Bro, er kriegt keinen hoch
Bevor ich Taehyung eine Antwort auf seine Frage, wovor ich Angst hatte, gab, kramte ich erstmal meinen Schädel nach brauchbaren Infos durch. Wovor hatte ich Angst...? Vor Sex mit Miri lol.
Nein Spaß beiseite, Verlieren war für mich irgendwie eine gruselige Vorstellung. Wenn ich mich noch so reinsteigern und verausgaben konnte, es aber nichts an meinem Versagen ändern würde. Das war in meinen Augen schon scary. Wenn harte Arbeit mir nicht zum Ziel verhelfen konnte, sondern irgendwelche Faktoren, die ich nicht beeinflussen konnte, mir alles vermiesten. Kontrollverlust.
Ey, das war ja eine einigermaßen plausible Erkenntnis hier, good job brain.
"Also, zu deiner Frage", griff ich das Thema wieder auf.
"Ja?"
"Ich würd sagen, ich hab Angst vorm Verlieren. Dass halt meine ganze Anstrengung nix bringt und umsonst ist"
"Gib mir ein Beispiel"
"Hm, na ja...jetzt die Beziehung mit der Miri ist eh das perfekte Beispiel. Weil...ja...es ist halt so, dass ich im Bett nicht mehr funktioniere, sagen wir mal, und-"
"Warte, das check ich nicht, wie kann man nicht funktionieren?", unterbrach Taehyung mich mit verwirrt zusammengezogenen Augenbrauen.
"Bro, ich krieg keinen hoch"
"Sucks"
"In der Tat. Ich mein, manchmal geht's eh, aber seit ungefähr zwei Jahren hab ich eben den struggle. Na ja, und drum werde ich immer anxious, wenn Miri sich vor mir auszieht oder so...kann es nicht beeinflussen, ob ich anspring darauf oder nicht"
Oof nach diesem heftigen Informationsschwall musste ich erstmal einen Eistoast in meinen Mund stopfen. Schon verrückt, dass Taehyung und ich uns eigentlich erst seit ein paar Stunden kannten, wenn man die Ausstellung wegließ, und ich ihm trotzdem so etwas anvertraute. Mit Miri hatte ich immer nur so halb drüber geredet, ein paar von unseren Freunden wussten auch mehr oder weniger bescheid, aber so offen, wie ich Taehyung das grad erzählt hatte, hatte es noch keiner erfahren. Lag vielleicht auch an ihm, er gab mir irgendwie so comfortable vibes und ich hatte nicht das Gefühl, er würde es komisch finden, wenn ich ihm prekäre Sachen mitteilte. Auch jetzt musterte er mich nur mit dem gleichen wachen Blick, den er schon den ganzen Abend zur Schau getragen hatte und nahm mein Problem respektvoll zur Kenntnis.
Na ja, so wirkte es zumindest auf mich, vielleicht lachte er mich auch innerlich aus und schauspielerte nur vor mir lolol.
"Und wenn du dir selber einen runterholst? Gibt's da auch struggles?", erkundigte Taehyung sich weiter und biss beiläufig von seinem upgedradeten Nutellatoast ab.
"Nö, das geht easy. Komm nur nicht damit klar, wenn so eine ganze Frau vor mir steht, uh scary"
"Hm, vielleicht tust du dir leichter, wenn du dich nur auf einen Part von ihr konzentrierst. Keine Ahnung, was dir gefällt, aber wenn du nur ihre...I don't know, ihre Taille anschaust und alles andere ausblendest, vielleicht bist du dann nicht so überwältigt vom Ganzen? Kein Plan"
"Ja, ich versteh schon, was du meinst...gar keine schlechte Idee, das könnte ich echt mal probieren. Danke"
"No prob"
Taehyungs Idee konnte sich halt wirklich als brauchbar erweisen. Wenn ich boobies und Co. ignorieren konnte, war mein dick vielleicht nicht so eingeschüchtert und traute sich wieder mal was. Man, das musste ich möglichst bald mit Miri ausprobieren, hatte eh noch zwei Drittel des Wochenendes vor mir.
"Gut, dann zu dir. Wovor hast du Angst?", fragte ich ihn und war schon ziemlich neugierig auf die Antwort.
"Hm...", überlegte Taehyung und spielte ein bisschen mit seinen lockigen Haaren, "Vor Entscheidungen irgendwie...weil meine Interessen ändern sich schnell und ich bin oft spontan. Drum mag ich es auch nicht, mich auf irgendwas festzulegen"
"So unabhängigkeitsmäßig?"
"Ja, so ungefähr. Brauch meinen space und switch gern herum. Wenn du meine Bilder durchschaust, wird dir das auch sicher auffallen. Einen durchgängigen Stil hab ich nicht, muss immer was Neues ausprobieren"
"Mhm verstehe. Aber Kunst ist bei dir schon ein Dauerbrenner, oder?", fragte ich interessiert nach. Fand's cool, dass er sich auch so öffnen konnte.
"Meistens schon, aber an manchen Tagen würd ich am liebsten alles verbrennen und mich inklusive"
"Lol, wie ein Feuermaler"
"Feuermaler?"
"Ja, so einen hab ich mal wo gesehen. Der hat irgendwas Brennbares in Metall eingearbeitet und es dann angezündet. War voll die Show und dann hat man eben ein Bild gehabt, weil das Verbrannte dann schwarz war und das Metall silbrig wie vorher. Hat mir gut gefallen"
"Hört sich wirklich interessant an...vielleicht experimentiere ich damit ein bisschen, wenn ich mal wieder einen Impuls bekomm"
"Fackel halt nicht dich und die Wohnung ab"
"Keine Sorge, das krieg ich schon hin", grinste er und bedankte sich noch für den Vorschlag, "Letztens hatte ich auch eine Idee, ich wollte so ein Selbstporträt malen und es dann schimmeln lassen"
"Schimmeln? Warum das?", hinterfragte ich überrascht.
"Na ja, Leben halt. Alles verändert sich und ich wollte diese Naturprozesse irgendwie veranschaulichen. Und überhaupt, Zerstörung ist Kunst, auch die Selbstzerstörung. Muss aber noch ein paar Dinge testen, bevor ich damit anfange"
"Wait, wait, wait", fuhr ich dazwischen und fuchtelte mit dem Toast in meiner Hand herum, "Inwiefern ist Zerstörung Kunst?"
"Na ja, kannst du das so einfach unterscheiden, was Zerstörung ist und was nicht? Wenn ich eine Leinwand bemale, zerstör ich ihre Reinheit, aber gleichzeitig gilt das dann als Kunst"
"Guter Punkt...Aber ist es nicht die Aufgabe der Leinwand, bemalt zu werden?", konterte ich bedacht, "Dafür wurde sie doch hergestellt. Wenn ich jedoch das fertige Kunstwerk wieder weiß übermale, dann wäre es schon Zerstörung. Das Kunstwerk war ja das Ziel, verstehst du?"
"Ja, verstehe, was du meinst. Nur ist es, glaub ich, nicht so leicht, einem Objekt eine Aufgabe zuzuschreiben. Weil...nehmen wir als Beispiel einen Sessel. Was würdest du sagen, ist die Aufgabe von einem Sessel?"
"Na dass man drauf sitzen kann"
"Okay. Aber du kannst ihn auch zum Heizen im Winter verwenden. Oder den nervigen Nachbarn erschlagen. Der Sessel verbrennt dann halt, beziehungsweise zerbricht er vielleicht, aber er hat trotzdem einen Zweck erfüllt. Halt einen anderen, aber war ja durchaus nützlich, weil jetzt hast du's warm und ruhig"
"Also...du meinst, dass Zerstörung nur eine andere, ungewöhnliche Aufgabe eines Objekts ist?"
"Gut zusammengefasst. Ja, das denke ich"
"Hm, interessante Ansicht. Weil der verbrannte Sessel ist ja auch nicht tot dann. Gibt ja noch Asche und die bei der Verbrennung freigelassenen Gase und daraus kann man ja wieder was machen, Dünger oder so. Man kann nichts zerstören, irgendwie kann man immer noch Nutzen daraus ziehen. Oder die Natur"
"Ja genau! Es ist halt Veränderung. Aber keine Zerstörung"
"Ein ewiger Kreislauf. Gefällt mir. Wow, was für ein Gespräch haha", lachte ich, der Kopf schwirrte mir schon ganz vor analytischer Gedanken. Und das um drei in der Früh. Taehyung hielt mich echt auf Trab, irgendwie mochte ich das.
"Ein ewiger Kreislauf...", wiederholte Taehyung murmelnd meine Worte und biss gedankenverloren von seinem tropfenden Eistoast ab. Drehung, Bewegung, Veränderung...langsam verstand ich, welche Bedeutung diese Begriffe für ihn hatten.
Wir redeten noch eine ganze Weile weiter. Nicht nur über solch philosophischen Themen, sondern auch über die vorstellbar banalsten. Welches Obst wir schälten und bei welchem wir die Schale mitaßen. Oder was wir so auf unseren Nachtkästchen liegen hatten. Äußerst wichtig war natürlich auch, ob wir beim Duschen gleichzeitig pinkelten. Dazu ein eindeutiges Ja von beiden Seiten.
Ja, und so verging die Nacht. Obwohl ich nicht wirklich das Gefühl hatte, als würde die Zeit voranschreiten. In der Nacht fror mein Verständnis für Zeit irgendwie ein und die ganzen neun Stunden Dunkelheit wurden zu einer einzigen Einheit. Klar, ich konnte auf die Uhr schauen und die Uhrzeit ablesen, aber ihre Bedeutung hatten diese Zahlen verloren. Wiederauftauen tat mein Zeitgefühl erst wieder mit den ersten hellgrauen Farbübergängen, die der frische Herbstmorgen mit sich brachte. Taehyung und ich verabschiedeten uns, noch bevor der erste Frühaufsteher uns begegnete.
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