7 ^^
Jetzt bin ich alleine. Jedenfalls fühlt es sich so an. Eigentlich laufe ich durch die überfüllte Stadt. Aber trotzdem bin ich alleine. Niemand ist hier den ich kenne, der mich kennt, der sich für mich interessiert. Wenn ich jetzt sterben würde, es würde niemanden groß interessieren.
Ich habe durchgeschlafen, über 17 Stunden. Jetzt ist es kurz nach sieben, Londons Straßen sind belebt und ich treibe irgendwo in ihnen. Mai ist in der Uni und ich hab keine Ahnung was Ray macht, genauso weiß ich nichts von Gerard.
Mein Kopf ist gelähmt, meine Gefühle sind tod. Ich laufe durch die Straßen wie ein Zombie. Meine Gedanken stehen. Es fühlt sich an, als wäre ich durch eine dicke Glasscheibe von der Welt getrennt. Die Geräusche sind gedämpft, alles wirkt so weit entfernt. Es ist, als würde ich in einem Zoo oder sowas in der Richtung sein.
Wer jetzt wessen Rolle übernimmt ist noch nicht ganz raus. Die Menschen, die an mir vorbeigehen starren mich mit großen Augen an, aber ich starre sie ebenso an. Dann fange ich an zu laufen. Nicht rennen, einfach nur einen Fuß vor den anderen setzen. Ich hab keine Ahnung wohin. Ich stand zu lange einfach nur rum, ich habe nichtmal gemerkt, dass ich stehen geblieben bin.
Es hilft in Bewegung zu sein. Meine Gedanken kommen in Wallung, wenigstens ein bisschen. Vor meinem inneren Auge taucht ein Bild auf. Jemand sitzt auf einer schwarzen Couch, ganz klein zusammengekauert, den Kopf auf den Knien und starrt ins Leere. Dieser jemand weint, aber seine Tränen sind schon lange versiegt. Was war das?
Ich schüttele irritiert meinen Kopf und stelle fest, das ich schon wieder stehen geblieben bin. Schnell laufe ich weiter, den Blick gesenkt. Wen habe ich gerade gesehen, werde ich jetzt verrückt?
Tränen laufen über meine Wangen.
Für niemanden.
Für mich.
Für uns.
Wo bin ich eigentlich? Scheinbar bin ich ein gutes Stück gelaufen, ich bin am anderen Ende der Stadt gelandet, genau vor einem Café. Die Sonne geht langsam auf. Mein Handybildschirm sagt 7:34 Uhr. Auf der anderen Straßenseite ist eine kleine Bäckerei.
Mit weichen Knien gehe ich hinein. Als ich die Tür öffne streift sie ein kleines Windspiel und ein leises klimpern ist zu hören. Bei dem Kerl hinterm Tresen bestelle ich einen Coffee to go und ein dunkles Brötchen.
Schon verlasse ich den Laden wieder. Die Sonne geht langsam auf und ich such mir eine Bank im Schatten. Mit dem ersten Schluck aus dem Becher verbrenne ich mir die Zunge.
Kritisch beäuge ich das Brötchen. Nicht weil es schlecht aussieht, eher weil ich immer immer noch nicht so ganz sicher bin, ob das was wird. Schlieslich beiße ich ab und alles scheint normal. Also esse ich das Brötchen und trinke meinen Kaffee.
Bis auf einmal mein Handy vibriert. Eine Nachricht von einer unbekannten Nummer. "Hey Frank, Gerard hier. Ich wollt nur mal fragen wie es dir jetzt so geht... Und vielleicht hast du ja mal Lust vorbei zu kommen? Ich hab heute den ganzen Tag Zeit, meld dich gerne."
Langsam speichere ich ihn ein. Inzwischen ist es fast um acht. Mein Brötchen ist alle und ich trinke einen Schluck Kaffee bevor ich ihm antworte. "Guten Morgen. Ich glaub ich könnte so in einer halben Stunde/Stunde da sein.", unsicher schwebt mein Daumen über dem Sendeknopf ehe ich kurz entschlossen drauf klicke und mein Handy wieder in meiner Hosentasche versinke.
Keine Ahnung ob das ne gute Idee war, aber ich weiß eh nicht was ich mit dem angebrochenen Tag sonst anfangen soll. Also stehe ich auf und laufe langsam Richtung Haltestelle. Eine Weile stehe ich da verloren rum bis die Bahn kommt.
Zum Glück ist sie ziemlich leer. Weiter hinten sitzt ein Junge. Vielleicht so 16 Jahre alt und guckt mich mit großen Augen an. Er erinnert mich ein wenig an mich vor einigen Jahren. Genau wie ich damals sieht er die Punks mit großen Augen und dieser Bewunderung an.
Gerne würde ich ihm irgendwas sagen, von wegen dass er auch so sei kann oder so. Aber ich war noch nie gut mit Worten. Außerdem steigt er eh aus, wirft mir einen letzten Blick zu und verschwindet. Mich erreicht eine Nachricht von Gerard wo er wohnt und kurz darauf steige ich aus.
Die Luft ist angenehm erfrischend. Tief atme ich ein und laufe los. Von der Proberaum Wohnung sind es nur zwei Straßen und dann ist da seine Wohnung. Viel zu schnell stehe ich vor dem Aufgang in dem er wohnt. Noch einmal lese ich seinen Namen auf dem Klingelschild und zögere drauf zu drücken.
Ich weiß nicht wieso. Alles was ich tun will ist einen alten Freund besuchen. Nichts besonderes. Passiert so unzählige Male und es ist nie etwas schlimmes dabei. So stehe ich hier mit dem Finger über dem Knopf und traue mich schließlich doch. Was mit einem Tür öffnenden Summen belohnt wird.
Mit jeder Treppenstufe werden meine Knie weicher, schließlich bin ich in der dritten und Gerard steht in der Tür zu seiner Wohnung. Kurz stehen wir uns ein wenig verloren gegenüber. Kurzentschlossen zieht er mich in eine freundschaftliche Umarmung und lässt mich in die Wohnung.
Letztendlich sitzen wir gemeinsam auf der Couch. "Du, ich wollt mal fragen was gestern war. War das alles wegen mir und diesem Lied? Ich meinte das wirklich nicht böse. Ich hatte es nur die ganze Zeit im Kopf und irgendwann hab ich es aufgeschrieben. Und dann haben wir das gespielt, ich hab den Jungs gesagt das es von nem Freund war. Sie kannten dich ja nicht und...", ich legte meine Hand sein Bein um seinen Redefluss zu stoppen.
Er verstummt und sieht mich an. "Ich nehm dir das nicht übel, mach dir keinen Kopf. Es... ist mehr das Lied an sich. Ich... ich also habs ewig nicht mehr gespielt und es... naja es war für meine beste Freundin.", ich mache eine kurze Pause um tief durchzuatmen. "Sie ist Tod. Hat sich selbst umgebracht. Weißt du wie verdammt viel Blut ein Mensch hat?" Meine Stimme bleibt aus, klingt so seltsam tonlos.
Ich sehe ihn an. Sehe wie er ein bisschen blass wird. Merke wie meine Welt auch kurz wankt aber fange mich und nehme meine Hand von seinem Bein. Er sieht mich prüfend von der Seite an. "Du... ich... also ich... ich hab kein Plan was ich sagen soll.", gibt er zu und sieht mich unsicher aus. "Alles gut.", antworte ich und es stimmt. Irgendwie.
Lieber so, als dieses entlose Mitleid oder die Vorwürfe wo ich den gewesen wäre, als es ihr schlecht ging oder diese komischen Blicke. Ja, ich hätte handeln können. Ich hätte etwas dagegen tun können. Aber ich hab es nicht auf die Ketten bekommen. Dieses eine Mal nur hätte ich mich trauen müssen, richtig hingucken dann wäre sie jetzt noch hier. Warum habe ich nichts getan.
Ich hab doch gesehen wie sie immer dünner wurde, wie ihr Lachen langsam verschwand, wie wenig wir nur noch miteinander unternommen. Wie sie sich abgekapselt hat. Ich hab doch mit meinen eigenen Augen die viel zu tiefen Katzenkratzer gesehen. Zugesehen, wie sie immer öfter feiern ging. Wie sie sich selbst egal wurde. Hab gesehen wie es ihr ging, wie sie schrie. Warum habe ich nichts getan.
Arme ziehen mich in eine Umarmung. Tränen kleben auf meinen Wangen. Und die Achterbahn nimmt wieder an Fahrt auf.
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