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Kapitel 9.1

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»Um Entscheidungen und Gesetze
als gültig zu erklären, die von der
Regierung beschlossen wurden,
muss jeder der vier Abgeordneten
eine Unterschrift setzen, die durch
unabhängige Dritte beaufsichtigt
wird. Entscheidungen können ohne
ein einstimmiges Ergebnis nicht
durchgesetzt sowie neue Gesetze
nicht verabschiedet werden.
Der Ausnahmefall bildet eine
nachweisbare Verletzung des
abgelegten Eids eines Abge-
ordneten, wodurch dieser von
der Stimmberechtigung vorüber-
gehend ausgeschlossen werden
kann. Hierzu ist jedoch die
gerichtliche Überprüfung
des Falles Voraussetzung.«

- aus dem Gesetz von Circle
zur Garantie des Friedens
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Eine Tür ging auf und McIntyre steckte den Kopf in den Flur, der von den abendlichen Sonnenstrahlen durchflutet wurde, die sanft durch die große Fensterfront des Gebäudes in Komplex B-2 fielen. Sie kämpften gegen das harte Neonlicht der Deckenlampen an, wodurch eine für das Auge unangenehme Grelle entstand. Der Mann sah auf sein HUD, dann überflog sein Blick die erwartungsvollen Gesichter der Teilnehmer, die im Flur herumlungerten und darauf warteten, dass sie zu ihrem persönlichen Gespräch aufgerufen wurden.

»Clove Whitefield?«, fragte er in die Runde und seine Augen fingen mich ein, als ich mich erhob und auf ihn zuging.

Die schmalen Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln, welches nur den Mund umspielte, den Rest seines Gesichtes jedoch unberührt ließ - höflich, aber distanziert. Ich lief an ihm vorbei und trat in den Raum, während er hinter mir die Tür schloss.

Konferenzraum Zwei war deutlich kleiner als der große Saal, in dem die gemeinschaftlichen Besprechungen und Veranstaltungen stattgefunden hatten. Das Mobiliar beschränkte sich auf eine lange, triste Tafel, vierundzwanzig Stühlen und einem kleinen Beistelltisch, auf dem eine Auswahl an Getränken stand.

An der gegenüberliegenden Längsseite des großen Tisches saßen die restlichen elf Prüfer, McIntyre ließ sich auf den letzten freien Stuhl in der Reihe fallen.

»Setzen Sie sich!«, ordnete er an. Ich kam seiner Bitte nach und ließ mich mittig auf einen der Plätze ihm gegenüber nieder.

Vor dem Interview hatte ich mich tatsächlich am meisten gefürchtet. Auf meinen Körper konnte ich vertrauen. Ich wusste, wie er funktionierte, dass er einem gewissen Druck standhalten konnte, wo seine Grenzen lagen. Doch mit Menschen zu sprechen, so mit ihnen zu reden, dass sie mich schließlich mochten und sympathisch fanden, war mir immer schwergefallen.

»Miss Whitefield ...« Lieutenant Goode erhob das Wort und betrachtete mich mit einem ernsten Blick, der deutlich reservierter war als bei unseren vorherigen Gesprächen, aber immer noch freundlicher als die Mienen der anderen. Er verschob das Fenster auf der gläsernen Scheibe des HUDs mit einem Finger. »Sie haben eine hervorragende Zeit bei dem Langstreckenlauf erzielt, mit ihrem Ergebnis des Fitnesstests lagen Sie im mittleren Bereich.«

Die Fitnessprüfung hatte ich bestanden, wenn auch nicht mit solch einem guten Ergebnis wie bei dem Teil zuvor. An meiner Ausdauer ließ sich nicht viel beanstanden, doch dafür hatte mir meine Verletzung einige Schwierigkeiten beschert. Während ich bei den Rumpfbeugen noch im vorderen Bereich lag, ließ mich mein Arm bei den Liegestützen und Klimmzügen im Stich. Das weniger gute Ergebnis katapultierte mich von der Spitze der Gruppe ins solide vordere Mittelfeld.

Der Lieutenant fuhr mit der Zusammenfassung meiner Leistung fort. »Beim Schießen haben Sie eine Trefferquote von Acht erreicht und ihre Nahkampffähigkeiten sind bereits sehr gut, dennoch sollten Sie weiter daran arbeiten. Damit haben Sie vierundzwanzig von dreißig Punkten erreicht und sind eine unserer besten Teilnehmerinnen«, endete er und blickte von der Übersicht auf, die die anderen während seiner Schilderungen aufmerksam mitverfolgt hatten. Ich nickte bestätigend, obwohl mir das Endergebnis noch nicht bekannt gewesen war.

»Miss Whitefield«, ergriff nun Lieutenant McIntyre das Wort, »sie sind sechzehn Jahre alt, ist das richtig?«

»Ja, Sir«, bestätigte ich und ließ mir die Unsicherheit, dass dieser Punkt hervorgehoben wurde, nicht anmerken.

»Sie sind eine der jüngsten Teilnehmer dieses Jahr. Wie kommt es, dass Sie sich bereits so früh beworben haben?«

Ich wusste, dass diese Frage kommen würde, und ich hatte mich darauf vorbereitet. »Mein Vater war ebenfalls ein Wächter. Er starb vor sechs Jahren bei einem Einsatz außerhalb der Stadt. Die Rebellen haben ihn erschossen und seine Leiche konnte nicht geborgen werden. Der Grund, warum ich Wächterin werden will, ist, dass ich in seine Fußstapfen treten möchte. Ich habe vor, seine Arbeit hier fortzuführen und Circle so gut zu dienen, wie ich nur kann.« Der letzte Teil war zwar nicht einer meiner Hauptgründe, doch ebenso wenig gelogen.

McIntyre schien zufrieden, denn er nickte einmal. »Das heißt also, Sie wollen in der Schutzeinheit arbeiten?«

»Ja, Sir.«

»Unsere Einheit ist begehrt und es kommt sehr selten vor, dass wir solch junge Anwärter rekrutieren. Mit der Arbeit als Wächterin der Schutzeinheit geht eine große Verantwortung einher, der die meisten in ihrem Alter noch nicht gewachsen sind«, sagte Commander Dax, der die ganze Zeit zurückgelehnt in seinem Stuhl gesessen und das Gespräch mit verschränkten Armen observiert hatte.

»Darüber bin ich mir bewusst, Sir.« Ich hielt dem durchdingenden Blick seiner dunklen, braunen Augen stand.

»Und Sie glauben, Sie sind dem gewachsen?«

»Ja, Sir.«

Der Commander löste sich aus seiner entspannten Haltung, lehnte sich mit auf den Tisch gestützten Unterarmen vor und verschränkte geduldig die Finger ineinander. Sein Blick bewegte sich keinen Zentimeter von mir weg.

»Um da draußen überleben zu können, müssen Sie Befehle befolgen. Dort ist kein Platz für Diskussionen oder jegliche Art kindlicher Rebellion ...«

»Das weiß ich.« Seine Wortwahl beleidigte mich, denn sie war eindeutig auf mein Alter bezogen und ich konnte nicht verhindern, dass meine Augenbrauen für einen kurzen Moment zusammenzuckten.

Er lächelte milde, doch in seinen Augen glänzte es triumphierend. Ich kannte diesen Blick noch von meinem Vater. So hatte er mich immer dann angesehen, wenn er mich beim Lügen erwischt hatte. Er stellte mir vermeintlich belanglose Fragen und drängte mich so dazu, mir selbst zu widersprechen. Und auch jetzt saß ich in Dax' Falle.

»Warum haben Sie sich dann dem Befehl von Sergeant Otiz widersetzt und dennoch am Lauf teilgenommen?« Die Schlinge zog sich immer enger zusammen. Doch auch, wenn ich diese Verhörtaktik gehasst hatte, so hatte ich daraus meine Lehren gezogen. Die Worte meines Vaters hallten in meinem Kopf wider:

Lass sie niemals deine Angst spüren. Sie müssen denken, dass du keine Schwachstellen hast, dann können sie auch nicht in deinen Kopf vordringen.

Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Lieutenant Goode zu einer Erklärung anhob, doch ich kam ihm zuvor. Wenn der Commander jetzt auch nur einen Hauch von Schwäche erkannte, dann wäre ich abgeschrieben.

»Ich habe mich keinesfalls dem Befehl des Sergeants widersetzt, Sir«, erklärte ich mit fester Stimme, jedoch ließ ich einen Hauch von Unschuld in ihr mitklingen. Wie ich Dax einschätzte, mochte er es, wenn andere - vor allem Menschen niederen Ranges - ihm einen gewissen Grad an Ehrfurcht entgegenbrachten.

Von Sergeant Otiz ertönte ein missbilligendes Zischen und als ich sie kurz ansah, schüttelte sie feindselig den Kopf. Ich glaubte, sie etwas murmeln zu hören, dass sich für mich nach »Das ist doch absolut kindisch ...« anhörte. Ich ignorierte ihren Einwurf geflissentlich und wandte mich wieder Dax zu. Wer benahm sich denn gerade wie ein Kind? Ich jedenfalls nicht.

Den Commander schien Otiz' Reaktion zu amüsieren, denn er lächelte für einen Moment, bevor er sich wieder mir zuwandte.

»Otiz scheint da offensichtlich anderer Meinung zu sein. Nun steht Ihr Wort gegen ihres ...« Der Commander seufzte bedauernd. »Also, was soll ich Ihrer Meinung nach tun? Otiz des Lügens bezichtigen?«

Ich schüttelte den Kopf. Jetzt war es wichtig, die richtigen Worte zu wählen. »Wenn ich mich kurz erklären dürfte?«, fragte ich, woraufhin er mir mit einer knappen Geste seiner Hand bedeutete weiterzusprechen.

»Nachdem Lieutenant Otiz mich angewiesen hatte, beiseitezutreten, habe ich das getan. Lieutenant Goode hat mich daraufhin angesprochen, weil ich nicht bei den anderen Teilnehmern stand. Ich habe ihm den Vorfall auf seine Frage hin sachgemäß geschildert, er hat sich meine Verletzung angesehen und mir die Erlaubnis erteilt, am Lauf teilzunehmen. Diese Chance konnte und wollte ich nicht ablehnen.«

Sobald ich verstummt war, herrschte für mehrere Herzschläge absolute Stille im Raum. Alle Blicke waren auf mich gerichtet und ich musste stark an mich halten, um nicht unruhig auf meinem Stuhl hin- und herzurutschen.

Commander Dax sah fragend zu Goode, dieser nickte knapp.

»Wir dulden keine Fehler in unserer Einheit. Erhalten Sie einen Befehl, befolgen Sie ihn.« Ich wollte gerade etwas erwidern, doch er ließ mir keine Zeit dafür. »Jedoch schätzen wir ebenso Kampfgeist und Entschlossenheit.«

Ich wusste nicht recht, was genau das bedeutete, doch es hörte sich jedenfalls nicht danach an, dass ich meine Chance auf einen Job als Wächterin verspielt hatte.

Der Commander schien alles gesagt zu haben, was er hatte loswerden wollen, denn er lehnte sich in seine ursprüngliche Position zurück und McIntyre meldete sich wieder zu Wort.

»Ihr ärztliches Verzeichnis enthält keine Krankheiten, die sich auf ihre Tätigkeit als Wächterin auswirken könnte. Soweit ich das richtig interpretiere«, er tippte auf dem HUD herum, »wird ihre Verletzung vollständig verheilen und sie sollten keine bleibenden Schäden davontragen. Ihre Akte vom Zonenschutz ist ebenfalls leer.«

Meine Augen weiteten sich erstaunt und schnellten zu Lieutenant Goode, der mir verschwörerisch zuzwinkerte. Ich hatte wirklich erwartet, dass meine Akte mir noch Schwierigkeiten bescheren würde. Doch allem Anschein nach hatte Goode meinen gesetzlichen Fehltritt bei dem Wächterareal nicht festgehalten. Ich lächelte ihn dankbar an, wurde aber von McIntyre unterbrochen, der sich erhob, was mir das Zeichen gab, ebenfalls aufzustehen.

»Wir werden uns beraten und teilen Ihnen unsere endgültige Entscheidung bei der Nachbesprechung mit - wie allen anderen auch.« Mit diesen letzten Worten navigierte er mich zur Tür und entließ mich.

Ich hatte es überstanden. Der letzte Prüfungsteil des Eignungstests war vorüber. Jetzt hieß es warten und hoffen. Hoffen darauf, dass meine Zonenherkunft mir nicht im Weg stand. Hoffen, dass die Leistung, für die ich alles gegeben hatte, ausreichen würde. Hoffen, dass ich die Prüfer mit meiner Entschlossenheit beeindruckt hatte. Meine Zukunft lag in ihren Händen.

Ich überlegte, was ich tun würde, wenn ich tatsächlich nicht angenommen wurde. All die jahrelange Vorbereitung würde von einem Moment zum anderen all ihre Bedeutung verlieren.

Ich hätte keine großen Alternativen, außer es im nächsten Jahr vielleicht noch einmal zu versuchen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie mich beim zweiten Mal annahmen, richtete sich stark gegen Null - das hatte Maddox mir erzählt.

Was also dann? Sollte ich etwa bei den Viehzüchtern arbeiten? Die Tiere versorgen? Oder vielleicht doch lieber auf dem Feld? Wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber die Felder bestellen, dann würde mein hartes Training wenigstens noch etwas taugen. Doch solch einen Job zu ergattern war schwieriger, als man dachte. Unbeabsichtigt waren diese Arbeiten zu Familiengeschäften geworden. Die Landwirte und Viehzüchter versorgten Circle mit überall benötigter Nahrung und ernteten dafür mehr Marken. Aus diesem Grund ließen sie nicht gern fremde Menschen bei sich arbeiten. Sie hatten genug Kinder, die bei der Arbeit halfen und die Nachfolge antreten würden, sobald die alten Bauern irgendwann nicht mehr unter uns weilten. Diese zwei Sektoren konnte ich also bereits von meiner Liste streichen.

Um mich als Jägerin registrieren zu lassen, wäre ich noch zu jung - fiel das also auch weg.

Blieb nur noch die Fischerei. Dort konnte jeder einsteigen, der Geld für ein Boot und das nötige Handwerkszeug aufbringen konnte. Die andere Möglichkeit wäre, auf dem kleinen Markt zu arbeiten, so wie meine Mutter es für ein paar Stunden täglich tat. Doch schon bei dem Gedanken an den Geruch des Wassers, des Fisches und die schaukelnden Boote rückte der Wunsch, dort zu arbeiten, in eine unendlich weite, ungreifbare Entfernung. Natürlich blieb mir am Ende keine Wahl, aber durch die bloße Vorstellung wurde mir klar, dass ich nicht dafür geschaffen war.

Es war meine Bestimmung, Wächterin zu sein. Ein anderer Fall würde auch nicht eintreten! Entschieden schob ich meine Zweifel beiseite und machte mich auf den Weg zum Besucherzentrum. Die Interviews würden noch rund drei Stunden dauern, bis es in die Nachbesprechung ging. Und da ich davor zu nervös gewesen war, um auch nur einen Bissen herunterzubekommen, nutzte ich meine freie Zeit, um meinen grummelnden Magen zum Schweigen zu bringen.

Meine Beine rebellierten gegen meinen eigenen Willen, als ich die Treppen in den zweiten Stock emporstieg. Der Sport und die Anspannung der letzten Tage machten sich deutlich bemerkbar. Ich hörte, wie hinter mir jemand die Treppen hinaufsprintete, trat an die Seite, damit die Person passieren konnte und blickte überrascht auf, als sie neben mir zum Stehen kam.

»Hey!«, sagte Nik fröhlich. Ich schenkte ihm ein reserviertes Lächeln. »Wie lief dein Gespräch?«

Ich zuckte mit den Schultern, während ich mich wieder in Bewegung setzte. Nik folgte mir. »Keine Ahnung. Ich habe ein gutes Ergebnis, aber sie haben nicht durchblicken lassen, ob sie mich nehmen oder nicht.«

»War bei mir auch so«, sagte er und irgendwie wurde mir ein wenig leichter ums Herz.

Wir betraten den weitläufigen Raum der Kantine und stellten uns zu der kleinen Schlange, die darauf wartete, endlich ihr Essen in die Finger zu kriegen. Nach einigen Minuten liefen wir mit einer dampfenden Schüssel voll Suppe in der einen Hand und einem kühlen Getränk in der anderen zu einem freien Platz. Nik setzte sich mir gegenüber, was ich einfach hinnahm, denn der Test war vorbei und wir waren nun sowas wie Geschäftspartner, da sollte ich mich wohl so schnell wie möglich an seine Gesellschaft gewöhnen.

Nik fing sofort an zu essen, während ich mir erst einmal einen Schluck der kühlen Zitronenlimonade genehmigte.

Ich hatte bereits Flaschen mit gleichnamigem Etikett in Maddox' Laden entdeckt, mir jedoch nie eine davon leisten können. Mein Gesicht verkrampfte zu einer überraschten Grimasse, als sich meine Geschmacksknospen bei der Säuernis und gleichzeitigen Süße nicht entscheiden konnten, ob sie sich zusammenziehen oder entspannen sollten. Es war lecker, aber definitiv gewöhnungsbedürftig.

»Ich wüsste nicht, warum sie dich nicht nehmen sollten ...«, stellte Nik zwischen zwei schlürfenden Happen seiner Suppe fest. Ich hielt inne.

Noch halb mit meiner verkrampften Gesichtsmuskulatur kämpfend, warf ich ihm einen verwirrten Blick zu. Jedoch war ich fest davon überzeugt, dass er ihn durch die verkniffene Miene kaum richtig deuten konnte. Nachfragen, warum er dieser Ansicht war, wollte ich nicht und das brauchte ich auch nicht, denn er erklärte sich von selbst. »Man sieht dir an, dass du dafür geboren wurdest.«

Schnell nahm ich einen Löffel der Suppe, um Zeit für eine Antwort zu schinden, doch etwas Besseres als »Danke ... schätze ich.« fiel mir nicht ein.

Nik grinste schief. »Dir fällt es nicht sehr leicht, mit anderen Menschen zu reden, hab ich recht?«

Ich zuckte nur die Schultern. »Ich habe es nie wirklich versucht«, erwiderte ich knapp und schluckte einen weiteren Löffel der Suppe. Sie schmeckte passabel. Beschweren wollte ich mich auf keinen Fall, denn ich war froh, dass ich für die Versorgung mit anständigen Mahlzeiten und einem Schlafplatz nicht aufkommen musste. Dennoch schmeckte die Suppe nicht so gut wie die meiner Mutter, die mit viel weniger einen besseren Geschmack herbeizaubern konnte.

»Ich hätte nicht gedacht, dass du so schnell laufen kannst, Whitefield«, wechselte Nik das Thema und ich war froh darüber, dass die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme einem schelmischen Unterton gewichen war. Obwohl mich seine Augen über den Rand seines Glases hinweg provokativ anfunkelten, glaubte ich, dennoch einen gewissen Grad der Anerkennung in ihnen ausmachen zu können.

Er hatte den ersten Prüfungsteil mit einer weniger guten Zeit abgeschlossen, was für mich nicht sonderlich überraschend war. Er überragte mich zwar um knapp anderthalb Köpfe, doch seine muskulöse Statur verlangsamte ihn. Im Fitnesstest hatte er dafür wiederum ganz vorn mitgemischt, und so die Mängel der Geschwindigkeit ausgleichen können.

»Ich sagte doch, du musst aufpassen, dass du nicht als Letzter ins Ziel kommst ...«, gab ich belustigt zurück und tunkte eine Ecke des dunklen Brotes in die salzige Flüssigkeit. Seine gute Laune steckte mich an.

Die nächste halbe Stunde redeten wir ununterbrochen und mit jedem Wort wurde ich ein wenig zugänglicher. Ich gestand mir ein, dass er eigentlich ein ganz angenehmer Zeitgenosse war, vor allem, da ich (vorläufig) nicht mehr versuchte, ihn sofort loszuwerden. Außerdem reizte es mich, mich endlich einmal mit einem Menschen in meinem Alter (na ja, nicht ganz ... Nik war zwei Jahre älter als ich, wie ich herausfand) über Dinge austauschen zu können, die auch ihn beschäftigten.

Ich tauchte ein großes Stück des dunklen Brotes in den verbliebenen Rest der Suppe und wischte sie so einige Male auf meinem Teller hin und her.

»Ich glaube, Sergeant Otiz wäre mir heute am liebsten an die Gurgel gesprungen. Die wird definitiv gegen meine Aufnahme stimmen«, sprach ich den Gedanken aus, der gerade durch meinen Schädel zuckte und verzog mein Gesicht zu einer gequälten Grimasse.

Nik beseitigte meine Sorgen mit einem rauen Lachen. »Mach dir über Otiz keine Gedanken. Schließlich ist sie nur eine von zwölf Prüfern, die darüber entscheiden, ob du rekrutiert wirst. Sie kann sich beschweren, so viel sie will. Deine erzielten Punkte sprechen für sich, das können und dürfen sie nicht einfach ignorieren.«

»Du weißt doch, wie das läuft«, sagte ich. »Nur weil wir nach gleichen Maßstäben bewertet werden müssen, heißt das nicht, dass sie sich daran halten ...«

Er winkte ab. »Und wenn schon. Ich habe mich ein wenig umgehört. Nur wenige haben es über die zwanzig Punkte geschafft. Sie werden uns nehmen, da bin ich mir sicher.«

Nik hatte ein Endergebnis von Sechsundzwanzig erzielt, da er nur beim Langstreckenlauf vergleichsweise viele Punkte eingebüßt, den Rest der Prüfungen aber fast mit voller Punktzahl bestanden hatte. Die Tatsache, dass er ein besseres Ergebnis vorzeigen konnte als ich, störte mich nur geringfügig. Wahrscheinlich, weil wir zusammenarbeiteten, das gleiche Ziel hatten. Das ließ mein Konkurrenzdenken zunehmend schwinden. Wenn er gewann, dann tat ich das auch.

Nik nahm einen großen Schluck seiner sauren Limonade. Auch er verzog kurz das Gesicht, dann lehnte er sich zurück, verschränkte die Arme und musterte mich mit dem üblichen Funkeln in den Augen, die pure Neugier verströmten.

»Du willst also deine Familie in die zweite Zone holen, ja?«

Ich verdrehte die Augen, lächelte dabei aber schief, um ihm zu zeigen, dass er meine Absichten voll durchschaut hatte. Die Prüfer glaubten mir vielleicht meine kleine umgedichtete Wahrheit, die ich ihnen bei dem Interview vorgelegt hatte, doch Nik konnte ich nicht täuschen. Er war tatsächlich überaus scharfsinnig, konnte Menschen lesen, als wäre jeder von ihnen ein offenes Buch - jedenfalls machte das den Eindruck. Doch zugleich fiel es mir unglaublich schwer herauszufinden, was in ihm vor sich ging.

»Seit mein Vater gestorben ist, leben wir jeden Tag mit einem Loch im Bauch, welches wir höchstens einmal die Woche richtig stopfen können. Meine Mum tut alles, damit mein Bruder und ich eine bessere Zukunft haben, als sie jemals hatte und die Regierung schert sich nicht um unsere Armut, sondern sie finanzieren lieber die Reichen. Daran wird sich allerdings nie etwas ändern und deshalb bleibt mir überhaupt keine andere Wahl, als zu versuchen, sie in die Zwei zu holen, findest du nicht?« Ich klang dabei so sehr nach meiner Mutter, dass ich abrupt verstummte. »Ist nicht jeder von den äußeren Ringen aus diesem Grund hier?«, fragte ich wieder ein wenig ruhiger und sah mich im Raum um, als würde diese Tatsache auf jeden Einzelnen zutreffen.

Nik zog die Mundwinkel nach unten und schüttelte energisch den Kopf. Sofort wanderten meine Augenbrauen in die Höhe und ich starrte ihm mit einer Mischung aus Skepsis und Unglaube an.

»Ach ja?«, schnaubte ich. »Und welch edle Absichten führen dich dann hierher?« Ein wenig trotzig verschränkte ich ebenso die Arme vor der Brust und blitzte ihn herausfordernd an.

»Meine Eltern sind beide tot«, erwiderte der Junge mit solch einer gleichgültigen Stimme, dass meine Kinnlade entgeistert um ein paar Zentimeter nach unten wanderte.

»Das ...« Ich räusperte mich und hätte mich am liebsten geohrfeigt. »Das tut mir sehr leid.«

Er wedelte mit einer Hand vor seinem Gesicht herum, als würde meine Beileidsbekundung wie eine lästige Fliege vor ihm herumschwirren, die er nur verscheuchen wollte.

»An meine Mutter kann ich mich kaum noch erinnern. Sie ist gestorben als ich fünf Jahre alt war. Mein Vater hat das nicht verkraftet und hat sich täglich mit Schwarzgebranntem volllaufen lassen. Anfangs hielt sich die Trinkerei noch in Grenzen und er konnte arbeiten gehen, doch mit den Jahren wurde es immer schlimmer. Er war zu betrunken, um die Maschinen zu bedienen, weshalb man ihn wieder nach Hause schickte. Dadurch erhielt er keinen Lohn und wir hatten keine anständigen Mahlzeiten auf dem Tisch. Irgendwann hat er mir die Schuld gegeben; für den Tod meiner Mutter, für seine Trinkerei, für alle falschen Wege, die er in seinem Leben beschritten hatte. Keine Ahnung, warum, meine Mutter ist bei dem Rebellenangriff vor dreizehn Jahren gestorben. Und ...« Er hielt inne und presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, als hätte er beinahe etwas falsches gesagt.

Verwundert sah ich dabei zu, wie er sich wieder fasste und weitersprach: »Vermutlich hat sein Hirn in seinem Delirium irgendeinen Unsinn zusammengesponnen ... Er hat mich geschlagen, wann immer ich ihm auch nur den Hauch eines Grundes gegeben hatte. Ich habe schnell gelernt, seinen Befehlen, ohne zu fragen, nachzukommen, um weiterer Prügel zu entgehen und als ich fünfzehn war, hat er sich selbst das Licht ausgeknipst, weil er mit einer der Waffen, die er produziert hatte, unvorsichtig umgegangen ist.«

Er hielt sich den Zeige- und Mittelfinger an die Schläfe und drückte mit einem pustenden Geräusch den Abzug der imaginären Waffe. Weil ich nicht wusste, wie ich auf diese äußerst makabre Darstellung des Todes seines Vaters reagieren sollte, schob ich mir das suppendurchdrängte Stück Brot in den Mund.

»Na ja«, seufzte er und schien von meiner Unsicherheit nichts mitzubekommen - oder er ignorierte sie einfach, »jedenfalls arbeite ich, seit ich fünfzehn bin, in der Waffenproduktion. Drei Jahre hat es gedauert, bis ich die Marken für die Eignungsprüfung zusammengespart hatte. Und jetzt bin ich hier!« Er klang überaus zufrieden mit sich selbst, was wohl in irgendeiner Hinsicht auch verständlich schien, wenn man als Minderjähriger schon auf sich alleingestellt war.

»Also erhoffst du dir auch ein besseres Leben durch den Job?«, fragte ich.

Er wiegte den Kopf hin und her. »Natürlich ist die Aussicht auf ein besseres Gehalt und ein ordentliches Dach über dem Kopf verlockend. Aber ich will Wächter werden, damit ich die Stadt beschützen und den Leuten helfen kann, die sich selbst nicht zu helfen wissen. Ich will besser sein als mein Vater. Niemand hat verdient, so ein Leben führen zu müssen, nur weil irgendwelche Rebellen glauben, sie könnten sich in die fünfte Zone absetzen und uns dann angreifen, weil sie das Leben da draußen unterschätzt haben und wieder hinter die sichere Mauer wollen. Deshalb ist es mir so wichtig, dass ich in diese Einheit komme. Ich kann einfach nicht länger untätig herumsitzen.«

Den Rest unserer freien Zeit verbrachten wir recht schweigsam, denn durch dieses überaus tiefsinnige Gespräch war die aufgelockerte Stimmung vom Anfang recht schnell verflogen und sie kehrte auch nicht zurück, da wir jeder unseren Gedanken nachhingen.

Niks Motiv war also Rache. Rache an den Menschen, die seine Mutter getötet und ihm ein Leben in Pein verschafft hatten. Also teilten wir immerhin eine kleine Gemeinsamkeit, denn auch ich - obwohl die Hauptsorge meiner Familie galt - fand den Gedanken daran, den Rebellen den Tod meines Vaters heimzuzahlen, in gewisser Weise verlockend.

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