort begann ich damit, zu hinterfragen, was er von mir wollte. "Werde ich nun festgenommen?", fragte ich völlig verunsichert und bekam als Antwort ein leises Lachen. "Nein, das werden Sie natürlich nicht. Glauben Sie mir einfach, wenn ich Ihnen sage, dass es besser ist, wenn Sie zu einem Gespräch vorbeischauen. Können Sie hierherfahren?", beruhigte er mich und sofort erklärte ich ihm, dass mich jemand fahren konnte und ich gleich aufbrechen würde.
So schnell wir konnten, zogen Minho und ich uns an und liefen zum Auto. Während wir in der Wohnung und im Hausflur waren, sagte keiner von uns auch nur ein Wort, dafür redete ich nun im Auto umso mehr. "Ich bin so nervös. Was wollen die bloß von mir?! Wollen die mir irgendwas anhängen? Ich hab doch von Anfang an gesagt, dass die mir einen Strick aus meinen Worten drehen!", fing ich an. Minho drehte sich zu mir, griff meine zitternde Hand und versuchte auf mich einzureden: "Ji, beruhig dich. Es bringt nichts, dir jetzt unnötig Sorgen zu machen. Die wollen mit Sicherheit nur was total Simples wissen. Ob du irgendwelche Leute von da kennst oder sonst was.". Ich dachte kurz über seine Worte nach und diskutierte mit mir selbst, dass es bestimmt mehrere Überlebende gab, wenn die Polizei das Labor gefunden hatte. "Meinst du, da sind die Selben Dinge passiert, die auch uns passiert sind?", fragte ich leise und wusste nicht, auf was für eine Antwort ich überhaupt hoffte. "Keine Ahnung. Ich denke schon, dass die Labore zusammengearbeitet haben, aber wer weiß, was alles dahin ausgelagert wurde.", gab mein Freund zu und sah mich irgendwie ausdruckslos an. Stumm nickend schaute ich aus dem Fenster des kleinen Wagens und ließ meinen Blick über die Umgebung schweifen. Nachdem Minho meine Hand losließ, um den Motor zu starten, fasste ich mir an den Hals und zählte innerlich den Takt meines Pulses mit. Meine Finger waren eiskalt, obwohl ich am ganzen Körper schwitzte. Verzweifelt lehnte ich meine Stirn an das Glas und schloss für einen Moment die Augen, während ich mir beruhigende Worte zusprach.
"Meinst du, es ist immer noch zu gefährlich, wenn du mit rein kommst?", fragte ich Minho, der gerade nochmal das Auto zurücksetzte, um einfacher in die enge Parklücke zu kommen. "Ich habe solche Angst, allein reinzugehen.", ergänzte ich, während ich auf eine Antwort von meinem hochkonzentrierten Freund wartete. "Wir können doch einfach so tun, als hätten wir uns erst kennengelernt, nachdem du geflohen bist. Sind uns beim Einkaufen über den Weg gelaufen, es war Liebe auf den ersten Blick und nun leben wir glücklich bis an unser Lebensende!", schlug er vor und so dämlich wie sein Vorschlag auch klang, so gut war er auch. Ich stimmte ihm zu und stellte fest: "Ich glaube auch nicht, dass die großartig nachfragen.". Entschlossen sahen wir uns in die Augen und stiegen aus. Der Weg war nicht weit und trotzdem fühlte es sich an, als wäre ich schon seit Stunden unterwegs, da mich jeder Schritt immens viel Kraft kostete. Nachdem ich mir die Hand meines Freundes geschnappt hatte und meine Finger fest um sie klammerte, bedankte ich mich bei ihm, dass er das gemeinsam mit mir durchzog. Wie immer tat er so, als wäre es keine große Sache und lächelte mir zu. Hätte ich allein in das Büro gemusst, wäre ich wohl schon fünf Meter hinter dem Auto gestorben, weil mein aufgeregtes Herz seinen Dienst verweigert hätte. Minhos Finger vergruben sich ebenfalls in meiner kühlen Haut und endlich bekam ich etwas von dem Gefühl in meinem Körper zurück, das mich schon vor der Fahrt verlassen hatte. Ein letztes mal überlegte ich im Stillen, ob ich Minho wirklich mit reinnehmen wollte, doch ich verließ mich einfach darauf, dass mein Bauchgefühl mich schon vorgewarnt hätte, wenn es falsch war. Irgendetwas tief in meinem Inneren sagte mir, dass er an meiner Seite sein sollte, wenn ich gleich durch die Tür gehen würde, ohne das ich auch nur die leiseste Ahnung von dem hatte, was mich erwartete.
Mit leisen Schritten traten wir dicht an die Glastür heran und warteten kurz ab, bis sie sich vollständig aufgeschoben hatte. Noch immer Hand in Hand gingen wir zu dem dunklen Tresen, dessen Maserung ich aus dem Gedächtnis auf einem Blatt Papier hätte aufmalen können. Auf dem Bürostuhl saß dieses mal eine andere Frau, die weitaus beängstigender erschien, als die Beamtin vom letzten mal. Ich wartete ab, bis sie ihren Blick an mich wendete und sagte dann: "Hallo, ich bin für eine er..." und wurde durch den jungen Beamten unterbrochen, der gerade durch die Tür zur linken Seite gerauscht kam. "Da sind Sie ja schon! Kommen Sie mit.", forderte er mich auf und drehte kurzerhand um. Ich entschuldigte mich bei der Frau, obwohl ich ehrlich gesagt gar keinen Grund dafür hatte und zog Minho hinter mir her durch den Türrahmen. Wie ein großer Schatten huschte der Mann vor uns durch den Flur und hinein in das Büro, in dem wir auch das letzte mal gesessen hatten. Noch bevor er an seinem Stuhl angekommen war, erklärte ich ihm bereits nervös, dass ich Minho mitgebracht hatte, da er mir in dieser - für mich schwierigen Situation - Sicherheit geben konnte und der Beamte nickte mir zu, während er seinen Bürostuhl zurückzog. "Ist in Ordnung. Setzen Sie sich.", sprach er uns zu, während seine kräftige Hand auf die Stühle deutete. Zitternd ließ ich mich auf die harte Sitzfläche sinken, ohne Minhos Hand loszulassen. "Sie sind ein Paar?", fragte er und schnell zitierte ich Minhos zusammengereimte Geschichte: "Ja, wir haben uns zufällig beim Einkaufen kennengelernt und.." - "Weiß Ihr Partner über die Geschehnisse Bescheid?", hielt mich der junge Mann davon ab, meine Lüge weiter auszuschmücken und ich war ausnahmsweise heilfroh darüber, dass mir jemand ins Wort fiel. Gleichzeitig nickten Minho und ich ihm zu.
"Wofür genau haben Sie mich hergebeten?", fragte ich etwas überstürzt und sofort begann der Polizist, mehrere Fotos aus einem hellbraunen Pappordner zu ziehen und sie vor mir auszubreiten. Es waren mehrere Flugaufnahmen zu sehen, dazwischen Fotos von dem versteckten Eingang in die Einrichtung und einige Bilder, die das Innere des Labors abbildeten. "Das ist das zweite Labor und das, was wir darin gefunden haben, ist nichts für schwache Nerven.", warnte er uns vor und ich warf ihm einen abwartenden Blick zu. Er griff nach einem zweiten schmalen Stapel Fotos und vergewisserte sich bei mir, ob ich bereit dafür war 'unschöne Dinge' zu sehen. Ich hielt kurz inne und bestätigte ihm, dass ich bereits so viele furchteinflößende Dinge in dem Labor damals gesehen hatte, dass die Fotos mich wohl nicht allzu sehr schockieren würden. Er nickte mir zu und hielt mir die Fotos entgegen, die ich an mich nahm. Nach und nach blätterte ich sie durch und von Foto zu Foto wurde ich unruhiger. Während auf den ersten Bildern noch alles relativ normal aussah, wurde es nun zunehmend schlimmer. Irgendwann erkannte ich eine Leiche auf dem Foto und legte den Stapel schnell auf dem Schreibtisch ab. "Gibt es Überlebende?", fragte ich und kniff meine Augen zusammen, um zu verhindern, dass sich der Anblick von eben in mein Gedächtnis brennen würde. "Tatsächlich gibt es mehrere Überlebende.", versprach er mir und ich entspannte mein Gesicht wieder etwas. "Was genau ging es dem Labor vor sich?", wollte ich von ihm wissen und er sagte mit rauer Stimme: "Im Großen und Ganzen wurden dort die Leichen entsorgt, die man aus ihrem Labor dort hingebracht hatte.".
Mutig schaute ich mir weiter die Fotos an, obwohl ich eigentlich am liebsten all diese Eindrücke nicht in mein Leben lassen wollte. Ich wusste nicht, wieso ich mir das alles antat. Ich wusste doch auch schon ohne diese Bilder, was für schreckliche Sachen vor sich gingen. Je mehr Bilder ich betrachtete, desto schlechter ging es mir. All die Erinnerungen fanden an die Oberfläche meines Bewusstseins und breiteten sich dort weiter aus. Ich spürte die selbe Angst, die selbe Ungewissheit und auch die selben Schmerzen wie damals. Hastig legte ich meinen Kopf in den Nacken und konnte gerade noch so verhindern, dass eine Träne auf das oberste Foto in meiner Hand tropfte. Schnell legte ich das beschichtete Papier auf den Schreibtisch und begann leise zu schluchzen. Minhos Arm legte sich um mich und ich lehnte mich zu ihm rüber, um mich an ihm abzustützen. Ich war mir so sicher, dass mich nichts mehr schockieren konnte, aber all die negativen Gefühle überkamen mich und hüllten mich in tiefe Trauer und Verzweiflung. Wie konnte dieser Mensch uns das nur antun? Eria Coon spielte mit uns, als seien wir unbedeutende Spielfiguren auf ihrem Schachbrett. Jeder geschickte Zug von ihr, brachte sie einer hohen Summe Geld näher, die sie weit über ihre Werte stellte. Sie war skrupellos und es war ihr egal, wie viele von uns unter ihren Aufträgen jämmerlich verreckten. Vielleicht wäre es besser gewesen, so schnell wie möglich draufzugehen anstatt nun mit diesen Erinnerungen leben zu müssen. Ohne Minho hätte ich mich vermutlich noch in dem Labor selbst irgendwie umgebracht, denn wäre er nicht gewesen, wäre ich hoffnungslos verloren gewesen. Er war das Einzige, was mir den Mut gab, mich nicht kampflos mit meinem Schicksal abzufinden.
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