Kapitel 8.2
Ich sah auf den Zettel in meiner Hand und fragte mich, was wohl QG bedeuten sollte, als vier der Prüfer zu uns traten. Nach und nach hatten sich die Teilnehmer wieder vor dem Logistikzentrum eingefunden und nun bildeten wir eine riesige, quasselnde Traube. Nun ja, ich redete nicht, aber dafür taten es die anderen umso mehr.
Der Sprecher, der uns willkommen geheißen hatte, war wieder dabei. Auf seiner blauen Uniform entdeckte ich nun auch seinen Namen und den Dienstgrad.
»Der Langstreckenlauf ...«, hob Lieutenant McIntyre an, brach aber ab, als er bemerkte, dass immer noch einige der Teilnehmer flüsterten. Verärgert stützte er die Hände in die Hüfte. »Wer der Meinung ist, er hätte etwas Wichtiges zu sagen, kann gerne ein einfaches Handzeichen geben und sein Anliegen vorbringen. Falls es sich aber nicht um eine die Prüfung betreffende Frage oder Bemerkung handeln sollte, dann herrscht Ruhe, während ein Vorgesetzter spricht. Haben Sie das verstanden?« Der Lieutenant blickte in die Runde, doch keiner gab einen Mucks von sich. »Sie antworten auf meine Frage mit einem eindeutigen Jawohl, Sir oder Nein, Sir. Also ... haben Sie das verstanden?«
Die Traube antwortete mit einem mehrstimmigen »Jawohl, Sir«, was den Mann unzufrieden das Gesicht verziehen ließ.
»Sie sind doch keine Schwächlinge! Haben Sie das verstanden?!«, wiederholte er die Frage mit erhobener Stimme und nun riefen alle im Chor laut und deutlich: »Jawohl, Sir!«
Das schien den Lieutenant zufrieden zu stimmen, denn er fuhr mit seiner ursprünglichen Erklärung fort, dass der Langstreckenlauf zehn Kilometer betrug und an der Quartalsgrenze stattfand. Da niemand etwas einzuwenden hatte, machten wir uns in einer langen Viererreihe auf den Weg zum Startpunkt.
Wir trafen einige Minuten vor angesetztem Beginn ein. Die restlichen Prüfer standen bereits mit HUDs in den Händen da.
Man wies uns an, die Jacken und vereinzelt auch Trinkflaschen abzulegen, vorzutreten, den Namen und die Kennnummer auf unserem Unterarm zu zeigen und uns ein Armband abzuholen, welches unsere Zeit messen würde. Ich kam dem Befehl gehorsam nach und stellte mich dann in eine der Reihen.
Ich hielt der Prüferin, die zum Zonenschutz gehörte und laut der zwei bronzenen Metalleinsätze an ihrem silbernen Abzeichen ein Sergeant war, meinen linken Arm vor die Nase und nannte ihr meinen Namen. Sie wollte mir gerade den Zeitmesser reichen, da bemerkte sie den Verband unter meiner rechten Schulter.
»Was ist das?«
Verdutzt folgte ich ihrem Blick und spürte, wie mein Herz ein Stück in Richtung meiner Magengegend abrutschte.
»Die Verletzung habe ich mir beim Training für die Prüfung zugezogen. Ich bin gefallen und dabei an einem spitzen Ast hängen geblieben. Aber es ist schon so gut wie verheilt«, erwiderte ich mit möglichst fester Stimme.
Ich hoffte, dass sie das leichte Zittern einfach überhört hatte, denn sollte sie herausfinden, dass die Wunde nicht von einem Ast, sondern von einer Kugel herrührte, wurde ich nicht nur von dem Test ausgeschlossen, sondern auch Maddox würde Probleme bekommen. Also sah ich ihr selbstsicher in die eiserne Miene, die alle Wächter hier perfektioniert zu haben schienen.
»Entfernen Sie den Verband!«, forderte sie mich auf.
Ich musste schlucken und hätte mich am liebsten gewehrt, aber für Widerworte war hier kein Platz. Also kam ich ihrem Befehl nach und löste das Stück sauberen Stoff. Die Wunde war schon verkrustet, dennoch spürte ich immer noch ein unangenehmes Ziehen, wenn ich meinen Arm bewegte.
Die Prüferin lehnte sich vor und nahm die Verletzung genauer unter die Lupe. Sie tastete den Bereich um den Grind ab und ich zuckte ungewollt zusammen, als sie eine empfindliche Stelle traf.
»Haben Sie noch Schmerzen?«, hakte sie nach.
»N-nein ... habe ich nicht.«
Ihr unerbittlicher Blick durchbohrte mich. »Hier ist kein Platz für Lügen. Beantworten Sie meine Frage mit der Wahrheit. Haben Sie noch Schmerzen?«
Ich überlegte fieberhaft, was meine Optionen waren. Die Wahrheit schon einmal nicht, denn wenn ich zugab, dass die Verletzung mir immer noch Probleme bereitete, würde ich vielleicht nicht teilnehmen können. Doch so, wie sie mich mit ihren Augen durchbohrte, war ich mir nicht sicher, ob meine Fähigkeit zu Lügen gut genug war, um ihrem Urteil standzuhalten.
Die Wächterin schien keine Lust mehr zu haben, auf meine Antwort zu warten. »Treten Sie zur Seite!«, forderte sie mich barsch auf.
»Aber –«, hob ich empört an, verstummte jedoch, als sie wütend die Augenbrauen zusammenzog.
Mir blieb nichts anderes übrig, als aus der Reihe zu treten und mich an den Rand zu stellen. Fassungslos sah ich dabei zu, wie sich die anderen Teilnehmer ihr Armband abholten und zur Startlinie liefen.
Das konnte doch nicht wahr sein!
Ich hatte nicht jahrelang trainiert, um nun einfach so von der Prüfung ausgeschlossen zu werden. Wegen eines verdammten Streifschusses sollte ich nicht teilnehmen können? Ich fühlte mich gut und würde schon nicht umfallen, nur weil mein Arm ein bisschen wehtat.
Ich spürte Tränen der Enttäuschung in mir aufsteigen, versuchte, sie zurück zu kämpfen, was mir äußerst schwerfiel. Mein Traum, mein Lebensziel löste sich vor meinen Augen in Luft auf.
Ich schluckte schwer, als sich auch die letzten Teilnehmer zu der großen Gruppe gesellten und Lieutenant McIntyres Anweisungen lauschten. Am Rande bekam ich mit, wie jemand neben mich trat und runzelte überrascht die Stirn, als ich Lieutenant Goode erkannte.
»Miss Whitefield!« Er war überrascht, mich hier und nicht bei der Gruppe zu sehen. »Was machen Sie noch hier?«
Ich schilderte ihm schnell, was vorgefallen war, während er die Wunde beäugte.
»Beeinträchtigt Sie der Arm während des Rennens?«
Weil ich bei ihm eher eine Chance witterte, vielleicht trotzdem teilnehmen zu können, auch wenn er um den wirklichen Zustand meines Armes wusste, rückte ich mit der Wahrheit raus.
»Er schmerzt beim Laufen noch, aber nicht so sehr, dass ich die zehn Kilometer nicht schaffen könnte.« Meine Stimme zitterte hoffnungsvoll.
»Und Sie sind sich sicher, dass Sie das schaffen?«
»Ich bin mir sicher, Sir.«
Goode nickte nachdenklich, stellte sich aufrecht vor mich hin und reichte mir dann ein Armband. Mit großen Augen nahm ich es entgegen.
»Sie dürfen an der Prüfung teilnehmen.«
»Danke! Sie werden es nicht bereuen, Sir!«, rief ich erleichtert, befestigte das Armband an meinem Handgelenk und lief eilig zur Gruppe, wo McIntyre gerade die Funktionsweise des Zeitmessers erklärte. Ich konnte mein Glück kaum fassen, weshalb sich meine Lippen zu einem Lächeln verzogen.
»Ah, Whitefield! Ich habe dich schon vermisst!«, stieß Nik leise hervor und drängte sich zu mir. Ich verdrehte die Augen. Weil ich aber gerade so von Erleichterung durchströmt wurde, konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Freu dich lieber nicht zu früh, Hunt. Als Schlusslicht wirst du jedenfalls kein Wächter!«, erwiderte ich spitzzüngig.
Er lachte leise auf. »Wir werden ja sehen!«
Zu einer Antwort kam ich nicht, denn McIntyre gab den Startschuss und die ersten Teilnehmer setzten sich in Bewegung.
Auch ich lief los, der Dunkelhaarige noch an meiner Seite. Doch schnell legte ich an Tempo zu und ließ ihn hinter mir, denn während er bereits anfing zu keuchen, spürte ich eine Kraft in mir, die für mich unerschöpflich schien. Nach den ersten drei Kilometern hatte ich den Großteil der Gruppe hinter mir gelassen.
Nur wenige liefen in meinem Tempo und mein Ehrgeiz zwang mich dazu, noch einen Zahn zuzulegen. Ich würde Lieutenant Otiz beweisen, dass meine Wunde mich nicht beeinträchtigte und Lieutenant Goode wollte ich zeigen, dass ich die Chance, die er mir mit seinem Zugeständnis gegeben hatte, mehr als verdiente.
Das Armband vibrierte nach einer Weile und nach einem prüfenden Blick stellte ich fest, dass ich die Hälfte der Strecke bereits geschafft hatte und sogar noch unter meiner Bestzeit lag. Wenn ich dieses Tempo hielt, dann würde ich mit einer großartigen Zeit ins Ziel kommen.
Die anderen fünf Kilometer brachten mich deutlich mehr außer Puste und ich wurde ein wenig langsamer. Mein Tatendrang hatte mir eine Falle gestellt, denn die unerschöpfliche Kraft, die ich vorher gespürt hatte, war gar nicht so endlos wie angenommen.
Meine Beine brannten höllisch und meine Verletzung machte sich bemerkbar. Dennoch biss ich die Zähne zusammen und als ich auf meinem Armband las, dass mir die letzten dreihundert Meter bevorstanden, holte ich auch das letzte Fünkchen Energie aus meinen Muskeln und kam schließlich mit einer Zeit von sechsundvierzig Minuten durch das Ziel. Das Band vibrierte und stoppte die Messung der Zeit.
Ich rang nach Luft, merkte wie meine Beine zitterten und auch wie schwer sich meine Arme anfühlten, als ich mich auf die Knie stützte, um wieder zu Atem zu kommen. Vor mir war nur ein Junge noch eher über die Ziellinie gekommen, doch das störte mich tatsächlich recht wenig.
Ich hatte meine Bestzeit gebrochen, obwohl ich die letzten Tage vor dem Test nicht mehr trainiert hatte. Und ich hatte gezeigt, dass ich durchaus in der Lage war, mit einer verdammten Schussverletzung zehn Kilometer hinter mich zu bringen.
Sobald sich meine Lungen wieder mit ausreichend Sauerstoff gefüllt hatten, lief ich noch leicht wackelig auf den Beinen zum nächsten Prüfer, nahm das Armband ab und reichte es ihm. Er notierte die Zeit und meine Kennnummer, gratulierte mir zum bestandenen ersten Teil der Prüfung und wies mich an, einige Meter weiter auf einen Wagen zu warten, der mich zurück zum Startpunkt bringen würde. Ich dankte ihm, immer noch etwas atemlos und machte mich auf den Weg.
Der Junge, der vor mir ins Ziel gekommen war, stand bereits an der Straße und hielt nach dem Wagen Ausschau. Als ich ankam, lächelte er freundlich. Er schenkte mir ein paar nette Worte, die ich erwiderte, schwieg dann aber, was mir nur recht war. Nach und nach kamen weitere Teilnehmer ins Ziel und nach einigen Minuten der Warterei sammelte uns auch endlich ein Wächter ein und fuhr uns zurück.
Lieutenant Goode klatschte mir leise Beifall, als ich von der Ladefläche des Transporters stieg.
»Eine sehr gute Zeit, die Sie da gelaufen sind!«, sagte er und klopfte mir auf die Schulter. Er musste mein Ergebnis auf seinem HUD bereits gesehen haben.
»Ich sagte doch, Sie werden es nicht bereuen!« Ich wollte noch etwas hinzufügen, doch eine wütende Frauenstimme unterbrach mich.
»Habe ich nicht deutlich gesagt, Sie sollen sich an den Rand stellen?«, fragte die Prüferin und packte mich fest am Handgelenk. Auf ihrer Stirn war eine Ader hervorgetreten, die wütend zuckte, während ihre strengen Augen sich in mich bohrten. Wahrscheinlich hätte sie mich am liebsten mit ihrem Blick aufgespießt. »Wer hat Ihnen gestattet teilzunehmen? Und woher haben Sie das Armband?«
Bereit mich zu rechtfertigen, holte ich schon Luft, doch der Lieutenant kam mir zuvor.
»Otiz, ich habe ihr das Ok gegeben!«, sagte Goode schnell und trat zwischen uns, sodass die Frau mich loslassen musste. »Die Wunde war doch schon fast verheilt und wie Sie sehen, hat Miss Whitefield eine hervorragende Leistung erbracht!«
Otiz schnaufte aufgebracht und ich sah mit an, wie sie um Fassung rang. Sie schien sie recht schnell wiederzufinden, rückte ihre Uniform zurecht und beugte sich dann an dem Lieutenant vorbei, sodass sie mir wieder direkt in die Augen sehen konnte.
»Wenn Sie mich noch einmal so hintergehen, dann können Sie zurück in Ihr Dorf fahren, wo Sie hergekommen sind!«, fauchte sie, drehte sich um und tippte auf ihrem HUD herum.
Ich war mir der Blicke der Teilnehmer und anderen Prüfer bewusst. Sie hatten jedes einzelne Wort gehört.
»Danke, Lieutenant«, wandte ich mich leise an Goode, holte dann meine Jacke und wartete darauf, dass wir zum Logistikzentrum zurückgebracht wurden.
Ich hatte mich an meinem ersten Tag hier mit einer Vorgesetzten angelegt, ohne dass ich es gewollt hatte. Nur, weil mich Johnson für ein Reh gehalten hatte und der Meinung gewesen war, eine Kugel auf mich abfeuern zu müssen. Ich schnaubte in Gedanken und zwang mich dann, meinen Unmut zurückzudrängen. Schließlich war der Tag noch nicht vorbei und ich musste mich auf die Prüfung konzentrieren, wenn ich den Test bestehen wollte.
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