"Experimente"
"Ein...Ich...WAS?!", entgegnete ich Minho völlig überfordert. Er drehte sich ein paar mal mit dem Hocker um die eigene Achse, bevor er versuchte, mich zu beruhigen: "Keine Angst, du siehst damit hübsch aus.". Wollte er mir wirklich lieber schmeicheln, anstatt mir eine Erklärung zu liefern? Ich legte mein entgeistertes Gesicht schief und deutete ihm damit an, dass seine Antwort mich nicht zufriedenstellte. Er drückte das Pflaster auf meiner Haut erneut fest, obwohl es sich kein Stück gelöst hatte. Unsicher drehte er sich etwas von mir weg und sprach eher mit sich selbst: "Diesen kranken Scheiß kann man einfach nicht erklären.". Ich paraphrasierte kurz, was er mir bisher an Infos gegeben hatte. Ich hatte einen Autounfall, er wollte erste Hilfe leisten, wir wurden verschleppt und dann wurden irgendwelche kranken Experimente an mir durchgeführt, sodass ich nun ein Geweih auf meinem Kopf hatte. Minho nickte alles ab und war wohl etwas erleichtert, dass ich soweit alles verstanden hatte. "Minho, kannst du mir das bitte etwas genauer erklären?! Ich meine.. Ich wache in irgendeinem scheiß Wassertank auf, werde bewusstlos, bin dann an ein Bett gefesselt und jemand begrüßt mich quasi mit den Worten 'Die wollen uns umbringen'!", forderte ich ihn mit Nachdruck auf. Er rückte näher zu mir. "Pass auf...", fing er an, "Du bist mit deinem Auto diesen Abhang runtergerutscht. Ich habe das zum Glück entdeckt und bin zu dir gestürmt, um dich da rauszuziehen. Du hast dir einiges gebrochen und hast immens viel Blut verloren, hast da wohl schon ein Weilchen gehangen. Ich hatte dich gerade aus dem Auto gezogen und angefangen, die Platzwunde auf deiner Stirn zu verbinden, da kam ein großer Lieferwagen angefahren, der uns entdeckt hat. Ich habe denen dann zugerufen, dass ich Hilfe bräuchte, dich hoch an die Straße zu ziehen. Die Männer kamen dann auch ziemlich schnell, hatten aber ihre Gesichter verdeckt und mir war sofort klar, dass etwas nicht stimmte. Der eine hat mir einen Sack über den Kopf gezogen, der andere hat dich an den Handgelenken gepackt und wir wurden beide in den Wagen geschmissen. Der einzige Grund, wieso ich noch lebe ist, dass ich noch meine Arbeitskleidung anhatte. Sie haben mich gefragt, ob ich Krankenpfleger oder sowas bin. Dann haben sie mir hier klargemacht, was ich für einen Auftrag habe und dass sie mich sofort umbringen, wenn ich mich weigere.". Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals und ich versuchte, ihn gewaltsam runterzuschlucken. Auf Minhos unteren Augenlidern hatten sich kleine glitzernde Perlen geformt, die ruhig auf seinen Wimpern lagen.
Minho versuchte mir irgendwie zu erklären, was genau bei diesen Versuchen geschah. Ziel war es, aus uns Waffen zu machen, die an den Höchstbietenden verkauft wurden. Wir sollten Kriege austragen. Die Wissenschaftler in diesem Labor hatten uns Experimenten in zahlreichen Versuchen isolierte und künstlich veränderte Hormone gespritzt. Verändertes Neuropeptid sorgte dafür, dass unser Hunger- und Angstempfinden herabgesetzt wurde. Verändertes Somatotropin rief ein erhebliches Wachstum hervor. Man hatte aus dem Genpool verschiedener Tiere Chromosomenpaare extrahiert, die an unsere DNA angereiht wurden. Derzeit war ich eins von fünf Experimenten, die scheinbar zumindest halbwegs geglückt waren. Man hatte meiner DNA Chromosomen des Davidshirsches beigefügt. Wie gewissenlos und pervers konnten Menschen bloß werden? Mir fiel eine der Erinnerungen ein, die mir vorhin gekommen war. "Ist ein Experiment ausgebrochen?", fragte ich Minho, der sich mittlerweile vorsichtig die Augen abgetupft hatte, um nicht weinen zu müssen. Sein Blick war emotionslos, als wollte er sich selbst vor dieser Erinnerung schützen: "Ja. Ein Experiment war erwacht und hatte das Glas seines Tanks verstört. Nachdem er sich von all den Schläuchen befreit hatte, ging er auf die Wissenschaftler los. Er hat eine Frau in der Luft zerrissen, mehrere Männer durch das Labor geworfen und wurde dann erschossen. Obwohl mehrere Menschen ums Leben kamen, wurden nur alle angeschrien, wie man es wagen konnte, 026 zu erschießen. Menschenleben sind hier nichts wert, es geht hier nur ums Geld. Und ein totes Experiment bringt kein Geld.". Stumm schauten wir beide vor uns. Ich konnte einfach keine passenden Worte finden. Es war so still im Raum, dass man das Tropfen der Infusion im Schlauch hören konnte.
"Wie geht es jetzt weiter?", fragte ich Minho verunsichert. Er zuckte mit den Schultern und warf mir einen flüchtigen Blick zu. "Wir müssen hier weg. Aber dafür musst du erstmal fit werden. Zum Glück haben sie mir die Aufgabe gegeben, mich um dich zu kümmern. Ich bin dafür zuständig, dass du dich erholst.", erklärte er. Eine Flucht klang immer so einfach, aber um ehrlich zu sein, bereitete mir der Gedanke Kopfschmerzen. Keiner von uns wusste genau, wo wir eigentlich waren. Wir wussten nicht, wie man hier raus kommen würde und an wie vielen Menschen wir uns vorbeischleichen mussten. Wir konnten ja schlecht mir nichts, dir nichts durch die Gänge laufen, allen ein schönes Wochenende wünschen und durch die Tür in die Freiheit schlendern. Mal ganz abgesehen davon, dass ich ein Geweih auf dem Kopf hatte, was sowieso allen verraten würde, dass ich kein normaler Mensch bin. Minho stand ruhig auf und löste vorsichtig die Pflaster von meiner Haut, die einen leichten roten Schimmer hinterließen. Mit einem Tupfer drückte er auf meine Armbeuge, bevor er langsam die Kanüle entfernte. "Wir müssen auf jeden Fall so tun, als würdest du dich nur schlecht erholen. Und ich glaube, dass es sinnvoll ist, so zu tun, als könnten wir uns nicht ausstehen. Sonst ziehen sie mich noch von dir ab. Das bedeutet, dass ich dir vielleicht vor anderen Menschen wehtun muss, um es glaubwürdig erscheinen zu lassen. Verstehst du?", unterbreitete er mir, während er zum Mülleimer ging. Wie lang war er eigentlich schon hier, dass er seine Gedanken soweit sortiert hatte? Wir hörten Schritte vor der Tür und hielten beide die Luft an. Die Zimmertür öffnete sich und eine junge Frau trat ein. Reflexartig schloss ich sofort meine Augen und stellte mich erneut schlafend. Sie kam nahe an mein Bett heran und ich spürte, wie sie mit ihren langen Fingernägeln meinen Kiefer entlangfuhr. "Er ist wunderschön", flüsterte sie mit rauer Stimme, bevor sie ihre Hand von mir nahm. Mein Bauch verkrampfte sich und ihr Geruch brannte in meiner Nase.
"Sag mir, wann er endlich aufwacht!", forderte sie Minho ungeduldig auf. Er entschuldigte sich bei ihr und erklärte, dass mein Körper sich von den ganzen Strapazen erholen müsste und es deshalb noch etwas dauern konnte. Während sie wütend das Zimmer verlies, murmelte sie irgendwas vor sich, was ich nicht verstehen konnte. Die Tür fiel mit einem lauten Knall ins Schloss und Minho seufzte hörbar, bevor er sich wieder zu mir setzte. Vorsichtig öffnete er die Lederriemen, die über meinem Körper lagen und ich schaute ihn etwas erschrocken an. "Du willst dich bestimmt mal anders hinlegen, oder?", schlug er mir vor, was ich dankend annahm. Ich streckte meinen Körper und setzte mich vorsichtig auf. Mein Rücken schmerzte so sehr, als hätte jemand mit einer Eisenstange auf mich eingeschlagen. Als ich über meine Armbeuge fuhr, um die noch immer leicht schmerzende Stelle zu berühren, fiel mir ein, dass ich nun endlich meinen Unterarm betrachten konnte. Ich drehte ihn so hin, dass ich die drei Zahlen auf meiner Haut erkennen konnte. 028. Erschrocken sah ich auf und mir fiel ein, dass das nicht das einzige war, was an meinem Körper anders war. Zitternd legte ich meine Finger an meinen Haaransatz und fuhr weiter nach hinten, bis ich es spüren konnte. Etwa eine Handlänge Geweih wuchs nach hinten gerichtet aus meinem Kopf. Verunsichert schnellten meine Hände wieder nach unten. "Was sind die anderen denn für Experimente?", wollte ich wissen und Minho erklärte mir, dass die vier anderen Hybriden andere Tiere waren. Ein Wolf, ein Panther, ein Mandrill und ein Kragenbär. Wir fünf waren die ersten, die all die Versuchsreihen überstanden hatten. Mit einem verzweifelten Unterton ergänzte Minho. "Naja, bis zu diesem Zwischenfall mit 026. Seitdem seid ihr nur noch vier Hybride.". "Wie hast du das überlebt?", fragte ich ihn unsicher und er erklärte mir, dass es einen kleinen Rettungsraum gab, der sich gleich neben meinem Zimmer befand. Anscheinend hatte jemand fest damit gerechnet, dass hier nicht alles glatt laufen würde.
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