{7} - Schweigsame Heimreise
In meinen Träumen dieser Nacht verfolgten mich die schrecklichsten Gestalten. Sie hatten die Gesichter von Mr. Pace's Frau und seinem Sohn, den ich eigentlich gar nicht kannte. Sie verurteilten mich für das, was ich getan hatte.
Wie konnte ich nur so dämlich und naiv sein? Ich war es, die seine Familie zerstörte. Und das war das Letzte, was ich wollte.
Als ich aufwachte, plagten mich fürchterliche Kopfschmerzen. Er im Gegenzug war noch nicht wach und schlief friedlich vor sich hin. Unsere Klamotten lagen wild durcheinander auf dem Fußboden und allein schon der Gedanke an letzte Nacht ließ mein Herz höher schlagen. Es war das Schönste, was ich jemals erlebt hatte. Doch ich habe damit alles zerstört.
Wieder mal war es ich, die alles kaputt machte.
Leise schlich ich ins Bad und betrachte mich im Spiegel. Meine Wimperntusche war total verschmiert und bildete schwarze Schatten unter meinen Augen. Meine Haare standen in alle Richtungen ab und mein Lippenstift war auch nicht mehr da, wo er eigentlich sein sollte. Ich stützte mich am Waschbecken ab und senkte meinen Kopf.
Du bist so doof, Clary. Da hast du einmal einen richtig guten Job und musst alles versauen, indem du mit deinem Chef schläfst. Seit wann bist du so geworden? Er hat eine Familie, ein Kind! Du zerstörst damit sein Leben! Aber das ist sowieso das Einzige, was du kannst. Anderen Leuten das Leben zerstören.
Die Stimme in meinem Kopf machte mich fast wahnsinnig. Mit meinen Händen fuhr ich durch meine Haare und räumte dann alles in einem Schwung vom Waschbecken ab. "SCHEISSE!", brüllte ich und sackte auf dem Boden zusammen. Die Tränen liefen mir nur so die Wange runter und benässten meinen Körper. Da war sie wieder, die Clary, die damals Deutschland verlassen hat, in der Hoffnung es würde alles besser werden. Doch sie hat alles nur noch schlimmer gemacht.
Doch plötzlich hörte ich eine Tür zuschlagen. "Lee?", fragte ich und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Ich lugte durch die Badezimmertür und erkannte ihn, wie er einfach schweigsam mein Appartement verließ.
Ich verstehe schon, wenn man kein Wort darüber verliert, dann vergisst man es irgendwann. Er war also doch nicht so ein Gentleman, wie ich gedacht hatte. Doch da meldete sich wieder meine innere Stimme zu Wort.
Was erwartest du, Clary? Dass er dir einen Strauß Rosen dalässt, nachdem er einen One Night Stand mit dir hatte? Sei doch nicht so naiv.
Doch ich schüttelte es einfach ab, stand vom Boden auf und ging zurück ins Schlafzimmer. Der Koffer packte sich schließlich nicht von alleine, also begann ich, die ganzen Klamotten einfach wahllos in meinen Trolli zu feuern.
Als Klamotten für den Flug entschied ich mich für eine schwarze Leggins und ein enges Top mit Cardigan. Dann lief ich noch einmal ins Bad, um meine Schminksachen vom Boden aufzusammeln und alles in meinen Kulturbeutel zu schmeißen. Als ich am Ende noch einen Rundgang durch das Appartement machte, damit ich auch ja nichts vergessen hatte, viel mir ein kleiner weißer Zettel auf meinem Nachtisch auf. Ich faltete ihn auf und begann zu lesen:
"Clary, lass uns morgen in meinem Büro über alles reden. Ich warte unten in der Lobby. Unser Flug geht um 11. - Lee"
Er wollte es also doch nicht ignorieren. Gab es vielleicht doch noch Hoffnung...? Nein, nein die gab es nicht. Wahrscheinlich wird er mir einfach mitteilen, dass ich gefeuert bin und er mich nie wieder sehen will. Aber damit muss ich dann halt leben.
Geknickt verließ ich mein Hotelzimmer und fuhr mit dem Aufzug runter zur Rezeption. Da stand auch schon Mr. Pace mit seinem Koffer und wartete auf mich. Er sah müde aus, angeschlagen. Machte ihn das alles so fertig?
Schweigend stellte ich mich neben ihn und wartete, bis er ausgecheckt hatte. Dann stiegen wir in die Limousine und ließen uns zurück zum Flughafen fahren.
Während der Fahrt wechselten wir kein Wort miteinander, zu groß war die Peinlichkeit beiderseits. Wir starrten jeweils aus zwei verschiedenen Fenstern nach draußen und beobachteten das rege Treiben der Stadt. Der Himmel war von dunkelgrauen Wolken bedeckt und schien sich meiner Laune perfekt anzupassen. Es dauert nicht lange, bis die ersten schweren Regentropfen auf die Straße prasselten und die Leute dazu zwangen, ihre bunten Regenschirme rauszuholen. Ich entdeckte ein fröhliches Pärchen, das mit ihren zwei Kindern einen Spaziergang machte. Der Junge und das Mädchen hüpften in den Pfützen um die Wette und erfreuten sich über das für andere Leute eigentlich schlechte Wetter. Sie ließen sich von nichts unterkriegen und machten sogar aus dem traurigsten Regentag einen Tag mit Sonnenschein. Irgendwie machte mich ihr Anblick glücklich. Spielte sich da etwa meine vermeintliche Zukunft ab?
Ich wurde aus den Gedanken gerissen, als wir am Flughafen ankamen. Schon kurz nachdem wir in das Flugzeug eingestiegen waren, startete die Maschine und brachte uns zurück nach London. Während dem Flug hörte ich die Playlist auf meinem Handy hoch und runter und übersprang jedes noch so fröhliches Lied.
Mr. Pace sprach wieder kein Wort mit mir und las nur vertieft in seine Zeitschriften rein.
Als wir in London Heathrow ankamen, war es bereits Abend und die großen Scheinwerfer beleuchteten die Landebahn. Wir nahmen unser Gepäck entgegen und machten uns auf den Weg nach draußen. Doch ich wusste nicht, dass mich da noch eine böse Überraschung erwartete. Am Eingang stand nämlich eine große, dürre Frau, die einen kleinen Jungen auf dem Arm hielt und ein Schild mit der Aufschrift Mein Schatz Lee! in der Hand hielt.
Als Mr. Pace die beiden sah, eilte er sofort auf sie zu und fiel ihnen in die Arme. Es gab keinen Zweifel, es waren eindeutig seine Frau Clara und sein Sohn. Er küsste sie lange und nahm dann den Jungen auf den Arm. Glücklich wippte er mit ihm hin und her und bekam das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht.
Ich konnte da nicht weiter zusehen. Es zerriss mein Herz und fast hätte ich noch an Ort und Stelle angefangen zu weinen. Doch ich beherrschte mich, lief streng nach vorne blickend an der Happy Family vorbei und versuchte die Sätze wie "Ich liebe dich, Clara!" und "Du bist wieder gewachsen, Lucas!" gekonnt zu ignorieren. Draußen wehte mir ein kalter Windstoß entgegen, woraufhin ich mir meinen Cardigan noch ein Stückchen weiter zuzog und mir sofort ein Taxi rief. Ich wollte einfach nur noch weg von diesem Flughafen, dieser Clara und Mr. Pace.
Der Flughafen lag leider ein ganzen Stück von meiner Wohnung entfernt, weswegen mir die Taxifahrt auch ewig lang vorkam. Naja, dann konnte ich mir wenigstens schon mal überlegen, was ich in meine Kündigung schreiben werde. Denn wenn er mich wirklich nicht mehr sehen wollte, würde ich lieber freiwillig gehen, als das er mich vor Augen der ganzen Mitarbeiter persönlich rausschmiss.
Um 20 Uhr kam ich dann endlich zuhause an und ging sofort ins Bad, um noch den Rest meiner Schminke von gestern abzuwaschen.
Ich wollte einfach nur noch ins Bett und meinen Jetlack ausschlafen. Doch als ich meinen Badschrank öffnete, fiel mir wieder der kleine Behälter mit meinen alten Tabletten in die Hand. Ich starrte sie für einige Zeit an und drehte dann mit zitternden Fingern den Deckel auf. Damit wird es dir besser gehen, Clary.
Ich schluckte zwei der weißen Tabletten runter und legte mich dann ins Bett. "Das war das letzte Mal, dass ich welche genommen habe...", flüsterte ich noch, bevor ich in einen kurzen und unruhigen Schlaf fiel.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro