Kapitel 2.2
Verschwommen tauchte Maddox' Laden vor meinen Augen auf.
»Warte hier«, bellte er dem Mann, Johnson, zu und verschwand in der kleinen Hütte.
Er kam mit einer Decke zurück, die er auf der Veranda ausbreitete. Er sagte etwas zu Johnson, das ich nicht verstand. Ich spürte nur, wie ich vorsichtig auf den Boden gelegt wurde, der durch die Decke kaum bequemer war. Dieser folgte der Anweisung und ließ sich neben mir auf den Knien nieder.
»Entfern' den Ärmel!«, befahl Maddox dem Mann, der sich sogleich daran machte, den Stoff meiner Jacke zu zerreißen. Sinnloserweise versuchte ich zu protestieren, doch der Mann drückte meinen Arm weg, als ich ihn aufhalten wollte. Maddox verschwand noch einmal im Innern des Ladens.
Mit mehreren Flaschen, Verbänden und Dingen bestückt, die ich nicht genau erkennen konnte, kniete auch er sich schwerfällig neben meinen rechten Arm. Er musterte die Wunde eindringlich, dann griff er als erstes zu einer Wasserflasche. Mit den Zähnen entfernte er den Korken und sagte dann kurz angebunden: »Halt' sie fest, Johnson!«
Der Mann, der ihm gegenübersaß, packte meine Arme und Beine und fixierte sie so gut es ging am Boden. Kaum einen Augenblick später schüttete Maddox das Wasser über die Wunde.
Ich schrie auf und strampelte mit den Beinen, weil es so sehr brannte. Es fühlte sich an, als würde sich die harmlose Flüssigkeit durch meine Haut fressen und eine noch größere Wunde hinterlassen. Mein Fuß traf Maddox und ich hätte mich entschuldigt, doch ich konnte nicht sprechen. Ununterbrochen schrie ich, bis der andere Mann mir ein Tuch in den Mund stopfte, damit ich draufbeißen konnte.
Maddox griff sich unterdessen eine weitere Flasche und ein Leinenstück, welches er sonst immer zum Einwickeln des Fleisches nutzte. Er träufelte den klaren Inhalt darauf. »Das wird jetzt noch mehr wehtun, Clove!«, warnte er mich mit mitleidigem Blick. Ich nickte benommen und versuchte mich auf den Schmerz vorzubereiten, da drückte er das Leinenstück schon auf die Verletzung.
Es brannte höllisch und ich konnte mir das Schreien einfach nicht verkneifen, so sehr ich es auch wollte. Tränen traten mir in die Augen, liefen mir über die Schläfen und tropften auf die Decke unter mir.
»Erzählen Sie mir was«, brüllte ich durch das Tuch hindurch den Mann an.
»Was?«, fragte er und glotzte mich verständnislos an.
»Erzählen Sie etwas. Irgendwas!«, schrie ich noch lauter und dieses Mal schien er es verstanden zu haben.
Fieberhaft überlegte er und begann dann sinnlose Fakten über das Jagen herzubeten. Ich konzentrierte mich so gut es ging auf seine Worte, damit ich nicht die ganze Zeit an den Schmerz dachte. Zwischendrin hörte ich Maddox noch »Gleich geschafft« murmeln, bis der Griff um meinen unverletzten Arm und meine Beine erst lockerer wurde, dann ganz verschwand.
Einer der beiden Männer nahm mir das Tuch aus dem Mund, der dadurch unglaublich trocken geworden war und half mir in den Sitz.
»Alles gut?«, fragte Maddox und musterte mich aufmerksam aus wässrigen Augen. Ich nickte nur, mein Hals tat vom Schreien weh. Er atmete geschafft aus und ließ sich nach hinten sinken. Plötzlich sah er müde und alt aus.
»Danke, Mads«, krächzte ich, stützte mich auf einem Arm hoch – ich ließ die Hilfe des anderen Mannes zu, beachtete ihn jedoch nicht – und zog Maddox dann ebenfalls auf die Beine. Sobald er sicher auf seinem gesunden Bein stand, umarmte ich ihn. Er schlang seine massigen, kräftigen Arme ebenfalls um mich. Als ich ihn losließ, reichte er mir eine Flasche mit Wasser, aus der ich gierig mehrere große Schlucke nahm.
Sobald sich meine Kehle nicht mehr anfühlte, als wäre sie mit Schleifpapier bearbeitet worden, wirbelte ich herum und fixierte den Mann, der Johnson hieß. Dabei wankte ich gefährlich, denn der Blutverlust machte sich deutlich bemerkbar. Jedoch war ich stinksauer und dieser Idiot hatte mir einiges zu erklären.
»Was sollte das, Sie Vollidiot?«, krächzte ich und ignorierte das schmerzhafte Pochen meines Armes, als mein Blut in Wallung geriet.
Der Mann hob abwehrend die Hände, als könnte ich ihn jeden Moment anspringen. »Es tut mir unglaublich leid ... wirklich«, beteuerte er.
»Ihre Entschuldigung können Sie sich sonst wohin stecken!«, erwiderte ich wutentbrannt und tat einen Schritt auf ihn zu. Am liebsten würde ich ihn boxen, um mein Adrenalin, welches immer noch durch meine Adern rauschte, abzubauen. »Sie – haben – mich – angeschossen!«
»Ich habe Sie für ein Reh gehalten ...« Seine Stimme klang jämmerlich und er sah hilfesuchend zu Maddox, der hinter mir an der Holzwand seiner Hütte lehnte.
»Von mir bekommst du keine Hilfe«, sagte er nur.
»Ich zahle Ihnen eine Entschädigung, Miss«, schlug er vor und fing an in seinen Taschen herumzufingern.
»Ich will Ihre Marken nicht! Davon kann ich mir auch keinen neuen Arm kaufen!«, fauchte ich zurück. »Und nennen Sie mich nicht Miss!«
Ich atmete tief durch, um mich wieder ein wenig zu beruhigen. Johnson ließ mich nicht aus den Augen. Ohne seine leisen, gestammelten Entschuldigungen zu beachten, drehte ich mich zu Maddox um. »Wie schlimm ist es?«
Dieser stieß sich von der Wand ab und zupfte an dem Verband herum, den er aus zerrissenen Stofffetzen um meinen Oberarm gewickelt hatte.
»Ein Streifschuss kurz unter der Schulter. Der Muskel ist unverletzt«, setzte er mich gleich in Kenntnis. Ich nickte und drehte mich wieder um.
Mit Genugtuung stellte ich fest, dass Johnson zurückzuckte, als ich auf ihn zuging. Er hatte anscheinend wirklich Angst vor mir.
»Sie jagen die nächsten zwei Wochen für Maddox. Der Hauptanteil Ihrer Beute geht an ihn, verstanden?«, sagte ich und packte ihn am Kragen seiner Jacke. Johnson nickte nur hektisch und stieß erleichtert die Luft aus, sobald ich ihn losließ. »Und Sie holen das Gewehr, das wir bei uns hatten und bringen es her.«
Wieder nickte er. Wahrscheinlich würde er sich am liebsten vor mir verneigen, so wie er aussah. Wenn ich schon nicht für Maddox jagen und so meine offenen Schulden begleichen konnte, dann musste es eben so laufen.
»Ist hier alles in Ordnung?«, ertönte plötzlich eine tiefe Stimme und ein Umriss löste sich aus der Dämmerung, den ich vorher nicht bemerkt hatte. Sofort versteifte ich mich. Maddox und Johnson schien es ähnlich zu gehen.
Der Mann, der nun auf uns zu schlenderte, war jung und kräftig gebaut. Seine dunkelrote Uniform mit dem Wappen der Stadt sagte mir, dass er ein Wächter des Zonenschutzes war. Seine schweren Schnürstiefel polterten, als er an Johnson vorbeiging und zu uns auf die Veranda trat. Er verfehlte glücklicherweise die Decke, die mit meinem Blut benetzt war. Im Dämmerlicht fiel sie kaum auf. Über seiner Schulter hing an einem schwarzen Riemen das Sturmgewehr, welches er nun schussbereit in beide Händen nahm.
»Sir, warum sind Sie hier?«, fragte ich und klang reservierter als beabsichtigt.
Er hatte meinen abgeneigten Tonfall ebenfalls rausgehört, denn sein Blick zuckte umgehend zu mir und lächelte, jedoch nicht aus Freundlichkeit.
»Ich bin hier, weil ich auf meiner Patrouille Schreie gehört habe, Miss«, erklärte er sich umgehend.
Ein kurzer Blick zu Maddox verriet mir, dass er sich der Situation ebenso bewusst war wie ich. Er versteifte sich noch ein wenig mehr. Mitten in der Nacht Schreie zu hören bedeutete meistens, dass illegale Dinge vor sich gingen – davon gingen die Wächter grundsätzlich aus, wenn sie in Zone Drei und Vier unterwegs waren. Für die waren wir doch alle Verbrecher.
»Da haben Sie sich wohl geirrt, Sir. Wir haben nur gelacht und ein wenig getrunken. Alkohol ist ja nicht verboten, oder?« Ich versuchte so unbedarft wie möglich zu klingen und lächelte ihn breit an.
»Auf öffentlichem Gebiet schon, Miss«, entgegnete der Wächter ernst. Ich schluckte schwer.
»Das hier ist mein Laden. Wir befinden uns also auf Privatbesitz«, eilte mir Maddox zu Hilfe und ich nickte bestätigend.
»Und was ist das da?« Der Wächter deutete mit dem Lauf seiner Waffe auf den Verband an meinem Arm. Ich folgte ihm mit meinem Blick.
»Oh, das!« Ich versuchte mich an einem verlegenen Lachen und scheiterte kläglich. »Das ist beim Training für den Eignungstest passiert.« Gelogen war es ja nicht, schließlich sollte mir die Jagd eigentlich als Training dienen.
Überrascht zog der Mann seine Augenbrauen hoch. »Sie wollen Wächterin werden?«, fragte er und als ich nickte, glitten seine Augen an mir herab. Sein Blick war mir ein wenig zu intensiv, doch ich bewegte mich nicht. Die Wächter vom Zonenschutz ließen sich leicht provozieren und ich wollte ihm wirklich keinen Grund bieten, irgendeine Dummheit zu tun. Also ließ ich seinen starrenden Blick über mich ergehen. »Na, vielleicht sehen wir uns ja wieder«, sagte er hoffnungsvoll. Ich musste stark an mich halten, um nicht abschätzig ein »Hoffentlich nicht!« zu entgegnen.
Erleichtert atmete ich auf, als er sich mit einem Nicken von uns abwandte und wieder von der Veranda ging.
Doch ließ er uns noch nicht in Ruhe, sondern drehte sich zu Maddox um. »Sie beide sind Jäger, ja?« Er deutete auf das Gewehr, das Maddox achtlos auf die Veranda geworfen hatte und bedachte dann Johnson mit einem prüfenden Blick, der seine Waffe über der Schulter hängen hatte. Gott sei Dank lag das dritte Gewehr, welches mir Maddox vor unserem Ausflug ausgehändigt hatte, noch im Wald. Sonst hätten wir jetzt ein riesiges Problem.
Johnson schien endlich wieder zu sich zu kommen – er hatte die ganze Zeit über reglos dagestanden. Er löste sich aus seiner Starre und kramte in der Innentasche seiner Jacke. Er zog zerknitterte Papiere heraus und hielt sie dem Wächter unter die Nase. »Ja, hier sind die Registrierungspapiere.«
Der Wächter wirkte ein wenig enttäuscht, als er ihm die Zettel abnahm und sie schnell überflog.
»Sie scheinen ja eine ausgesprochen gute Jagd hinter sich zu haben«, murmelte er mit Blick auf die zwei toten Rehe und gab Johnson die Papiere zurück.
»Ja, Sir. Ausgesprochen gut«, erwiderte dieser und rang sich ein Lächeln ab.
Da der Wächter glücklicherweise nichts fand, was gegen das Gesetz verstieß, – er schien diese Tatsache irgendwie zu bedauern – trat er zurück auf die Straße und schob sich das Gewehr auf den Rücken.
»Halten Sie sich das nächste Mal mehr zurück«, ordnete er an und bedachte Maddox und Johnson mit einem warnenden Blick. Er fasste sich an die dunkelrote Feldmütze, auf der ebenfalls das Wappen prangte. »Miss«, sagte er, betrachtete mich mit einem undefinierbaren Blick und nickte knapp. Dann drehte er sich um und entfernte sich in die Richtung, aus der er gekommen war.
Erst als er vollkommen unser Sichtfeld verlassen hatte, wagten wir aufzuatmen und uns wieder zu rühren. Dieser Tag hatte eigentlich gut begonnen und eine überaus schlechte Wendung genommen.
Die Anspannung fiel von mir wie ein schwerer Umhang und jetzt spürte ich deutlich die Erschöpfung, die vor allem von dem Blutverlust herrührte. Ich ließ mich auf den Schaukelstuhl sinken und schloss die Augen.
Maddox streichelte mir kurz übers Haar und wandte sich dann Johnson zu. »Du hast gehört, was sie gesagt hat. Halt' dich dran, das schuldest du ihr«, erinnerte Maddox ihn an meine Forderung. »Gib mir ein paar Marken, du zahlst die Fahrt mit dem Supra.«
Johnson sah ihn mit großen Augen an.
»Willst du was sagen?« Maddox bedachte ihn mit einem scharfen Blick, woraufhin der Jäger den Kopf schüttelte. Stillschweigend wechselten einige Marken den Besitzer.
»Verzieh dich jetzt!«, bellte Mads.
Als die schwerfälligen Schritte von Johnson in der Ferne verklungen waren, brach Maddox in ein tiefes Lachen aus. »Gut gespielt, kleine Füchsin«, sagte er und brachte mich dazu ihn anzusehen.
»Du sollst mich doch nicht so nennen«, tadelte ich ihn, rang mir aber ein müdes Lächeln ab.
Wieder musste Maddox lachen. »Ich glaub', Johnson zuckt noch in zehn Jahren zusammen, wenn du ihn nur böse ansiehst. Hast ihm 'n ganz schönen Schrecken eingejagt.«
Ich zuckte nur mit den Schultern. »Er hat's verdient.« Meine Miene verfinsterte sich, als ich den Verband ansah.
Dieser Streifschuss tat höllisch weh und es würde auf jeden Fall eine Weile dauern, bis er verheilt war. Mir blieb nur zu hoffen übrig, dass ich mein Training fortsetzen konnte und mein Arm mich auch bei der Eignungsprüfung nicht zu sehr behinderte.
»Ich werde deiner Mutter Bescheid sagen müssen«, murmelte Maddox und klang bestürzt, denn ihm schwante wohl, wie sie darauf reagieren würde, wenn sie erfuhr, dass ich angeschossen worden war.
»Sag ihr lieber nichts von der Schusswunde«, schlug ich vor und nach längerem Überlegen nickte Maddox entschlossen und verschwand im Ladenraum.
»Vermutlich hast du recht.«
Ich hörte ihn poltern, dann war es kurz still. Schließlich ging eine Klappe und das typische Flopp der Rohrpost ertönte, als der Brief mit Unterdruck auf seine kurze, unterirdische Reise in das zweite Quartal geschickt wurde.
Nach einer Minute erschien Maddox wieder auf der Veranda. Er hatte zwei Dosen unter den Arm geklemmt, zwei Flaschen in der Hand und trug mit der anderen einen Holzschemel, den er neben dem Schaukelstuhl abstellte und sich darauf niederließ.
»Hab' ihr gesagt, dass ich dir zeigen will, wie man die Haut abzieht und das Fleisch aufbereitet, und dass du heute Abend spätestens wieder zurück bist.«
Dankbar sah ich ihn an, er erwiderte meinen Blick fürsorglich. Dann nahm er die Dosen, öffnete sie mit einem Messer, genauso wie die Flaschen und reichte mir beides.
Die Dose enthielt die weißen Bohnen, die ich gestern noch sehnsüchtig betrachtet hatte. Die Flasche hatte keine Aufschrift. In ihr gluckerte nur munter eine durchsichtige Flüssigkeit. Fragend zog ich eine Augenbraue hoch.
»Schwarzgebrannter«, sagte Maddox und zwinkerte mir zu. »Betäubt den Schmerz ... Aber nimm lieber erstmal kleinere Schlucke. Das Zeugt brennt höllisch.«
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