Kapitel 2
♡ Fira
Sechs Monate zuvor ...
Die Bar war grölend voll. Es roch komisch, beinahe stank es schon. Alkohol, Schweiß, fettiges Essen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht, mich in einer derartigen Spelunke mit einem Typen zu treffen, den ich gar nicht kannte? Ich hielt Ausschau. Dunkelbraunes Haar, blaue Augen oder so, ziemlich groß. Schwer zu sagen, das traf ja irgendwie auf jeden zweiten Mann hier zu. Vor allem von hinten. Er hatte mir geschrieben, er würde ein kariertes Hemd tragen und mir eine blaue Blume mitbringen, an der würde ich ihn erkennen. Das war mir eigentlich um einiges zu kitschig, allerdings hatte ich ja beschlossen, mein Leben und außerdem meinen Umgang neu zu formatieren. Nette, romantische, von mir aus auch kitschige Männer waren dafür genau richtig.
„Bist du Saphira?", hörte ich eine Stimme von hinten und zuckte bei ihrem viel zu vertrauten Klang zusammen. Ich biss mir auf die Lippe, überlegte noch, drehte mich dann aber langsam um. Eine kleine Hoffnung bestand noch, dass ich mich geirrt hatte. Eine ziemlich winzig kleine. Denn diese Stimme würde ich wahrscheinlich auch in tausend Jahren noch in jeder noch so lauten Bar erkennen. Mein Herz schlug wild, fast bis in meinen Hals. So viel zum neuen Umgang.
Es war Dean. Natürlich war es Dean, was hatte ich erwartet? Dass ich einfach in eine Bar gehen konnte, ein Date haben, ein, zwei Cocktails trinken und einfach mal normal sein? Ja, eigentlich hatte ich das tatsächlich gedacht. Was machte er hier?
„Was tust du hier?", fragte ich frei heraus, sah ihn funkelnd an und da entdeckte ich, was er in der Hand hielt. Meine Augen weiteten sich spürbar. „Ist das dein Ernst?!" Grinsend hielt er die blaue Blume hoch, die er zwischen seinen Fingern hielt, zwinkerte mir zu und nickte frech. Ich konnte ihn nur anstarren, während er mich irgendwie komisch musterte.
„So gehst du auf ein Date mit einem Fremden?", fragte er mit höchst irritierter Stimme und benutzte die Blume, um mit ihr in der Luft an meinem Körper entlangzufahren. Ich sah an mir runter. Shorts, Chucks und Trägertop. Was hatte er? Er trug ein uraltes Flanellhemd, fand er das angebrachter für ein Date? „Du weißt schon, dass die meisten Männer auf diesen Portalen ziemliche Schweine sind, oder?"
„Du meinst, so wie du?"
„Ganz genau", betonte er streng. Ich runzelte die Stirn und musste fast lachen. Er war kaum zwei Minuten zurück in meinem Leben und spielte sich schon wieder auf, als stünde ohne in die Welt still. Wie hatte ich nur in den letzten zwei Jahren überleben können? Ach ja – gemütlich! Ohne dauernde Verletzungen, ohne Gewalt, Flucht oder Dramen. Ich war im Himmel gewesen und er machte mir innerhalb von Sekunden alles zunichte.
Ich musste hier weg.
„Gut, alsooo ... ich sag's ja nur ungern, aber du siehst wirklich ganz und gar nicht so aus wie in deinem Profil. Du bist nicht mein Typ. Ich glaub, ich geh jetzt lieber", wagte ich einen Versuch, wollte an ihm vorbeihuschen, fühlte aber in Sekundenschnelle seine Hand um meinen Oberarm.
„Ah ah!", wehrte er meine Flucht ab und zog mich zurück. Ich biss die Zähne zusammen, sah ihm in die Augen und wartete. Was wollte er nur von mir? „Denkst du, ich bin zum Spaß hier?"
„Wohl eher, um mir meinen Spaß zu verderben", konterte ich mit einem Augenrollen und fühlte seine Antwort sofort an meinem Arm. Er drückte fester zu, funkelte mich an und zog mich näher zu sich. Er bückte sich runter, um näher an meinem Ohr zu sein, und ich versuchte nicht mehr, mich zu wehren. Es war sowieso aussichtslos. Ich kannte ihn, kannte seine Art, hatte also keine Chance.
„Ich will dir echt nicht wehtun, Kleine, aber wenn du jetzt wieder wegrennst, schwör ich dir, werd ich dich töten", flüsterte er mir ins Ohr und benutzte dafür einen Ton, in dem er mir genauso gut hätte fröhliche Weihnachten wünschen können. Ich schluckte. Eigentlich glaubte ich nicht, dass Dean mir etwas antun würde, allerdings wusste ich, wie wütend er werden konnte. Und ich war weggerannt, hatte ihn alleine gelassen. Ihn und Sammy. Und das, obwohl wir es uns versprochen hatten. Schon als Kinder hatten wir uns geschworen, immer zusammenzubleiben, uns niemals trennen zu lassen – von nichts! Aber dann kam dieser Tag und dann kam noch einer dieser Tage, und sie wurden immer mehr und immer häufiger und ich hatte es irgendwann nicht mehr ausgehalten. Ich war erwachsen geworden, war kein Kind mehr und wollte ein Leben haben. Mit Sam und Dean war das nicht möglich gewesen. Ich hatte gehen müssen.
Trotzdem nickte ich, schloss meine Augen und atmete fast schon erleichtert auf, als Dean meinen Arm losließ. „Eine Runde Billard", forderte er im Weggehen und steuerte auf den Billardtisch zu. Ich sah ihm einen Moment lang nach, überlegte jetzt einfach abzuhauen, traute mich aber nicht. Er hatte mich gefunden, das würde er wieder schaffen. Er war gut in dem, was er tat, ein Profi. Er würde mich immer finden, und wenn ich noch so oft meinen Namen änderte. Also seufzte ich, atmete tief durch und folgte ihm.
Lächelnd drückte er mir einen Queue in die Hand und ich griff gedankenverloren zu. Was wollte er nur von mir? „Wir spielen eine Runde. Du hörst mir zu und wenn ich gewinne, hab ich einen Wunsch frei." Er stützte sich auf den Tisch, grinste mich wieder so frech versöhnlich an und wartete auf meine Antwort, von der er eigentlich genau wusste, wie sie lauten würde. Er rechnete nicht wirklich damit, dass ich nein sagen würde, ebenso wenig wie ich. Also zog ich einfach die Schulter hoch, nickte und begann ihm die Kugeln zuzurollen. Er fing sie alle ein, bildete mit seinen Armen ein Dreieck und legte dann die Form darüber, die eigentlich dafür vorgesehen war.
„Du fängst an."
Ich seufzte. Na schön. Was auch immer sein Wunsch wohl sein mochte, so weit würde ich es nicht kommen lassen. Er war gut, geradezu meistermäßig, aber das war ich auch. Ich stieß an und versenkte gleich auf Anhieb zwei Halbe, woraufhin ich mir ein siegreiches Grinsen in Deans Richtung nicht verkneifen konnte. Er verdrehte die Augen und machte eine Jetzt-spiel-weiter-Handbewegung. Nur zu gerne tat ich ihm den Gefallen. Ich versenkte eine weitere Kugel und ließ die Weiße dann absichtlich so liegen, dass er kaum eine Chance hatte.
Sein Blick wanderte über den Tisch und er um ihn herum. Ich trat einen Schritt zurück, als er an mir vorbeikam, ließ ihm seinen Freiraum, seine Konzentration und stutzte schwer, als er völlig problemlos zwei seiner Kugeln einlochte.
„Mein Vater ist gestorben", erzählte er mir ganz nebenbei, während er nach seinem nächsten Schlag Ausschau hielt. Ich starrte ihn nur an. Sein Vater?
„John?", hakte ich nach wie eine völlig Bekloppte. Leicht verwirrt blickte er zu mir auf, setzte dann zum Schlag an und versenkte mit Leichtigkeit die nächste Kugel. „Aha."
„Danke für deine Anteilnahme. Immer wieder ein Genuss, mit dir zu plaudern." Ich verdrehte die Augen über seinen Sarkasmus. Es tat mir ja leid, aber was hatte er denn von mir erwartet?
„Oh mein Gott, es tut mir so leid, dein Nichtsnutz von Vater ist tot. Wie bedauerlich."
„Pass auf, was du sagst!", fuhr er mich gepresst an und schlug einmal mit der Hand auf die Bande des Billardtisches. Ich zuckte leicht zusammen, musterte ihn kurz und schluckte einmal schmerzhaft. Seine Augen flimmerten, als täte ihm der Verlust seines Vaters wirklich weh. Wahrscheinlich war es so. Oh nein.
„Okay, ahm ... Dean, das tut mir echt leid", sagte ich jetzt ehrlich. Es war mir ziemlich egal, dass John tot war, er hatte nie auch nur einen Finger für die Jungs gerührt. Oder für mich. Er hatte nur unser Leben zerstört. Meines und das seiner Söhne. Wir waren jahrelang auf der Flucht gewesen, dauernd dabei, uns zu verstecken, uns nicht nach draußen zu trauen. Wir hatten keine Freunde finden können, keine normale Schule besuchen, kein normales Leben führen. Ich war nie auf einem Abschlussball gewesen oder auf sonst irgendeiner Schulveranstaltung. Ebenso wenig wie Sam und Dean.
Aber Deans Schmerz bohrte sich wie ein Pfeil in mein Herz. Er lag in seinen Augen, glitzernd und funkelnd wie ein wunderschöner gefallener Stern, der darauf wartete, geheilt zu werden. Aber wie heilte man eine solche Wunde? Wie konnte nur so viel Schmerz in so wunderhübschen Augen liegen?
Er atmete einmal durch und meine Beklemmung war verflogen, genau wie das Glitzern. Ohne weiterzureden, setzte er wieder zum Schlag an und versenkte eine weitere Kugel. Ich bekam einen selbstgerechten Augenaufschlag zugeworfen und beobachtete leicht nervös, wie er weiterspielte. Ich war eingerostet und er anscheinend in Höchstform. So ein Mist! Ich kam nicht einmal mehr dran, bis er nur noch die Schwarze auf dem Tisch liegen hatte.
Ich schluckte schwer und schnaubte einmal, als er ansetzte. Sein Blick war konzentriert und höchst fokussiert, allerdings fand ich den Winkel, den er gewählt hatte, nicht unbedingt gut berechnet. Natürlich sagte ich nichts, konnte mich aber nicht dagegen wehren, zu lächeln. Er verfehlte die Kugel um nicht einmal einen Millimeter, stieß ein beleidigtes Grunzgeräusch aus und schloss die Augen. Er ärgerte sich eine Spur zu emotional über diesen Fehler. Für meinen Geschmack jedenfalls. Klar, Dean Winchester verlor nicht einfach so im Billard – oder auch sonst in irgendetwas – aber er sah nicht verärgert oder genervt aus. Eher traurig.
Stirnrunzelnd widmete ich mich meinem Feld. Ich schaffte es alle meine Kugeln zu versenken, sah dann grinsend zu Dean und lochte souverän die Schwarze ein. „Yes!", entfuhr es mir begeistert. Ich bildete eine Faust und warf sie in die Luft vor Freude. Dean starrte mich nur an.
„Ein wenig mehr Anerkennung wäre nett", warf ich ihm gespielt beleidigt zu. Er nickte, zwang sich zu einem Lächeln und legte seinen Queue weg.
„Gut gespielt, Kleine." Ich lächelte und schaffte es nicht, den Stolz zu verbergen, den ein solcher Satz von ihm in mir auslöste.
„Ich hatte den besten Lehrer", gab ich zurück. Er lachte einmal versteckt auf, sah mich dann an und schien auf einmal wieder traurig zu werden. „Was ist los mit dir?"
„Nichts, ich ... hatte nur nicht erwartet, dass du gewinnst", gab er zu, rieb sich ein wenig verlegen den Nacken und leckte sich nachdenklich über die Lippen. Ich sah ihn nur wartend an. „Und jetzt ... weiß ich nicht so richtig, was ich tun soll."
„Wieso? Was wäre dein Wunsch gewesen?"
Er zog scharf Luft ein, machte ein seltsam zischendes Geräusch und sah mir dann tief in die Augen. Gott, hatte dieser Mann hübsche Augen. Es war unerträglich.
„Dass du mitkommst."
„Was?!", entfuhr es mir voll Schreck. Eigentlich hätte ich mir das schon denken können, aber jetzt kam es doch irgendwie überraschend. „Das kannst du nicht verlangen!"
„Tu ich auch nicht. Du hast gewonnen, oder?" Ich nickte. Ach ja.
„Okay, dann ... dann geh ich jetzt." Ich löste mich von seinen Augen, unterdrückte die klaffende Leere, die das auslöste, und drehte mich weg. Jetzt würde ich ihn vielleicht wirklich nie mehr wieder sehen. Okay, das hatte ich auch vor zwei Jahren gedacht, aber diesmal war es möglicherweise wirklich so.
„Sammy ist verschwunden, Fira!"
Ich blieb stehen. Ganz leicht drehte ich meinen Kopf zur Seite, um ihm zu symbolisieren, dass ich zuhörte. Er kam drei oder vier Schritte auf mich zu, blieb aber hinter mir. Er wollte nur den Abstand verringern, um nicht zu viel Aufmerksamkeit auf uns zu lenken.
„Wir waren auf der Suche nach Dad und dann ... dann ist alles schief gegangen. Dad wurde erschossen." Oh Gott! Was zur Hölle war denn bloß in den letzten beiden Jahren gelaufen?! „Und Sammy ... er hat das irgendwie nicht ertragen können. Er ist dauernd in Bars gegangen. Und irgendwann kam er dann nicht mehr zurück."
Ich drehte mich um.
„Sam hat das nicht ertragen?", wunderte ich mich. Ich hätte eher Dean einen Alkoholabsturz zugetraut, aber doch nicht Sam. Dean nickte und schluckte einmal.
„Ich mach mir Sorgen, Firy."
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