Zwei Künstler
"Daran arbeite ich gerade", meinte T, als er mich ins Atelier geführt hatte.
Das unvollendete Bild, das er mir zeigte, war von großem Format und stand auf der Staffelei. Ich konnte schon einiges erkennen, in der Mitte war ein Mann, stehend, und er sah ziemlich müde aus. Um ihn herum waren vier weitere Gesichter, die zeigten alle verschiedene Emotionen. Eines sah wütend aus, eines erleichtert und eines zögernd, das letzte konnte ich noch nicht entziffern. Die Farben waren sehr grau gehalten und generell wirkte das Bild auf mich, als würde es sehr neblig sein, unscharf. Vielleicht war es gewollt, keine Ahnung, das Teil war ja noch in Arbeit.
Der Rest des Raums war mehr oder weniger wie man sich ein Atelier vorstellte. Große Fenster für viel Licht und weiße Wände, an denen einige Werke aufgehängt waren. Einige Pigmenttöpfe, Stifte und Pinsel lagen auf den Kästen herum, Papier, Keilrahmen und Leinen gab es auch genug. In einer Ecke lagerte ein fetter Haufen Wolle, daneben Schachteln, in denen wohl irgendwas verstaut war. Ich sah auch viele Mappen, die nur so überquollen vor Papier. Da hatte er wohl eine ganze Menge an Zeichnungen archiviert. Die bemalten Leinwände stapelten sich an der einen Wand und waren mit einer Schnur zusammengebunden worden. Im Vergleich zu seinem Zimmer in Wien gab es aber trotzdem deutlich weniger Malutensilien. Das war hier anscheinend hauptsächlich sein Lagerraum für die ganzen Bilder.
Ich wandte mich wieder an das Bild mit dem Mann und den vier Köpfen. Wirklich in Worte fassen konnte ich es hier wohl nicht, wäre das möglich, hätte T es ja auch gar nicht malen müssen. Im Moment konnte ich nur sagen, dass es in mir ein diffuses Gefühl auslöste. Das ganze Grau und alles wirkte so verschwommen, die Konturen lösten sich teilweise auf und wurden verzerrt. Ich war schon gespannt, wie das fertige Bild dann aussehen würde.
"Was willst du damit ausdrücken?", fragte ich ihn, während er sich schonmal Pigmente und Ei Tempera zusammensuchte.
"Hm? Ich mag nicht drüber reden"
"Ja, dachte ich mir"
Jap, ich wusste, dass er nicht gern über seine Kunst redete. Trotzdem hatte ich gehofft, er würde mir dieses Werk erklären. Alles, was ich bieten konnte, war nämlich nur meine Interpretation des Ganzen und was er sich dabei eigentlich gedacht hatte, würde sich mir nie völlig erschließen. Aber über seine Kunst zu reden, war etwas, was T in den meisten Fällen ablehnte. Die einzigen Ausnahmen bildeten das erste Bild von ihm, das ich bei der Ausstellung damals gesehen hatte, das wie eine Kinderkritzelei ausgesehen hatte. Und letztens hatte er mich porträtiert, also ordentlich und nicht nur ein Sketch. Das Bild hatte er mir danach auch erklärt. Aber seine sonstigen Werke ließ er für sich stehen.
Seine Argumentation verstand ich auch, er meinte, dass Kunst sein Ventil war, dort konnte er alles machen, was er wollte. Es war der persönlichste Ausdruck und wollte ihn lieber für sich behalten. Er sagte, dass es keinen Sinn ergab, es zu erklären, weil die Worte seinen Gefühlen einfach nicht gerecht wurden. Er hatte das so beschrieben, dass er im Prozess, also während er malte, so auf dieses Bild fokussiert war und nichts Anderes im Kopf hatte. Dadurch erschien ihm der Grundgedanke des Bildes unendlich wichtig, er fühlte sich richtig rein. Nur wenn er es dann im Nachhinein einer anderen Person beschreiben wollte, kam es ihm auf einmal so unwichtig vor. Sein Werk verlor für ihn an Wert, weil die andere Person die Hintergründe und alles nie so nachvollziehen konnte wie er. War frustrierend für ihn, deshalb hatte er es schließlich gelassen.
Ich kannte das auch so ähnlich von meinen Tattoos. Mit jedem Einzelnen verband ich bestimmte Gedanken, Ziele oder Erinnerungen, die zutiefst persönlich waren. Für mich waren sie unglaublich wichtig, aber wenn ich versuchte, ihren Wert zu erklären, kam es nie richtig rüber. Auch wenn mein Gegenüber noch so interessiert war, die Sprache erlaubte es mir nicht, meine Gefühle, die ich mit den Tattoos verband, richtig rüberzubringen. Drum verzichtete auch ich lieber auf das Erklären meiner Tats, außer es ergab sich gerade wirklich gut aus einem Gespräch heraus. T hatte ich schon manche von meinen Tattoos erklärt, einfach weil es grad zum Thema gepasst hatte.
"Okay für dich, wenn ich weiter arbeite?", erkundigte T sich bei mir.
"Sicher, die Kunst will ich nicht aufhalten"
"Du förderst sie sehr, muss ich schon sagen"
"Gut zu hören", meinte ich nickend und sah T zu, wie er Pigmente und Ei Tempera vermischte, "Kann ich vielleicht auch was zeichnen?"
"Klar, Papier oder Leinwand?"
"Papier, irgendeins, ist egal"
"Okidoki", flötete er und ging zu einem Regal, aus dem er einen A3 Block zog. Er schnappte sich noch Bleistift und Radiergummi und überreichte mir die Utensilien.
"Danke"
"No prob. Was willst du zeichnen?"
"Hm, ich weiß nicht. Hast du irgendwas da zum Abzeichnen?"
"Ja, hab so ein Anatomiebuch, wait a sec"
Er drehte sich nochmals um und kramte die Laden einer Kommode durch. Ich sah derweil seinen hinteren Nacken an, wie die lockigen Haare sich kräuselten und seine delikate karamellfarbene Haut sich spannte. Später gab's Sex, soviel war klar.
"Hier", meinte T und reichte mir besagtes Buch.
"Danke"
Und dann machten wir uns auch schon beide ans Werk. T stand an der Staffelei, hatte neben sich auf einem Tablett die Pigmente und Farben und bepinselte eifrig die Leinwand. Da er ja Keilrahmen und Leinen hier hatte, nahm ich an, dass er die selbst bespannte. Auch cool. Ich lag währenddessen am Boden neben ihm und zeichnete bemüht ein weibliches Skelett ab. Meine skills hatten sich verbessert in den letzten Monaten, auch wenn meine Vorlesungen an der Akademie nur kunstwissenschaftlicher Natur waren. Aber einfach der Kontakt mit Taehyung förderte meinen Drang zu zeichnen. Ich hatte schon früher immer wieder gern illustriert und designt, aber dank T bekam ich einen richtigen Draht zur Kunst. Es machte Spaß, etwas zu konzipieren, sich zu überlegen, wie man etwas am besten ausdrücken konnte auf Papier und das dann auch umzusetzen. Nur brauchte es halt viel Übung, um diese Ideen auch erfüllen zu können. Zum Glück war ja alles erlernbar.
Wir malten, beziehungsweise zeichneten also nebeneinander, zu hören war nur das Kratzen meines Bleistifts überm Papier und Ts Pinselstriche. Es war eine angenehme Atmosphäre und ich dachte mir mal wieder, was für ein cooles Paar wir waren. Er hatte grade gemeint, ich war förderlich für seine Kunst und das war in meinen Augen eines der schönsten Komplimente, die er mir machen konnte. Ich inspirierte ihn. Ich löste Sachen in ihm aus, die er festhalten wollte. Das machte mich wirklich mehr als alles andere glücklich.
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