5. Peinlich!
Als ich am darauffolgenden Wochenende aufwache und ein wenig Sehnsucht nach meinen Eltern verspüre, hadere ich nicht lange mit mir und greife nach meinem Handy. Blind wähle ich die Festnetznummer meine Eltern, bevor kurz darauf das Freizeichen ertönt.
»Josi, mein Schatz. Endlich meldest du dich. Dein Vater kaut mir seit Tagen ein Ohr ab«, erklingt die fröhliche Stimme meiner Mom und ein leises Lachen entfährt mir. »Ich freue mich auch deine Stimme zu hören. Wie gehts euch? Musst du Dad schon anbinden?«
»Ach, der übersteht das schon. Uns geht es soweit gut. Wir arbeiten an den Plänen für den Umbau und sind viel am Arbeiten. Das Haus ist ohne dich so leer«, stellt sie fest. Augenblicklich keimt in mir das schlechte Gewissen auf. Andererseits fühle ich mich in der jetzigen Situation gerade sehr wohl. Sie können nicht erwarten, dass ich für immer und ewig zu Hause wohnen werde. Ich muss eigene Erfahrungen machen und das müssen sie verstehen.
»Mom, ich lebe jetzt in Austin und wenn ich euch besuchen komme, übernachte ich im Gästezimmer. Hier spielt sich jetzt mein Leben ab und ich habe schon Freunde gefunden. Ihr wisst, wie sehr ich euch liebe, aber ich muss auf meinen eigenen Beinen stehen«, erinnere ich sie und höre sie am Telefon leise seufzen.
»Das weiß ich, mein Schatz. Ich schätze wir müssen uns einfach daran gewöhnen, dass du jetzt erwachsen bist«, meint sie. Ich kann Verständnis, Liebe und Sehnsucht in ihrer Stimme wahrnehmen und kann mir vorstellen, dass es schwierig sein muss, das eigene Kind von dannen ziehen zu lassen. Andererseits waren meine Eltern vor einigen Jahren in derselben Situation, in der ich mich gerade befinde, und müssten doch eigentlich nachvollziehen können, dass ich irgendwann auf meinen eigenen zwei Beinen stehen möchte.
»Jetzt erzähl mal von deinen ersten Wochen. Dein Dad sagte, du hast schon eine Mitbewohnerin?«, fragt sie mich neugierig und wechselt das Thema. Der traurige Unterton in ihrer Stimme ist von der einen zur anderen Sekunde verschwunden.
»Meine erste Woche war toll. Ich hatte schon viel zu tun und habe bereits angefangen mich mit dem Stoff auseinander zu setzen und kann deshalb heute etwas weniger machen«, erkläre ich, bevor ich einmal tief ein- und ausatme. »Was meine Mitbewohnerin angeht, muss ich euch noch etwas beichten.«
Ich hoffe, sie erleidet keinen Herzinfarkt, wenn ich ihr von Cameron erzähle. Aber immerhin muss ich mich nicht mit Dad herumschlagen. Ich bin mir sicher, dass er in den nächsten Flieger springen und Cameron an seinen Ohren aus der Wohnung schleifen würde. Danach würde er mir mit Sicherheit einen Keuschheitsgürtel anlegen.
»Was ist denn mit ihr?«
»Nun ja, es ist keine Mitbewohnerin geworden, sondern mehr ein Mitbewohner. Es gab ein kleines Missverständnis und Cameron hat dringend eine neue Wohnung gebraucht«, erkläre ich ihr zögernd. Als sie nichts erwidert, rattert mein Kopf nach einer Erklärung, die besänftigen kann. »Aber er ist wirklich sehr nett und wir kommen gut miteinander klar.«
Eine Weile herrscht Stille und innerlich stelle ich mich schon darauf ein, dass ich gleich eine Standpauke bekommen, doch als ich die Stimme meiner Mutter höre, weiß ich, dass dem nicht so ist. Nicht mal ein kleines bisschen Aufregung ist herauszuhören und dass obwohl ich mit einem Mann unter einem Dach lebe, der nicht mein Vater ist.
»Ich würde vorschlagen, dass das unter uns bleibt. Deinem Dad erzählen wir da vorerst besser nichts von. Seine Reaktion kannst du dir wahrscheinlich vorstellen. Ich bitte dich nur, auf dich aufzupassen, Josephine«, meint sie. Sie klingt ernst. Es wundert mich, dass sie Dad vorerst nichts von Cameron erzählen möchte, weil ich ihre Einstellung zu Lügen und Geheimnissen nur zu gut kenne, aber ich bin froh, dass sie so gelassen reagiert.
»Aufzupassen? Cameron wird mich schon nicht ausrauben«, hake ich verwirrt nach.
»Du bist 20 Jahre alt. Dieses Thema geht mich eigentlich nichts an, aber ich habe in diesem Alter auch näheren Kontakt mit Männern gehabt. Ich vertraue dir, Josephine. Aber ich möchte, dass du im Fall der Fälle verhütest. Nicht nur aus Schutz vor einer Schwangerschaft, sondern auch aus Schutz vor Krankheiten, okay? Ich weiß, du bist ein kluges Mädchen, aber glaub mir, sowas kann schnell vergessen werden«, erklärt sie mir. Ich reiße die Augen auf und schüttele wild meinen Kopf.
„M-Mom, i-ich-«, beginne ich stotternd und will sagen, dass so etwas niemals passieren wird. Cameron und ich sind grundverschieden. Auch, wenn Gegensätze sich anziehen, weiß ich, dass es bei uns nicht so sein wird.
»Ich sage es nur, mein Schatz. Außerdem gibt es in Austin sicherlich nicht nur diesen Cameron«, meint sie und ich brumme zustimmend, weil es mir unangenehm ist, mit ihr über Sex und Verhütung zu sprechen.
Der Aufklärungsunterricht in der Schule und das anschließende Gespräch mit meinen Eltern ist noch immer eine schreckliche Erinnerung. Ich habe nicht einmal mit Sarah über so etwas gesprochen. Einzig allein in meinen Büchern gibt es ab und an Szenen, die nicht gerade jugendfrei sind. Es zu lesen ist aber eine ganz andere Sache, als mit meiner Mutter oder anderen Leuten darüber zu sprechen.
»Sieht er wenigstens gut aus?«, fragt sie, als ich nichts erwidere. »Mom«, sage ich in einem mahnenden Ton und kann nicht verhindern, dass selbst jetzt meinen Wangen erröten. »Ah, ich habe also Recht?«, fragt sie belustigt
Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich mit meiner Mom zuletzt ein derartig vertrautes Gespräch habe. Ich habe es immer für mich behalten, wenn ich einen Jungen in der Schule süß fand. Die Einzige, der ich davon erzählt habe, war Sarah – aber auch nur, nachdem sie mich lange genug damit genervt hat. Mir fällt es auch heute noch nicht leicht über diese Dinge zu reden, aber ich finde daran nichts verwerflich. Dann bin ich eben ein wenig anders als all die Mädchen, mit denen ich zur Schule gegangen bin.
»Ja, er sieht gut aus«, meine ich leise und hoffe, dass Cameron nichts hören kann. Wer weiß, wo der sich schon wieder rumtreibt. »Wusste ich es doch. Sag niemals nie, Schatz. Vielleicht merkst du, dass ihr doch mehr gemeinsam habt«, meint sie lachend.
»Nein, das glaube ich nicht«, erwidere ich. »Können wir über etwas anderes sprechen?«
»Natürlich. Dennoch ist es wichtig, dass wir uns vertrauen. Gerade jetzt, wo du Stunden von uns entfernt lebst, okay? Du kannst jederzeit mit uns sprechen und wenn es etwas ist, was du nicht mit deinem Vater teilen möchtest, dann werde ich es ihm nicht erzählen. Wir dürfen ruhig ein paar Geheimnisse haben.«
»Das weiß ich. Ich liebe dich, Mom!«
»Ich liebe dich auch. Ich muss jetzt aber wieder zu deinem Vater, sonst kommt er noch hoch und stellt Fragen«, meint sie lachend. Ich kichere leicht als sie das sagt. »Okay, grüß ihn von mir. Bis bald«, verabschiede ich mich.
»Das mache ich. Bis bald, mein Schatz«, höre ich sie noch sagen, bevor sie die Verbindung unterbricht.
Ich lege mein Handy auf die Kommode neben meinem Bett und mache mich daran aufzustehen. Sofort ziehe ich die Vorhänge zur Seite und lächle, als die Sonne scheint und ein paar Sonnenstrahlen den Raum in einem schönen Tageslicht erhellen. In meinem Kleiderschrank suche ich nach einem schwarzen Faltenrock und einem weißen Shirt, das ich schon einmal auf mein Bett lege, damit ich die Sachen später anziehen kann. Ich schlüpfe in meinen flauschigen, weißen Bademantel und laufe ins Bad gegenüber.
Erst als ich die Tür schon geöffnet habe, bemerke ich, dass das Wasser der Dusche rauscht. Gerade als ich mich umdrehen will, um schnellstmöglich den Raum zu verlassen, zieht Cameron den Vorhang auf und steht splitterfasernackt vor mir. Hörbar ziehe ich die Luft ein und rutsche fast aus, als ich mich umdrehen will, kann jedoch meinen Blick nicht von ihm nehmen.
Sein Oberkörper ist muskulös und in meinen Augen beinahe perfekt. Seine strammen Oberschenkel und seine breiten Schultern sehen ebenfalls danach aus, dass er sie regelmäßig trainiert. Allerdings habe ich ihn noch nie in Sportkleidung gesehen und weiß nicht, ob er nicht einfach verdammt gute Gene hat. Als mein Blick zu seiner Körpermitte wandert, reiße ich die Augen auf.
Seine Augen weiten sich und die Worte bleiben ihm ebenfalls vor Schreck im Hals stecken, bevor er den Vorhang wieder zu zieht.
Verdammte Scheiße. Wieso stehe ich hier eigentlich noch? Peinlicher kann es somit nicht mehr werden. Ich gebe einen gequälten Laut von mir, ehe ich panisch die Flucht ergreife, die Tür hinter mir zu knalle und in mein Zimmer flüchte. Einen Augenblick lehne ich mich gegen meine Zimmertür, um meinen Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bringen. Erst nach einigen Augenblicken gelingt mir das, doch ich spüre, wie das Blut in meine Wangen schießt.
Als ich höre, wie sich eine Tür leise öffnet und schließt, gehe ich zum Bett herüber. Augenblicklich wünsche ich mir, dass der Erdboden sich öffnet und mich für immer verschluckt. Diese ganze Situation ist mehr als peinlich und ich kann mir vorstellen, dass Cameron unfassbar sauer auf mich ist. Immerhin habe ich ihn beim Duschen überrascht und angestarrt.
Wieso schließt er denn auch nicht ab? Dann wäre es niemals so weit gekommen und ich hätte ihn nicht als wäre er irgendein Meisterwerk in einem bedeutsamen Museum. Fakt ist, dass ich gerade wohl oder übel das erste Mal einen Mann gesehen habe – so wie Gott ihn schuf. Peinlich berührt vergrabe ich meinen Kopf unter meinen Kissen und wünsche mir, dass er mich nicht für vollkommen verrückt hält.
Mein Atem setzt aus, als ich ein leises Klopfen an meiner Tür höre und brumme nur, ehe ich mich wieder verstecke. Natürlich muss er mich darauf ansprechen. Ich weiß nicht, wie ich in seiner Situation reagieren würde, aber ich schätze, dass ich meinen Gegenüber auch zur Rede stellen würde.
»Ist alles okay?«, höre ich Cameron unsicher fragen. Das Bild, das er in den letzten Wochen und Tagen von mir zu sehen bekommen hat, ist wirklich großartig. Er denkt, ich bin ein Stubenhocker, obendrein total unerfahren und lauere nackten Menschen unter der Dusche auf, nur um dann wie ein Reh im Lichtkegel eines Autos zu starren.
»Es tut mir unfassbar leid. Ich habe gedacht, das Bad wäre frei. Es war nicht abgeschlossen. Ich wollte dich nicht... anstarren«, meine ich und krieche unter meinem Kissen hervor, ehe ich ihn unsicher anblicke. Spätestens meine glühenden Wangen müssen ihm verraten, wie unangenehm mir diese Situation eigentlich ist. Verlegen beiße ich mir auf die Unterlippe und sehe wieder weg, als er nichts sagt, sondern bloß grinst.
»Ist schon okay. Ich hätte wirklich abschließen sollen. Das habe ich heute morgen wohl schlichtweg vergessen«, erklärt er und lacht leicht. »War einfach nicht meine Uhrzeit.«
»Es ist halb elf«, meine ich und sehe ihn nun skeptisch an, als er sich in Boxershorts auf mein Bett setzt und mich ansieht. »Und ich bin gestern spät nach Hause gekommen und war nicht früh am Schlafen wie meine reizende Mitbewohnerin«, erwidert er grinsend während er sich den Nacken kratzt. Dass ich bis drei Uhr in der Frühe ein unfassbar gutes Fantasybuch gelesen habe, verrate ich ihm lieber nicht.
»Jedenfalls... gib mir noch drei Minuten und du kannst dann sofort ins Bad«, teilt er mir mit und erhebt sich, um zu verschwinden. Allerdings stoppt er im Türrahmen und sieht mich noch einmal kurz an. »Ich habe Joy übrigens deine Nummer gegeben. Sie meinte, sie wollte dich fragen, ob du eventuell mit auf eine Party kommst.«
Ich sehe ihn nur verwirrt an. Allerdings macht sich auch eine gewissen Überraschung in mir breit. »Wieso will sie, dass ich mitkomme?«
»Sie mag dich scheinbar, außerdem scheinst du nicht viele Freunde zu haben. Ich schätze, sie ist einer Freundschaft mit dir nicht abgeneigt«, meint er schulterzuckend. »Dir ist schon klar, dass du mir gerade indirekt an Kopf wirfst, dass ich einsam bin, richtig?«
»Hey, du hast mein bestes Stück gesehen. Das war genug Nettigkeit für heute«, meint er und grinst, ehe er mir zuzwinkert. Augenblicklich werde ich wieder rot, was sein Grinsen verstärkt.
»Überlege es dir einfach mal. Solche Partys können dir wirklich mal helfen ein wenig Spaß zu haben. Das Einzige, was du in dieser Woche gemacht hast, war zu lernen oder Netflix zu schauen«, sagt er. Das Grinsen ist aus seinem Gesicht gewichen. Stattdessen sieht er mich ernst an.
»Und das ist schlimm, weil...?« Er grinst daraufhin nur und schüttelt den Kopf. »Ein bisschen Spaß muss sein. Gib dir einen Ruck, ja?«, meint er, bevor er mir ein Lächeln schenkt und mein Zimmer verlässt. Kurz darauf höre ich, wie er wieder im Badezimmer verschwindet.
Er muss wirklich denken, dass ich nichts anderes im Kopf habe als die Uni, Netflix oder meine Bücher. In gewisser Weise stimmt das ja auch, aber ich tue mich schwer, neue Leute kennenzulernen und ich möchte Joy nicht verschrecken, weil ich glaube, dass wir uns wirklich gut verstehen.
Mein klingelndes Handy reißt mich aus meinen Gedanken und zeigt mir eine unbekannte Nummer an. Ich runzele die Stirn und frage mich, ob Cameron Joy darauf angesetzt hat, ausgerechnet jetzt anzurufen. Andererseits könnte es auch jemand anderes sein, weshalb ich zögernd rangehe.
»Hallo?«
»Hey, Jo. Ich bin es, Joy«, begrüßt sie mich mit ihrer fröhlichen Stimme und scheinbar hatte ich doch einen richtigen Verdacht. »Sag mal... hast du heute schon was vor?«, fragt sie direkt. »Nein, eigentlich nicht«, meine ich und warte, bis die Frage mit der Party kommt, weil Cameron mich ja bereits eingeweiht hat. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich sie begleiten soll.
»Gut, wir treffen uns in einer Stunde in der Innenstadt, gehen ein bisschen bummeln und heute Abend auf meine Party. Ich schicke dir meinen Standort, sobald ich da bin. Bis gleich!«
Ich will gerade etwas erwidern, da bemerke ich, dass sie schon aufgelegt hat. Mit großen Augen blicke ich auf das Telefon und schüttele den Kopf, ehe mir ein leises Lachen entfährt. Wieso beschleicht mich das Gefühl, dass sie genau gewusst hat, dass ich mir nicht sicher bin, was die Party betrifft? Scheinbar bin ich doch eine dieser Personen, die manchmal zu ihrem Glück gezwungen werden müssen. Ein wenig perplex speichere ich Joys Nummer ein, ehe ich das Handy weglege.
Genau in dem Moment kann ich die Badezimmertür hören, ehe Camerons Stimme ertönt. »Bad ist frei!«, ruft er belustigt und ich grinse schief, ehe ich mich an einen zweiten Versuch wage, damit ich auch ja pünktlich bin.
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