2. Austin
Seufzend lasse ich mich auf einen der vielen Umzugskarton fallen, die sich im Wohnzimmer meiner neuen Wohnung stapeln. Erschöpft streiche ich mir ein paar lose Haarsträhnen aus dem Gesicht, die es doch noch geschafft haben, sich aus meinem Zopf zu lösen.
Mein Dad hat beschlossen, mir bei dem Umzug von Denver nach Austin zu helfen, und auch wenn ich es zu schätzen weiß, wäre es mir lieber, wenn er es einfach sein lassen würde. Inzwischen hat er die zweite Kiste mit meinen Büchern geöffnet und stapelt meine Schätze achtlos auf dem Boden.
»Du musst wirklich nicht deine Zeit damit verschwenden«, sage ich und versuche es ihm klarzumachen, dass ich seine Hilfe nicht möchte. Die Sortierung meiner Bücher ist dahin, die Schränke stehen nicht dort, wo ich sie gerne hingestellt hätte und mein Couchtisch wurde zweckentfremdet. Generell gleicht das Wohnzimmer einem Schlachtfeld. Der Anblick und die Tatsache, dass mein Vater sich in alles einmischt, sorgen langsam aber sicher dafür, dass mein Geduldsfaden zu reißen droht.
»Meinst du nicht, dass du langsam wieder nach Denver fliegen solltest? Ich kann den Rest allein machen. Wirklich!«, versichere ich ihm ein weiteres Mal und hoffe, dass er endlich nachgibt. Andernfalls werde ich in den nächsten dreißig Sekunden explodieren und meinen Unmut an ihm auslassen. Dabei ist es das Letzte, was ich gerade tun möchte.
»Ich will dir doch nur ein wenig Arbeit abnehmen, Mäuschen. Deine Mutter versteht das schon«, erwidert er abwesend und will sich gerade dem nächsten Karton mit meinen geliebten Romanen widmen. Doch ich reagiere schneller und ziehe den Karton von ihm weg. Fragend sieht er mich an und baut sich vor mir auf. Ich seufze leise und stemme die Hände in meine Hüften.
»Meine Möbel sind aufgebaut. Die Schränke stehen. Dad, ich liebe dich, aber ich würde den Rest gerne allein machen. Mom vermisst dich und bald ist die Wohnungsbesichtigung. Willst du, dass die einzige Bewerberin schreiend herausläuft, weil du hier alles kreuz und quer auspackst und einfach stehen lässt? Versteh doch, dass ich mich einfach selbst einrichten möchte. Von Dekoration hast du sowieso keinen blassen Schimmer!«, sage ich und versuche es mit einem Lächeln wiedergutzumachen.
»Du willst mich rausschmeißen? Das ist der Dank dafür, dass ich dir eine Wohnung bezahle?«, fragt er und sieht mich aus traurigen Augen an.
Ach, verdammt.
»Ich bin euch sehr dankbar, dass ihr euch die Mühe macht und alle Kosten übernehmen möchtet. Ich weiß, dass nicht viele Studenten derartige finanzielle Unterstützung von ihren Eltern erwarten können, aber dennoch musst du akzeptieren, dass ich mit zwanzig Jahren erwachsen bin und meine eigenen Entscheidungen treffen muss. Dazu zählt auch, dass ich meine eigene Wohnung so einrichte, wie es mir gefällt, okay?«
Ein leises Seufzen entfährt ihm und ich kann das schlechte Gewissen in der hintersten Ecke meines Schranks schon beinahe schreien hören.
»Ich weiß, dass du erwachsen bist, Schätzchen, aber du musst mich auch ein bisschen verstehen. Du gehst jetzt endlich aufs College, suchst dir aber ausgerechnet eine Universität aus, die mehrere Stunden von Denver entfernt ist!«
»Irgendwann musst du mich loslassen. Am besten nimmst du den nächsten Flieger und ich verspreche, dass ich mich regelmäßig melden werde. Außerdem sehen wir uns in wenigen Wochen schon wieder. Komm schon, Dad. Mom vermisst dich und die Hotelrechnungen werden immer höher«, versuche ich ihn zu überzeugen.
Eine Weile sieht er mich an, ehe er auf mich zukommt und mich in seine Arme zieht. »Wenn du dir ganz sicher bist, dann werde ich zurückfliegen, in Ordnung? Ich wollte dir wirklich bloß helfen, Mäuschen. Ich wollte nicht, dass du dich bedrängt fühlst und du hast Recht. Sicherlich vermisst deine Mom mich ebenso sehr, wie ich sie vermisse«, murmelt er und ich lächle, als ich meine Arme ebenfalls um ihn lege. Obwohl ich gar nicht mal so klein bin – immerhin bin ich ganze 1,73 Meter groß, was bei Moms Größe wirklich ein Wunder ist – überragt er mich trotzdem noch um fast zwei Köpfe.
Ich kann seine Sorge um mich verstehen und ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mich so tatkräftig während des Studiums unterstützen wollen. . Sie haben mir alles geboten, was sich ein kleines Mädchen nur wünschen konnte, doch irgendwie ist es mir verwehrt geblieben, richtige Freundschaften aufzubauen. Die Mädchen in der Schule haben nur sporadisch mit mir gespielt, weil sie dachten, ich sei eine verwöhnte Prinzessin. Vermutlich lag es daran, dass meine Eltern mich mit Geschenken überhäuft haben, die ich eigentlich gar nicht wollte. Je älter ich wurde, desto weniger wollten die Schüler meiner Schule mit mir zu tun haben. Anders als sie, durfte ich nicht auf Partys gehen, allein in den Urlaub fliegen oder das tun, wonach ich mich sehnte. Ich will meinen Eltern nichts Schlechtes. Im Gegenteil. Ich liebe sie sehr, aber mit zwanzig Jahren und der Cousine als einzige Freundin, habe ich das Bedürfnis meine eigenen Erfahrungen zu machen.
Als die Zusage für das BWL-Studium an der University of Texas im Briefkasten lag, habe ich mich sehr gefreut. Es ist nicht so, dass ich meine Eltern nicht liebe, aber ich habe seit Langem den Wunsch verspürt, eine gewisse Zeit ohne sie zu verbringen und was wäre da eine bessere Möglichkeit als ein Studium mehrere Stunden von meinem Zuhause entfernt? Ursprünglich habe ich überlegt in ein Studentenwohnheim zu ziehen, aber das hat mein Vater nicht zur Debatte gestellt. Lieber gibt er eine Unmenge an Geld aus und mietet eine Wohnung für mich an. Mit einer eigenen Zumindest ist das die Ansicht meines Vaters.
»Okay. Ich glaube...ich glaube, ich werde jetzt gehen«, sagt er dann und löst sich von mir, ehe er mir einmal in die Augen blickt. »Ich liebe dich, Mäuschen. Wir sind stolz auf dich und wollen nur dein Bestes, hm?«
Ich nicke lächelnd. »Ich weiß. Ich liebe euch auch. Grüß Mom von mir, ja? Und melde dich, wenn du wieder in Denver bist«, erwidere ich. Als Antwort erhalte ich nur ein Nicken, ehe er mir einen Kuss auf die Stirn drückt und einmal durch meine braunen Haare fährt.
Er löst sich von mir und sucht in dem Chaos, das er verbreitet hat, nach seiner Jacke. Als er sie schließlich findet, blickt er mich noch einmal lächelnd an, ehe er sich auf den Weg zur Tür macht. Ohne noch einmal etwas zu sagen, verlässt er die Wohnung. Die Tür fällt ins Schloss und augenblicklich überkommt mich ein Gefühl der Erleichterung.
Austin ist ab sofort mein neues Zuhause.
Endlich bin ich allein in meiner Wohnung und kann diese nach meinen Wünschen und Vorstellungen einrichten. Niemand ist mehr da, der mir dazwischenfunken kann. Fast eine Woche haben mein Dad und ich aufeinander gehockt und das Gefühl, endlich allein zu sein, sorgt dafür, dass ich mich augenblicklich entspanne.
Ich schüttele den Kopf und atme einmal tief ein und aus, ehe ich meinen Zopf erneuere und mich daran mache, meine Bücher endlich so ins Regal zu stellen, wie sie es verdient haben. Ich knie mich auf den Boden und beginne erst einmal damit, die Bücher nach Genre zu sortieren.
Ich muss die Zeit im Blick behalten und ein wenig Ordnung schaffen, bevor die Bewerberin für das freie Zimmer in meiner Wohnung vor der Tür steht. Eigentlich habe ich mir erhofft, dass sich mehr Leute dafür interessieren würden, doch dem war nicht so. Erst gestern Abend kam die Mail von einer gewissen Cameron James, die sich das Zimmer gerne ansehen würde. Ich bin schon gespannt, ob ihr die Wohnung gefällt und wie sie so ist. Immerhin bringt es mir nichts, wenn ich jemanden einziehen lassen, mit dem ich nicht klarkomme.
Der erste Eindruck ist in diesem Fall ausschlaggebend und entscheidet wohl oder übel darüber, ob ich weiterhin allein hier leben werde oder mein Dad wenigstens finanziell ein wenig entlastet wird.
***
Zwei Stunden später sieht das Wohnzimmer schon sehr akzeptabel aus. Die Bücherregale sind nach wie vor mein persönliches Highlight in dieser Wohnung. Insgesamt wirkt es noch ein wenig unpersönlich, aber dafür, dass ich die letzten Stunden einem hohen Tempo alles an Ort und Stelle gerückt und die letzten Kisten in mein Zimmer verfrachtet habe, bin ich zufrieden. Mit der Zeit werde ich mich darum kümmern, dass die Wohnung ein wenig wohnlicher aussieht. Insgesamt bin ich fürs Erste zufrieden. steht in der Ecke gegenüber der Tür. Von dort aus hat man einen guten Blick auf das Sideboard, das an der Wand montiert ist. Neben einigen Bilderrahmen, die ich dort vorerst stehen lassen möchte, ist dort auch der Fernseher aufgebaut, den mein Vater mir zum Einzug geschenkt hat. Ein paar Kissen sorgen dafür, dass sie hellgrauen Wände den Raum nicht so trist aussehen lassen und die Gardinen am Fenster wehen in einem hellen Blauton in den Raum hinein.
Ich glaube, dass Dad nach meinem Umzug pleite sein muss, aber er hat auf all diese Dinge bestanden und jegliche Diskussionen mit mir beendet, bevor sie überhaupt beginnen konnte.
Pünktlich auf die Minute klingelt es, als ich gerade ein frisches weißes Top über den Kopf ziehe und meine Haare richte. In schnellen Schritten laufe ich zur Tür und öffne diese. Zwei Augenpaaren sehen mich musternd an.
»Hi. Du bist Josephine, richtig?«, fragt die Blondine mich und lächelt mich freundlich an. Einen kurzen Moment lasse ich meinen Blick über ihren Körper wandern. Sie trägt eine schwarze, kurze Shorts sowie ein dunkles, abgenutztes Shirt. Darauf kann ich ein verwaschenes Logo erkennen, kann aber nicht herausfinden, um was genau es sich handelt. Das Shirt hat sie über ihren Bauchnabel zusammengeknotet. Ihre blonden, langen Haare fallen ihr glänzend über die Schulter und ihr Make-Up betont ihre blauen Augen.
Danach wandert mein Blick zu ihrer Begleitung. Einem verdammt attraktiven Mann, der mich ebenfalls mustert. Über seinen Oberkörper spannt sich schwarzes Muskelshirt und seine Beine stecken in dunklen Jeans. Die Haare hat er perfekt gestylt und das Lächeln, das er mir zuwirft, ist strahlend weiß. Seine Arme hat er vor der Brust verschränkt und ich erkenne eine gute Masse an Muskeln. Er sieht unverschämt gut aus und das erkenne selbst ich, obwohl ich bisher noch nicht viel näheren Kontakt zu Männern hatte.
»Genau. Ich bin Josephine. Ihr seid hier, um die Wohnung anzusehen, richtig?«, frage ich, als ich bemerke, dass ich ihn noch immer ansehe und reiße meinen Blick von ihm los. Als die beiden nicken, trete ich zur Seite und setze ein Lächeln auf. Ich spüre jedoch, dass mir das Blut direkt wieder in die Wangen schießt.
Wehe, du vergeigst das, Jo!
»Wenn ihr möchtet, könnt ihr euch gerne umsehen. Ich bin selbst erst vor ein paar Tagen hierher gezogen, also entschuldigt, falls es hier und da noch ein wenig unordentlich ist«, erkläre ich lächelnd und lasse sie vorgehen. »Das Zimmer liegt am Ende des Flures«, werfe ich noch hinterher, ehe sie im Wohnzimmer verschwinden.
Nach einer Weile kommen die beiden wieder ins Wohnzimmer und ich erhebe mich vom Sofa. Ich wollte ihnen nicht hinterherlaufen und somit das Gefühl geben, dass ich sie beobachten würde. Ein Grinsen legt sich auf die Lippen des Mannes und wieder habe ich das Gefühl erröten zu müssen. Ich bin beinahe unfähig ein Wort zu sagen, als er mich unterbricht.
»Wenn du nichts dagegen hättest, würde ich gerne einziehen. Die Wohnung ist super!«
Augenblicklich weiten sich meine Augen, als er das sagt. Ich blicke zwischen den beiden hin und her und hoffe wirklich, dass es sich hier um einen Scherz handelt. Beide sehen mich erwartungsvoll an und ich bin wohl oder übel dazu gezwungen, etwas zu sagen. Dabei habe ich das Gefühl, die Worte stecken mir im Hals fest.
Mir ist gerade zum Lachen und Weinen gleichzeitig zumute. Ich dachte, ich hätte wirklich jemanden gefunden, der mein schlechtes Gewissen ein wenig beruhigen könnte und nun steht ein wildfremder Kerl vor mir.
»Versteh mich bitte nicht falsch, aber ich hatte explizit nach einer Mitbewohnerin gesucht. Ich dachte, dass du einziehen möchtest«, sage ich und deute auf das Mädchen. »Ich dachte, Cameron wäre ein Frauenname!« Ein leises Lachen entfährt ihm und er schüttelt den Kopf. Auch die Blondine grinst amüsiert, was dafür sorgt, dass meine Wangen zu glühen beginnen.
»Tut mir leid. Vielleicht hätten wir uns einfach noch einmal vorstellen müssen. Das ist Joy Maxwell, eine gute Freundin von mir und ich bin Cameron James. Der Name ist Unisex«, erklärt er. »Ich brauche dringend eine neue Bleibe und auch, wenn du dir eine Mitbewohnerin gewünscht hast, würde ich hoffe, dass du ein Auge zudrückst und mich trotzdem einziehen lässt. Ich verspreche, ich beiße nicht. Es sei denn, du möchtest das«, meint er lachend und ich blicke ihn sichtlich erschrocken mit großen Augen an.
Sofort ändert sich seine Miene und er sieht mich ernst an. »Bitte, Josephine. Ich habe nicht so viele Möglichkeiten«, sagt er. »Du würdest mich tagsüber nicht so viel sehen. Meistens bin ich mit Joy und meinem besten Freund Alex unterwegs und es geht mir nur darum, dass ich einen Ort zum Schlafen habe.« Ich betrachte ihn skeptisch.
Dads Reaktion will ich mir gar nicht ausmalen. Wenn er erfährt, dass ich kurz davor bin, einen fremden Mann bei mir einziehen zu lassen... Aber andererseits könnte ich ihm so einen kleinen Teil zurückzahlen.
»I-ich... Okay. Du kannst einziehen!«, entfährt es mir, kaum habe ich meinen Gedankengang beendet. Ehe ich mich versehe, klatscht Joy begeistert in ihre Hände und legt eine Hand auf Camerons Schulter ab. »Perfekt. Du glaubst gar nicht, wie dankbar ich dir bin!«
»Der Preis ist okay für dich?«, frage ich ebenfalls mit einem kleinen Lächeln im Gesicht. »Ja, das klappt«, erwidert er. »Okay. Deal?« Cameron zieht grinsend seine Augenbrauen in die Höhe und blickt auf meine Hand, die ich ihm ausgestreckt hinhalte. »Du stehst auf Förmliches, kann das sein?«
»Du hast ja keine Ahnung«, murmele ich, als er meine Hand greift und wir das Ganze mit einem Handschlag besiegeln.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro