First step (Hans Zimmer)
In unseren dicken Jacken lagen Tae und ich am steifen Teppich vom Balkon und ließen ab den Knien die Beine hinunterbaumeln, weil wir sonst nicht genügend Platz zum Liegen gehabt hätten. Über uns waren noch zwei weitere Stockwerke, in denen vereinzelt Licht brannte, sonst war alles schwarz. Sterne waren keine zu sehen, genauso wenig wie der Mond. Lediglich ein absteigendes Flugzeug, das wahrscheinlich Schwechat angesteuert hatte, sah man in der Finsternis.
Von der Straße her tönten diverse Geräusche zu uns herauf, Hupen, Reifengequietsche, Menschenstimmen und Hundebellen, hin und wieder hörte man die Alarmanlage eines geparkten Autos. Kalt war mir nicht wirklich, obwohl es schon November war. Aber dafür hatte ich mich ja dick eingepackt.
Das Geländer des Balkons war aus goldenem Messing und hatte neben den vertikalen Verstrebungen auch schöne dezente Verzierungen oben am Handlauf. Außerdem standen einige Töpfe hier herum, von denen nicht alle bepflanzt waren. Salat und Kohl konnte ich erkennen, sonst sah ich nur undefinierte Grünbüschel.
"Echt cool, dass du einen Balkon hast", meinte ich und verschränkte die Hände hinter meinem Kopf.
"Ja schon. Bin gern hier draußen. Manchmal sieht man auch die Sterne"
"Sicher schön. Einmal war ich in Ottakring bei dieser Sternwarte, das war so unglaublich, ich sag's dir", erzählte ich und erinnerte mich an die Bilder von damals zurück.
Unendlichkeit konnte das Hirn nicht begreifen, vielleicht war das Universum deshalb so spannend für mich. Es gab immer noch etwas zu entdecken, man konnte nicht alles da draußen sehen. So viele Geheimnisse hütete der Kosmos und dabei sah er auch noch so wunderschön aus.
"Glaub ich dir. Magst du Sterne sehr?", fragte Tae nach und drehte seinen Kopf interessiert zu mir.
"Ja schon haha. Überhaupt das Universum mag ich. Wär ich nicht an die TU gegangen, würde ich jetzt wahrscheinlich Astrophysik studieren"
"Lol wie cool", staunte er anerkennend, während ich ihn lieb anlächelte.
"Findest du? Na ja, was hättest du gemacht, wenn nicht Kunst?"
"Hm, wahrscheinlich Biologie. Oder Saxophon vielleicht. Ich weiß nicht, aber egal, erzähl mir was Astrophysikalisches"
"Was Astrophysikalisches?", lachte ich, woraufhin er nur nickte, "Na ja, also letztens hab ich in einem Journal was über Schwarze Löcher gelesen, das war sehr spannend"
"Erzähl"
"Gut also, weißt du wie Schwarze Löcher funktionieren?", checkte ich gleichmal seinen Wissensstand ab.
"Na ja, die haben ja voll die fette Gravitation"
"Ja. Das ist, weil sie so eine enorme Masse haben. Je größer die Masse, desto stärker ist auch die Gravitation"
"Ah okay"
"Und wenn ihnen etwas zu nahe kommt und es von ihnen eingesaugt wird, dann wird dieses Ding so extrem klein zusammengepresst im Schwarzen Loch, weil die Gravitation so hoch ist. Nicht mal Licht kommt raus. Damit steigt die Masse dann also wieder und das Schwarze Loch macht sich selber nur stärker mit der Zeit. Checkst du's so weit?"
"Glaub schon...Und wenn du sagst extrem klein, kann man sich das Innere von so einem Schwarzen Lock dann wie einen Punkt vorstellen? Der halt ur viel Masse hat?"
"Ja, im Prinzip schon. Sagt dir Singularität was?"
"Puh das haben wir in Physik beim Georgi mal gemacht, aber keine Ahnung mehr"
"Das ist halt, wenn die ganze Masse in einem Punkt konzentriert ist. Der Punkt hat dann eine unendlich hohe Masse und unendlich starke Gravitation. So könnte man Schwarze Löcher sehen"
"Okay, okay, verstehe"
"Gut und ich hab eben letztens gelesen, dass mitten in unserer Galaxie der Milchstraße sich ein riesiges Schwarzes Loch befindet, Sagittarius A*. Seine Masse ist vier Millionen Mal so groß wie die unserer Sonne. Und es ist einfach der Kern unserer Galaxie, ist das nicht crazy? Ein Schwarzes Loch, das auf den ersten Blick so gierig ist, hält alles zusammen. Und es ist so bewegt, rotiert alles um sich herum. So cool"
"Wie meinst du rotieren?"
"Also, das Schwarze Loch verzerrt die Raumzeitgeometrie. Es ist kein dreidimensionaler Raum mehr, wie wir ihn kennen und Raum und Zeit hängen immer zusammen, deswegen wird auch die Zeit abgefuckt. Alle Massen machen das mit ihrer Umgebung. Und wenn irgendein Objekt darein kommt, wird es einfach von dieser Verzerrung mitgerissen und rotiert auf dieselbe Art. Wie einen Strudel kannst du dir das vorstellen. Wenn du schwimmst und da ist ein Strudel, reißt er dich auch in seine Laufbahn mit"
"Und danach wird das Teil dann erst eingesaugt vom Schwarzen Loch?"
"Yep"
"Ok lol, ich glaub, ich check's halbwegs. Ist ja mega crazy, Gravitation ist so eine arge Kraft"
"Ja, das ist sie"
"Dieses Unendlichkeitsding ist nur ein bisschen schwer zu schlucken, finde ich"
"Ja, das muss man halt irgendwie hinnehmen, sonst hängt sich das Gehirn gleich auf"
"Ja"
Mit lächelnden Augen sah ich Tae an. Echt cool, dass ihn das so interessierte. Viele schaltete schon ab, wenn sie auch nur das Wort Physik hörten. Dabei war Physik doch gar nicht so scary. Wenn man versuchte, es zu verstehen, war es auch möglich. Diese Erfahrung hatte ich jedenfalls gemacht. Obwohl, wenn ich zu sehr über die Sachen nachdachte, dann wurde es irgendwie schon wieder unlogisch. I mean, warum Massen jetzt überhaupt eine Anziehung hatte, konnte mir auch keiner sagen.
"Konntest du in der Sternwarte in Ottakring ein Schwarzes Loch sehen?", wollte Tae wissen.
"Nein, nein, das geht nicht", sagte ich und rückte mich ein bisschen zurecht, da der Teppich etwas unbequem wurde nach einer Zeit.
"Wie kann man die überhaupt sehen, wenn das Licht der Gravitation nicht entkommt?"
"Ähm man muss sich die Umgebung anschauen. Weil sie beschleunigen und rotieren ja die Objekte um sie herum. Und es gibt so Gaswolken, wenn die von einem Schwarzen Loch erwischt werden, heizen sie sich so auf, dass sie Röntgenstrahlen abgeben und so kann man die erkennen", erklärte ich und versuchte weiterhin eine angenehmere Liegeposition zu finden, war aber eher nicht erfolgreich.
"Aha okay"
Mir war das unbequeme Liegen mittlerweile zu blöd, also setzte ich mich einfach auf. Die Stirn lehnte ich an das kalte Messinggitter und schaute auf die Straße hinab. Paar Autos, Leute, Laub, Müll. Das Übliche.
Taes Beine baumelten direkt neben meinen über dem Abgrund. Wie schmal seine Knie waren, durch die dünne Stoffhose konnte ich das problemlos erkennen. Irgendwie wollte ich sie angreifen.
"Was ist eigentlich in den Töpfen angebaut?", lenkte ich mich selbst von Taes Körper ab.
"Gemüse und Kräuter. Val hat auch welche drüben auf ihrem Balkon, die essen wir gern"
"Cool, cool. Schmecken sicher gut"
"Ja, viel besser als das Zeug ausm Supermarkt"
"Glaub ich dir"
Echt fancy, dass die hier ihren eigenen kleinen Garten hatten. Trotzdem konnte diese Erkenntnis mich nicht lange von Taes Knien ablenken. Wie zart sich auch die Kniescheiben am Stoff der Hose abzeichneten, ach ich konnte nicht anders, fuck it, ich wagte es einfach.
Und so legte ich kühn meine Hand durch die Messingstäbe auf Taes rechtes Knie und betastete es behutsam. Mh, es passte so angenehm an meine Handfläche. Und der weiche Ansatz seines Oberschenkels, wie leicht er sich von meinen Fingern kneten ließ, oh man.
Kurz schaute ich über meine Schulter, um Taes Reaktion abzuchecken. Aufmerksam blickte er mich an und er hatte gerade den Mund aufgemacht, um etwas zu sagen, da schaltete mein Hirn einen anderen Gedanken dazwischen. Miri.
Schnell zog ich meine Hand wieder zurück, versteckte sie tief in meiner Jackentasche. Ja nicht wieder rauskommen sollte sie. Mein Gott, Miri. Wie konnte ich nur Taehyung berühren, wo ich sie doch erst kürzlich so verletzt hatte, mich selbst verletzt hatte. Nein, nein, zu früh, viel zu früh.
"Kein Stress", sprach Taehyung sanft und ich wandte mich wieder zu ihm, der mich mit leichtem Lächeln ansah, "Wir haben Zeit"
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