[04]
Jisung PoV
Es war deutlich einfacher unbemerkt mit einer ziemlich großen Rasenkantenschere und er kleiner Bank mit Kissen in den Wald zu gehen, als ich erwartet hatte. Unser Gärtner war mit den Beeten in Vorgarten beschäftigt und meine Eltern arbeiteten. Immerhin wurde man nicht reich von nichts tun. Außer natürlich, wenn man gut erbte. Aber das hatten wir nicht. Meine Eltern hatten sich das hier zum allergrößten Teil selbst aufgebaut.
"Kann man dir helfen?", hörte ich die Stimme des hübschen Jungen, den ich gestern kennengelernt hatte.
"Ich bekomme das schon hin.", erwiderte ich stur und ging ein wenig unbeholfen mit der Bank weiter, wobei ich fast hin fiel. "Ich bin kein hilfloser Trottel."
"Das ist ja nicht mit anzusehen...", lachte er. "Na komm, ich nehme ein Ende und du das andere."
Wir trugen sie gemeinsam das letzte Stück zur Lichtung, wo ich mich schmollend auf die Bank legte.
"Schmollen hilft dir auch nicht weiter, Darling.", grinste er und fuhr mit dem Daumen über meine Unterlippe, weshalb ich diesen spaßeshalber anleckte. "Bah, Jisung."
Ich konnte nicht anders, als zu lachen. Er sah einfach zu lustig aus, wenn er angewidert war.
"Du findest das also lustig, ja?", versuchte er eindrucksvoll zu sagen, doch ich hatte mich durch meine Lehrer viel zu sehr an diesen Blick gewöhnt.
"Ja, schon.", antwortete ich frech. "Hast du dein Gesicht dabei schonmal gesehen?"
Ich stand auf und imitierte seinen Geschichtsausdruck, bereit jeden Moment loszulaufen, um ihm zu entkommen, falls er wütend wurde. Genau das passierte auch als nächstes, sodass ich meine Beine in die Hand nahm und so schnell, wie ich konnte, in den Wald rannte.
"Jisung! Bleib stehen!", rief Minho und rannte mir hinterher. Er war echt schnell und ich hatte Angst, dass er mich jeden Moment einholen konnte, weshalb ich einfach eine scharfe Kurve nach links einschlug, doch dadurch, dass es kein künstlich angelegter Wald war, gab es natürlich keine geraden Durchgänge und ich rannte direkt gegen einen alten Baum und stieß mir den Kopf.
"Minho!", rief ich nach dem Älteren und bemerkte, wie die Schmerzen immer mehr wurden und sich Tränen in meinen Augen bildeten. Kopfverletzungen waren übel... Selbst wenn sie nicht schlimm waren, taten sie höllisch weh. Durch meine verschwommene Sicht sah ich, wie er auf mich zu gejoggt kam.
"Hey... Was ist passiert...?", fragte er vorsichtig und fuhr vorsichtig über meine Stirn. "Du blutet ja. Lass uns zurück und dann machen wir was dagegen, ja?"
Ich nickte und strich mir eine Träne aus dem Augenwinkel, ehe wir losgingen.
"Hör auf zu heulen...", meinte er, doch ich konnte hören, dass er besorgt war. "Bist du sieben oder siebzehn?"
"Geistig sieben und körperlich siebzig.", antwortete ich, was ihn zum Lachen brachte. "Du lachst schön. Ich mag es, wenn du lachst."
"Das sagst du nur, weil dein Kopf eben kaputt gegangen ist."
"Nein, sage ich nicht. Ich sage das, weil es so ist."
"Weil du denkst, dass es so ist, weil du dir gerade den Kopf gestoßen hast."
Der Weg zurück war tatsächlich kürzer, als ich erwartet hatte, aber ich war ja nicht nur geradeaus gelaufen, denn dann wäre ich viel zu schnell am Ende des Waldstücks gewesen.
"Setz dich. Ich hab Pflaster und so dabei."
"Echt?"
"Naja mehr oder weniger. Hab was in dem Baum da drüben versteckt, weil ich mich hier auch schon verletzt habe.", antwortete er und holte eine Dose aus einer Höhle bei den Wurzeln eines Baumes.
"Warum hast du das da versteckt?"
"Weil ich eigentlich nicht vor hatte, dir zu zeigen, dass ich hier her komme. Und eine Packung fremdes Verbandsmaterial wäre dir wahrscheinlich aufgefallen."
"Also wusstest du, dass ich hier her komme?", fragte ich weiter, während er ein Pflaster und ein Tuch zum Säubern hinaus suchte.
"Manchmal habe ich dich hier gesehen, aber ich hatte keine Lust auf eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch und bin dann wieder gegangen. Ein paar Mal hast du mich fast gesehen, deshalb war ich zwischenzeitlich nicht mehr hier."
"Ich bin gerade sehr beruhigt, dass das nur du warst. Ich dachte schon, dass hier irgendein großes Tier lebt."
"Nope, war nur ich.", lächelte er und begann das Desinfektionsmittel auf meine Wunde aufzutragen. Es war unangenehm, aber nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte. "Brennt es?"
"Nicht wirklich, nein."
Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, trug er noch mehr davon auf.
"Jetzt brennt es! Was zur Hölle soll das?!"
"Wenn es brennt, hilft es am besten. Hat mein Arzt mal gesagt."
"Dann solltest du den Arzt wechseln.", erwiderte, was ihm wieder einen dieser hübschen Lacher entlockte. Dann wischte er das Desinfektionsmittel um die Wunde herum ab und griff nach einem der Pflaster. Ich konnte kaum widersprechen, da hatte ich auch schon ein pinkes Einhorn-pflaster auf der Stirn kleben.
"Steht dir, Prinzessin."
"Woher hast du sowas eigentlich?"
"Hab ich irgendwann mal meiner Schwester gekauft, aber jetzt ist sie aus der Einhornphase raus und ich wusste nicht wohin damit. Sieht süß an dir aus. Willst du noch eins für den Weg?"
"Ich bin kein Kind mehr, Minho."
Er legte eine Hand an meinen Hinterkopf und drückte mir vorsichtig einen Kuss auf die Wunde an der Stirn, was mich in eine Art Schockstarre versetzte.
"Jetzt ist das Aua weg."
"Weißt du, ich glaube, dass ich mir meine Lippen auch aufgeschlagen habe.", antwortete ich geistesabwesend, woraufhin er mir nur durch die Haare wuschelte und wieder aufstand.
"Wir haben noch den Rasen bekämpfen, Jisung.", lenkte er ab.
"Kannst du das nicht machen?"
"Ich bin dein Freund und nicht dein Diener. Wir machen Hälfte Hälfte und wenn ich nett bin, mache ich noch ein Stück für dich mit."
"Du bist also mein Freund?", fragte ich und wackelte mit den Augenbrauen.
"Nicht dein fester, du Idiot."
"Noch nicht."
"Vielleicht werde ich es ja schneller, wenn du mir hilfst."
"Ach, ich bin mir sicher, dass du das toll machst."
"Verwöhntes Gör.", meinte er ungläubig, doch seufzte dann. Er wirkte ein wenig enttäuscht von mir. "Du machst den Rasen und ich repariere das Dach. Schneide dir nicht die Finger ab."
"Minho... Sei nicht so... Das war ein Spaß. Und er war nicht lustig. Tut mir leid... Ich finde es schön, dass wir das hier zusammen machen und ich hab mich da den ganzen Tag drauf gefreut... Mich auf dich gefreut... Ja, ich bin verwöhnt, aber das heißt nicht, dass ich hier nichts machen will."
"Mach es doch mit einem deiner unzähligen reichen Klassenkameraden. Da findet sich bestimmt einer mit Diener, den du rumschubsen kannst, damit er dein Zeug macht. Ich weiß, dass du erst 17 bist, aber lern Dinge selbst in die Hand zu nehmen und mal nicht auf andere hinab zu schauen."
"Du klingst wie meine sie... 'Jisung ist dumm' und 'Jisung ist nutzlos' und 'Jisung kann nichts' und 'Jisung hat den Arsch voll Geld' und 'Jisung ist so arrogant'. Jisung, Jisung, Jisung... Ich schaue auf niemanden hinab, Minho. Ich leide selbst unter sowas."
"Tut mir leid... Das wusste ich nicht... Ich weiß auch nicht, was das gerade überhaupt sollte...", entschuldigte er sich und setzte sich neben mich. "Wahrscheinlich einfach ein Haufen dummer Vorurteile, die sich da gerade in meinen Kopf geschlichen haben..."
"Ist okay..."
"Und die sagen sowas wirklich zu dir?"
"Nicht zu mir. Über mich. Immer wenn ich irgendwie bei ihnen in der Nähe bin."
"Warum sagen sie sowas...?"
"Ich weiß nicht. Weil sie mich nicht mögen?"
"Lass dich von denen nicht unterkriegen, Sung. Wenn sie alle ohne Grund so über dich reden, haben sie keine Ahnung, wie du wirklich bist."
"Danke, Minho."
"Nicht für sowas."
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