Leidenschaft > Disziplin
Der Donnerstag zog sich dahin, die Müdigkeit der vergangenen Tage steckte mir noch immer in den Knochen. Wenigstens waren meine Gedanken aus der Endlosschleife ausgebrochen. Dank Taes neuer Perspektive kam etwas mehr Schwung in die Sache und eine neue Ansicht auf den Sachverhalt eröffnete sich mir. Über meine Gefühle zu sprechen, half mir oft dabei weiterzudenken.
Im Endeffekt war es doch eh gar nicht so kompliziert, wie ich es mir eingebildet hatte. Ich fand Tae scharf? Cool, dann sollte ich es doch einfach mal ausprobieren. Brachte mir ja genau gar nix, dauernd in meinem Hirn zu sitzen. Gefühle waren Gefühle und ich würde mich nach ihnen richten. War ja auch möglich, dass das mit Tae dann gar nicht so toll war. Maybe stellte ich es mir nur so vor, weil es mal was Neues war und so. Drei Jahre Beziehung konnten einem schon mal raushängen.
Wie dem auch sei, mit weitestgehend befreitem Kopf überstand ich den Donnerstag und die erste Hälfte vom Freitag, ehe ich mich zu Mittag im Max & Benito auf der Mariahilfer Straße wiederfand. Mit meinen werten Studienkolleginnen Patrick, Lini und Hannah chillte ich in dem mexikanischen Restaurant, jeder knabberte an einem prall gefülltem Burrito. Das Lokal war wie immer gut besucht, die Mariahilfer bot auch den perfekten Standort für Unternehmen, so viele Leute wie hier immer herumlatschten. Wir waren nach der letzten Vorlesung hierhergekommen, ich war zwar nicht ganz so freiwillig da, aber dafür musstet ihr Patrick verantwortlich machen.
"Oida, der Griepenkerl nervt mich so hart", nörgelte Patrick zwischen zwei Bissen. For your information, der Griepenkerl war einer unserer Professoren. Ein etwas verklemmter, alter Mann, weswegen er bei vielen ein schlechtes Image genoss.
"Ja ge. Ich bin ihm immer noch böse, weil er mir bei Prüfung letztes Jahr so unnötige Punkte abgezogen hat", stimmte Hannah zu.
Na, hattet ihr Lust auf einen kurzen Guide für Hannah? Falls nicht, skipt die nächsten zwei Absätze, aber lasst mich euch eins sagen, euch würde eine heiße Frau entgehen.
Also, Hannah, oder Albino wie wir sie manchmal spaßhalber nannten, war recht groß für Mädchenverhältnisse und gleichzeitig ziemlich dünn. For real, ihr Oberarm passte vom Volumen her wahrscheinlich viermal in meinen, schon lustig. Jedenfalls der Grund, weshalb sie den Spitznamen Albino hatte, war ihr weißblondes Haar und die glashellen blauen Augen. Ihre Haut sah legit aus wie Porzellan, weshalb sie halt leider auch schnell einen Sonnenbrand bekam. Wirklichen Albinismus hatte sie zum Glück ja nicht, sie war halt einfach vom hellen Typ.
Wegen ihrer zierlichen Erscheinung könnte man vielleicht denken, sie wäre auch charakterlich zart und schüchtern, aber nein, nein, Hannah war eine Powerfrau sondergleichen. Sie stellte alles und jeden in Frage, gab sich mit keiner Erklärung zufrieden, die sie nicht komplett verstand. Diskutieren stand bei ihr am Tagesprogramm. Sie hatte mal was mit Patrick gehabt, daher hatten wir uns kennengelernt.
"Nur weil ich gut in seinem Fach bin, zieht er mir die Scheißpunkte ab", beschwerte Hannah sich weiter und aß schnaubend ihren Burrito.
"Ja same. Hätten wir struggles, würde er uns nicht so hart beurteilen", steuerte Patrick bei.
"Aber mir zieht er auch Punkte ab und ich verkack in seinem Fach", meinte Lini. Na, Lust auch sie kennenzulernen?
Gut, Lini war vom Aussehen her so ziemlich das Gegenstück zu Hannah. Ihre Augen waren schwarz, also wirklich schwarz, kein dunkelbraun oder so, nein, nur schwarz. Ihre dichten langen Haare waren von derselben Farbe und sie hatte sie zu einem locker sitzenden Zopf zusammengebunden. Sie war bisschen dicker, vom Armumfang entsprach das schon eher meinem und sie hatte eine Hautfarbe wie eine gereifte Nuss, was ich einen sehr angenehmen Ton fand.
Lini ,von ganzen Namen Belinay, verstand schnell und war auf Zack. Ein großes Glück für sie, denn viel tat sie nicht für die Uni. Würde ich so wenig Zeit dafür aufbringen, hätte ich wahrscheinlich nicht mal das erste Semester geschafft. Aber ja, sie bekam es irgendwie hin und in der vielen Freizeit, die sie hatte, traf sie sich gern mit Leuten und ging feiern. Eine Partymaus, sozusagen. Hannah und sie lebten gemeinsam in einer WG und die beiden waren fast immer im Doppelpack unterwegs. Deswegen hatte ich logischerweise kurz nach Hannah auch mit Lini Bekanntschaft geschlossen. Ja, seitdem chillten wir hin und wieder zusammen
"Egal, scheiß auf den Griepenkerl", meinte Patrick und zuckte mit den Schultern, "Braucht ihr noch was für die Party heut?"
"Hm, nein, glaub nicht, oder Lini?"
"Neonlichter wären cool. Oder 'ne Discokugel"
"Sicher, alles drin. Limousine vielleicht auch noch?", zog er sie auf und verdrehte die Augen, sodass ich kichern musste. "Ja ja, lach nur, Jeongguk. Was ist jetzt eigentlich mit dem Künstler? Nimmst ihn mit?"
"Huh, welcher Künstler?", fragte Hannah erstaunt nach.
"Ähm, den hab ich an der Akademie letztens kennengelernt. Hab ihn aber noch nicht eingeladen für heute"
"Na, dann wird's langsam Zeit. Scheiß dich nicht an, nur weil Miri dich wieder in Beschlag nehmen will", erklärte Patrick.
"Ja eh, nur hab ich ihm halt meine Nummer gegeben und muss jetzt warten, bis er mir schreibt"
"Wann hast du sie ihm gegeben?"
"Äh, Donnerstag in der Früh? Warum?"
"Ah, Drei-Tage-Regel, das wird wohl nix vor Samstag", schlussfolgerte Hannah, auch wenn ich nicht so ganz mitkam.
"Was ist die Drei-Tage-Regel?"
"Noch nie gehört? Wenn man Nummern austauscht, schreibt man erst nach drei Tagen. Kommt sonst zu interessiert rüber"
"Ey, was redest du für einen Schmarrn?", unterbrach Lini sie, "Das ist ja keine romanctic story, Jeongguk ist mir Miri zusammen"
"Ich weiß, das gilt ja auch nicht nur für romance, das macht man generell so"
Langsam nickte ich. Drei-Tage-Regel? War ja mega unnötig, wenn man schreiben wollte, sollte man auch schreiben, Punkt. Das hörte sich ja an wie eine Strategie sonst, ein Plan, damit man nicht zeigte, wie cool man den anderen eigentlich fand. Ich konnte schon verstehen, wenn man etwas insecure war und so das bestehende Interesse verbergen wollte, aber früher oder später würde es doch sowieso raus kommen. Aber na ja, ich sollte nicht reden, war ja selbst in vielen Situationen ein overthinker.
"Also ich mach das nur bei Leuten, von denen ich was will", meinte Lini skeptisch.
"Wartet, wartet", redete Patrick aufgeregt dazwischen, "Ist das so ein Ding? Diese Drei-Tage-Regel?"
Lol, der kannte sich wohl genauso wenig wie ich aus.
"Ja, als ob ihr die nicht kennt. Macht fast jeder so"
"Ah, deswegen schreiben mir die Mädchen immer erst nach paar Tagen zurück...hab mir immer gedacht, ich wär denen doch nicht so wichtig"
"Das ist der Sinn des Plans, du Genie"
Ob Taehyung wohl auch nach dieser Regel handelte? Hm, keine Ahnung, konnte ich ihn ja dann fragen, wenn er mir mal schrieb. Ich hätte wahrscheinlich kaum die Geduld, mich drei Tage lang zurückzuhalten, nur um es so wirken zu lassen, als wär ich gar nicht so interessiert. Weil ich war nun einmal interessiert und brannte nur darauf, Kontakt mit ihm zu haben. Scheiß drauf, wie das rüberkam, Leidenschaft > Disziplin.
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